William Faulkner: Absalom, Absalom!
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Rowohlt Verlag, Reinbek 2015
478 Seiten, 24,95 Euro
Inzest, Gewalt, Verrat und Rassismus
Eine Geschichte vom Aufstieg und Untergang einer Südstaatenfamilie: Der zwielichtige und ehrgeizige Thomas Sutpen steht im Mittelpunkt von "Absalom, Absalom!" Wie alle Romane von William Faulkner spielt er in der fiktiven Stadt Jefferson – und kann nun endlich in einer Neuübersetzung wiederendeckt werden.
Sperrig und schwierig zu lesen - dieses Etikett haftet an dem größten US-amerikanischen Autor des 20. Jahrhunderts, William Faulkner (1897-1962), der mit Proust, Joyce, Woolf das Zentralgestirn der literarischen Moderne bildet. Nicht mehr zugänglich war sein 1936 erschienener Roman um Inzest und Gewalt, Verrat und Rassismus, "Absalom, Absalom!". Die einzige, hoffnungslos veraltete Übersetzung von 1938 ist seit Jahren vergriffen. So füllt die Neuübersetzung von Nikolaus Stingl nicht nur eine editorische Lücke, sie zieht einen auch überraschend von der ersten Seite an in ihren Bann.
Trotz Reichtums keine Anerkennung
Wie alle Faulkner-Romane spielt die Geschichte um den spektakulären Aufstieg und Untergang einer Südstaatenfamilie in der fiktiven Stadt Jefferson in Mississippi. Im Zentrum steht der zwielichtige Thomas Sutpen, der mit zwei abgegriffenen Colts und einer Menge Ehrgeiz wie plötzlich aus dem Nichts kommt. Mit einem dubiosen Vermögen verwandelt er die Wildnis in eine riesige Baumwollplantage, baut ein Herrenhaus, größer als das städtische Gerichtsgebäude, verheiratet sich nobel und zeugt Sohn und Tochter. Anerkannt aber wird er von der städtischen Aristokratie nie, allem Reichtum zum Trotz.
Das eigentliche Unglück bricht herein, als Sutpens herangewachsener Sohn Henry einen bewunderten Studienfreund (Typ: "intellektueller Don Juan") nach Hause mitbringt. Als der sich in die Schwester verliebt, schreitet der Vater ein. Was nur er weiß: Jener Freund ist sein erstgeborener "schwarzer" Sohn, dessen Mutter, eine haitianische Weiße, er verlassen hatte, weil ihn ihr "Negerblut" ekelte. Der ausbrechende Bürgerkrieg beschleunigt die Tragödie, Henry bringt den Halbbruder um, Sutpen wird von einem Farmer erschossen, das Haus mit seinen letzten Insassen brennt nieder.
Verweis auf Altes Testament
Der Titel verweist auf eine Figur im Alten Testament, den aufsässigen Sohn König Davids, Absalom, der seinen Halbbruder erschlug, nachdem dieser die Schwester vergewaltigt hatte. Die Geschichte, die ein halbes Jahrhundert umspannt, entfaltet sich in Rückblenden, erzählt aus vier Perspektiven. Gebündelt werden sie von Quentin, einem jungen Harvard-Studenten, der dem Drama um den Sutpen-Clan in seiner Heimatstadt Jefferson vierzig Jahre später auf den Grund gehen möchte.
Dazu befragt er die einzige Familienüberlebende Rosa, eine alte Dame, umgetrieben von Rachegefühlen gegen den Patriarchen. Auch Quentins Vater liefert seine Sicht der Dinge: Zu jung, um dabei gewesen zu sein, kennt er die Vorgänge nur vom Hörensagen. Quentins Zimmernachbar in Harvard schließlich nimmt die Ereignisse von damals einfach als gute Geschichte und legt sie, eigene Mutmaßungen hinzufügend, aus wie ein Shakespeare-Drama.
Kollektive Verdrehung der Erinnerungen
Bei jedem Nacherzählen, das dem Strukturprinzip der rhythmisierenden Wiederholung folgt, erfährt der Leser mehr von einander abweichenden Details, Gerüchten, Lügen, Klatsch, kollektiven Erinnerungsverdrehungen. Die Zeitebenen überlagern sich, Vergangenheit und Gegenwart fließen ineinander wie die labyrinthisch sich verzweigenden Sätze und erzeugen so einen traumähnlichen Effekt der Zeitlosigkeit.
Es ist eine wüste Geisterbeschwörung, von Nikolaus Stingl bravourös im Deutschen nachgezeichnet, biblisch-wuchtig bis lyrisch versponnen, realistisch-derb bis in umgangssprachliche Wendungen, und immer hochmusikalisch. Eine wunderbare Chance also, einen Klassiker neu zu entdecken.