Willkommen und Abschied
Aus dem einstigen Durchgangsbahnhof wurde am 13. August 1961 ein Kopfbahnhof, zugleich ein streng bewachtes Nadelöhr, das die Menschen in den nun von einander getrennten Hälften der Stadt miteinander verband. Bis zum Fall der Mauer. Danach verwahrloste die ungenutzte Halle. Erst 1991 wurde der "Pavillon" als ein Ort von Grenzgängern ganz andere Art wiedereröffnet.
Heute steht der Tränenpalast unter Denkmalschutz mit den alten Schildern und den nüchtern gekachelten Zollkabinen. Zugleich knüpft er mit seiner außergewöhnlichen Programmgestaltung an die Tradition der Friedrichstrasse als legendäre Flanier- und Amüsiermeile der 20er Jahre an.
Robert Kreis: "Herzlich willkommen in die herrliche Bombonniere hier in Berlin Mitte, schön dass Sie erschienen sind …"
Helmut Kohl: "Meine Damen und Herren, dies ist ein ungewöhnlicher Ort. Es ist ein Ort, dessen Name ja schon in sich birgt, was hier an Schicksalen abgelaufen ist."
Besucherin: "Ich bin hier auch schon öfter vorbei gekommen, aber ich habe mir nicht überlegt, warum das Tränenpalast heißt. Es muss irgendetwas mit der Grenze zu tun haben, weil da sind so Schilder."
Besucher: "Dieses ganze Fluidum, was hier drin geherrscht hat, wenn man rein gekommen ist, wie man behandelt worden ist, und wenn man dann faktisch durch war, auf diesen Bahnsteig zu kommen, auf dem der Zug dann in die andere Richtung abging, da wurde man dann noch mal gemaßregelt, weil da war dann eine weiße Linie, und sobald man dann auf diese weiße Linie kam, brüllte dann irgend so eine ominöse Lautsprecherstimme, dass man zurückzutreten hat und so weiter, und das sind eigentlich so Erinnerungen, die man nicht gerne behält."
Besucher: "Ich hatte zum anderen Teil unseres Vaterlandes überhaupt keinen Kontakt. Bin nie in die ehemalige DDR gefahren, habe hier auch nie irgendetwas besonderes zu suchen gehabt, habe eben nur aus den Nachrichten, aus dem Fernsehen hin und wieder gesehen, dass hier einer der wesentlichen Übergänge waren im zwischendeutschen Verkehr, aber Tränenpalast ist mir bis heute Abend kein Begriff gewesen, und ich habe erst meine Freunde gefragt, die haben mir erst mal genau erklärt, was hier eigentlich los gewesen ist."
Robert Kreis: "… gehen Sie nicht nach Hause, jetzt gibt es hier im Tränenpalast eine kalte Brause und eine kleine Pause." (Kräftiger Applaus)
Der Tränenpalast, Baujahr 1962 – ein Pavillon aus Glas und Stahl: er steht dort, wo in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Berlin das "Amüsemang" sein Zuhause hatte: am nördlichen Ende der Friedrichstraße. Bis 1990 diente der Bau den DDR-Behörden als Grenzübergangsstelle, dann verfiel er für eine kurze Zeit, seit 1991 finden hier Kulturveranstaltungen statt: Konzerte, Kabarett, Theater, Lesungen und Partys.
Tränenpalast nannte der Volksmund die Abfertigungshalle des Grenzübergangs Friedrichstraße, weil hier tatsächlich reichliche Tränen flossen. Ostdeutsche verließen legal ihre Heimat, West-Besucher verabschiedeten sich von ihren Ost-Freunden und –Verwandten, meist kurz vor Mitternacht, wenn das Tagesvisum auslief. Vorher die letzten Worte: dass es schön war, dass man auf ein baldiges Wiedersehen hofft. Der Ost-Berliner Rocksänger André Herzberg.
André Herzberg: "Man hat dann so Verwandte bis an die Tür da gebracht. Da entschwanden die durch eine Tür in eine andere Welt. Und man blieb davor stehen, und das blieb eigentlich unvorstellbar. Immer diese harten, Ausdruckslosen Gesichter von den Genossen der Grenzpolizei, die einem natürlich sofort das Gefühl gegeben haben ‚hier bist du absolut unerwünscht’."
Der West-Berliner Fernseh-Redakteur Christoph Westecker.
Christoph Westecker: "Das war ja auch so eine Manie damals, dass man dachte, vielleicht macht die DDR morgen noch mehr dicht oder wieder zu oder wieder auf, man wusste ja nicht, was erleichtert wird oder nicht erleichtert, und deswegen war das immer ein Abschied ins Ungewisse, wo man sagte, wir wissen noch nicht genau, ob wir uns morgen oder nächste Woche oder nächsten Monat wieder sehen."
Ein kleiner Vorbau auf der Nordseite des Tränenpalastes diente als Eingang in die Abfertigungshalle. Heute ist es das Foyer. Marcus Herold, Geschäftsführer der Tränenpalast-GmbH.
Marcus Herold: "Man ging dann eben hier rein, da ist noch eine alte Überwachungskamera, hatte dann hier die ersten Kontrollen, hier wurden dann die Pässe kontrolliert, in der Mitte gab es auch noch Wände mit Spiegeln, wo man die Leute, die hier durch mussten, von hinten sehen konnte, diese Spiegel hingen oben schräg an der Decke, da saßen dann die Vopos drin, das sind dann hier noch die Original-Schusssicheren Türen, (lautes Klacken) schönes Geräusch, wo man merkt: das ist hier alles noch sehr massiv, innen drin mit Beton ausgeballert, das ist also richtig noch das Originale, da drüben hängt auch noch eine Meßlatte, das heißt: da saß der Vopo, hat dann hier den Reisenden kontrolliert, der vor ihm stand, und hat sich den Pass angeguckt, im Pass stand dann drin ‚Größe 1,76’, und dann hatte er hier hinten so eine Art Zollstock, so eine Art Meßlatte und konnte dann da sehen, ob der auch wirklich nur 1,75 ist, war er das nicht, war er kleiner oder größer, hat er unten auf den Knopf gedrückt und dann wurde derjenige gleich abgeführt und dann eben weiter kontrolliert, es hätte ja ein potenzieller Flüchtling sein können."
