Wild Wild East: Cowboys in der DDR

Von Carsten Probst |
Cowboys gab es vor der Wende auch im Osten. Sie verstanden ihr Tun als eine Form symbolischen Widerstands. Eine Do-it-Yourself-Szene mit überwältigender Feierabendarbeit an Kostümen, Attrappen und selbstgebauten Westerndörfern. Diese bislang ungehobenen Schätze kommen in der Galerie für zeitgenössische Kunst Leipzig ans Licht.
Ist es nun Spiel – oder ist es Ernst? Das scheinen die beiden Cowboy- und Indianerfiguren zu fragen, die einen am Eingang erwarten, überdimensional groß als Fotografien des Künstlers Philipp von Recklinghausen. Jede kindliche Niedlichkeit ist ihnen abhanden gekommen sie wirken vor allem bizarr – bizarr wie scheinbar der ganze Stoff aus dem die Westernträume der einstigen Ostcowboys waren und sind. Um es vorwegzunehmen: Vorurteile werden erfüllt. Zumindest oberflächlich wird hier kein Merkmal heimlicher ostdeutscher Westfantasien ausgelassen, wie man es sich gerade im Westteil Deutschlands ganz genau so immer schon vorgestellt hat – von skurril bis tragisch. Aber gerade das hat auch die beiden Ausstellungsmacher Friedrich von Borries und Torsten Fremer, beide übrigens Wessis, nach eigenem Bekunden so sehr interessiert:

Friedrich von Borries: " Mein Kollege Torsten Fremer ist Historiker, ich selber bin Architekt, wir haben uns irgendwann zusammengetan, weil wir aus unserem beruflichen Hintergrund Zugang zur Alltagskultur von Stadt haben und uns gesagt haben, wir wollen ein paar Projekte machen über die unentdeckten, heimlichen Alltagskulturen von Stadt, sozusagen die blinden Flecken, (...) und eines der ganz spannenden Themenfelder ist da das urbane Phänomen des Country, der Menschen, die in der Stadt leben, in der Stadt arbeiten, in diesen funktionalen Alltag eingepasst sind und davon träumen: Freiheit, Weite, Abenteuer zu leben und sich dafür diese Rolle zulegen und diese Parallelwelt aufbauen."

Eher unvermutet sind die beiden bei ihren Recherchen in Berlin auf Zeitzeugen gestoßen, die ihnen erzählten, dass sie auch schon zu DDR-Zeiten Cowboys waren, dass das für sie eine subversive Kultur gewesen sei, eine Form symbolischen Widerstands. Und siehe da: Unerwartete, bislang kaum gehobene Schätze der DDR-Alltagskultur kommen ans Licht. Der Cowboy Ost war nämlich alles andere als bloßer Konsument von Wildwestklischees, wie der Geistesverwandte im Westen. Im Osten ging es ums wirkliche Leben, denn zunächst einmal war man mit seiner Neigung Teil eines konspirativen Netzwerks.

Torsten Fremer: " Man muss natürlich unterscheiden, dass man in den sechziger und siebziger Jahren das sehr sehr im Untergrund betrieben hat, sich in irgendwelchen Wäldern getroffen hat und hier auch Country-Music praktizierte. In den achtziger Jahren, als das System mehr und mehr aufweichte, war auf einmal Country-Music zumindest auch geduldeter. Zwar hieß es dann nicht Country-Bands, sondern Folkloregruppe, aber es gab zehn, zwölf anerkannte Folkloregruppen, (...) und einige solcher Country-Bands hatten es dann geschafft, als Folkloregruppe ins Profilager zu wechseln."

