Rückbau statt Aufbruch

Bei der Windkraft herrscht Flaute

30:02 Minuten
Rückbau von veralteten Enercon E-40 Windturbinen in Brunsbüttel / Schleswig-Holstein.
Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, muss es mit der Windkraft deutlich schneller vorangehen. © imago / Joerg Boethling
Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster |
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Eigentlich müsste die Windkraft in Deutschland dringend ausgebaut werden. Stattdessen droht vielen Windkraftanlagen der Abriss: Denn nach dem Auslaufen der EEG-Förderung können sie nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden. Was tun?
Christian Wenger-Rosenau rollt seinen Schreibtischstuhl durchs Büro, zum großen Wandschrank. Darauf stehen sieben Windräder. Er angelt zwei herunter, stellt sie auf den Schreibtisch: "Da habe ich Modellwindräder, die ich über die Jahre gesammelt habe – verschiedene Arten Vestas, Enercon, MD 70. Immer wenn ich eins aufgestellt habe, habe ich so ein kleines Plastikwindrad gekriegt und bei mir auf den Schrank gestellt."
Windräder aufstellen – das macht Wenger-Rosenau hier im brandenburgischen Neuruppin seit mehr als 30 Jahren. 160 Anlagen hat er in ganz Deutschland ans Netz gebracht. Das erste Windrad aber baute er privat, 1988, noch in der DDR. Auf dem Bauernhof seiner Eltern. Damals engagierte er sich in der Ökobewegung und wollte zeigen, dass eine umweltverträgliche Energieproduktion möglich ist. Die DDR verschwand, Wengers Faszination für die Windkraft blieb, drei Jahrzehnte lang. Dann kam der Frust. Vor einem Jahr verkaufte er sein Unternehmen.
"Ich habe Lust auf Wind, weil ich das total mit dem Herzen mache. Aber es hat ziemlich viel Nerven gekostet“, sagt er. „Das ist ein schwieriger Job. Man fühlt sich ein bisschen wie Don Quichotte. Gegen die Windmühlen angehen, gegen die träge Verwaltung. Gegen die Widerstände vor Ort."

Der Ausbau stockt

Seit Jahren reden alle von der Energiewende und vom Klimaschutz. Raus aus Kohle, Gas und Atom hin zu Wasser, Sonne und Wind – das ist der Zukunftspfad, den die deutsche Politik vorgegeben hat. Windkraft spielt dabei in jedem Energiewende-Szenario eine Schlüsselrolle. Schon heute liefern 30.000 Anlagen ein Viertel des deutschen Stroms. Doch seit Jahren stockt der der Ausbau.  

"Heute früh haben wir an einem Windpark gesessen, den ich vor 21 Jahren geplant habe und den jetzt die Nachfolgefirma weiter plant. Nach 21 Jahren steht noch kein Windrad. Es ist als Windgebiet ausgewiesen, aber es steht kein Windrad. Das zeigt, wie schwer es ist, 21 Jahre dabei zu bleiben. Und viele Widerstände zu überwinden. Das ist sehr kräfteraubend, das ist schade."

Feste Vergütungen für 20 Jahre

Fast wehmütig denkt Wenger-Rosenau an das Jahr 2000 zurück. Da trat das sogenannte Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, in Kraft. Und garantierte feste Einspeisevergütungen für regenerativ erzeugten Strom: neun Cent pro Kilowattstunde über 20 Jahre. Die Windenergie-Branche boomte. Wenger-Rosenau stieg damals auch selbst in die Windenergieproduktion ein und investierte in sechs Anlagen: 
"Nach 16 Jahren war die Finanzierung der Bank fertig. In den letzten Jahren haben wir ein bisschen Geld verdient. Und nach 20 Jahren ist dann die Entscheidung, reiße ich das ab und baue ein neues?"
Denn für seine Anlagen ist die EEG-Vergütung ausgelaufen. Und damit verschiebt sich die Kalkulation erheblich. Statt der garantierten neun Cent pro Kilowattstunde schwankt der Preis nun.

