Wildenhahn: Auch die leeren Stunden zeigen
Er wird der Altmeister des Dokumentarfilms genannt. Klaus Wildenhahn, der am 19. Juni 80 Jahre alt wird, verfolgte die Methode der direkten Dokumentation. Bekannt wurde er unter anderem mit "498, Third Avenue" über den Choreografen Merce Cunningham.
Frank Meyer: Klaus Wildenhahn ist jetzt für uns in Hamburg im Studio. Seien Sie herzlich willkommen, Herr Wildenhahn!
Klaus Wildenhahn: Guten Tag!
Meyer: Herr Wildenhahn, das Berliner Programmkino Arsenal wird Sie in der kommenden Woche feiern und Ihren Film "498, Third Avenue" aus dem Jahr 1967 zeigen. Das ist ein Film – so steht das in der Ankündigung –, der Tanz als Arbeit zeigt. War das Ihr Plan damals, vorführen, wie sehr Tanzen auch Arbeiten ist?
Wildenhahn: Es wird jetzt etwas umständlich, wie ich da reingerutscht bin beim NDR-Fernsehspiel mit dem Dokumentarfilmmachen. Dann hat mich der damalige Hauptabteilungsleiter Monk zu einer Nebenredaktion geschickt, das war die Musikredaktion, die damals sehr wichtig war. Und da gab es einen wunderbaren Redakteur, Hansjörg Pauli, ein Schweizer, und der hat mich losgeschickt auf Sachen, von denen ich keine Ahnung hatte, und unter anderem auch John Cage und die Truppe von Cunningham zu begleiten auf einer Tournee. Dass ich keine Ahnung von Musik oder von moderner Musik hatte, spielte für ihn keine Rolle, sondern er traute mir, irgendwas wird schon dabei herauskommen. Und da habe ich die Cunningham-Truppe kennengelernt, und dann bin ich hinterher zu diesem Redakteur gegangen und habe gebeten, ob ich unter Umständen deren Arbeit einfach beobachten dürfte. Und darauf hat er mir das erlaubt und hat das gestattet, und dann bin ich quasi zwei Monate bei der Entstehung eines Tanzes rübergegangen nach New York. Und dann haben wir das versucht zu zeigen, und zwar die Arbeit, die es kostet, das unvöllig Unspektakuläre, bis dann zum Schluss also irgendein schönes, fertiges Produkt über die Bühne geht.
Meyer: Was zeigt das für Sie, dieser Prozess dieser Arbeit?
Wildenhahn: Es zeigt etwas, womit ich dachte wir alle in irgendeiner Form beschäftigt sind: das Dröge, das Langsame, die leeren Stunden, mit denen wir zurechtkommen müssen und in denen wir auch immer etwas erledigen müssen, was unser Leben letztendlich ausmacht. Gott, da kommen ich jetzt so auf furchtbare Worte, die alle ein wenig großkotzig klingen, aber ich dachte, das ist eigentlich das, was im Dokumentarfilm das Interessante ist – nicht so sehr die zugespitzten dramatischen Ereignisse, die wiederum natürlich auch wichtig sind, wenn man sie als Entertainment haben will, sondern das Hinschauen auf das, was den Alltag ausmacht. Aber das wiederum so zu machen, dass es nicht langweilig wird, sondern dass man irgendwie hineingleiten kann und etwas über sich selbst erkennt. Aber das war wohl sicher alles mehr instinktmäßig, als ich darauf losging.
Meyer: Was ich immer wieder über Sie gelesen habe, dass Sie das Direct Cinema in Deutschland ganz entscheidend mit bekannt gemacht haben in den 60er-Jahren – manche sagen auch "Uncontrolled Cinema". Können Sie uns erklären, was das für Sie eigentlich bedeutet?
