Proteste gegen Verspargelung und Flächenfraß
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In Mecklenburg-Vorpommern sollen alte Windkraftanlagen abgebaut und durch neue, deutlich höhere ersetzt werden. Auch könnten demnächst immer mehr Landschaften für den Bau von Anlagen freigegeben werden - was in der Bevölkerung gar nicht gut ankommt.
Kagelow bei Wismar. Dass sie einmal eine Bürgerinitiative mitgründen und zu Gemeinderatssitzungen gehen würde, hätte sich Marga Finnern lange Zeit nicht träumen lassen. Doch was zu viel ist, ist zu viel. Beziehungsweise zu hoch, denn:
"Auf unserer Gemeindeseite stehen neun Windmühlen. Die sind vor 16 Jahren gebaut und heute stehen wir vor der Situation, dass man diese neun Anlagen abbauen will und durch vier doppelt so hohe ersetzen will."
Es geht um "180 Meter, und unser Wohnhaus steht etwas über 700 Meter von der ersten Mühle weg, und da soll so eine hohe wieder hin. Und meine Familie und ich, wir sind natürlich persönlich daran interessiert, dass diese Mühle, die so dicht bei uns steht, nicht durch eine doppelt hohe ersetzt wird."
"Ja, das ist natürlich immer, durch welche Brille man das betrachtet", sagt Dietmar Hocke. "Sicherlich, je dichter man dran ist, die 700, 800 Meter, die die Anlagen teilweise an den Dörfern dran sind, sind schon eine Beeinträchtigung durch Schattenwurf und durch Lärmbelästigung oder Schall."
Verdienste schaffen Anreize
Dietmar Hocke betreibt in Kagelow einen großen Bauernhof mit Biosgasanlage. Außerdem gehören ihm vier kleinere Windmühlen in der Nähe, die noch eine Weile durchhalten werden. Auch er und seine Familie sind mitunter von der Schallbelästigung betroffen, wenn der Wind aus der "falschen" Richtung bläst. Doch man komme damit klar, sagt Dietmar Hocke.
"Sobald ein Verdienst dagegen steht, ist die Akzeptanz eine ganz andere. Das ist ja auch ein Ansatz, den wir jetzt immer mehr verfolgen, dass wir die Kommunen mit ins Boot holen, dass wir dadurch sagen, das Geld wird vor Ort verdient und es soll auch im Dorf bleiben.
Dietmar Hocke meint die Gesellschaft, die er für seine Windmühlen gründete. Das war vor acht Jahren, als er spürte, dass sich der Wind drehen könnte, was die direkt betroffene ländliche Bevölkerung angeht.
"Ich habe hier die Akzeptanz dadurch gewonnen, dass ich erst mal gesagt habe, ich baue die Anlagen nicht auf meinen eigenen Ackerflächen. Wir haben die Erstanlage auf gemeindlicher Fläche errichtet. Wir haben auch die ganzen Ausgleichsmaßnahmen auf gemeindlichen Flächen gemacht, so dass vom ersten Tag an auch Geld bei der Kommune ankommt - egal, ob man schon auf Gewinn fährt oder ob Steuereinnahmen reinkommen."
Der Ausbau der Windenergie stockt
Doch in den meisten Gegenden von Mecklenburg-Vorpommern stockt der Ausbau der Windenergie. Zwar wurden im ersten Halbjahr 2019 fünf neue Anlagen genehmigt. Doch im selben Zeitraum in den Jahren 2016-2018 wurden jeweils doppelt so viele Windräder aufgestellt. Das Plus an Bruttoleistung aus Windenergie an Land ging sogar um 87% zurück.
Die diversen Planungs- und Genehmigungsverfahren dauern immer länger, weil der Widerstand in der jeweils betroffenen Bevölkerung wächst - gegen eine weitere "Verspargelung" des Horizontes, gegen Schattenschlag und nächtliche Unruhe, gegen den Flächenfraß auf den Äckern.