Christoph Westecker: "Dann stand man in einem Riesenpulk auf dieser Treppe nach unten, und da war ein ganz schmaler Durchgang eingerichtet, wo der Zoll kontrolliert hat, was man mitschleppte. Da konnte man nur einzeln durch, das heißt da war richtig Halli-Galli um Mitternacht, weil wenn der Zöllner einen guten Tag hatte, dann hat der einen natürlich auf ewig durchsucht, und die anderen mussten dann so lange warten, bis der dann irgendwas gefunden hat."
André Herzberg: "Det war eben sagenhaft demütigend, also diese offenen Zolltische: das heißt man konnte das sehen. Alle Leute konnten im Grunde genommen zugucken, wie Mutti Schmidt, wuff, ihre Tasche auspacken musste und was für ein armseliges Innenleben: so das schmutzige Taschentuch, det kleene verbeulte Kunststoff-Portemonnaie und der Kamm und was da so aus der Tasche und wie diese Hände da rein griffen, und dann war es ja auch so: diese Ost-Zöllner waren immer von so einer gewissen Unsicherheit, von einer Härte und Unsicherheit, das hing mit den Gesetzen zusammen im Osten, die waren ja so Gummi-mäßig formuliert, und deswegen wussten die selber oft auch nicht, wie weit sie eigentlich gehen können."
Christoph Westecker: "Wenn man durch diesen Zoll durch war, dann wurde plötzlich sortiert: in ‚West-Berliner Bürger’, ‚Bundesbürger’, ‚Bürger andere Staaten’ und ‚DDR-Bürger’, gab es auch eine Spur für. Das war dann wie in Drei Linden die Autospuren, gab es dann Stehspuren, wo man also in der Schlange stand und je nachdem, wie viele Leute aus dem eigenen Passwesen da auftauchten, musste man halt lange warten."
Die Ost-Berliner Schriftstellerin Irina Liebmann.
Irina Liebmann: "Diese Halle war so was von ekelhaft, ich finde die ja so scheußlich, die erinnert mich immer an so eine große Schwimmhalle mit diesen langen herunter gezogenen Fenstern. Und war das nicht auch gefliest, auch dieses Ding gefliest?"
Christoph Westecker: "Es war nur auffällig, dass die Fenster erst sehr weit oben anfingen. So dass man nicht von außen rein gucken konnte, nicht von innen raus. Man konnte zwar den Himmel sehen, aber nicht, was unterhalb des Himmels passierte. Man konnte nicht noch mal winken, man konnte sich nicht noch mal zurück drehen, weil: man war weg gesperrt. Die Fenster waren zwar groß, aber nur nach oben."
Mit dem eigentlichen Ziel der Aus- und Einreisenden, mit dem Bahnhof Friedrichstraße war der Tränenpalast durch ein Labyrinth von Gängen verbunden. Der Bahnhof war etwas Besonderes unter den Berliner Grenzübergangsstellen: er galt für Deutsche wie für Ausländer gleichermaßen, und er lag nicht direkt an der Sektorengrenze. Bis zu 20.000 Menschen in der Stunde passierten hier die Kontrollstellen. Wegen der zahlreichen Einbauten für die Grenzabfertigung war der Bahnhof völlig verschachtelt. Der Bahnsteig für den S-Bahn-Verkehr innerhalb Ost-Berlins wurde von dem Bahnsteig, auf dem die Verbindung nach West-Berlin abgewickelt wurde, hermetisch abgeriegelt. Es gab Eisentüren ohne Klinken, Betonmauern mit Sichtschlitzen.
Christoph Westecker: "Das war ja die Regelung, dass alle Gäste der DDR um 24 Uhr raus mussten. Da gab es dann aber den Trick: auf dem Bahnhof konnte man einfach umdrehen und wieder rein marschieren, das heißt man war eine halbe Stunde später wieder in der DDR und konnte wieder 24 Stunden bleiben bis nächste Mitternacht. Und das haben sehr viele Leute ausgenutzt, vorwiegend männliche Bevölkerung, weil die haben dann ihre Ladies auf der Ostseite stehen gehabt, die haben da auf sie gewartet, und dann haben sie noch eine flotte Nacht in der DDR gemacht und sind dann wahrscheinlich erst am nächsten Tag wieder zurück gefahren."
Christoph Westecker besaß damals eine Künstleragentur und vermittelte Auftritte von Westkünstlern im Ostteil der Stadt. Eine Zeit lang hatte er ein Dauervisum.
Christoph Westecker: "Mit anderen Freunden aus West-Berlin war ich drüben zu einer Party in der DDR, und wir haben dann um 12 Uhr den ‚Turn’ gemacht, wie das sich nannte: wir machen mal eben den Turn, wir sind gleich wieder da, und dann sind wir zum Bahnhof gefahren, einmal gewendet, und dann standen wir in einer Schlange von Männern, nur Männern, und dann kamen wir da drüben wieder raus, und da war wirklich was los: weil da waren einige Mädels mit anderen Männern abgerauscht, die eher wieder zurück kamen und ihre, auf die sie eigentlich warten wollten, die standen nun alleene da in der großen Halle und tobten sich nun gegenseitig an, wo denn nun ihre Braut geblieben wäre, wir haben uns königlich amüsiert."
Seit 1990 steht der Tränenpalast unter Denkmalschutz, seit 1991 wird hier Kultur gemacht. Statt versteckter Kameras hängen Lautsprecherboxen unter der Hallendecke, aus den Schallisolierten Einzelzellen wurden Besucherklos, aus der Staatsbank der DDR die Küche, und die Beleuchtungstechnik ist in einem Wachturm untergebracht, den der Chef der Tränenpalast-GmbH Marcus Herold hat nachbauen lassen.
Marcus Herold: "Ich habe damals schon nicht verstanden, warum man die Berliner Mauer abgerissen hat, so schnell vor allen Dingen, alles weg, ratzeputz weg, also habe ich eben versucht, auch aus dem Gedanken heraus, dass mir klar war, dass es geschichtsträchtig für Berliner Geschichte, insbesondere für West-Ost-Berliner Geschichte, dass man das erhalten muss und ins Positive wandeln, das war sozusagen die Idee, dass man aus einem traurig belasteten Ort ein Wandel vollzieht, der die Sache ins Positive rückt."
