Wilfried Kühn: Bei Umbauten können Vorgaben helfen

Wilfried Kühn im Gespräch mit Matthias Hanselmann |
Wilfried Kühn vom Architekturbüro Kuehn Malvezzi findet Vorgaben von Bauherren bei Umbauten hilfreich: Bei vielen kulturellen Einrichtungen komme es darauf an, dass man die komplexen Themen des Hauses als eine Geschichte "auch durch die Architektur erzählen" kann. Je mehr Bedingungen, es gebe, um so mehr Indizien habe man für eine solche Geschichte.
Matthias Hanselmann: Für kühne Entwürfe bekannt ist das Architektenbüro Kuehn Malvezzi in Berlin. Zu ihren bekannteren Projekten zählt der Umbau der Rieckhallen für die Erweiterung des Hamburger Bahnhofes als Erweiterung des Museums für Gegenwart in Berlin. Bald werden Kuehn Malvezzi das Berggruen-Museum beim Berliner Schloss Charlottenburg erweitern, und für Furore gesorgt hat gerade der Entwurf des Büros für das Berliner Stadtschloss. Die Jury hat dafür einen Sonderpreis herausgetan, 60.000 Euro für einen Plan, der nie verwirklicht werden wird. Wir sprechen mit Professor Wilfried Kühn, der zusammen mit seinem Bruder Johannes und der italienischen Architektin Simona Malvezzi das Büro betreibt. Guten Tag, Herr Kühn!

Wilfried Kühn: Guten Tag, Herr Hanselmann!

Hanselmann: Schön, dass Sie gekommen sind. Für Ihren Entwurf zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses haben Sie, hat Ihr Büro diesen Sonderpreis bekommen, obwohl Sie sich nicht an Vorgaben gehalten haben oder vielleicht auch gerade deshalb, ich weiß es nicht. Waren Sie überrascht über diesen Sonderpreis?

Kühn: Wir haben die Vorgaben eigentlich sehr ernst genommen, das ist eigentlich das Interessante an einem Wettbewerb, die Vorgaben. Man ist nicht im luftleeren Raum, sondern bewegt sich in einem sehr eng bestrickten Korsett. Und hier waren die Vorgaben ja die Rekonstruktion der historischen Fassaden. Was wir anders gemacht haben als die meisten anderen, wir haben eigentlich das Rekonstruktionsthema selber und die Zeitschichten, die damit verbunden sind, wenn man eine Fassade rekonstruiert, in den Mittelpunkt unseres Entwurfs gestellt. Wir haben also die Rekonstruktion über einen längeren Zeitraum sichtbar machen wollen, indem zunächst einmal nicht das ganze Dekorum, das ganze Ornament der Fassade wiederhergestellt wird, sondern mit dem Ziegelbau eigentlich der Rohbau, aber als Sichtrohbau schön gefügt, so wie er auch am Barockrohbau aussah, und dann mit der Zeit darauf die Barockornamente.

Hanselmann: So nach und nach.

Kühn: Nach und nach. Und der Entwurf ist die Idee, dass das, was verloren gegangen ist historisch, nicht an einem Tag wiederentstehen kann, sondern dass das begleitet werden muss durch die Öffentlichkeit.

Hanselmann: Wäre da nicht eine Dauerbaustelle entstanden?

Kühn: Die Baustelle wird ja an sich keine ganz kurze sein können, sondern es ging eher darum zu sagen, es gibt dann Bauabschnitte. Der Vorteil von Bauabschnitten ist nicht nur, dass das sichtbar wird, dass hier rekonstruiert wird und damit dieses schwierige Thema einer Wiederaneignung von Verlorenem auch in den Mittelpunkt einer öffentlichen Wahrnehmung rückt, auch einer Geschichtswahrnehmung, die damit verbunden ist. Das ist das Gegenteil dann von Geschichtsfälschung oder Geschichtsklitterung. Insofern ist das also der inhaltliche Aspekt, aber die Dauerbaustelle wäre es schon deshalb nicht geworden, weil man das in konzentrierten Zeitabschnitten hätte verwirklichen können.

Hanselmann: Solche Preise wie dieser Sonderpreis, sind die eigentlich in der Architekturszene gang und gäbe?

Kühn: Ja, das ist ein Mittel, dessen sich die Jurys bedienen, um Wettbewerbsentwürfe, die aus juristischer Sicht die Vorgaben nicht eindeutig erfüllen, auszuzeichnen, wenn erkennbar wird, dass dieser Entwurf in irgendeiner Form eine wegweisende Idee beinhaltet, die aus der Ausschreibung so nicht hervorgeht.

Hanselmann: Sie werden bald das Berggruen-Museum gegenüber dem Schloss Charlottenburg in Berlin erweitern und haben Ihr Büro im Zusammenhang mit einem anderen Projekt, nämlich dem unteren Belvedere in Wien, gerade als ein Büro der Spezialisten für Barock bezeichnet. War das eine ironische oder durchaus ernst gemeinte Äußerung?