Noch lohnen sich die Altanlagen

Bei gerade mal zwei Cent pro Kilowattstunde lag der Strompreis vor einem Jahr, erinnert sich Wenger-Rosenau. Damit lässt sich keine alte Anlage wirtschaftlich betreiben. Derzeit gibt es an der Strombörse auskömmliche 11 Cent. Da lohnt das Windgeschäft mit den meisten Altanlagen noch:
" Wenn es so bleibt“, sagt er „Im letzten Monat hatten wir 11 Cent pro Kilowattstunde, dann könnte man die weiterbetreiben, ich könnte noch ein bisschen Geld verdienen, vielleicht fünf Jahre könnten die Windräder laufen. Aber die andere Seite ist, sie blockieren den Platz für neue, größere Windräder. Dort sollen in diesem Bereich neue, größere aufgebaut werden, die wahrscheinlich fünfmal so groß sind und viel mehr Strom produzieren könnten.“
Wie Wenger-Rosenau geht es derzeit vielen Betreibern von Windkraftanlagen. Für rund 6000 der bundesweit 30.000 Anlagen endete die EEG-Förderung. Weiterbetrieb, Abriss oder Repowering, also neue, größere Anlagen auf dem alten Standort - wie soll es weitergehen? Diese Frage beschäftigt zurzeit viele Windmüller.
Zwei Techniker der Sabowind GmbH warten eine Windkraftanlage vom Typ Enercon E92.
Allen guten Absichten zum Trotz würgte die Novelle des EEG den Windkraftausbau in Deutschland ab.© picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild / Jan Woitas
Die Branche hat schwere Jahre hinter sich. Der Ausbau der Anlagen brach ab 2018 ein. Mit der Novelle des EEG 2017 deckelte die damalige Bundesregierung den Windkraftausbau. Die Einspeisevergütung wurde ad acta gelegt und ein Ausschreibungsverfahren eingeführt. Die Bundesregierung legte Ausbaumengen fest, Windkraftprojektierer konnte sich bewerben. Das günstigste Angebot bekam den Zuschlag.
So sollten die Erzeugungskosten gesenkt und die Konkurrenz belebt werden. De facto aber wurde der Windkraftausbau abgewürgt. Lange Genehmigungsverfahren sowie Bürgerproteste vor Ort taten ihr Übriges. Wurden 2017 noch fast 1.800 Anlagen errichtet, kam der Zubau danach fast zum Erliegen: 2018 waren es 743 neue Windräder, 2019 nur noch 325.
"Das fällt uns natürlich jetzt auf die Füße, weil wir all das, was wir in den letzten zehn Jahren nicht gebaut haben, jetzt nochmal zusätzlich in den nächsten zehn Jahren nachholen müssen“, sagt Volker Quaschning. „Das ist aus meiner Sicht das größte Versäumnis, dass wir jetzt einfach mit der Brechstange die Energiewende machen müssen und auch nicht überall Rücksicht nehmen können, weil uns einfach die Zeit davonläuft."

Es ist einfach die Umsetzungsgeschwindigkeit, die für den Klimaschutz noch fehlt.

Volker Quaschning, Expere für Regenerative Energiesysteme

Quaschning ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin – und ein steter Prediger der Energiewende, mit eigenem Podcast und Youtubekanal.
"Wir haben die Technologien, wir haben sie ausgereift, und Probleme, mit denen wir vor 20, 30 Jahren gekämpft haben, sind lange gelöst. Es ist einfach die Umsetzungsgeschwindigkeit, die für den Klimaschutz noch fehlt. Aber man hat trotzdem Hoffnung und sagt: Wenn wir das, was wir alles schon geschafft haben, nochmal obendrauf legen, dann ist es überhaupt kein Problem, dass wir eine klimaneutrale Energieversorgung hinbekommen."

Die Zahl der Windräder muss verdoppelt werden

Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen, so sieht es der neue Koalitionsvertrag vor. Ob das reicht, um die international vereinbarten Klimaschutzziele einzuhalten, ist allerdings unklar. Klar aber ist: Ohne Windenergie geht es nicht. Um bis 2045 klimaneutral zu werden, muss massiv zugebaut werden, rechnet Quaschning vor. Auf See und an Land:
„An Land haben wir ein bisschen mehr ausgebaut, da sagen wir, das Potenzial liegt etwa beim Vierfachen der installierten Leistung. Das heißt nicht, dass wir vier Mal so viele Windräder brauchen, weil die modernen Windräder einfach größer sind und mehr Leistung hinkriegen. Das heißt, wir müssten die Zahl der Windräder nochmal verdoppeln und damit die Leistung ungefähr vervierfachen. Das ist die Größenordnung.“