Wildenhahn: Wie ich die Amerikaner, die das vertraten am Anfang, kennenlernte, war das für mich so eine der Überraschungen meines Lebens, weil ich hatte ja Filme schon vorher realisiert und dann natürlich auch einfach in der normal konventionellen Fernsehmethode, weil ich ein sogenannter Realisator für die damalige "Panorama"-Redaktion war. Wir sind damals immer mit sechs Mann rausgefahren – was ein kleines Team war. Und dann lernte ich diese Amerikaner kennen. Und weil ich nun schon irgendwie vorbereitet war auf etwas, was draußen passiert und wie man das überträgt auf unser Handwerk, fand ich das ungeheuer. Leacock, Pennebaker und Maysles führten ihre ersten längeren Filme vor mit der Methode, diese Vorwahl des Präsidenten Kennedy, der gegen Humphrey antrat, das wurde dann damals gezeigt, oder Eddie Sachs, ein Rennfahrer, der immer als Zweiter rauskam. Das waren eigentlich Storys, die auf eine gewisse Dramatik angelegt waren. Aber dann war die Umsetzung wiederum so verblüffend nicht spektakulär, sondern eben die kleinen Zuckungen, die Mühe, die durch den sogenannten Alltag geht, nur eben am Beispiel einer dramatischen Situation, dass ich dachte, das ist etwas, was wir unbedingt machen müssten. Und das hat mich irgendwie gepackt, beinahe wie ein Rausch. Es war ja auch ein Gefühl. Also wenn man in so einem Betrieb steckt wie in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, man ist ja auch mit einer gewissen Leidenschaft dabei, es macht einem ja auch Spaß. Und dann kommt so ein Impuls, wo sich die Technologie verbindet mit Gefühl und inhaltlichen Umsetzungen, beinahe literarischen Angängen, also jetzt nicht Literatur im Sinne von Wortkunst, sondern einfach im Weitertreiben von Stil, im Weitertreiben von Formensuche. Dann redet man drüber und ist unheimlich dabei und denkt, das musste du jetzt einfach für dich auch mal ausprobieren.
Meyer: Und, Herr Wildenhahn, als Sie mit diesen Filmen dann angekommen sind beim deutschen Fernsehen, die vielleicht für die Redakteure damals karg gewirkt haben, nackt, ungewohnt auf jeden Fall, wie waren die Reaktionen? War man da gleich begeistert?
Wildenhahn: Nee, es war unterschiedlich. Ich habe das Glück gehabt, dass bestimmte Abteilungsleiter und Hauptabteilungsleiter aufgeschlossen waren – das war damals so. Das erscheint mir, das war noch eine Generation, die aus der Nazizeit kam und vom Krieg kam, Nachkrieg, die setzten noch auch auf Experimente und drückten mal ein Auge zu und kiekten so, ob da irgendwas drinsteckt bei dem Menschen, was er da probieren will, und ließen ihn probieren. Und da habe ich einfach Glück gehabt, dass ich beim Öffentlich-rechtlichen solche Mäzene gefunden habe, die mich auch gefördert haben: Gerd von Paczensky, Egon Monk und den schon erwähnten Hansjörg Pauli. Das waren ganz wichtige Leute, die mir sozusagen ein bisschen die Hand untern Arsch gehalten haben, aber ich musste natürlich mit dem Versuch auch irgendwas herstellen, was dann gefiel. Das war damals möglich.
Meyer: Sie haben vor zehn Jahren ungefähr gesagt: Ich bin mittlerweile so eine Art Dinosaurier. Dinosaurier in Bezug auf Ihre Filme, auf Ihre Filme mit ihrer Länge, die sie haben, mit dem Beharren auf Genauigkeit. Und Sie haben damals auch gesagt, die Methode des Direct Cinema, das sei so aus der Mode gekommen hier im deutschen Fernsehen. Was hat es denn verdrängt, was ist an die Stelle dessen getreten?
