William Shaw: Kings of London. Roman
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
472 Seiten, 14,99 Euro
Stillstand, Drogen und Happenings
Der Thriller "King of London" spielt 1968 und wirft einen illusionslosen Blick hinter die Kulissen der angeblich swingenden Metropole. William Shaw liefert keinen nostalgischen Retro-Roman, sondern eine melancholische Geschichte der britischen Popkultur.
Es ist ein düsteres Zeitporträt, das William Shaw in den ersten Sätzen von "Kings of London" zeichnet: "De Gaulle wurde wiedergewählt. Robert Kennedy erschossen. Die Amerikaner kommen in Vietnam nicht weiter und stellen sich hinter Richard Nixon. Die Sowjets haben Panzer nach Prag geschickt." Von Aufbruch keine Spur. Überall Stillstand und Depression, auch in der britischen Metropole: „Es ist der Herbst 1968. Und London bleibt London. Obwohl es schon den ganzen Sommer über geregnet hat, regnet es immer noch."
Der Thriller "Kings of London" ist der zweite Band einer Trilogie des englischen Popjournalisten William Shaw. Bereits "Abbey Road Murder Song" (deutsch 2013) – in dem Detective Sergeant Breen den Mord an einer jungen Frau untersucht, die im Oktober 1968 nicht weit vom legendären Studio der Beatles umgebracht worden ist – war ein Bericht von der dunklen Seite des Mondes: ein illusionsloser Blick hinter die Kulissen von Swinging London. Der Nachfolgeband schließt hier nahtlos an.
Cathal Breen und seine Partnerin DC Tozer werden an einem kalten, tristen Vormittag im Dezember 1968 an einen Tatort im Nordwesten Londons gerufen. Ein Gasexplosion hat ein Haus zum Einsturz gebracht, und in den Trümmern ist ein Toter gefunden worden: Francis Pugh, der Sohn eines Staatssekretärs aus dem Innenministerium. Offenbar ist er bereits vor der Explosion ums Leben gekommen. Ein Mord?
Kaum haben Breen und Tozer ihre Ermittlungen aufgenommen, bremst das Ministerium: Francis Pugh war ein Dandy mit zweifelhaftem Lebenswandel, und sein Vater, der es unter Harold Wilson aus dem Arbeitermilieu von Wales in die erste Reihe der Labour Party geschafft hat, kann schlechte Presse nicht gebrauchen.
Eine Ladung "1968" mit historischer Signatur
Das Auffälligste an "Kings of London" ist natürlich die sorgfältig in den Text eingewebte historische Signatur. Aus einem offenen Fenster hört man zeitgenössische Popmusik ("I love Jennifer Eccles" von The Hollies), in einem Radio-Rentals-Laden werden die ersten Farbfernseher beworben ("Jeden Abend zwei Programme sehen"), der letzte Schrei ist ein schäbiges Restaurant in Westbourne Terrace ("biologisch und makrobiotisch"), und wenn Helen Tozer ihrem erschöpften Partner anbietet, ihn ihm Dienstwagen nach Hause zu fahren, kann er nur müde lächeln, denn "Frauen waren bei der Polizei nicht am Steuer zugelassen".
Das alles ist "1968", inklusive des legendären "Alchemical Wedding"-Happenings in der Royal Albert Hall, bei dem John Lennon und "die Japanerin" sich für 30 Minuten auf offener Bühne in einem weißen Sack verbergen − mit Tozer und Breen im Publikum.
Auf den ersten Blick würde man "Kings of London" wohl in die Retro-Ecke stellen. Ein melancholisch gestimmter, atmosphärisch dicht geschriebener Kriminalroman wird zum Container für eine Ladung gut abgehangener Popkultur: Das Prinzip ist das gleiche wie bei den Songs von Adele, Amy Winehouse oder einer x-beliebigen Indierock-Band, die den Sound vergangener Epochen kopiert, oder, und hier ist die Parallele noch offensichtlicher, bei der britischen TV-Krimi-Serie "Life on Mars", in der ein Polizist nach einem Unfall aus der Gegenwart zurückversetzt wird in das Jahr 1973.
Kritiker wie Simon Reynolds ("Retromania") oder Mark Fisher ("Ghosts of my life") haben mit Recht auf das reaktionäre Grundmuster dieses nostalgisch ausgerichteten Trends hingewiesen: Die Kulturindustrie schafft die Zukunft ab.
Verschärfte Drogenpolitik und ihre Folgen
Diesen Vorwurf kann man William Shaw allerdings nicht machen, allein schon wegen des Themas, das er gewählt hat. Die Geschichte der Popkultur – die ihm das Material für seine Erzählung liefert – ist bekanntlich eng verbunden mit der Geschichte des Drogengebrauchs, und die spektakulären Prozesse gegen John Lennon und Mick Jagger werden in "King of London" auch erwähnt. Vor allem aber geht es um die Verschärfung des britischen Betäubungsmittelgesetzes im Jahr 1968. Ärzte dürfen kein Heroin mehr verschreiben, was zu einem massiven Anstieg von Drogenkriminalität im Vereinigten Königreich führt, "Banden drängen auf den Schwarzmarkt", verunreinigter Stoff gelangt auf die Straße, Junkies wandern ins Gefängnis oder verrecken an einer Überdosis: Das ist der Kontext, in den auch der Tod von Francis Pugh gehört – der nämlich nicht einfach nur ein paar peinliche Hippiefreunde hatte, sondern an der Nadel hing.
"Kings of London" ist darum gerade kein nostalgisches Buch, sondern ein politisch argumentierender und auf die Gegenwart zielender Thriller, in dem sich ein scharfer Angriff auf eine über Jahre und Jahrzehnte hinweg verfehlte Drogenpolitik verbirgt.
"Als James Callaghan 1971 das Gesetz gegen Drogenmissbrauch erließ", stellt William Shaw in einer kurzen Anmerkung am Schluss lakonisch fest, "gab es im Vereinigten Königreich weniger als fünftausend Drogenkonsumenten. Jetzt sind es über eine Viertelmillion, vorrangig abhängig von Heroin oder Kokain."