Drachen statt Windräder
In großer Höhe wollen sie Windenergie verlässlicher und billiger erzeugen. Entwickler von Flugwindkraftwerken versprechen eine deutlich komfortablere Stromproduktion. Marktreif sind die Anlagen allerdings noch nicht.
Das man es hier mit einem völlig anderen Konzept zu tun hat, als bei konventionellen Windrad-Betreibern, wird spätestens klar, wenn man den Fahrzeugpark des Flugwindkraftanlagen-Entwicklers "Enerkite" betrachtet – der besteht derzeit aus einem einzigen LKW …
"Das ist n Magirus 192 … 'n Allrad."
"´n alter Feuerwehrwagen?"
"Ja, als Plattform für die – wie heißt es im Fahrzeugschein 'Selbstfahrende Arbeitsmaschine Windkraft' – die erste ihrer Art in Deutschland, vielleicht nicht die Letzte!!"
Erklärt der Enerkite-Gründer Alexander Bormann. Auf den umgebauten Feuerwehrwagen passt alles, was der Drachenbauer zur Umwandlung von Wind in Strom braucht – die Anlage
"besteht eben aus dem Flügelsystem, dem Seilsystem, in der Windenstation erfolgt die Energiewandlung und die Steuerung, gesteuert wird vom Boden aus."
Im Labor – eine historische Backstein-Werkshalle in einem Gebäude der Technischen Universität, in der historische Windräder neben frisch geschweißten Stahlkonstruktionen und Drachenflügelvariationen herumstehen, werden gerade lange, schlanke Metallsäulen montiert ...
"Das sind die Mastsegmente. Das Mastsystem kommt dann auf die Windenstation obendrauf, das sieht dann von der Seite so aus wie'n Leiterwagen. Zum Starten wird das Mastsystem auf eine Gesamtlänge von zehn Metern austeleskopiert. Es ist so befestigt, dass dieser Mast eine Kreisbewegung ausführen kann ...
"So kriegt der Drachen dann Schwung, das ist quasi wie das Anziehen beim Drachensteigen lassen?"
"Genau, diesen Prozess verlagern wir jetzt auf eine drehende Bewegung, um eine Höhe zu erreichen, in der der Wind ausreichend weht!"
Drachen schraubt sich auf 200 bis 300 Meter Höhe
Dann fliegt er allein per Autopilot-Prinzip: Der Drachen schraubt sich auf einer achtförmigen Flugbahn auf Höhen – je nach Windstärke – zwischen 200 und 300 Metern, und rollt dabei die Halteseile von der auf dem Wagendach montierten Generatorwinde ab ... so wird der Strom am Boden erzeugt!
Hat der Drachen die vorgesehene Höhe erreicht, wird er im Sturzflug wieder heruntergezogen – was etwas Energie verbraucht – um dann sofort wieder aufzusteigen. Ein Zyklus dauert circa eine Minute. Jojo -Prinzip nennt sich das!
Und all das passt auf ein einziges Fahrzeug. Der Aufwand bei der Montage herkömmlicher Windkraftanlagen ist wesentlich höher:
"Wie kriege ich Türme mit Durchmessern von fünf oder sechs Metern, wie kriege ich Rotorblätter mit einer Länge von 70 Metern auf kurvenreichen Straßen dorthin, wo sie hin sollen? Wie viele LKW fahren zu 'ner Baustelle, ehe 'n Projekt überhaupt 'n Fundament bekommt? Jedes Projekt ist da 'ne logistische Herausforderung!"
Enerkite sieht sich aber nicht als Konkurrenz zu bestehenden Windparks:
"Wir wollen Alternativen bieten, wo Landwirte sagen, ich hätt´ gern 'ne Windkraft-Anlage, aber ich hab nicht so viel, um ein großes Megawatt-Windrad hinzustellen!"
Mit kleinen Anlagen Nischen besetzen? Da hat der Berliner Uwe Ahrens, Gründer des Unternehmens NTS-Crosswinds langfristig andere Vorstellungen:
"Wir können eigentlich gar nicht klein!"
Im Höhenwind stecken immense Kräfte
Denn die NTS Drachen ziehen eine Elektrolok auf einem Schienenkreis ...
"Die hat so 40 Tonnen, hat so ein bis zwei Megawatt Leistung, ist vergleichbar mit so 'ner großen Elektrolok, die verwendet wird, um 40 bis 80 Anhänger zu ziehen ... Eine Teststrecke über 400 Meter gibt es schon, da haben wir auch Proof of Concept, das heißt wir haben zeigen können, dass wir vollautomatisch fliegen können, und dass es möglich ist, mit so einem Zugdrachen auch Strom zu erzeugen. Übrigens nicht weiter verwunderlich, es gibt seit Jahren Antriebe für große Schiffe mit ein oder zwei Megawatt ..."
Das Beispiel macht deutlich: Im Höhenwind stecken immense Kräfte.
"Wenn man bedenkt, dass die Energie des Windes mit der dritten Potenz der Geschwindigkeit steigt, will heißen: doppelte Windgeschwindigkeit – acht Mal so viel Energie"
Und weil er stetig weht – und so die bisher Wind-Energie-typischen Schwankungen minimiert würden – könnte man auch die Versorgungsabsicherung durch Kohle- und Gaskraftwerke einschränken. Trotzdem: Uwe Ahrens musste die Entwicklung vorläufig abbrechen.
"Wenn wir wollten, könnten wir morgen 'ne Serienanlage bauen. Dazu müssen aber erst noch Investoren gefunden werden – und die sind sehr scheu!"
Alexander Bormann von Enerkite sieht dagegen schon Interesse seitens der Konzerne, aber:
"Ich wünschte mir manchmal ein bisschen mehr Silicon-Valley-Mentalität hier in Berlin und Brandenburg!"