Wildenhahn: Ich nehme an, das, was man heute immer großflächig als Dokumentation bezeichnet. Es weht mich so etwas an, auch wenn ich auf Filmtagen bin und Dokumentarfilmtagen, wo ich ja noch auch hinfahre, dass etwas Vorgestanztes, sauber Ausgeleuchtetes, mit einer guten Kameraführung, also all das, war wir schon mal auch hatten, was ich auch kennengelernt habe. Damals war es die Kamera vom Stativ, gut kadriert, gut ausgeleuchtet, und dann bittet man die Leute in der Mitte, sich zu bewegen. Das wird heute leichter gemacht. Und ich glaube, dass auch bei den Zuschauern inzwischen auch so ein Bewusstsein da ist, dass man sich vor Kameras nicht mehr genieren muss, dass man sich vor Kameras auch bewegen muss. Das kommt dem entgegen, dass dann gewisse Filmmacher oder Filmmacherinnen Protagonisten finden, die gerne einfach zwar Laien sind, aber gerne irgendwie mitmachen und mitagieren und dann ihren jeweiligen Akzent jeweils auch pflegen. Und das wird dann auch mit einer Schulterkamera gemacht. Heute sind ja auch die Systeme einfacher geworden und handlicher geworden. Dadurch scheint eine gewisse Natürlichkeit dann zurückzukommen, die aber eigentlich auch wiederum künstlich hergestellt wird. Also es scheint mir so, als ob das sauber Abgegrenzte, das in ein sauberes Bild gebracht, mit einem richtigen Ton versehen, die Musik wird auch wieder eingesetzt. Also sieht man ja selbst bei Tierfilmen – wo sieht man da was, wo endlich mal, wenn irgendein Eisbär irgendwo hintrottet, wird er von irgendeiner Musik begleitet. All das scheint mir diese Plätze einzunehmen. Wobei ich sagen muss, das, was ich damals gemacht habe und auch versucht habe, mit meinen Mitteln zu propagieren, dass das sowieso auch immer nur ein absolutes Minoritätenprogramm war. Es war keineswegs so, als ob plötzlich das deutsche Fernsehen nun auf "Uncontrolled Cinema" umgestellt hätte.
Meyer: Herr Wildenhahn, Sie haben über 40 lange Dokumentarfilme gedreht, gibt es unter diesen vielen Filmen für Sie so einen heimlichen Liebling, der Ihnen bis heute am nächsten ist von Ihren eigenen Filmen?
Wildenhahn: Nein. Das wechselt auch immer. Ich sehe mal plötzlich einen Film, den ich lange nicht gesehen habe, den ich auch nicht für wichtig hielt, und plötzlich dachte ich: Doch, der entspricht mir eigentlich sehr. So ist auch dieses Berliner Programm entstanden.
Meyer: Sie meinen, was Sie nächste Woche zeigen dann im Berliner Kino Arsenal?
Wildenhahn: Ja, den Cunningham-Film. Den habe ich ganz lange gar nicht so ernst genommen. Und da tauchte er mal wieder auf, ich habe ihn gezeigt und dachte: Mensch! Und da steckt alles drin, was wir uns zusammen erarbeitet haben. Und dann wird Cunningham unspektakulär. Er wird ja heute – der ist ja auch vor Kurzem gestorben mit 90 Jahren oder weiß ich was – wird er auch gefeiert. Und der Film ist völlig unspektakulär, so noch aus einer Zeit, wo er selber auch noch mit seiner Company rumkrebste und dass sie Schulden machten und ihr Leben, das also mit äußerst geringen Mitteln bestritten wurde. All das schimmert durch, und dann trotzdem, dass sie ihre Arbeit machen in diesem Amerika, was sie umgibt und völlig anderen Idealen folgt. Und sie halten auch in einer amerikanischen Art, die ganz wunderbar ist, mit viel Witz, Humor und auch Gefühlen, an dieser Arbeit fest und machen sie einfach. Und da dachte ich: Dem sind wir auch, glaube ich, sogar auch gerecht geworden mit unserer dann ausgereiften Methode. Und plötzlich dachte ich: Nee, das ist ein guter Film. Und deshalb dachte ich, vielleicht soll man ihn dann ruhig zeigen.