Der Niederländer Robert Kreis mit seinen Chansons und Schlagern der 20er Jahre gehört quasi zum Stammpersonal der Künstler, die im Tränenpalast auftreten. Die Macher versuchen, eine Mischung aus großen Stars und hoffnungsvollen Talenten auf ihre Bühne zu bekommen. Mal Weltmusik, mal Kleinkunst, meist humorvoll präsentiert – etwa 150.000 Besucher pro Jahr amüsieren sich im Tränenpalast, er ist eine ‚location’ mit einzigartigem ‚feeling’ geworden: "Es gibt kein besseres Symbol für den Wandel in der deutschen Hauptstadt", schrieb ein Journalist der New York Herald Tribune 1993.
Marcus Herold: "Es ist eher so die Auseinandersetzung mit Ost-West und mit Grenzgängen generell, die in diesem Raum stattfinden: kultureller Art, verschiedenster Genres, das ist also immer im Musikbereich, im Theater-, im Literaturbereich doch immer wieder was zu finden in unserem Programm, wo man sagen kann: das gehört an diesen Ort."
Hinter der Bühne an der Hallenwand hängt eine Uhr, ihre Zeiger stehen auf fünf vor Zwölf. Absicht oder Zufall? Zumindest Realität, finden die Betreiber. Der Kulturstandort Tränenpalast sei akut gefährdet, sagen sie, und mit ihm 30 Arbeits- und 8 Ausbildungsplätze.
Schräg gegenüber auf der anderen Seite der Friedrichstraße baut eine spanische Hotelkette, im Frühjahr 2006 dürfte dann der direkte Grundstücksnachbar des Tränenpalastes, die ‚Müller-Spreer & Co. Spreedreieck KG’ mit ihrem Bauvorhaben beginnen. Geplant ist ein 10- oder 11-stöckiges Büro- und Geschäftshaus mit Tiefgarage und einem Stadtplatz davor.
Um den Grundstücksdeal zwischen dem Land Berlin und Harm Müller-Spreer gab es sehr viel Wirbel. Die Finanzverwaltung hatte dem Hamburger Investor versehentlich ein kleines Grundstück auf dem Spreedreieck verkauft, das dem Land Berlin gar nicht gehörte. Es drohte eine gewaltige Schadenersatzklage, also gab man dem Investor zum Ausgleich 7,9 Millionen Euro und zwei andere Flurstücke. Ergebnis: fast das gesamte Gelände rund um den Tränenpalast gehört nun ihm. Harm Müller-Spreer will endlich anfangen zu bauen. Noch gibt es keinen genehmigten Bebauungsplan, aber nachdem bis auf die Frage, wer der künftige Eigentümer des Tränenpalastes sein wird, alles geklärt ist, ist mit Baubeginn in einem Jahr zu rechnen.
Marcus Herold graut es jetzt schon davor. Vor wenigen Tagen wurden ihm etliche Baucontainer vor die Tür gesetzt. Der Investor vermietet jetzt einen Teil seines Grundstücks an die Firmen, die gegenüber das Hotel bauen.
Marcus Herold: "Wir finanzieren uns natürlich auch durch Events, was die Kultur in diesem Hause finanziert, und diese Firmenveranstaltungen, die wollen natürlich nicht mehr – das war vielleicht eine Zeit lang in den 90er Jahren in Mode – permanent über irgendwelche Bretter laufen, sondern die wollen dann auch schon vorfahren und wollen in Ruhe hier ihre Feste feiern, und diese Events sind natürlich mit der Baustellenmaßnahme völlig unvorstellbar, und dadurch wird sich natürlich auch unsere Finanzierung verschlechtern. Entschädigung dafür wurde uns versagt, das kriegen wir nicht, insofern wird sich das Projekt wahrscheinlich auch von selbst auflösen, nehme ich mal an."
Eine Firma habe ihr Sommerfest wegen der Baucontainer schon abgesagt, fügt er hinzu.
Hubert Schulte, Staatssekretär bei der Senatsverwaltung für Finanzen, die den Tränenpalast vermietet.
Hubert Schulte: "Wenn Sie durch die Stadt gehen, werden Sie feststellen, dass es hier und da eine Baustelle gibt. Und wir wünschen uns ja alle, dass es möglichst viele Baustellen gibt. Und so ist das nun mal im Leben, dass davon auch gewisse Beeinträchtigungen ausgehen. Wir haben aber in den Verträgen mit Müller-Spreer und im Vertrag mit Herold eine Reihe von Regelungen getroffen, die eine sehr gute Gewährleistung dafür bieten, dass der Betrieb nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Zum Beispiel ist festgelegt, dass ab 19 Uhr die Veranstaltungen im Tränenpalast nicht gestört werden dürfen durch Bauarbeiten, es sind sehr viele Regelungen getroffen, mit denen sicher gestellt wird, dass keine Schäden durch die Bauarbeiten entstehen und keine Beeinträchtigungen des Objektes da sind, und insofern glaube ich, kann man nicht davon sprechen, dass durch eine Baumaßnahme der Tränenpalast lahm gelegt werde."
Die Bauarbeiten sind nur der kleinere Teil des Problems. Viel schwerer wiegt, dass die Betreiber des Tränenpalastes nicht wissen, ob sie in dem Gebäude überhaupt weiter Kultur veranstalten können. Der Grund: das Land Berlin will das Grundstück, auf dem der Tränenpalast steht, schon seit längerem verkaufen. Marcus Herold zeigt Interesse an dem Deal, Berlin aber nicht an ihm, so sein Vorwurf, zumal es noch einen zweiten Bieter gibt, die ‚Müller-Spreer & Co. Spreedreieck KG’.
