William Trevor: "Letzte Erzählungen"

Einfühlsame Geschichten ohne Happy End

06:42 Minuten
Buchcover von William Trevors "Letzte Erzählungen".
Für seine Prosa, in der das Ausgelassene eine mindestens so große Rolle spielt wie das explizit Formulierte, wurde William Trevor bis zuletzt für den Literaturnobelpreis gehandelt. © Hoffmann und Campe
Von Rainer Moritz |
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William Trevor verbrachte viel Zeit auf Parkbänken - und notierte dabei Fetzen aus Gesprächen seiner Nachbarn. Der irische Schriftsteller machte daraus brillante Erzählungen über bescheiden lebende Menschen, deren Sehnsüchte selten erfüllt werden.
1.200 eng bedruckte Seiten umfassen William Trevors 1992 erschienene "Collected Stories". Seitdem kamen regelmäßig neue Erzählungen hinzu, die den 2016 mit 88 Jahren verstorbenen Iren bis zuletzt auf der Höhe seiner Kunst zeigten.
Trevor – alle Jahre wieder für den Nobelpreis gehandelt und auch mit großartigen Romanen (darunter "Turgenjews Schatten" und "Felicias Reise") hervorgetreten – bewies seine Meisterschaft stets darin, den vermeintlich unscheinbaren Alltag seiner oft in bescheidenen Verhältnissen lebenden Protagonisten behutsam auszuleuchten.

Verluste und verpasste Chancen

Glanz fällt selten auf diese mal mit sich, mal mit der Welt hadernden Figuren, die wissen, was es heißt, Verluste zu verkraften und verpassten Chancen nachzutrauern.
Die 2018 im Original herausgekommenen und vom frisch gekürten Gewinner des Straelener Übersetzerpreises Hans-Christian Oeser gewohnt kunstvoll ins Deutsche gebrachten "Letzten Erzählungen" fügen dem Werk Trevors keine unvertrauten Aspekte hinzu.
Doch sie zeigen aufs Neue, wie suggestiv Prosa zu wirken vermag, in der das Nichtgesagte und das Ausgelassene mindestens eine so große Rolle spielen wie das explizit Ausgeführte.
Zehn Erzählungen umfasst der Band, deren letzte zuerst 2013 im "New Yorker" erschien. Sie erzählt von zwei Frauen, zwei mausgrauen Behördenangestellten im Ruhestand, die sich in Fantasien hineinsteigen und einer mutterlos aufgewachsenen Internatsschülerin nachstellen.
Was von den Einbildungen der Alten eine reale Verankerung in der Vergangenheit hat, bleibt im Vagen, die Trostlosigkeit ihres Daseins nicht.

Melancholisch verhärmte Akteure

Missverständnisse und Fehleinschätzungen sind es, die Trevors melancholisch verhärmten Akteure dazu antreiben, aus dem Gefängnis ihrer nicht selten prekären Lebensumstände herauszutreten.
Da ist der Mann, der ungelenk eine Bankangestellte umgarnt. Da ist die Frau, die mit ihrer Putzfrau nie ein Wort sprach und sich erst nach deren Selbstmord für sie interessiert.
Und da ist Mrs Vinnicombe (in "Ein Gespräch in Gang halten"), die fest davon überzeugt ist, dass ihr Mann mit einer anderen Frau leben will, und diese verzweifelt aufsucht – bis sich herausstellt, dass Mr Vinnicombe allein Illusionen nachhing und seiner Angebeteten lediglich eine Dunstabzugshaube installieren durfte.

Beschädigungen verschwinden nicht

William Trevors Geschichten enthielten, so sein Kollege Julian Barnes, die "tiefe, essentielle Wahrheit des Lebens selbst", doch deren Paradox liegt darin, dass ihre Figuren diese Wahrheit nicht erkennen oder akzeptieren.
Selbst wenn sie den Zenit ihrer Existenz überschritten haben, geben sie sich ihren Sehnsüchten und Suggestionen hin. Auf ein Happy End läuft das selten hinaus, zumal es nicht in ihrer Macht steht, die Enttäuschungen der Vergangenheit ad acta zu legen.
Die "schreckliche Zeit" ist nicht vorbei, solange die "Erinnerung ihr nicht gestattete, vorbei zu sein". Denn die "Beschädigungen verschwinden nicht etwa höflich, vielmehr setzen sie ihre Dämonen frei".
William Trevor verbrachte, so heißt es, seine Zeit gern damit, auf Parkbänken zu sitzen und Fetzen aus den Gesprächen seiner Nachbarn abzuspeichern. Was für ein sinnvoller Zeitvertreib, wenn daraus so stilistisch brillante, empathische Erzählungen entstehen, wie sie dieser Band enthält.

William Trevor: "Letzte Erzählungen"
Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2020
207 Seiten, 24 Euro

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