Meyer: Der Filmemacher Klaus Wildenhahn wird in zwei Tagen 80 Jahre alt. Seine Filme können Sie wieder sehen, zum Beispiel in der neuen DVD-Box des Filmverleihs absolut MEDIEN. Herr Wildenhahn, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Wildenhahn: Ich danke Ihnen!
Klaus Wildenhahn: Guten Tag!
Meyer: Herr Wildenhahn, das Berliner Programmkino Arsenal wird Sie in der kommenden Woche feiern und Ihren Film "498, Third Avenue" aus dem Jahr 1967 zeigen. Das ist ein Film – so steht das in der Ankündigung –, der Tanz als Arbeit zeigt. War das Ihr Plan damals, vorführen, wie sehr Tanzen auch Arbeiten ist?
Wildenhahn: Es wird jetzt etwas umständlich, wie ich da reingerutscht bin beim NDR-Fernsehspiel mit dem Dokumentarfilmmachen. Dann hat mich der damalige Hauptabteilungsleiter Monk zu einer Nebenredaktion geschickt, das war die Musikredaktion, die damals sehr wichtig war. Und da gab es einen wunderbaren Redakteur, Hansjörg Pauli, ein Schweizer, und der hat mich losgeschickt auf Sachen, von denen ich keine Ahnung hatte, und unter anderem auch John Cage und die Truppe von Cunningham zu begleiten auf einer Tournee. Dass ich keine Ahnung von Musik oder von moderner Musik hatte, spielte für ihn keine Rolle, sondern er traute mir, irgendwas wird schon dabei herauskommen. Und da habe ich die Cunningham-Truppe kennengelernt, und dann bin ich hinterher zu diesem Redakteur gegangen und habe gebeten, ob ich unter Umständen deren Arbeit einfach beobachten dürfte. Und darauf hat er mir das erlaubt und hat das gestattet, und dann bin ich quasi zwei Monate bei der Entstehung eines Tanzes rübergegangen nach New York. Und dann haben wir das versucht zu zeigen, und zwar die Arbeit, die es kostet, das unvöllig Unspektakuläre, bis dann zum Schluss also irgendein schönes, fertiges Produkt über die Bühne geht.
Meyer: Was zeigt das für Sie, dieser Prozess dieser Arbeit?
Wildenhahn: Es zeigt etwas, womit ich dachte wir alle in irgendeiner Form beschäftigt sind: das Dröge, das Langsame, die leeren Stunden, mit denen wir zurechtkommen müssen und in denen wir auch immer etwas erledigen müssen, was unser Leben letztendlich ausmacht. Gott, da kommen ich jetzt so auf furchtbare Worte, die alle ein wenig großkotzig klingen, aber ich dachte, das ist eigentlich das, was im Dokumentarfilm das Interessante ist – nicht so sehr die zugespitzten dramatischen Ereignisse, die wiederum natürlich auch wichtig sind, wenn man sie als Entertainment haben will, sondern das Hinschauen auf das, was den Alltag ausmacht. Aber das wiederum so zu machen, dass es nicht langweilig wird, sondern dass man irgendwie hineingleiten kann und etwas über sich selbst erkennt. Aber das war wohl sicher alles mehr instinktmäßig, als ich darauf losging.
Meyer: Was ich immer wieder über Sie gelesen habe, dass Sie das Direct Cinema in Deutschland ganz entscheidend mit bekannt gemacht haben in den 60er-Jahren – manche sagen auch "Uncontrolled Cinema". Können Sie uns erklären, was das für Sie eigentlich bedeutet?