Marcus Herold: "Man versucht aber nun wirklich seit Jahr und Tag fast alles, um uns hier mehr oder weniger zu verdrängen und dieses Gebäude dem Investor zu übergeben, der aus irgendeinem Grunde da großes Interesse daran hat und die Politik scheinbar aus irgendeinem Grunde auch daran großes Interesse hat, dass der der Eigentümer wird und von uns da unverschämte Summen verlangt, die völlig überhöhte Zahlen, Verkehrswertgutachten, die in keinem Verhältnis stehen zu dem, was wir hier geleistet haben die letzten 14 Jahre, ganz zu schweigen davon, dass wir auf sämtliche Rechte verzichten sollen nachbarschaftlicher Art, Überbauungsrechte, den Biergarten, den Sommergarten, der für uns existenziell wichtig ist, den will man uns nur vermieten, obwohl man ihn vorher verkaufen wollte, er soll dann vom Investor gestaltet werden, es ist eine Kette, die kann man in einer Viertelstunde nicht erzählen, die macht uns kontinuierlich, aber sicher mehr oder weniger kaputt, und ich denke mal, damit ist dann das Projekt Tränenpalast, irgendwann wird es dann beendet werden."
Hubert Schulte: "Wir respektieren sehr, was die jetzigen Betreiber des Tränenpalastes dort über die Jahre geleistet haben, und weil wir das tun, gehen wir nicht an den Markt und sagen ‚wir versteigern das Grundstück meist bietend’, sondern geben den jetzigen Betreibern die Möglichkeit, mit Priorität dieses Grundstück zu erwerben vor allen anderen, und das ist schon ein deutliches Entgegenkommen. Es geht jetzt nur noch um eine Sache: Herr Herold muss sagen, dass er bereit ist, den Tränenpalast zum Verkehrswert zu kaufen, dann kann er das tun, der Vertrag ist ausgehandelt, es muss nur noch die Summe eingesetzt werden, und Herr Herold muss sagen, dass er einverstanden ist und wir können zum Notar gehen. "
915.000 Euro soll der Tränenpalast samt Grundstück kosten, Marcus Herold findet, es ist knapp die Hälfte wert: 450.000 Euro.
Marcus Herold: "Dieses Kaufangebot ist einfach maßlos überhöht für eine kulturelle Einrichtung, die seit 14 Jahren ohne Subventionen arbeitet. Nehmen wir doch nur mal das Beispiel ‚Tempodrom’: 30 Millionen öffentliche Mittel wurden da in den Sand gesetzt, hätte ich ihnen vorher sagen können, dass es nicht funktionieren kann, jeder Profi, der sich in dieser Stadt mit Veranstaltungen beschäftigt, hätte ihnen das sagen können. Für 30 Millionen hätten sie dieses Gebäude hier 30-fach bauen können und am Leben halten können. Von uns will man dann 350.000 Euro haben, die wir nicht haben, ansonsten ist Schluss. Nur irgendwann gibt man dann auch auf und sagt sich ‚na gut, dann geht man eben woanders hin’."
Statt zu kaufen den Mietvertrag für den Tränenpalast über 2008 hinaus zu verlängern schließt Marcus Herold als Alternative aus.
Marcus Herold: "Was wir haben, ist ein Interesse daran, den Kulturstandort und Tränenpalast für uns zu sichern und zwar für uns, für diejenigen, die das entwickelt haben und nicht für einen Bauinvestor, der uns nachher diktiert, was hier drin zu passieren hat. Als Nachbarn kann ich mir Müller-Spreer gut vorstellen, ich habe überhaupt nichts dagegen, er ist ein sympathischer Maseratifahrer."
Auch Berlins Kultursenator hat sich in die Debatte eingeschaltet: man möge bei den Verhandlungen mit den jetzigen Betreibern des Tränenpalastes um den Kaufpreis ihre Verdienste um diesen Kulturstandort bitte berücksichtigen, schrieb er an den Finanzsenator. Hubert Schulte, Staatssekretär Finanzen.
Hubert Schulte: "Das wird oft übersehen, dass, egal an wen wir den Tränenpalast verkaufen, es eine zwingende Auflage gibt, und diese Auflage heißt: der Tränenpalast darf nur für kulturelle und Veranstaltungszwecke genutzt werden. Und es ist auch zulässig, dass Herr Herold seine wirtschaftlichen Interessen vertritt, aber man sollte auch nicht immer so tun, als wenn es auf der einen Seite um die Leute geht, die sich um den schnöden Mammon kümmern und auf der anderen Seite um die Leute, die sich im hehren Einsatz für die kulturellen Zwecke aufzehren und nie auch nur einen Gedanken an Geld verschwenden."
Die Finanzverwaltung hat den Betreibern des Tränenpalastes ein Ultimatum gestellt, dem Kaufpreis von 915.000 Euro zuzustimmen und eine entsprechende Bankbürgschaft zu hinterlegen. Das Ultimatum läuft morgen ab. Man will die Angelegenheit endlich vom Tisch haben. Gleichzeitig hat sie dem Investor Müller-Spreer vertraglich zugesichert, den Zuschlag für den Tränenpalast zu erhalten, falls die jetzigen Betreiber das Gebäude nicht kaufen werden.
Marcus Herold hat reagiert: in der vergangenen Woche schrieb er dem Staatssekretär einen Brief, in dem er grundsätzlich seine Bereitschaft erklärt, den geforderten Preis in Höhe von 915.000 Euro zu zahlen. Er habe mit Vertretern des Bundes und der Stiftung ‚Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland’ in Bonn eine gemeinsame Nutzung des Tränenpalastes erörtert, die Zusammenarbeit müsse nun im Detail verhandelt werden, dafür brauche man noch Zeit. Über konkrete Finanzhilfen vom Bund steht in dem Brief nichts.
Die Antwort des Staatssekretärs: für ein Nutzungskonzept mit dem Bund sei er grundsätzlich offen, vorausgesetzt Herr Herold liefere den belastbaren Finanzierungsnachweis für den Erwerb des Tränenpalastes "unter Wahrung der benannten Fristen" – also bis morgen. Zusatz: "ggf. unter Einbeziehung einer verbindlichen Erklärung des Bundes zu seiner Beteiligung".
Aus dem Bundespresseamt heißt es, es stimmt, man sei mit den Betreibern des Tränenpalastes im Gespräch – mehr wolle man nicht sagen.
Kultur wird es weiter geben im Tränenpalast, so viel ist sicher – nur wer sie verantwortet, das ist zurzeit offen. Hubert Schulte von der Finanzverwaltung.
