William Boyd: "Trio"
aus dem Englischen von Patricia Klobusiczky und Ulrike Thiesmeyer
Kampa Verlag, 2021
434 Seiten, 22 Euro
Drei stellen sich ihren Dämonen
06:14 Minuten
1968, eine konventionelle Filmproduktion in Brighton, dem Ferienort an Englands Küste. Nichts geht nach Plan. Es gibt Stress mit den Darstellerinnen, dem Produzenten und dem Regisseur. Und alle haben ihre Geheimnisse und ihre Affären.
Fiktive Biografien liebt der englische Schriftsteller William Boyd seit langem und stets lesen sie sich so, als hätten die beschriebenen Figuren tatsächlich gelebt.
So auch diesmal. Wir befinden uns am Set eines mittelmäßigen Spielfilms – eine Liebesgeschichte mit tragischem Ausgang.
Eine Affäre am Filmset
Produzent Talbot Kydd hat den amerikanischen Filmstar Anny Viklund und den englischen Popmusiker Troy als Hauptdarsteller eingekauft. Diese Paarung soll die Kinokassen klingeln lassen. Die beiden beginnen prompt eine Affäre.
Sexuelle Orientierung ist 1968, so sollte man denken, kein Problem. Doch für den Produzenten gilt das nicht. Der Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg traut sich nicht, zu seiner Homosexualität zu stehen.
Gleichzeitig beginnt Regisseur Reggie eine Affäre mit einer Autorin. Die hat er angeheuert, das Drehbuch umzuschreiben, weil seine Schauspieler nicht so wollen wie er. Seine Frau Elfrieda, eine prominente Schriftstellerin, die seit zehn Jahren unter Schreibhemmungen leidet, ergibt sich währenddessen dem Alkoholismus.
Alle haben ihre Geheimnisse
William Boyd erzählt seine Geschichte in klassischer Manier in drei großen Kapiteln als allwissender Beobachter abwechselnd aus der Perspektive der drei Hauptbeteiligten, des Trios Talbot, Anny und Elfrieda. Alle haben ihre Geheimnisse.
Der Produzent kommt einer Verschwörung gegen sich auf die Spur, die Schauspielerin wird von ihrem Ex-Mann, einem gesuchten Terroristen, und vom Geheimdienst bedrängt. Die Frau des Regisseurs rutscht immer tiefer in den Suff
Wie sie alleingelassen, schreibblockiert und frustriert in den Alkoholismus flüchtet und sich selbst ständig belügt, ist zwar gut beobachtet, aber absehbar und in der Literatur schon so oft beschrieben worden, dass es wenig Überraschendes bietet.
Keine Spur vom Geist von 1968
Erstaunlich ist, dass 1968, das Jahr der Pariser Studentenproteste und des Einmarsches der Sowjets in Prag, der Ermordung von Martin Luther King und Robert Kennedy, nirgendwo zu spüren ist. Boyds Protagonisten sind völlig apolitisch: eine merkwürdige Selbstbeschränkung des Schriftstellers, dessen Protagonisten in seinen anderen Romanen oft in dramatische politische Ereignisse hineingezogen werden.
Auch die damals aktuelle Debatte unter Europas Regisseuren über ein neues Kino fehlt hier. Boyd beschreibt das alte konventionelle Filmemachen, wenn auch durchaus mit einem Gespür für ironische Wendungen.
Ihn interessieren vor allem die Charaktere seiner drei Protagonisten: ihr Fühlen und Denken, ihre Ängste und Hoffnungen. Und da läuft er durchaus zu Hochform auf: Jeder und jede zeigt ein offizielles Gesicht, führt aber ein geheimes emotionales Doppelleben. Alle drei müssen sich ihren Dämonen stellen und versuchen vor ihnen zu fliehen.
Ein typischer Boyd - wenn auch mit Schwächen
Hier endlich packt uns der Schriftsteller wirklich, wird dramatisch, überraschend, zeigt Fantasie und Witz. Es ist ein typischer Boyd-Roman, dem man trotz kleiner Schwächen gerne folgt, weil der Schriftsteller mit viel Ironie erzählt.
Überraschungen sind garantiert.