Kühn: Ich würde sagen, wir können uns schon als Spezialisten bezeichnen, nachdem wir jetzt zwei Jahre an diesem Projekt in Wien arbeiten, wo wir das untere Belvedere umbauen, indem wir ein echtes Barockschloss von Lukas von Hildebrandt aus dem frühen 18. Jahrhundert, das wir eigentlich durch Rückbau in seiner barocken Ausstrahlung wieder gefestigt haben. Wir haben Einbauten aus dem letzten Jahrhundert, aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, Betoneinbauten herausgenommen.

Wir haben dort durch eine sehr saubere Analyse der historischen Schichten festgestellt, welche Räume erhaltenswert und welche nicht sind, zusammen mit dem Bundesdenkmalamt in Wien, und wir haben eine sehr sorgfältige Restaurierung vorgenommen. Und wir haben dann gleichzeitig dort durch den Einbau zum Beispiel von großen Stahl-Glas-Türen Sichtachsen, die bisher durch Holztüren verschlossen waren, die aber im Barock natürlich als einfach offene Türen gedient haben, weil man zwischen innen und außen nicht diesen Unterschied gemacht hat, die konnten wir jetzt als Sichtachsen wieder reaktivieren, trotz eines klimatisierten Museumsbetriebs. Wir haben auch eine ...

Hanselmann: Kann man sagen, es war begrenzt die Möglichkeit, moderne Ideen einzubringen?

Kühn: Ja, dort ging es nicht darum, primär eine Zeitgenossenschaft in Form von gewagten Einbauten zu zeigen, aber wir haben uns trotzdem in der Formsprache unserer Einbauten ganz an das Zeitgenössische gehalten. Unsere Stahl-Glas-Einbauten, auch der verglaste Übergang, den wir derzeit noch bauen zur Orangerie, sprechen die Sprache unserer Zeit und sind zeitgenössische Zubauten, aber sie sind so gehalten, dass sie immer das barocke Thema des Wandelns, des Flanierens im Schloss wieder stärken. Sie arbeiten nie gegen die Substanz, und sie wollen nie in irgendeiner Form kritisch die Substanz bearbeiten, sondern was sie tun ist, sie machen das Innen/Außen wieder erlebbar zwischen den Gärten und dem Schloss. Darin liegt eigentlich der entscheidende Aspekt.

Und ich würde da gerne noch mal zurückkommen aufs Humboldt-Forum, weil das ist eigentlich etwas, was wir beim Humboldt-Forum vor allem wollten, wir wollten das Innen-Außen-Gefüge stärken, wir wollten die "Erlebbarkeit des Schlosses", in Anführungszeichen muss man sagen, des Humboldt-Forums, für das ja eigentlich der Wettbewerb ausgeschrieben war, von außen und innen in einem Kontinuum zum Stadtraum, zum Lustgarten, zu der Museumsinsel machen und haben deshalb dieses große Podium entwickelt, das sozusagen durch eine vollkommen perforierte Fassade Innen und Außen großräumig verknüpft.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Unsere Überschrift "Kühne Entwürfe - mit welchen Strategien das Berliner Architekturbüro Kuehn Malvezzi Historisches und Zeitgenössisches verbindet". Bei uns ist Professor Wilfried Kühn. Herr Kühn, wie gehen Sie eigentlich konkret vor, vielleicht können Sie uns das mal richtig nachvollziehbar erläutern? Sie bekommen jetzt zum Beispiel den Auftrag wie für das Berggruen-Museum, es zu erweitern. Sind Sie sofort zu dritt vor Ort, diskutieren gleich oder wie darf ich mir das vorstellen?

Kühn: Berggruen war ja zum Beispiel auch ein Wettbewerb auch der staatlichen Museen zu Berlin, und es ist dann so, dass wir zu zweit oder zu dritt einen Entwurf entwickeln, den vorstellen und dann mit dem Bauherrn oder Auftraggeber in eine sehr, sehr tiefe Diskussion einsteigen.

Hanselmann: Kommt man schon bei der ersten Begehung auf Ideen und sagt, da könnten wir dies und jenes machen?

Kühn: Das gibt es immer. Es gibt immer sozusagen so fixe Ideen, die man hat, und das ist das Gute, wenn man zu dritt arbeitet, dass jeder eine andere Idee erst mal hat und dass man sich von daher nicht verrennt, sondern diese Ideen hinterher diskutiert und durch das Debattieren auch in dem Büro, auch mit den Mitarbeitern im Team auch abklopft, wie gut diese Ideen dann wirklich sind. Das ist ein sehr ausgiebiger und sehr offener Prozess.

Hanselmann: Es gibt den Denkmalschutz, es gibt Vorgaben des Auftraggebers, es gibt historische Pflichten, es gibt vielleicht kühne Ideen, wie wir es genannt haben, natürlich wegen ihrem Nachnamen. Dazwischen muss man als Architekturbüro immer lavieren, sondieren, sortieren - stelle ich mir oft doch nicht ganz so einfach vor.