Hubert Schulte: "Wir sind nicht in der finanziellen Lage, dass wir wegen öffentlichem Druck meinen, Grundstücke verschenken oder zum halben Preis verkaufen zu können. Es kommt am Ende alles auf einen Punkt zurück: sind die Betreiber des Tränenpalastes bereit, den Verkehrswert für dieses Gebäude zu akzeptieren und zu diesen Bedingungen zu kaufen? Wenn sie das wollen, sind alle anderen Probleme gelöst und wir können den Vertrag machen. Wenn sie das nicht wollen, dann haben sie ein Problem."
Robert Kreis: "Herzlich willkommen in die herrliche Bombonniere hier in Berlin Mitte, schön dass Sie erschienen sind …"
Helmut Kohl: "Meine Damen und Herren, dies ist ein ungewöhnlicher Ort. Es ist ein Ort, dessen Name ja schon in sich birgt, was hier an Schicksalen abgelaufen ist."
Besucherin: "Ich bin hier auch schon öfter vorbei gekommen, aber ich habe mir nicht überlegt, warum das Tränenpalast heißt. Es muss irgendetwas mit der Grenze zu tun haben, weil da sind so Schilder."
Besucher: "Dieses ganze Fluidum, was hier drin geherrscht hat, wenn man rein gekommen ist, wie man behandelt worden ist, und wenn man dann faktisch durch war, auf diesen Bahnsteig zu kommen, auf dem der Zug dann in die andere Richtung abging, da wurde man dann noch mal gemaßregelt, weil da war dann eine weiße Linie, und sobald man dann auf diese weiße Linie kam, brüllte dann irgend so eine ominöse Lautsprecherstimme, dass man zurückzutreten hat und so weiter, und das sind eigentlich so Erinnerungen, die man nicht gerne behält."
Besucher: "Ich hatte zum anderen Teil unseres Vaterlandes überhaupt keinen Kontakt. Bin nie in die ehemalige DDR gefahren, habe hier auch nie irgendetwas besonderes zu suchen gehabt, habe eben nur aus den Nachrichten, aus dem Fernsehen hin und wieder gesehen, dass hier einer der wesentlichen Übergänge waren im zwischendeutschen Verkehr, aber Tränenpalast ist mir bis heute Abend kein Begriff gewesen, und ich habe erst meine Freunde gefragt, die haben mir erst mal genau erklärt, was hier eigentlich los gewesen ist."
Robert Kreis: "… gehen Sie nicht nach Hause, jetzt gibt es hier im Tränenpalast eine kalte Brause und eine kleine Pause." (Kräftiger Applaus)
Der Tränenpalast, Baujahr 1962 – ein Pavillon aus Glas und Stahl: er steht dort, wo in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Berlin das "Amüsemang" sein Zuhause hatte: am nördlichen Ende der Friedrichstraße. Bis 1990 diente der Bau den DDR-Behörden als Grenzübergangsstelle, dann verfiel er für eine kurze Zeit, seit 1991 finden hier Kulturveranstaltungen statt: Konzerte, Kabarett, Theater, Lesungen und Partys.
Tränenpalast nannte der Volksmund die Abfertigungshalle des Grenzübergangs Friedrichstraße, weil hier tatsächlich reichliche Tränen flossen. Ostdeutsche verließen legal ihre Heimat, West-Besucher verabschiedeten sich von ihren Ost-Freunden und –Verwandten, meist kurz vor Mitternacht, wenn das Tagesvisum auslief. Vorher die letzten Worte: dass es schön war, dass man auf ein baldiges Wiedersehen hofft. Der Ost-Berliner Rocksänger André Herzberg.
André Herzberg: "Man hat dann so Verwandte bis an die Tür da gebracht. Da entschwanden die durch eine Tür in eine andere Welt. Und man blieb davor stehen, und das blieb eigentlich unvorstellbar. Immer diese harten, Ausdruckslosen Gesichter von den Genossen der Grenzpolizei, die einem natürlich sofort das Gefühl gegeben haben ‚hier bist du absolut unerwünscht’."
Der West-Berliner Fernseh-Redakteur Christoph Westecker.
Christoph Westecker: "Das war ja auch so eine Manie damals, dass man dachte, vielleicht macht die DDR morgen noch mehr dicht oder wieder zu oder wieder auf, man wusste ja nicht, was erleichtert wird oder nicht erleichtert, und deswegen war das immer ein Abschied ins Ungewisse, wo man sagte, wir wissen noch nicht genau, ob wir uns morgen oder nächste Woche oder nächsten Monat wieder sehen."
Ein kleiner Vorbau auf der Nordseite des Tränenpalastes diente als Eingang in die Abfertigungshalle. Heute ist es das Foyer. Marcus Herold, Geschäftsführer der Tränenpalast-GmbH.
Marcus Herold: "Man ging dann eben hier rein, da ist noch eine alte Überwachungskamera, hatte dann hier die ersten Kontrollen, hier wurden dann die Pässe kontrolliert, in der Mitte gab es auch noch Wände mit Spiegeln, wo man die Leute, die hier durch mussten, von hinten sehen konnte, diese Spiegel hingen oben schräg an der Decke, da saßen dann die Vopos drin, das sind dann hier noch die Original-Schusssicheren Türen, (lautes Klacken) schönes Geräusch, wo man merkt: das ist hier alles noch sehr massiv, innen drin mit Beton ausgeballert, das ist also richtig noch das Originale, da drüben hängt auch noch eine Meßlatte, das heißt: da saß der Vopo, hat dann hier den Reisenden kontrolliert, der vor ihm stand, und hat sich den Pass angeguckt, im Pass stand dann drin ‚Größe 1,76’, und dann hatte er hier hinten so eine Art Zollstock, so eine Art Meßlatte und konnte dann da sehen, ob der auch wirklich nur 1,75 ist, war er das nicht, war er kleiner oder größer, hat er unten auf den Knopf gedrückt und dann wurde derjenige gleich abgeführt und dann eben weiter kontrolliert, es hätte ja ein potenzieller Flüchtling sein können."
Christoph Westecker: "Dann stand man in einem Riesenpulk auf dieser Treppe nach unten, und da war ein ganz schmaler Durchgang eingerichtet, wo der Zoll kontrolliert hat, was man mitschleppte. Da konnte man nur einzeln durch, das heißt da war richtig Halli-Galli um Mitternacht, weil wenn der Zöllner einen guten Tag hatte, dann hat der einen natürlich auf ewig durchsucht, und die anderen mussten dann so lange warten, bis der dann irgendwas gefunden hat."
