Wildwüchsiges Christentum
Georg Büchner, vor 200 Jahren in der hessischen Provinz geboren, lebte nur kurz - und hat doch Werke hinterlassen, die uns noch heute bewegen. Wenig bekannt ist die christliche Seite Büchners. Ihr ist der Germanist und Büchner-Biograf Hermann Kurzke auf der Spur.
Georg Büchner, vor 200 Jahren in der hessischen Provinz geboren, lebte nur kurz – und hat doch Werke hinterlassen, die uns noch heute bewegen. Wenig bekannt ist die christliche Seite Büchners. Ihr ist der Germanist und Büchner-Biograf Hermann Kurzke auf der Spur.
Ralph Fischer: "Ein Sonnenblick lag manchmal über dem Tal. Die laue Luft regte sich langsam. Die Landschaft schwamm im Duft. Fernes Geläute. Es war als, löste sich alles in eine harmonische Welle auf."
Am Ende belohnte Tagungsleiter Ralph Fischer die Teilnehmer mit einer Idylle aus Büchners Novelle Lenz, gesprochen über dem Geläut des Frankfurter Doms und der Alten Nikolaikirche am Römerberg. Zuvor war es eher fiebrig zugegangen. Theatermenschen, Wissenschaftlerinnen, Büchner-Forscher hatten sich in der Evangelischen Stadtakademie Frankfurt in – so das Tagungsthema – "Entzündete Texte" Büchners vertieft und sich deren Widerständigkeit ausgesetzt.
Hermann Kurzke, Literaturwissenschaftler und Büchner-Biograf, stellte den Dichter als Christ vor. Keine gängige Perspektive. Nicht gängig sei allerdings auch Büchners Religiosität.
Hermann Kurzke: "Es ist eine Art Arbeit. Arbeit am Mythos, Arbeit an den Trümmern des Christentums, die er vorfindet in seiner Zeit. Und es ist, glaube ich, gut gewesen, das Christentum zu zertrümmern, um daran weiterzuarbeiten und seine Produktivität wiederzufinden, um die Sinnqualitäten, die es hat, auch wieder freizusetzen. Und die nicht dadurch da sind, dass man Gott nur das Gute, Liebe und Schöne zuschreibt. Das hilft überhaupt zu gar nichts."
Büchner kritisiert, seziert und spöttelt über die Kirchlichkeit, in der Gott kaum mehr gewaltig, unzugänglich, unverständlich sein konnte. Die Religionskritik komme allerdings nicht von außen, sondern mitten aus dem Christentum, meint Hermann Kurzke. Büchners Freunde seien überwiegend Theologen oder Theologiestudenten gewesen. Seine Verlobte: Pfarrerstochter. Büchners Werk sei voll biblischen Materials.
Steffen Popp, Regisseur, Kurator des Festivals Büchner International in Gießen 2013: "Herr Kurzke hat das ja sehr, sehr detailliert und belesen vorgetragen, wie viele Stellen es da einfach in dem Werk Büchners selber gibt."
Anna Peschke, Regisseurin von "Woyzecks Körper. Peking Oper Performance": "Ich kenne auch diese Rezeption: Büchner als Atheist und so weiter. Aber als Professor Lenz dann erzählt hat, habe ich mich an einen jüdisch-orthodoxen Freund erinnert, dem ich einmal Büchners Lenz geschenkt habe, als Hörspiel. Er hat es mir dann zurückgegeben, weil er gesagt hat: O, das ist so christlich! Das ertrage ich nicht, das will ich mir nicht anhören. Ich hatte da ganz andere Dinge darin gesehen."
Büchner als Christ – diese Perspektive rief bei einigen aber auch Skepsis hervor.
Jörn Etzold, Theaterwissenschaftler, Ruhruniversität Bochum: "Dass Büchner ein Autor ist, der im Rahmen des Christentums schreibt, das geht ja gar nicht anders. Wer ist das nicht? Das ist Nietzsche genauso wie Hegel und wie Hölderlin und wer auch immer: Wir alle schreiben im Rahmen des Christentums. Und der gesamte Frühsozialismus hat sich entwickelt im Rahmen des Christentums. Das sind schon relativ eigenartige Grenzziehungen."