Mecklenburg-Vorpommerns Energieminister Christian Pegel hält den Kritikern entgegen, "dass wir nur 0,7 Prozent der Landesfläche als Windeignungsgebiete ausgewiesen haben. Wer nach Schleswig-Holstein kommt - da liegen wir weit über einem Prozent. Wer nach Rheinland-Pfalz kommt, wird zur Zeit in jedem Wald Entstehungspotentiale sehen. Wer nach Brandenburg schaut, Niedersachsen, wird viel höhere Prozentsätze eingebunden sehen. Und diese Länder sind schon viel dichter besiedelt als wir."
1,5 Prozent der Landesfläche für Windenergieanlagen
Doch laut der aktuellen "Richtlinie zur Ausweisung von Windeignungsgebieten" sind rund 1,5 Prozent der Landesfläche für den Bau von Windenergieanlagen vorgesehen. Das ist doppelt so viel wie heute. Hinzu kommt die Möglichkeit, Ausnahmen mithilfe sogenannter Zielabweichungsverfahren zu genehmigen. So wie in diesem Fall geplant:
"Wir fahren jetzt auf der Bundesstraße 109 nördlich von Ferdinandshof Richtung Anklam, und westlich unmittelbar an der Straße soll der erste Windpark auf Moorfläche in Mecklenburg-Vorpommern entstehen – in der Friedländer Großen Wiese", erzählt Peter Markgraf, Ökolandwirt aus dem Landkreis Vorpommern-Greifswald.
Allein in diesem Kreis stehen bereits 395 Windkraftanlagen. Nun signalisieren die zuständigen Stellen auf Landesebene ihre Bereitschaft, ausnahmsweise sogar auf diesem Gebiet Windräder zuzulassen.
"In tiefgründigem Niedermoor. Vogelrastgebiet. Unverbaute Landschaft, die ja eigentlich durch die Landschaftsplanung bisher gesperrt war für Windkraft – aus guten Gründen. Man möchte jetzt auch die letzten unzerschnittenen Landschaften öffnen für die Windkraft. Das betrifft die großen Niedermoorkomplexe und auch die Wälder."
Hohe Strompreise senken die Akzeptanz
Eine Bürgerinitiative hält regelmäßig Mahnwachen an der B 109 ab, die zur Ostseeinsel Usedom führt. Da hilft bislang auch das bundesweit erste Bürger- und Gemeindebeteiligungsgesetz nicht weiter, das Energieminister Christian Pegel vor drei Jahren durch den Schweriner Landtag brachte und das besagt:
"Wer künftig in Mecklenburg-Vorpommern Windräder errichtet, muss die Beteiligten, muss die Gemeinden beteiligen. Die Windräder, wenn sie denn schon hier vor der Tür stehen, sollen auch ein bisschen von dem Gewinn hierlassen."
Damit hätten die direkt Betroffenen wenigstens etwas von den wuchtigen Windkraftanlagen vor ihrer Haustür. Denn ansonsten zahlen die Bewohner des dünnbesiedelten Landes Mecklenburg-Vorpommern im Bundesvergleich mit die höchsten Strompreise, was ein weiterer gewichtiger Grund für die sinkende Akzeptanz immer neuer und höherer Windräder auf dem Land ist.
"Wir sind doch nicht käuflich"
Zurück in Kagelow bei Wismar. Auch hier weiß man, dass neuerdings jeder Betreiber für neu geplante Windparks eine eigene Gesellschaft gründen und 20 Prozent der Anteile für kaufinteressierte Anwohner und Kommunen im Umkreis von fünf Kilometern reservieren muss. Doch das Beteiligungsgesetz sei nicht nur kompliziert umzusetzen, sondern, so Marga Finnern:
"Ich weiß jetzt nicht, inwieweit jemand bereit wäre, sich finanziell einzubringen und zu beteiligen. Dafür braucht man ja auch ein gewisses Polster. Ansonsten, wir sind doch nicht käuflich. So was wollen wir eigentlich gar nicht. Wir wollen nur, dass im Einvernehmen mit uns eine Lösung geschaffen wird."