André Herzberg: "Det war eben sagenhaft demütigend, also diese offenen Zolltische: das heißt man konnte das sehen. Alle Leute konnten im Grunde genommen zugucken, wie Mutti Schmidt, wuff, ihre Tasche auspacken musste und was für ein armseliges Innenleben: so das schmutzige Taschentuch, det kleene verbeulte Kunststoff-Portemonnaie und der Kamm und was da so aus der Tasche und wie diese Hände da rein griffen, und dann war es ja auch so: diese Ost-Zöllner waren immer von so einer gewissen Unsicherheit, von einer Härte und Unsicherheit, das hing mit den Gesetzen zusammen im Osten, die waren ja so Gummi-mäßig formuliert, und deswegen wussten die selber oft auch nicht, wie weit sie eigentlich gehen können."
Christoph Westecker: "Wenn man durch diesen Zoll durch war, dann wurde plötzlich sortiert: in ‚West-Berliner Bürger’, ‚Bundesbürger’, ‚Bürger andere Staaten’ und ‚DDR-Bürger’, gab es auch eine Spur für. Das war dann wie in Drei Linden die Autospuren, gab es dann Stehspuren, wo man also in der Schlange stand und je nachdem, wie viele Leute aus dem eigenen Passwesen da auftauchten, musste man halt lange warten."
Die Ost-Berliner Schriftstellerin Irina Liebmann.
Irina Liebmann: "Diese Halle war so was von ekelhaft, ich finde die ja so scheußlich, die erinnert mich immer an so eine große Schwimmhalle mit diesen langen herunter gezogenen Fenstern. Und war das nicht auch gefliest, auch dieses Ding gefliest?"
Christoph Westecker: "Es war nur auffällig, dass die Fenster erst sehr weit oben anfingen. So dass man nicht von außen rein gucken konnte, nicht von innen raus. Man konnte zwar den Himmel sehen, aber nicht, was unterhalb des Himmels passierte. Man konnte nicht noch mal winken, man konnte sich nicht noch mal zurück drehen, weil: man war weg gesperrt. Die Fenster waren zwar groß, aber nur nach oben."
Mit dem eigentlichen Ziel der Aus- und Einreisenden, mit dem Bahnhof Friedrichstraße war der Tränenpalast durch ein Labyrinth von Gängen verbunden. Der Bahnhof war etwas Besonderes unter den Berliner Grenzübergangsstellen: er galt für Deutsche wie für Ausländer gleichermaßen, und er lag nicht direkt an der Sektorengrenze. Bis zu 20.000 Menschen in der Stunde passierten hier die Kontrollstellen. Wegen der zahlreichen Einbauten für die Grenzabfertigung war der Bahnhof völlig verschachtelt. Der Bahnsteig für den S-Bahn-Verkehr innerhalb Ost-Berlins wurde von dem Bahnsteig, auf dem die Verbindung nach West-Berlin abgewickelt wurde, hermetisch abgeriegelt. Es gab Eisentüren ohne Klinken, Betonmauern mit Sichtschlitzen.
Christoph Westecker: "Das war ja die Regelung, dass alle Gäste der DDR um 24 Uhr raus mussten. Da gab es dann aber den Trick: auf dem Bahnhof konnte man einfach umdrehen und wieder rein marschieren, das heißt man war eine halbe Stunde später wieder in der DDR und konnte wieder 24 Stunden bleiben bis nächste Mitternacht. Und das haben sehr viele Leute ausgenutzt, vorwiegend männliche Bevölkerung, weil die haben dann ihre Ladies auf der Ostseite stehen gehabt, die haben da auf sie gewartet, und dann haben sie noch eine flotte Nacht in der DDR gemacht und sind dann wahrscheinlich erst am nächsten Tag wieder zurück gefahren."
Christoph Westecker besaß damals eine Künstleragentur und vermittelte Auftritte von Westkünstlern im Ostteil der Stadt. Eine Zeit lang hatte er ein Dauervisum.
Christoph Westecker: "Mit anderen Freunden aus West-Berlin war ich drüben zu einer Party in der DDR, und wir haben dann um 12 Uhr den ‚Turn’ gemacht, wie das sich nannte: wir machen mal eben den Turn, wir sind gleich wieder da, und dann sind wir zum Bahnhof gefahren, einmal gewendet, und dann standen wir in einer Schlange von Männern, nur Männern, und dann kamen wir da drüben wieder raus, und da war wirklich was los: weil da waren einige Mädels mit anderen Männern abgerauscht, die eher wieder zurück kamen und ihre, auf die sie eigentlich warten wollten, die standen nun alleene da in der großen Halle und tobten sich nun gegenseitig an, wo denn nun ihre Braut geblieben wäre, wir haben uns königlich amüsiert."
Seit 1990 steht der Tränenpalast unter Denkmalschutz, seit 1991 wird hier Kultur gemacht. Statt versteckter Kameras hängen Lautsprecherboxen unter der Hallendecke, aus den Schallisolierten Einzelzellen wurden Besucherklos, aus der Staatsbank der DDR die Küche, und die Beleuchtungstechnik ist in einem Wachturm untergebracht, den der Chef der Tränenpalast-GmbH Marcus Herold hat nachbauen lassen.
Marcus Herold: "Ich habe damals schon nicht verstanden, warum man die Berliner Mauer abgerissen hat, so schnell vor allen Dingen, alles weg, ratzeputz weg, also habe ich eben versucht, auch aus dem Gedanken heraus, dass mir klar war, dass es geschichtsträchtig für Berliner Geschichte, insbesondere für West-Ost-Berliner Geschichte, dass man das erhalten muss und ins Positive wandeln, das war sozusagen die Idee, dass man aus einem traurig belasteten Ort ein Wandel vollzieht, der die Sache ins Positive rückt."