Ariane Martin, Deutsches Institut, Universität Mainz: "Das gehört ja zu unserer Kultur dazu. Wir haben die Bibel im Hintergrund. Aber es ist ein Unterschied, ob man religiöse Bilder künstlerisch verarbeitet – oder ob man glaubt."
Hermann Kurzke: "Dagegen habe ich nichts, wenn das jemand sagt. Ich bin überhaupt gegen eine allzu enge Definition des Religiösen. Für mich ist jeder Mensch religiös. Das ist ein Horizont, den man überhaupt nicht entkommen kann. Einfach schon durch die Zeitlichkeit, durch die Todesverfallenheit. Dadurch, dass man in die Welt geworfen wird, ohne danach gefragt zu werden. Jeder macht sich darauf irgendwelche Antworten."
Büchner allerdings habe keine direkten Antworten, sagt Kurzke, keinen Korrektheitsglauben, stattdessen eine wilde Urreligiosität. Motive aus frommen Volksliedern oder der Bibel gerieten in einen neuen Zusammenhang mit Alltäglichem: widersprüchlich, ungeheuer kreativ, apokalyptisch oder traumartig gelöst. Für Woyzeck etwa sei die Erde "höllenheiß", ihm aber eiskalt. Auch die "Hölle ist kalt, wollen wir wetten", sagt er. Seine Geliebte Marie betet – allerdings ums Betenkönnen.
Büchner, hat Hermann Kurzke beobachtet, rette sich oft ins Pantheistische. Befinde Gott sich aber in allem und damit auch im Menschen, dann, so heißt es in Danton‘s Tod wiederum, sei es nicht viel um die himmlische Majestät, "wenn der Herrgott in jedem von uns Zahnweh" kriegen oder "den Tripper haben" kann.
Das Lustspiel Leonce und Lena hingegen mündet in einen Traum vom Paradies: Wer sich dann rühme, "sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen", werde für verrückt und gefährlich erklärt. "Dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine commode Religion."
Für Büchner habe der Glaube etwas Musikalisches, ungebremst Ästhetisches gehabt, meint Kurzke. Im Mittelpunkt jedoch:
Hermann Kurzke: "Büchner besteht eigentlich auf dem Leiden und auf dem Schmerz des Gekreuzigten, des Leidenden. Und wir sind sozusagen wie Gekreuzigte. Das sagt auch Lena einmal in Leonce und Lena: "Die Welt ist ein gekreuzigter Heiland." In dieser Bildlichkeitsebene findet sich enorm viel bei ihm. Und das muss ihm wichtig gewesen sein, den Schmerz nicht zu verraten mit einer vorschnellen Versöhnung. Aber auch als Christ im Schmerz anwesend zu sein, ist ja etwas Großes. Früher hat man gesagt: Christus helfen, das Leiden zu tragen. Also indem man im Schmerz bei Christus ist, hilft man ihm das Leiden zu tragen. Und das gibt ja gleichzeitig wieder dem Leiden Sinn. Das ist eine Sinnerfahrung des Leidens."
Die letzten Worten des 23-jährigen Dichters vor seinem Tod in Zürich sind überliefert von Wilhelm Schulz, einem Freund, der des Frömmelns völlig unverdächtig sei: "Wir haben der Schmerzen nicht zu viel, wir haben ihrer zu wenig, denn durch den Schmerz gehen wir zu Gott ein!"
Des Frömmelns unverdächtig dürfte auch der Theaterwissenschaftler und Tagungsleiter Ralph Fischer sein. Sein Urteil über den neuen Blick auf Büchner:
"Das ist für mich persönlich ein starker Impuls gewesen, den Herr Kurzke gesetzt hat, zu sagen: Es ist nicht der Atheismus, die Dekonstruktion oder Destruktion des Christentums, sondern es ist ein Suchen nach einem neuen Christentum. Also ein modernes Christentum, das vielleicht den Schmerz in neuer Form inkludiert, das die Kreatürlichkeit vor einem veränderten Weltbild, vor einer veränderten soziokulturellen Realität wieder neu – entzündet."