Nicht zu vergessen: Natürlich gab es auch eine ganz offizielle Westernfolklore im Osten, in Form etwa der 13 DEFA-Westernfilme, mit denen man die in der DDR verbotenen Karl-May-Inszenierungen des Westens auf eine "historisch richtige" Grundlage stellen wollte. Unvergessen Goijko Mitic als DEFA-Pendant zu Winnetou-Darsteller Pierre Briece, doch so richtig linientreu ließ sich diese offizielle Seite nie handhaben:

Fremer: " Andererseits haben wir – das war auch sehr interessant – bei unseren Recherchen und vielen Gesprächen festgestellt, dass zwar die Indianerkultur die offizielle war, weil der rote Mann war ja verfolgt durch den Weißen, durch den Westler, und deshalb war es legitimiert, dennoch (...) der Cowboy, der Westernheld war die größere Attraktion, denn: also viele haben das so beschrieben: Wenn es dunkel wurde, haben wir unsere Cowboyhüte aufgesetzt, es fanden wohl auch verschiedene Kämpfe (...) zwischen Indianern und Cowboys statt, und viele Indianerclubs haben gleichzeitig auch Westernstädte gebaut. (...) Das waren richtige Gangs. Wir haben sogar gehört, es gab noch eine dritte Fakultät, sozusagen, die Trapper, die dann auch mit gegen die Indianer und Cowboys gekämpft haben."

Die Geschichte von Hans Jürgen und Rosi Hammer aus Berlin Ost ist nur einer von mehreren exemplarischen Lebensläufen von Ost-Cowboys. Beide erfüllten sich Ende der siebziger Jahre einen Lebenstraum, als Cowboys öffentlich auftreten zu dürfen. Sie studierten artistische Nummern mit Lasso, Peitsche und Gewehr ein – wofür ein langer Briefwechsel mit dem Ministerium für Staatsicherheit vonnöten war – und avancierten damit im Lauf der Jahre zu begehrten Zirkusartisten. In der DDR zählten sie zu den Privilegierten. Doch die Wende machte dem Ruhm von Hans Hammer und seiner Rosi schlagartig ein Ende:
Fremer: " Ja, also er konnte vom Cowboysein nicht lassen, (...) sprich: Er hat eine neue Figur entwickelt, Sammy Hawkins Junior, hat ein Gewehr mit einem Gummiknüppel, seine "Krumme Lady", und damit tourt er jetzt (...) durch Altenheime und Autohäuser. (...) Sie sind nicht getrennt, (...) sie bezeichnen sich, denk ich, als so genannte Wendeverlierer, da sie natürlich als Zirkusstars, nachdem sie es geschafft hatten, auch als Cowboy auftreten zu können, wurden sie überall hofiert, hatten ihr Einkommen und leben jetzt eher an der Armutsgrenze."

Vielleicht ist auch das ein Grund, weshalb nach 1989 ein ostdeutscher Pilgerzug nach Nashville/Tennessee ausgeblieben ist. Die ostdeutsche Szene hatte ihre ganz eigenen Regeln und Gepflogenheiten, eine Do-it-Yourself-Szene, wie so viele in der DDR, mit einem überwältigenden Aufwand an Feierabendarbeit an Kostümen, Attrappen und selbstgebauten Westerndörfern, mitunter bei fast despotisch anmutenden Privathierarchien, die heute wie eine skurriles Zerrbild militärischer Rangstufen erscheint. Nicht alle Vertreter waren so, es gab auch bekennende Lonesome Cowboys: Wie Loman, jenen einsamen Reiter der im Winter 1989/90 mit seinem Pferd an die Autobahn ritt, um die einrollenden Wessis zu begrüßen. Welch ein Empfang im Wilden Osten!

P.S. Loman zählt übrigens nicht zu den Wendeverlierern. Er erhielt nach 1990 eine eigene Country-Sendung im Mitteldeutschen Rundfunk, deren 600. Folge soeben ausgestrahlt wurde. Und in seiner kleinen Autowerkstatt fertigte er schon zu DDR-Zeiten von Hand Cowboyhüte, Westernsättel und andere Cowboyutensilien, deren Qualität sich auch im Westen bald herumsprach. Mittlerweile kommen die Bestellungen vor allem aus den USA.

Service:

Die Ausstellung Wild Wild EAST 1 - "Cowboys" ist in der Galerie für zeitgenössische Kunst Leipzig vom 23. April bis 5. Juni 2005 zu sehen.

Link:

Wild Wild EAST 1 - "Cowboys"