Der Niederländer Robert Kreis mit seinen Chansons und Schlagern der 20er Jahre gehört quasi zum Stammpersonal der Künstler, die im Tränenpalast auftreten. Die Macher versuchen, eine Mischung aus großen Stars und hoffnungsvollen Talenten auf ihre Bühne zu bekommen. Mal Weltmusik, mal Kleinkunst, meist humorvoll präsentiert – etwa 150.000 Besucher pro Jahr amüsieren sich im Tränenpalast, er ist eine ‚location’ mit einzigartigem ‚feeling’ geworden: "Es gibt kein besseres Symbol für den Wandel in der deutschen Hauptstadt", schrieb ein Journalist der New York Herald Tribune 1993.
Marcus Herold: "Es ist eher so die Auseinandersetzung mit Ost-West und mit Grenzgängen generell, die in diesem Raum stattfinden: kultureller Art, verschiedenster Genres, das ist also immer im Musikbereich, im Theater-, im Literaturbereich doch immer wieder was zu finden in unserem Programm, wo man sagen kann: das gehört an diesen Ort."
Hinter der Bühne an der Hallenwand hängt eine Uhr, ihre Zeiger stehen auf fünf vor Zwölf. Absicht oder Zufall? Zumindest Realität, finden die Betreiber. Der Kulturstandort Tränenpalast sei akut gefährdet, sagen sie, und mit ihm 30 Arbeits- und 8 Ausbildungsplätze.
Schräg gegenüber auf der anderen Seite der Friedrichstraße baut eine spanische Hotelkette, im Frühjahr 2006 dürfte dann der direkte Grundstücksnachbar des Tränenpalastes, die ‚Müller-Spreer & Co. Spreedreieck KG’ mit ihrem Bauvorhaben beginnen. Geplant ist ein 10- oder 11-stöckiges Büro- und Geschäftshaus mit Tiefgarage und einem Stadtplatz davor.
Um den Grundstücksdeal zwischen dem Land Berlin und Harm Müller-Spreer gab es sehr viel Wirbel. Die Finanzverwaltung hatte dem Hamburger Investor versehentlich ein kleines Grundstück auf dem Spreedreieck verkauft, das dem Land Berlin gar nicht gehörte. Es drohte eine gewaltige Schadenersatzklage, also gab man dem Investor zum Ausgleich 7,9 Millionen Euro und zwei andere Flurstücke. Ergebnis: fast das gesamte Gelände rund um den Tränenpalast gehört nun ihm. Harm Müller-Spreer will endlich anfangen zu bauen. Noch gibt es keinen genehmigten Bebauungsplan, aber nachdem bis auf die Frage, wer der künftige Eigentümer des Tränenpalastes sein wird, alles geklärt ist, ist mit Baubeginn in einem Jahr zu rechnen.
Marcus Herold graut es jetzt schon davor. Vor wenigen Tagen wurden ihm etliche Baucontainer vor die Tür gesetzt. Der Investor vermietet jetzt einen Teil seines Grundstücks an die Firmen, die gegenüber das Hotel bauen.
Marcus Herold: "Wir finanzieren uns natürlich auch durch Events, was die Kultur in diesem Hause finanziert, und diese Firmenveranstaltungen, die wollen natürlich nicht mehr – das war vielleicht eine Zeit lang in den 90er Jahren in Mode – permanent über irgendwelche Bretter laufen, sondern die wollen dann auch schon vorfahren und wollen in Ruhe hier ihre Feste feiern, und diese Events sind natürlich mit der Baustellenmaßnahme völlig unvorstellbar, und dadurch wird sich natürlich auch unsere Finanzierung verschlechtern. Entschädigung dafür wurde uns versagt, das kriegen wir nicht, insofern wird sich das Projekt wahrscheinlich auch von selbst auflösen, nehme ich mal an."
Eine Firma habe ihr Sommerfest wegen der Baucontainer schon abgesagt, fügt er hinzu.
Hubert Schulte, Staatssekretär bei der Senatsverwaltung für Finanzen, die den Tränenpalast vermietet.
Hubert Schulte: "Wenn Sie durch die Stadt gehen, werden Sie feststellen, dass es hier und da eine Baustelle gibt. Und wir wünschen uns ja alle, dass es möglichst viele Baustellen gibt. Und so ist das nun mal im Leben, dass davon auch gewisse Beeinträchtigungen ausgehen. Wir haben aber in den Verträgen mit Müller-Spreer und im Vertrag mit Herold eine Reihe von Regelungen getroffen, die eine sehr gute Gewährleistung dafür bieten, dass der Betrieb nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Zum Beispiel ist festgelegt, dass ab 19 Uhr die Veranstaltungen im Tränenpalast nicht gestört werden dürfen durch Bauarbeiten, es sind sehr viele Regelungen getroffen, mit denen sicher gestellt wird, dass keine Schäden durch die Bauarbeiten entstehen und keine Beeinträchtigungen des Objektes da sind, und insofern glaube ich, kann man nicht davon sprechen, dass durch eine Baumaßnahme der Tränenpalast lahm gelegt werde."
Die Bauarbeiten sind nur der kleinere Teil des Problems. Viel schwerer wiegt, dass die Betreiber des Tränenpalastes nicht wissen, ob sie in dem Gebäude überhaupt weiter Kultur veranstalten können. Der Grund: das Land Berlin will das Grundstück, auf dem der Tränenpalast steht, schon seit längerem verkaufen. Marcus Herold zeigt Interesse an dem Deal, Berlin aber nicht an ihm, so sein Vorwurf, zumal es noch einen zweiten Bieter gibt, die ‚Müller-Spreer & Co. Spreedreieck KG’.
Marcus Herold: "Man versucht aber nun wirklich seit Jahr und Tag fast alles, um uns hier mehr oder weniger zu verdrängen und dieses Gebäude dem Investor zu übergeben, der aus irgendeinem Grunde da großes Interesse daran hat und die Politik scheinbar aus irgendeinem Grunde auch daran großes Interesse hat, dass der der Eigentümer wird und von uns da unverschämte Summen verlangt, die völlig überhöhte Zahlen, Verkehrswertgutachten, die in keinem Verhältnis stehen zu dem, was wir hier geleistet haben die letzten 14 Jahre, ganz zu schweigen davon, dass wir auf sämtliche Rechte verzichten sollen nachbarschaftlicher Art, Überbauungsrechte, den Biergarten, den Sommergarten, der für uns existenziell wichtig ist, den will man uns nur vermieten, obwohl man ihn vorher verkaufen wollte, er soll dann vom Investor gestaltet werden, es ist eine Kette, die kann man in einer Viertelstunde nicht erzählen, die macht uns kontinuierlich, aber sicher mehr oder weniger kaputt, und ich denke mal, damit ist dann das Projekt Tränenpalast, irgendwann wird es dann beendet werden."
