Wildes Wunderkind

Von Johannes Halder |
Als Jean-Michel Basquiat 1988 mit nur 27 Jahren an einem fatalen Drogencocktail starb, war er bereits ein international gefeierter Kunststar. Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel erinnert mit einer großen Werkschau an den Maler, der jetzt 50 Jahre alt geworden wäre.
Barfuß und mit dicken Rasta-Locken, den teuren Armani-Anzug mit Farbe bekleckert, so posierte Jean-Michel Basquiat 1985 auf dem Titelblatt des "New York Times Magazine" - ein schwarzer Malerfürst auf der Höhe seines kurzen, schnellen Ruhms.

Vier Jahre zuvor noch war er mit einem Bild unter dem Arm durch halb New York gelaufen, bis er es für 500 Dollars verkaufen konnte, um seine Miete zu bezahlen. In der Schau ist ein ähnliches Bild zu sehen. Es zeigt, wie von Kinderhand gekrakelt, die Kollision eines Milchautos mit einem grünen Kraftfahrzeug, den rohen Leinwandfetzen hat der Maler locker auf ein Holzgestell montiert.

Ein Schlüsselbild. Nach einem Unfall hatte die Mutter dem damals Achtjährigen ein Anatomiebuch geschenkt, das sein visuelles Vokabular nachhaltig beeinflusste, denn Basquiats Bilder sind voll von verzerrten Fratzen und verrenkten Gliedern, von Skeletten, fragmentierten Körperteilen und Organen.

Gerade kommt auch ein neuer Film über Basquiat in die Kinos, es ist bereits der dritte. "The Radiant Child" - "Das strahlende Kind" heißt der Streifen, und beide, Ausstellung und Film, erzählen die atemberaubende Geschichte vom Aufstieg und Untergang dieses Malers.

Basquiat, das Genie aus der Gosse, der archetypische Großstadtwilde, das kreolische Naturtalent, das dem Kunstmarkt der 80er Jahre gerade recht kam. Ein Wunderkind, hochgepuscht zum Superstar, führte Basquiat ein Leben, das der Kurator Dieter Buchhart nur so beschreiben kann:

"Intensiv. Sehr, sehr intensiv. Er hat sehr viel gearbeitet, er hat fast pausenlos gemalt, gezeichnet und hat gutes Essen geschätzt, guten Wein, er hat viele Liebschaften gehabt, also hat das Leben eben auch genossen. Aber eigentlich war sein Hauptfokus die Arbeit."

Basquiat, der eine Zeit lang mit Madonna liiert war, stand ständig unter Strom, sprich unter Drogen. In einem neun Jahre langen Schaffensrausch produzierte er wie im Akkord rund 1000 Gemälde und 2000 Zeichnungen - eine hemmungslose Selbstausbeutung seines Talents, bis er nach dem Tod seines Freundes Andy Warhol vollends die Kontrolle über sein Leben verlor.

Über hundert seiner Werke sind jetzt hier zu sehen: zornig expressive Kritzel- und Krakelbilder, oft auf Sperrmüllbretter gemalt, mit eincollagierten Fotokopien und Zeichnungen, vermischt mit gesprühten Piktogrammen, wundersamen Zahlenreihen, Wortfetzen und Buchstabenreihen, die manchmal - würde man sie sprechen - klingen wie Rap: mit vielen Vokalen, rhythmisch variiert. Geschriebene Malerei.

"Wenn Sie vergleichen mit neoexpressionistischen oder anderen Werken dieser Zeit, von Kollegen seiner Zeit auch, haben die eine Intensität, die offensichtlich durchgeschlagen hat. Und es hat natürlich auch damit zu tun, dass er ja als Graffiti-Sprayer unterwegs war und seine poetisch-konzeptuellen Sprüche auf die Wände gesprayt hat, auch Aufsehen erregt hat. Und das ist schon interessant, denn man hat ihn ganz woanders eingeordnet, auch wo man ihn später sehen wollte: in der reinen Malerei oder so, was einfach auch überhaupt nicht passt."

Basquiat bediente sich im Alltag, auf der Straße, in der Kunst; er kollaborierte mit Kollegen und unterwarf sich den Wünschen seiner wechselnden Galeristen. Seine ebenso raffinierte wie banale Sampling-Methode funktioniert, solange man darin nicht nach tieferen Bedeutungen sucht: Sie absorbiert den Rhythmus der Straße, die Signale der Stadt, das Treibhaus der afroamerikanischen Geschichte mit seinen Helden aus Sport und Musik, geschüttelt mit einer Prise Picasso zu einer effektvollen Synthese, zu einem gepflegten Primitivismus, der seine Bilder einzigartig macht.

Zum Kunstmarkt und seinen kapitalistischen Mechanismen hatte er ein zynisches Verhältnis.

"Zum Beispiel, ein Werk wollte er nicht verkaufen, dann schrieb er drauf: This is not for sale. Oder er hat ein Werk geschaffen, wo er beispielsweise den Preis des Werkes als einzigen Teil des Werkes gemacht hat: 5000 Dollars. Das war das Werk. Ein brauner Hintergrund, und einfach draufgeschrieben. Das war's."

Zwischen 5 und 30 Millionen Dollar sind seine Bilder heute wert - jedes.

Und Basquiat, der erste Schwarze, der als Maler den Status eines Rockstars errang, hatte den entscheidenden Vorteil: In diesem Dschungel zwischen Drogenhölle, amerikanischem Großstadtgetto, karibischem Mythenzauber und postmodernem Popkarneval war er fürs Publikum authentisch: ein echter Wilder gewissermaßen, der gelebte Exzess.

Die Kunst, so schrieb Basquiat einmal auf eines seiner Bilder, sei eine Krankheit, eine Sucht. Und seien wir ehrlich: Wenn er daran nicht so tragisch zu Tode gekommen wäre, hätten seine Bilder nur den halben Reiz. Der Kollaps des Künstlers nämlich hat sein Werk ja erst vollendet.


Weitere Informationen

Die Ausstellung ist in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel bis zum 5. September 2010 zu sehen, danach vom 15.10.2010 bis zum 30.1.2011im Musée d'art moderne de la Ville de Paris.