Literaturhinweis:
Ralph Fischer: "Ein Sonnenblick lag manchmal über dem Tal. Die laue Luft regte sich langsam. Die Landschaft schwamm im Duft. Fernes Geläute. Es war als, löste sich alles in eine harmonische Welle auf."
Am Ende belohnte Tagungsleiter Ralph Fischer die Teilnehmer mit einer Idylle aus Büchners Novelle Lenz, gesprochen über dem Geläut des Frankfurter Doms und der Alten Nikolaikirche am Römerberg. Zuvor war es eher fiebrig zugegangen. Theatermenschen, Wissenschaftlerinnen, Büchner-Forscher hatten sich in der Evangelischen Stadtakademie Frankfurt in – so das Tagungsthema – "Entzündete Texte" Büchners vertieft und sich deren Widerständigkeit ausgesetzt.
Hermann Kurzke, Literaturwissenschaftler und Büchner-Biograf, stellte den Dichter als Christ vor. Keine gängige Perspektive. Nicht gängig sei allerdings auch Büchners Religiosität.
Hermann Kurzke: "Es ist eine Art Arbeit. Arbeit am Mythos, Arbeit an den Trümmern des Christentums, die er vorfindet in seiner Zeit. Und es ist, glaube ich, gut gewesen, das Christentum zu zertrümmern, um daran weiterzuarbeiten und seine Produktivität wiederzufinden, um die Sinnqualitäten, die es hat, auch wieder freizusetzen. Und die nicht dadurch da sind, dass man Gott nur das Gute, Liebe und Schöne zuschreibt. Das hilft überhaupt zu gar nichts."
Büchner kritisiert, seziert und spöttelt über die Kirchlichkeit, in der Gott kaum mehr gewaltig, unzugänglich, unverständlich sein konnte. Die Religionskritik komme allerdings nicht von außen, sondern mitten aus dem Christentum, meint Hermann Kurzke. Büchners Freunde seien überwiegend Theologen oder Theologiestudenten gewesen. Seine Verlobte: Pfarrerstochter. Büchners Werk sei voll biblischen Materials.
Steffen Popp, Regisseur, Kurator des Festivals Büchner International in Gießen 2013: "Herr Kurzke hat das ja sehr, sehr detailliert und belesen vorgetragen, wie viele Stellen es da einfach in dem Werk Büchners selber gibt."
Anna Peschke, Regisseurin von "Woyzecks Körper. Peking Oper Performance": "Ich kenne auch diese Rezeption: Büchner als Atheist und so weiter. Aber als Professor Lenz dann erzählt hat, habe ich mich an einen jüdisch-orthodoxen Freund erinnert, dem ich einmal Büchners Lenz geschenkt habe, als Hörspiel. Er hat es mir dann zurückgegeben, weil er gesagt hat: O, das ist so christlich! Das ertrage ich nicht, das will ich mir nicht anhören. Ich hatte da ganz andere Dinge darin gesehen."
Büchner als Christ – diese Perspektive rief bei einigen aber auch Skepsis hervor.
Jörn Etzold, Theaterwissenschaftler, Ruhruniversität Bochum: "Dass Büchner ein Autor ist, der im Rahmen des Christentums schreibt, das geht ja gar nicht anders. Wer ist das nicht? Das ist Nietzsche genauso wie Hegel und wie Hölderlin und wer auch immer: Wir alle schreiben im Rahmen des Christentums. Und der gesamte Frühsozialismus hat sich entwickelt im Rahmen des Christentums. Das sind schon relativ eigenartige Grenzziehungen."
Ariane Martin, Deutsches Institut, Universität Mainz: "Das gehört ja zu unserer Kultur dazu. Wir haben die Bibel im Hintergrund. Aber es ist ein Unterschied, ob man religiöse Bilder künstlerisch verarbeitet – oder ob man glaubt."