Kühn: Ja, das ist der Spaß an der Sache. Es ist wie eine Detektivarbeit, in der man sehr viele Indizien finden muss, Fährten aufspüren muss, gerade im Umbau, gerade im Bestand. Wir arbeiten ja fast ausschließlich auch im Denkmalschutz oder sehr viel für kulturelle Einrichtungen, also mit komplexen Ausstellungsthemen. Und diese vielen Fährten und Indizien müssen Sie so ordnen und verknüpfen, zu Netzen verknüpfen, dass daraus sozusagen eine Narrative entsteht, eine Geschichte, die Sie auch durch die Architektur erzählen können. Und eigentlich, je mehr Bedingungen, desto besser, weil desto mehr Indizien haben Sie sozusagen, um Ihr Netz zu knüpfen. Allerdings am Anfang ist das ein ziemliches Gewirr, das stimmt.

Hanselmann: Beklagt man dann als Architekt manchmal, zu wenig Freiheiten zu haben? Sie sagten eben, je mehr Vorgaben, desto besser. Das klingt ja nicht gerade so, als würden Sie unbedingt darauf erpicht sein, größtmögliche Freiheit zu haben bei Ihren Ideen?

Kühn: Ja, was ist denn die Freiheit? Die Freiheit ist meiner Ansicht nach, in einer schwierigen Situation eine gute Lösung zu finden und da frei zu sein im Entscheid. Wir haben zum Beispiel beim Humboldt-Forum gezeigt, dass wir auch in einer solchen Lage frei entscheiden, die Kuppel zum Beispiel nicht historisch formen, auch wenn wir wissen, dass das die Erwartungshaltung des Auftraggebers ist. Das Enttäuschen von Erwartungshaltungen des Auftraggebers ist tägliches Geschäft, aber dadurch kommt man ja weiter. Der Auftraggeber muss ja auch noch seinen Horizont erweitern. Und das sind eigentlich typische Freiheiten, die man eigentlich selbst in diesen Prozess einbringt, die aber immer aus Vorgaben kommen, die der Bauherr, Auftraggeber zunächst einmal formuliert, auch die Öffentlichkeit in ihrer Erwartung,

Hanselmann: Ich habe in der Vorbereitung mehrfach gelesen, dass Ihr Büro als Avantgarde-Büro bezeichnet wird. Sind Sie damit glücklich?

Kühn: Der Begriff ist ja eigentlich ein militärischer Begriff und bezeichnet die Vorhut, das ist sozusagen eine interessante Frage, ob es das heute noch gibt. Wir zählen uns auf jeden Fall nicht zur Retrogarde, wenn man also das noch mal vergleichen möchte. Wir denken schon, dass unser Büro in der Art, wie wir arbeiten, eine Herangehensweise hat, die zukunftsweisend ist, weil wir nicht primär skulptural arbeiten und die Architektur als einen großen Kristall auffassen, den man sozusagen in die Landschaft fallen lässt, sondern weil wir die Architektur als einen Verhandlungsprozess auffassen, eine sehr komplexe Verhandlung, in der sehr viele Bedingungen, auch politische, gesellschaftliche Bedingungen miteinander zu verknüpfen sind. Und wir glauben, dass die Architektur diese Aufgabe in Zukunft immer mehr haben wird und dadurch auch eben nicht Skulpturen erzeugt, sondern Raum.

Hanselmann: Das Berggruen-Museum ist Ihr nächstes Projekt, wann geht es konkret los?

Kühn: Es ist schon in Bearbeitung, der Baubeginn ist noch nicht fixiert, wir sind in der Planung und hoffen, dass wir die angestrebten Termine des Ministeriums und der Auftraggeber der staatlichen Museen halten können. Das hängt jetzt aber nicht an uns, sondern das hängt im Augenblick daran, ob die ganzen Genehmigungen erteilt werden im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben.

Hanselmann: Was ist das kühnste, was Sie sich für das Berggruen-Museum bisher vorgenommen haben?

Kühn: Wir haben uns vorgenommen, dort einen Skulpturengarten zu errichten, der bisher eigentlich so nicht existiert, für den auch bisher noch keine Planung in den Museen da war. Wir denken aber, dass eigentlich die Chance dieses Erweiterungsbaus darin besteht, einen Freiraum zu schaffen und wieder, ähnlich wie bei Belvedere und Humboldt-Forum, eine Idee zu entwickeln, die Außen und Innen so stark verknüpft, dass sie eigentlich die starre Grenze, die starre Fassadengrenze zwischen innen und außen überwindet. Unser Entwurf sieht nämlich so eine Art Pavillon vor, der als Übergang dient, der aber eben mehr als eine Brücke ist, nämlich ein Ort, an dem ich auch mitten im Skulpturengarten stehe, ein Belvedere. Und ich habe dort dann eben eine völlig neue Sicht auch auf das Thema Außenraum hinterm Berggruen-Museum.

Hanselmann: Vielen Dank! Wilfried Kühn vom Architektenbüro Kuehn Malvezzi, danke für das Gespräch.