80. Geburtstag von Anselm Kiefer
Anlässlich des 80. Geburtstags von Anselm Kiefer zeigen gleich zwei Museen in Amsterdam die Werke des süddeutschen Künstlers. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Peter Dejong
Der ewige Störer

Radikal, provokant und obsessiv – Anselm Kiefer gilt als einer der bedeutendsten Gegenwartskünstler. Wim Wenders drehte schon einen Film über ihn. Zum 80. Geburtstag zeigen gleich zwei Museen in Amsterdam Kiefers Werke.
Er ist ein ewig Suchender, ein jung gebliebener Wilder, der sich an der deutschen Vergangenheit abarbeitet und immer wieder die NS-Verbrechen und ihre Folgen in gigantomanischen Kunstwerken reflektiert: Anselm Kiefer ist einer der bedeutendsten deutschen Gegenwartskünstler. Am 8. März 2025 feiert er seinen 80. Geburtstag.
Kiefer, der seit 1993 in Frankreich lebt und arbeitet, ist Stammgast bei internationalen Kunstausstellungen wie der Documenta oder der Biennale in Venedig. Seine Werke hängen in zahlreichen Museen Europas, Japans und der Vereinigten Staaten. 2023 wurde er mit dem Deutschen Nationalpreis ausgezeichnet.
Auf seinem Ateliergelände in einem Vorort von Paris – 36.000 Quadratmeter in den ehemaligen Lagerhallen eines alten Kaufhauses – entstehen seine großflächigen Kunstwerke. Die Leinwände ätzt er, arbeitet auf ihnen mit Stroh, Holz und Stoff, nur um sie dann mit einem Flammenwerfer wieder zu versengen.
Provokateur mit Hitlergruß
Zumindest in seiner Anfangszeit wurde der Künstler in Deutschland wenig geschätzt. Er galt als unbequemer Provokateur, der bei seinen Auftritten in TV-Sendungen oder in der Öffentlichkeit niemals Ruhe gab, wenn es ums Erinnern an die NS-Zeit und um die Auseinandersetzung mit der Vätergeneration ging.
Unvergessen ist eine Serie von acht Fotografien und Gemälden, die den Künstler selbst vor Gebäuden der Zeitgeschichte in verschiedenen europäischen Ländern zeigen: Er trägt auf ihnen die alte Wehrmachtsuniform seines Vaters und zeigt den Hitlergruß.
Hommage an den Freund
Kiefers Freund, der Filmemacher Wim Wenders, international ebenso begehrt und renommiert, teilt mit ihm das Geburtsjahr, die Liebe zur Kunst und das Hadern mit dem Nachkriegsdeutschland. Im Jahr 2023 ehrte Wenders Kiefer mit dem Filmporträt „Anselm – Das Rauschen der Zeit“, der seine Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes feierte. Der Film ist eine Mischung aus Spielhandlung, historischen Fernsehaufzeichnungen und Interview-Sequenzen. Auch Kiefers Sohn Daniel und Wenders Neffe Anton kommen zu Wort.
Die eigene Welt, düster und schroff
Der Film vermittelt einen schlaglichthaften Blick auf Kiefer inmitten seiner grotesk-brachialen Skulpturen und Bilderwelten, die sich mit Krieg, Gewalt und den Nachwirkungen der NS-Zeit beschäftigen. Dabei kommt die 3D-Technik des Films sehr eindrucksvoll zur Geltung, findet unser Filmkritiker Patrick Wellinski: „Es wirkt, als würde Kiefer in seiner Kunst leben, als hätte er sich eine eigene Welt geschaffen: düster und traurig, schroff und heftig.“

Bewohner seiner eigenen schroffen Welt: Anselm Kiefer auf seinem Ateliergelände bei Paris.© Road Movies / Wim Wenders
Der Künstler sinniert im Film über die geologische und kosmische Geschichte der Erde, ihre Rauheit und ihre Ausmaße. Der Mensch, sagt Kiefer, sei in diesem Kontext nur ein Atom: „Das ist nicht einmal ein Tropfen im Regen.“
Blick in den Abgrund deutscher Geschichte
Entsprechend „erdig“ und rau wirken Kiefers Kunstwerke. Seinen furchtlosen Blick in den Abgrund der deutschen Geschichte – seine Lebenserfahrungen – „fräst Kiefer regelrecht in seine Bilder hinein“, sagt Wellinski.
Kiefer ist ein obsessiver Künstler, der die Vergangenheit und ihre Wirkung auf das Heute als sein Lebensthema verfolgt. Für Wim Wenders ist der Freund aber nicht nur ein Künstler, sondern, wie er sagt, „ein Universalgelehrter“.
Celan und Bachmann als Flüstern
In Kiefers Werken finden sich Literaturzitate von Ingeborg Bachmann oder Paul Celan, die im Film im Hintergrund geflüstert werden - wie die Geister, die Kiefers Kunst beseelen. Diese Werke „lesen“ sich wie ein stetiges Mahnen an Politik und Gesellschaft, verbunden mit der Frage: Ist Kunst nach dem Horror des Nationalsozialismus, nach all dem Morden, noch möglich, und wenn ja, wie?

Anselm Kiefer und Wim Wenders haben zusammen gearbeitet für den Film "Das Rauschen der Zeit".© Road Movies
Auch in Kiefers neuen Werken bleiben die Referenzen an die Gräuel der deutschen Geschichte bestehen. Zu sehen sind einige davon jetzt in Amsterdam in einer Doppelausstellung im Stedelijk Museum und im Van Gogh Museum.
Eigens für die historische Lichthalle des Stedelijk Museums hat Kiefer eine monumentale Arbeit mit dem Titel "Sag mir, wo die Blumen sind" angefertigt. Auch die Doppelausstellung trägt den Titel des Antikriegslieds von US-Folksänger Pete Seeger, das in der deutschen Version von Marlene Dietrich berühmt wurde. Es ist eines von Kiefers Lieblingsliedern.
Die Installation aus halbkreisförmig aufgestellten Tafeln ist fast sieben Meter hoch und 30 Meter lang. Bedeckt mit Lehm, Farbe, Stroh und Blattgold zeigt die Arbeit im oberen Teil Abbildungen von Frauen und griechischen Philosophen, den unteren Teil hat Kiefer mit beschmutzten Uniformen beklebt, davor liegen Rosenblätter.
Arbeit als Lebenselixier
Auf der Installation sind auch Zeilen aus dem gleichnamigen Lied zu lesen, immer wieder steht dort die Frage: Wann wird man je versteh'n? Krieg, Tod, der Zyklus des Lebens – für Rein Wolfs, Direktor des Stedelijk Museums, ist Kiefer gerade wegen dieser unermüdlich vorgebrachten Thematik nach wie vor ein radikaler Künstler. Doch auch die ungewöhnlichen Materialien und die schiere Größe der Werke machten Kiefers Arbeiten einzigartig, so Wolfs.
Ans Aufhören denkt Anselm Kiefer mit 80 Jahren längst nicht. Arbeit sei sein Lebenselixier, sagt der Künstler über sich selbst. Auf die Frage, was ihn fit halte, antwortet er: "Ich tanze vor meinen Bildern, in meinen Bildern, mit meinen Bildern."
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