Hubert Schulte: "Wir respektieren sehr, was die jetzigen Betreiber des Tränenpalastes dort über die Jahre geleistet haben, und weil wir das tun, gehen wir nicht an den Markt und sagen ‚wir versteigern das Grundstück meist bietend’, sondern geben den jetzigen Betreibern die Möglichkeit, mit Priorität dieses Grundstück zu erwerben vor allen anderen, und das ist schon ein deutliches Entgegenkommen. Es geht jetzt nur noch um eine Sache: Herr Herold muss sagen, dass er bereit ist, den Tränenpalast zum Verkehrswert zu kaufen, dann kann er das tun, der Vertrag ist ausgehandelt, es muss nur noch die Summe eingesetzt werden, und Herr Herold muss sagen, dass er einverstanden ist und wir können zum Notar gehen. "
915.000 Euro soll der Tränenpalast samt Grundstück kosten, Marcus Herold findet, es ist knapp die Hälfte wert: 450.000 Euro.
Marcus Herold: "Dieses Kaufangebot ist einfach maßlos überhöht für eine kulturelle Einrichtung, die seit 14 Jahren ohne Subventionen arbeitet. Nehmen wir doch nur mal das Beispiel ‚Tempodrom’: 30 Millionen öffentliche Mittel wurden da in den Sand gesetzt, hätte ich ihnen vorher sagen können, dass es nicht funktionieren kann, jeder Profi, der sich in dieser Stadt mit Veranstaltungen beschäftigt, hätte ihnen das sagen können. Für 30 Millionen hätten sie dieses Gebäude hier 30-fach bauen können und am Leben halten können. Von uns will man dann 350.000 Euro haben, die wir nicht haben, ansonsten ist Schluss. Nur irgendwann gibt man dann auch auf und sagt sich ‚na gut, dann geht man eben woanders hin’."
Statt zu kaufen den Mietvertrag für den Tränenpalast über 2008 hinaus zu verlängern schließt Marcus Herold als Alternative aus.
Marcus Herold: "Was wir haben, ist ein Interesse daran, den Kulturstandort und Tränenpalast für uns zu sichern und zwar für uns, für diejenigen, die das entwickelt haben und nicht für einen Bauinvestor, der uns nachher diktiert, was hier drin zu passieren hat. Als Nachbarn kann ich mir Müller-Spreer gut vorstellen, ich habe überhaupt nichts dagegen, er ist ein sympathischer Maseratifahrer."
Auch Berlins Kultursenator hat sich in die Debatte eingeschaltet: man möge bei den Verhandlungen mit den jetzigen Betreibern des Tränenpalastes um den Kaufpreis ihre Verdienste um diesen Kulturstandort bitte berücksichtigen, schrieb er an den Finanzsenator. Hubert Schulte, Staatssekretär Finanzen.
Hubert Schulte: "Das wird oft übersehen, dass, egal an wen wir den Tränenpalast verkaufen, es eine zwingende Auflage gibt, und diese Auflage heißt: der Tränenpalast darf nur für kulturelle und Veranstaltungszwecke genutzt werden. Und es ist auch zulässig, dass Herr Herold seine wirtschaftlichen Interessen vertritt, aber man sollte auch nicht immer so tun, als wenn es auf der einen Seite um die Leute geht, die sich um den schnöden Mammon kümmern und auf der anderen Seite um die Leute, die sich im hehren Einsatz für die kulturellen Zwecke aufzehren und nie auch nur einen Gedanken an Geld verschwenden."
Die Finanzverwaltung hat den Betreibern des Tränenpalastes ein Ultimatum gestellt, dem Kaufpreis von 915.000 Euro zuzustimmen und eine entsprechende Bankbürgschaft zu hinterlegen. Das Ultimatum läuft morgen ab. Man will die Angelegenheit endlich vom Tisch haben. Gleichzeitig hat sie dem Investor Müller-Spreer vertraglich zugesichert, den Zuschlag für den Tränenpalast zu erhalten, falls die jetzigen Betreiber das Gebäude nicht kaufen werden.
Marcus Herold hat reagiert: in der vergangenen Woche schrieb er dem Staatssekretär einen Brief, in dem er grundsätzlich seine Bereitschaft erklärt, den geforderten Preis in Höhe von 915.000 Euro zu zahlen. Er habe mit Vertretern des Bundes und der Stiftung ‚Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland’ in Bonn eine gemeinsame Nutzung des Tränenpalastes erörtert, die Zusammenarbeit müsse nun im Detail verhandelt werden, dafür brauche man noch Zeit. Über konkrete Finanzhilfen vom Bund steht in dem Brief nichts.
Die Antwort des Staatssekretärs: für ein Nutzungskonzept mit dem Bund sei er grundsätzlich offen, vorausgesetzt Herr Herold liefere den belastbaren Finanzierungsnachweis für den Erwerb des Tränenpalastes "unter Wahrung der benannten Fristen" – also bis morgen. Zusatz: "ggf. unter Einbeziehung einer verbindlichen Erklärung des Bundes zu seiner Beteiligung".
Aus dem Bundespresseamt heißt es, es stimmt, man sei mit den Betreibern des Tränenpalastes im Gespräch – mehr wolle man nicht sagen.
Kultur wird es weiter geben im Tränenpalast, so viel ist sicher – nur wer sie verantwortet, das ist zurzeit offen. Hubert Schulte von der Finanzverwaltung.
Hubert Schulte: "Wir sind nicht in der finanziellen Lage, dass wir wegen öffentlichem Druck meinen, Grundstücke verschenken oder zum halben Preis verkaufen zu können. Es kommt am Ende alles auf einen Punkt zurück: sind die Betreiber des Tränenpalastes bereit, den Verkehrswert für dieses Gebäude zu akzeptieren und zu diesen Bedingungen zu kaufen? Wenn sie das wollen, sind alle anderen Probleme gelöst und wir können den Vertrag machen. Wenn sie das nicht wollen, dann haben sie ein Problem."