Viele Arbeitsplätze in der Windkraft gingen verloren

Mitte November trifft sich in Potsdam die Branche zu den 29. Windenergie-Tagen. Über 2000 Anmeldungen, gut 25 parallele Informationsforen, der bevorstehende Regierungswechsel sorgt für gute Stimmung. Über 200 Aussteller werben für ihre Dienste: Anlagenbauer, Abrissunternehmen, Entwickler von Vogel-Antikollisionssystemen, Mediatoren, Anwälte, Banken, Energieunternehmen – die Branche verspürt frischen Wind.
"Es ist ein deutlicher Aufschwung zu spüren im Gegensatz zu den letzten zwei, drei Jahren. Die ganze Branche profitiert ja davon. Man sieht es auch – es sind ja Zahlen, Daten, Fakten, die jetzt auspurzeln", sagt der Vertriebler eines großen Anlagenherstellers.

Auch Sebastian Haase blickt optimistisch in die Zukunft. Haase leitet die Landes-Geschäftsstelle Berlin/Brandenburg des Bundesverbandes Windenergie, kurz BWE. Im Verband sind alle vertreten - vom einfachen Windmüller über Planer und Projektierer bis zu Betreiberfirmen und Anlagen-Herstellern. 

"Es war eine schwere Zeit“, sagt Haase. „Das haben wir z.B. auch daran gesehen, wieviel Arbeitsplätze in der Windbranche verloren gegangen sind. Da reden wir schnell mal über 50.000 bis 60.000 Arbeitsplätze, das ist ja kein Pappenstiel. Das war schon eine sehr, sehr schwierige Zeit, deswegen umso hoffnungsvoller schauen wir jetzt auf die nächsten Jahre."

Hoffen auf die Ampelkoalition

Die Klimaziele, der Regierungswechsel, die Ausbau-Pläne – all das stimmt Haase zuversichtlich. Auf der Bundesebene.
"Das gibt Hoffnung. Nichts destotrotz sind die Herausforderungen immens. Das hört man. Sobald man die Zeitung aufschlägt oder sich mit dem Thema beschäftigt, weiß man: Wir müssen da schneller werden, wir müssen da besser werden. Ich bin aber nicht bange, dass wir das hinbekommen."
Schneller und besser – das versprechen fast alle Aussteller hier, wenn sie ihre technischen Lösungen präsentieren. Windkraft ist heute Big Business – rund zehn Milliarden setzte die Branche 2019 um. Zwei Jahre vorher, 2017, waren es sogar 18 Milliarden. Björn Wenzlaff ist Geschäftsführer bei einem großen Projektentwickler. Die ambitionierten Ausbau-Ziele, die für die Energiewende nötig sind, schrecken ihn nicht:
"Wir können tatsächlich als Branche liefern, wir entwickeln unsere Projekte, wir planen Projekte, wir haben sehr leistungsfähige und sehr gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, innerhalb von einem, anderthalb Jahren können wir Projekte bauen und in Betrieb nehmen.“

Was wir dringend brauchen, ist eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren.

Björn Wenzlaff, Projektentwickler

Der Engpass seien nicht sie, sondern die Genehmigungsverfahren. Immissionsschutzrecht, Natur- und Artenschutzrecht, Bauordnungs- sowie Bauplanungsrecht, außerdem Flugverkehrsrecht und Landschafts- und Denkmalschutz – all das müsse, so Wenzlaff, beim Anlagenbau berücksichtigt werden.
"Was wir dringend brauchen, ist eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, um zügig Windenergieanlagen danach auch errichten und betreiben zu können. Es ist hierfür notwendig, die rund zehn Gigawatt, also 10.000 Megawatt, die aktuell im Genehmigungsverfahren sind, entsprechend schnell umzusetzen. Man muss den Behörden, die dies entscheiden –  das sind lokale Behörden und auch regionale Behörden –, entsprechend auch Hilfsmittel an die Hand geben, dass sie die Abwägungen zwischen den Belangen leichter und schneller umsetzen können."