Wildenhahn: Wie ich die Amerikaner, die das vertraten am Anfang, kennenlernte, war das für mich so eine der Überraschungen meines Lebens, weil ich hatte ja Filme schon vorher realisiert und dann natürlich auch einfach in der normal konventionellen Fernsehmethode, weil ich ein sogenannter Realisator für die damalige "Panorama"-Redaktion war. Wir sind damals immer mit sechs Mann rausgefahren – was ein kleines Team war. Und dann lernte ich diese Amerikaner kennen. Und weil ich nun schon irgendwie vorbereitet war auf etwas, was draußen passiert und wie man das überträgt auf unser Handwerk, fand ich das ungeheuer. Leacock, Pennebaker und Maysles führten ihre ersten längeren Filme vor mit der Methode, diese Vorwahl des Präsidenten Kennedy, der gegen Humphrey antrat, das wurde dann damals gezeigt, oder Eddie Sachs, ein Rennfahrer, der immer als Zweiter rauskam. Das waren eigentlich Storys, die auf eine gewisse Dramatik angelegt waren. Aber dann war die Umsetzung wiederum so verblüffend nicht spektakulär, sondern eben die kleinen Zuckungen, die Mühe, die durch den sogenannten Alltag geht, nur eben am Beispiel einer dramatischen Situation, dass ich dachte, das ist etwas, was wir unbedingt machen müssten. Und das hat mich irgendwie gepackt, beinahe wie ein Rausch. Es war ja auch ein Gefühl. Also wenn man in so einem Betrieb steckt wie in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, man ist ja auch mit einer gewissen Leidenschaft dabei, es macht einem ja auch Spaß. Und dann kommt so ein Impuls, wo sich die Technologie verbindet mit Gefühl und inhaltlichen Umsetzungen, beinahe literarischen Angängen, also jetzt nicht Literatur im Sinne von Wortkunst, sondern einfach im Weitertreiben von Stil, im Weitertreiben von Formensuche. Dann redet man drüber und ist unheimlich dabei und denkt, das musste du jetzt einfach für dich auch mal ausprobieren.
Meyer: Und, Herr Wildenhahn, als Sie mit diesen Filmen dann angekommen sind beim deutschen Fernsehen, die vielleicht für die Redakteure damals karg gewirkt haben, nackt, ungewohnt auf jeden Fall, wie waren die Reaktionen? War man da gleich begeistert?
Wildenhahn: Nee, es war unterschiedlich. Ich habe das Glück gehabt, dass bestimmte Abteilungsleiter und Hauptabteilungsleiter aufgeschlossen waren – das war damals so. Das erscheint mir, das war noch eine Generation, die aus der Nazizeit kam und vom Krieg kam, Nachkrieg, die setzten noch auch auf Experimente und drückten mal ein Auge zu und kiekten so, ob da irgendwas drinsteckt bei dem Menschen, was er da probieren will, und ließen ihn probieren. Und da habe ich einfach Glück gehabt, dass ich beim Öffentlich-rechtlichen solche Mäzene gefunden habe, die mich auch gefördert haben: Gerd von Paczensky, Egon Monk und den schon erwähnten Hansjörg Pauli. Das waren ganz wichtige Leute, die mir sozusagen ein bisschen die Hand untern Arsch gehalten haben, aber ich musste natürlich mit dem Versuch auch irgendwas herstellen, was dann gefiel. Das war damals möglich.
Meyer: Sie haben vor zehn Jahren ungefähr gesagt: Ich bin mittlerweile so eine Art Dinosaurier. Dinosaurier in Bezug auf Ihre Filme, auf Ihre Filme mit ihrer Länge, die sie haben, mit dem Beharren auf Genauigkeit. Und Sie haben damals auch gesagt, die Methode des Direct Cinema, das sei so aus der Mode gekommen hier im deutschen Fernsehen. Was hat es denn verdrängt, was ist an die Stelle dessen getreten?
