"Willkommen in Siegheilkirchen" neu im Kino

Eine Parade provinzieller Dumpfheit

07:58 Minuten
Filmstill aus dem Animationsfilm "Willkommen in Siegheilhausen". Ein Junge presst sich Zeichenblätter gegen die Brust, ein Priester trägt ihm ein verlorenes hinterher.
Der Film ist eine Hommage an die Ästhetik des Manfred Deix und ihre Subversivität, sagt der Filmkritiker Hartwig Tegeler. © Pandorafilm
Von Hartwig Tegeler |
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Die bösen Karikaturen von Manfred Deix gibt es jetzt auch als Film. Auch die Geschichte folgt seinen Spuren: Es geht um die rückständigen rassistischen 1960er-Jahre in Österreich, aber auch über die Kraft der Kunst und der Liebe.
Worum geht es?
Von allen wird er „Rotzbub“ genannt, der Sohn einfacher Wirtsleute. Die heulen mit den Wölfen in diesem erzkatholisch geprägten Hinterland der Alpenrepublik des Jahres 1967. Doch „Rotzbub“ hat ein Medium, diesem reaktionären Mief und der Dumpfheit zu entfliehen: Der Schüler ist ein begnadeter Zeichner.
Er liefert seinem geschäftstüchtigen Mitschüler Bilder der molligen Nachbarin mit den großen Brüsten. Der Mitschüler wiederum verkauft die Bilder zum Zweck sexueller Stimulation und Entladung. Aber als eine Roma-Familie in die Kleinstadt kommt und mit ihr die wunderschöne Mariolina, muss und wird sich „Rotzbub“ entscheiden, seine Malkunst gegen den Rassismus der reaktionären Stadtväter einzusetzen und die am Ende vor dem Gemeindehaus einem schamlosen Gelächter preiszugeben.
Was macht den Film besonders?
Die gelungene Animation dieses Films – liebevoll, komplex, aber nie einem Hyperrealismus frönend – gibt die Möglichkeit, die Derbheiten und Überzeichnungen, die es für diese Geschichte braucht, ohne Beschränkungen auszuführen.

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Und vielleicht bietet das Gezeichnete – oder im Computer Animierte – die bessere Möglichkeit als der Realfilm, das Extreme des Sexuellen, der Fäkalien und des Brutalen zu zeigen und damit eine Hommage an die Ästhetik des Manfred Deix und ihre Subversivität zu sein.
Die Bewertung
Marcus H. Rosenmüller hat ja schon 2006 in seinem Kino-Debüt „Wer früher stirbt ist länger tot“ - angesiedelt im Bayerischen, nicht im Österreichischen – eine wunderbare Balance zwischen dem Derben und dem Romantischen bewiesen. Zusammen mit seinem Kollegen Santiago López Jover gelingt jetzt in tiefer Verbeugung vor dem Deixschen Figurenkabinett ein böses und unbedingt sehenswertes Zerrbild der österreichischen Provinz Ende der 60er-Jahre.
Tipp zum Weiterhören: In unserer Filmsendung "Vollbild" haben wir mit dem Regisseur gesprochen.
Wir sehen ein Panoptikum provinzieller Dumpfheit, wo das „Heil Hitler“ noch zum selbstverständlichen Sprachschatz gehört. Verbunden mit Mief und Rassismus – in diesem Fall explizit gegen die Roma. Auf der anderen Seite ist „Willkommen in Siegheilkirchen“ aber auch die Coming-Out-Of-Age-Geschichte eines Jungen, für den seine Kunst zum Widerstandsakt gegen die Verlogenheit der Gesellschaft wird.
Saftig, drastisch, derbe, aber auch im tiefen Glauben, dass Solidarität und Anarchismus und eine deftige Portion Boshaftigkeit im Deixschen Stil, dem Leben erst Saft und Sinn geben.

„Willkommen in Siegheilkirchen – Der Deix Film“
Animationsfilm 2021, Deutschland, Österreich
Regie: Marcus H. Rosenmüller und Santiago López Jover
86 Minuten

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