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Musikliebe in Zeiten des Krieges
1939-1945: die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Und die Zeit, in der die Konzerte der Berliner Philharmoniker erstmals regelmäßig mitgeschnitten wurden. Eine neue Edition versammelt alle von Wilhelm Furtwängler dirigierten Rundfunkproduktionen dieser Jahre und zeigt den Dirigenten als kontrollierten Ekstatiker.
Wilhelm Furtwängler (1886-1954) gilt als einer der größten Dirigenten überhaupt. Liebhaber historischer Aufnahmen kommen ins Schwärmen, wenn sie Furtwänglers überwiegend in den 1940er und frühen 1950er Jahren produzierte Platten hören. Ein leidenschaftliches Musiziertemperament kommt da zum Ausdruck, eine Spontaneität, die in zweierlei Hinsicht aufs Ganze geht: sie ist künstlerisch durchaus riskant, und sie zielt interpretatorisch stets auf den großen Bogen ab, ohne dass Details dabei verloren gehen.
Kreise und Zacken
Auch wenn die Anforderungen an spieltechnische Präzision damals nicht so hoch waren wie heute, erstaunt es immer wieder, dass in Furtwänglers Aufnahmen die Musiker selbst in besonders schwierigen Passagen offenbar keine Mühe hatten, den legendär eigenwilligen – mal kreisenden, mal gezackten – Bewegungen ihres Dirigenten zu folgen.
Furtwängler war ein Ausdrucksmusiker, der sich am wohlsten fühlte, wenn er in der vollbesetzten Alten Philharmonie in Berlin "seine" Philharmoniker dirigieren konnte. Dass er Aufnahmen skeptisch gegenüberstand, ist da wenig verwunderlich. Doch nachdem er zu Friedrich Schnapp, dem Tonmeister der Reichsrundfunkgesellschaft, Vertrauen gefasst hatte, war das Eis gebrochen. Viele auch klanglich überzeugende Aufnahmen entstanden damals, nachdem sich die technischen Mittel um 1940 deutlich weiterentwickelt hatten.
Diese Aufnahmen können – wie die gesamten Aktivitäten Furtwänglers und der Berliner Philharmoniker im "Dritten Reich" – nicht unabhängig von den Umständen ihrer Zeit betrachtet werden, und über Furtwänglers heikle Position den nationalsozialistischen Machthabern gegenüber wird denn auch bis heute gestritten. Doch nach dem Krieg wurden diese Tonbänder zu einem anderen Politikum, denn ein sowjetischer Offizier verbrachte sie in den späten 1940er Jahren nach Moskau.
Grüße aus Moskau
Von dort kamen sie erst in den 1980er Jahren auf Initiative des damaligen SFB-Redakteurs Klaus Lang nach Berlin zurück – teils im Original, teils in mehr oder weniger guten Kopien. Die Firma Berliner Philharmoniker Recordings, das hauseigene Label des Orchesters, hat diese von Kennern gerne "Russenbänder" genannten Aufnahmen neu digitalisiert und in einer üppigen, umfangreich kommentierten Edition erstmals als Konvolut zugänglich gemacht.
Olaf Wilhelmer spricht in den "Interpretationen" mit Helge Grünewald über die musikalischen, zeitgeschichtlichen und medienpolitischen Aspekte dieses diskographischen Fundstücks. Unser Studiogast ist Dramaturg der Berliner Philharmoniker im Ruhestand, Präsident der Wilhelm-Furtwängler-Gesellschaft und Juror des Preises der Deutschen Schallplattenkritik.