Wilson Collison: "Die Nacht mit Nancy"
Aus dem amerikanischen Englisch von Johanna von Koppenfels
Louisoder Verlag, München 2016
270 Seiten, 19,90 EUR
Kreuzverhör im Pyjama
Ein Roman wie eine Screwball Comedy aus guten alten Hollywoodzeiten: rasante Dialoge, anspielungsreiche Szenen und überraschende Auflösungen. Eine Entdeckung - und eine rundum amüsante Lektüre.
Krach auf einer Ostküsten-Party Anfang der 1930er-Jahre: Die Gastgeberin Mrs. Hanley ist entsetzt und will den ungeheuerlichen Fall aufklären. Im luxuriösen Wohnzimmer ihres Landhauses hat sie deswegen ihre Gäste mitten in der Nacht zwangsweise versammelt. Sie allein trägt noch ein Abendkleid.
Die anwesenden Herren sind im Pyjama, die junge hübsche Witwe liegt nur mit einem Negligé bekleidet auf dem Sofa, und die dritte Frau in der Runde hatte sich "in aller Eile ihre Nachtcreme vom Gesicht gewischt und keine Zeit gehabt, wieder Make-up aufzutragen. Der hell erleuchtete Raum war für sie ohne Zweifel sehr unvorteilhaft."
Eine Gesellschaftskomödie: Es geht um eine unsittliche und seltsame Angelegenheit. Ein gellender Schrei hatte weit nach Mitternacht die Stille des Hauses durchbrochen, und im Gästezimmer der schönen Titelheldin hatte die Hausherrin die drei Herren im Pyjama angetroffen. Was war hier geschehen, wer hatte welche Absichten? Eine Nacht voller Vermutungen und Enthüllungen.
Eine pikante Sittengeschichte
Aus der harmlosen Wochenendeinladung ist ein hintersinniger Kriminalfall geworden. Eine pikante Sittengeschichte, in deren Zentrum eine in sich ruhende kluge Frau steht, die das laut beschworene Anstandsgewese nicht kümmert. Eine emanzipierte Heldin aus voremanzipatorischen Zeiten.
Geleitet wird die Untersuchung von einem jungen begabten Anwalt, der auch zu Gast und auch im Pyjama, aber immerhin unverheiratet ist. Ein Mann für geistreiche Gespräche und ironische Kreuzverhöre.
Die Verlogenheit der besseren Gesellschaft
Erschienen ist dieser intelligente und amüsante Unterhaltungsroman 1933. Wilson Collison war ein erfolgreicher Broadway- und Hollywood-Autor, der virtuos mit seinen Figuren umgeht und rasante Dialoge schreibt. Nebenbei karikiert er vergnügt die Verlogenheit der besseren Gesellschaft wie die Übereinkünfte und Rollenverteilungen der alten Ehepaare.
Am Ende wird aus der unmoralischen Geschichte überraschenderweise doch noch eine romantische Komödie. Und der Mann, der alles aufklärt, ist selbstverständlich der kluge Diener, der auch den maulfaulen Gärtner zum Reden bringt. Da nützt es dem Hausherrn gar nichts, wenn er brüllt:
"Denken Sie, ich sitze hier seelenruhig und lasse mich von meinen Dienern in meinem eigenen Haus zum Esel machen?"
Genau das muss er über sich ergehen lassen und kann sich nur damit trösten, dass seine sittenstrenge arrogante Ehefrau zum Schluss auch nicht besser dasteht.