Hermann Kurzke: "Dagegen habe ich nichts, wenn das jemand sagt. Ich bin überhaupt gegen eine allzu enge Definition des Religiösen. Für mich ist jeder Mensch religiös. Das ist ein Horizont, den man überhaupt nicht entkommen kann. Einfach schon durch die Zeitlichkeit, durch die Todesverfallenheit. Dadurch, dass man in die Welt geworfen wird, ohne danach gefragt zu werden. Jeder macht sich darauf irgendwelche Antworten."
Büchner allerdings habe keine direkten Antworten, sagt Kurzke, keinen Korrektheitsglauben, stattdessen eine wilde Urreligiosität. Motive aus frommen Volksliedern oder der Bibel gerieten in einen neuen Zusammenhang mit Alltäglichem: widersprüchlich, ungeheuer kreativ, apokalyptisch oder traumartig gelöst. Für Woyzeck etwa sei die Erde "höllenheiß", ihm aber eiskalt. Auch die "Hölle ist kalt, wollen wir wetten", sagt er. Seine Geliebte Marie betet – allerdings ums Betenkönnen.
Büchner, hat Hermann Kurzke beobachtet, rette sich oft ins Pantheistische. Befinde Gott sich aber in allem und damit auch im Menschen, dann, so heißt es in Danton‘s Tod wiederum, sei es nicht viel um die himmlische Majestät, "wenn der Herrgott in jedem von uns Zahnweh" kriegen oder "den Tripper haben" kann.
Das Lustspiel Leonce und Lena hingegen mündet in einen Traum vom Paradies: Wer sich dann rühme, "sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen", werde für verrückt und gefährlich erklärt. "Dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine commode Religion."
Für Büchner habe der Glaube etwas Musikalisches, ungebremst Ästhetisches gehabt, meint Kurzke. Im Mittelpunkt jedoch:
Hermann Kurzke: "Büchner besteht eigentlich auf dem Leiden und auf dem Schmerz des Gekreuzigten, des Leidenden. Und wir sind sozusagen wie Gekreuzigte. Das sagt auch Lena einmal in Leonce und Lena: "Die Welt ist ein gekreuzigter Heiland." In dieser Bildlichkeitsebene findet sich enorm viel bei ihm. Und das muss ihm wichtig gewesen sein, den Schmerz nicht zu verraten mit einer vorschnellen Versöhnung. Aber auch als Christ im Schmerz anwesend zu sein, ist ja etwas Großes. Früher hat man gesagt: Christus helfen, das Leiden zu tragen. Also indem man im Schmerz bei Christus ist, hilft man ihm das Leiden zu tragen. Und das gibt ja gleichzeitig wieder dem Leiden Sinn. Das ist eine Sinnerfahrung des Leidens."
Die letzten Worten des 23-jährigen Dichters vor seinem Tod in Zürich sind überliefert von Wilhelm Schulz, einem Freund, der des Frömmelns völlig unverdächtig sei: "Wir haben der Schmerzen nicht zu viel, wir haben ihrer zu wenig, denn durch den Schmerz gehen wir zu Gott ein!"
Des Frömmelns unverdächtig dürfte auch der Theaterwissenschaftler und Tagungsleiter Ralph Fischer sein. Sein Urteil über den neuen Blick auf Büchner:
"Das ist für mich persönlich ein starker Impuls gewesen, den Herr Kurzke gesetzt hat, zu sagen: Es ist nicht der Atheismus, die Dekonstruktion oder Destruktion des Christentums, sondern es ist ein Suchen nach einem neuen Christentum. Also ein modernes Christentum, das vielleicht den Schmerz in neuer Form inkludiert, das die Kreatürlichkeit vor einem veränderten Weltbild, vor einer veränderten soziokulturellen Realität wieder neu – entzündet."
Literaturhinweis:
Hermann Kurzke: Georg Büchner - Geschichte eines Genies
C.H. Beck München 2013
591 Seiten, 29,95 Euro