Wildenhahn: Ich nehme an, das, was man heute immer großflächig als Dokumentation bezeichnet. Es weht mich so etwas an, auch wenn ich auf Filmtagen bin und Dokumentarfilmtagen, wo ich ja noch auch hinfahre, dass etwas Vorgestanztes, sauber Ausgeleuchtetes, mit einer guten Kameraführung, also all das, war wir schon mal auch hatten, was ich auch kennengelernt habe. Damals war es die Kamera vom Stativ, gut kadriert, gut ausgeleuchtet, und dann bittet man die Leute in der Mitte, sich zu bewegen. Das wird heute leichter gemacht. Und ich glaube, dass auch bei den Zuschauern inzwischen auch so ein Bewusstsein da ist, dass man sich vor Kameras nicht mehr genieren muss, dass man sich vor Kameras auch bewegen muss. Das kommt dem entgegen, dass dann gewisse Filmmacher oder Filmmacherinnen Protagonisten finden, die gerne einfach zwar Laien sind, aber gerne irgendwie mitmachen und mitagieren und dann ihren jeweiligen Akzent jeweils auch pflegen. Und das wird dann auch mit einer Schulterkamera gemacht. Heute sind ja auch die Systeme einfacher geworden und handlicher geworden. Dadurch scheint eine gewisse Natürlichkeit dann zurückzukommen, die aber eigentlich auch wiederum künstlich hergestellt wird. Also es scheint mir so, als ob das sauber Abgegrenzte, das in ein sauberes Bild gebracht, mit einem richtigen Ton versehen, die Musik wird auch wieder eingesetzt. Also sieht man ja selbst bei Tierfilmen – wo sieht man da was, wo endlich mal, wenn irgendein Eisbär irgendwo hintrottet, wird er von irgendeiner Musik begleitet. All das scheint mir diese Plätze einzunehmen. Wobei ich sagen muss, das, was ich damals gemacht habe und auch versucht habe, mit meinen Mitteln zu propagieren, dass das sowieso auch immer nur ein absolutes Minoritätenprogramm war. Es war keineswegs so, als ob plötzlich das deutsche Fernsehen nun auf "Uncontrolled Cinema" umgestellt hätte.
Meyer: Herr Wildenhahn, Sie haben über 40 lange Dokumentarfilme gedreht, gibt es unter diesen vielen Filmen für Sie so einen heimlichen Liebling, der Ihnen bis heute am nächsten ist von Ihren eigenen Filmen?
Wildenhahn: Nein. Das wechselt auch immer. Ich sehe mal plötzlich einen Film, den ich lange nicht gesehen habe, den ich auch nicht für wichtig hielt, und plötzlich dachte ich: Doch, der entspricht mir eigentlich sehr. So ist auch dieses Berliner Programm entstanden.
Meyer: Sie meinen, was Sie nächste Woche zeigen dann im Berliner Kino Arsenal?
Wildenhahn: Ja, den Cunningham-Film. Den habe ich ganz lange gar nicht so ernst genommen. Und da tauchte er mal wieder auf, ich habe ihn gezeigt und dachte: Mensch! Und da steckt alles drin, was wir uns zusammen erarbeitet haben. Und dann wird Cunningham unspektakulär. Er wird ja heute – der ist ja auch vor Kurzem gestorben mit 90 Jahren oder weiß ich was – wird er auch gefeiert. Und der Film ist völlig unspektakulär, so noch aus einer Zeit, wo er selber auch noch mit seiner Company rumkrebste und dass sie Schulden machten und ihr Leben, das also mit äußerst geringen Mitteln bestritten wurde. All das schimmert durch, und dann trotzdem, dass sie ihre Arbeit machen in diesem Amerika, was sie umgibt und völlig anderen Idealen folgt. Und sie halten auch in einer amerikanischen Art, die ganz wunderbar ist, mit viel Witz, Humor und auch Gefühlen, an dieser Arbeit fest und machen sie einfach. Und da dachte ich: Dem sind wir auch, glaube ich, sogar auch gerecht geworden mit unserer dann ausgereiften Methode. Und plötzlich dachte ich: Nee, das ist ein guter Film. Und deshalb dachte ich, vielleicht soll man ihn dann ruhig zeigen.
Meyer: Der Filmemacher Klaus Wildenhahn wird in zwei Tagen 80 Jahre alt. Seine Filme können Sie wieder sehen, zum Beispiel in der neuen DVD-Box des Filmverleihs absolut MEDIEN. Herr Wildenhahn, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Wildenhahn: Ich danke Ihnen!