Häufiges Hindernis: Artenschutz

Ein großes Genehmigungshemmnis sind die sog. „Drehfunkfeuer“, stationäre Navigationsanlagen für den Luftverkehr. Eine Umfrage der Fachagentur Windenergie aus dem Jahr 2019 zeigt, dass mehr als 1.000 Anlagen nicht realisiert werden, weil ein Einfluss auf die Anlagen befürchtet wird. Auch entlang der Hubschrauber-Tiefflugstrecken der Bundeswehr verhindern pauschale Schutzzonen den Ausbau. Am häufigsten aber kommt den Planern der Artenschutz in die Quere. Meist geht es dabei um Vogel- und Fledermausschutz:

"Es gibt schützenswerte Vögel, das ist völlig unbestritten“, sagt Wenzlaff. „In der konkreten Anwendung vor Ort treibt das dann manchmal Blüten, beispielsweise müssen wir Horste von schützenswerten Vögeln, wo kein Vogel drin ist, schützen. Wir müssen einen Abstand von nicht besetzten Horsten berücksichtigen in unserer Windpark-Planung, obwohl kein Vogel da drinsitzt, denn er könnte ja zurückkommen. Das ist ein ganz konkretes Beispiel, wo man sagt, gut, dafür könnte man vielleicht auch andere Lösungen finden."
Ein großer Schwarm Stare fliegt an einer Windkraftanlage vorbei.
Klimaschutz und Artenschutz stehen sich derzeit noch oft im Weg.© picture alliance / ZB / Patrick Pleul
Düsseldorf, Anfang November. Gut 100 Demonstranten ziehen vor die Landeszentrale des Naturschutzbundes Deutschland, kurz NABU. „Ohne Klimaschutz kein Artenschutz“ steht auf Protestplakaten. Der „Landesverbandes Erneuerbare Energie“ aus Nordrhein-Westfalen hat die Demonstration organisiert und das Video ins Netz gestellt. Der Verband wirft den Naturschützern vor, Windkraftprojekte zu blockieren:
"Wir haben einfach ein Spannungsverhältnis zwischen Klimaschutzanliegen und Naturschutzanliegen. Und unsere Position ist, das eben gemeinsam zu denken. Und auch gemeinsam auszuhandeln. Das ist natürlich nicht immer spannungsfrei, wenn es um konkrete Verfahren geht, dann prallen da teilweise auch unterschiedliche Interessen auch aufeinander", diagnostiziert Katharina Stucke vom NABU. Sie ist „Referentin für Energiewende und Naturschutz“ beim Bundesverband.

45 Klagen des NABU in zehn Jahren

Mit mehr als 800.000 Mitgliedern ist der NABU einer der größten Umweltverbände Deutschlands. Ursprünglich gegründet als „Bund für Vogelschutz“, kämpfen seine Mitglieder seit mehr als 120 Jahren für Flora und Fauna und damit oft gegen Pläne der Menschen. Als Blockierer und Bremser in Sachen Windkraft will sich der Verband dabei aber nicht sehen.
Rund 30.000 Windräder drehen sich heute in Deutschland, rechnet Katharina Stucke vor, gerade einmal 45 Klagen hat der NABU in den letzten zehn Jahren eingereicht. Betroffen waren davon etwas mehr als 240 Einzelanlagen:
"45 Verfahren in einem Zeitraum von zehn Jahren, das ist keine Behinderung der Energiewende. Die Energiewende hat Schwierigkeiten voranzukommen. Aber das liegt nicht am Naturschutz und den Klagerechten der Verbände."

Alle Beteiligten haben dazugelernt

Die meisten seiner Verfahren hat der NABU gewonnen. Mangelhafte Artenschutzgutachten, überhastete Planungen, überforderte Genehmigungsbehörden – wenn diese Faktoren aufeinandertreffen, ist bei einer Klage aus Windkraftprojekten ganz schnell die Luft raus. Seit 2002 darf der NABU das sogenannte Verbandsklagerecht nutzen, d.h. stellvertretend für Natur und Umwelt vor Gericht ziehen und dort Verwaltungsentscheidungen überprüfen lassen.
"Entscheidend ist das Bundesnaturschutzgesetz. Wir haben verschiedene Verbotstatbestände, also die entsprechenden windenergiesensiblen Arten dürfen nicht getötet, nicht erheblich gestört werden und ihre Fortpflanzungs- und Ruhestätten, also die Nester beispielsweise, dürfen nicht geschädigt werden."
In den letzten Jahren haben aber alle Beteiligten dazugelernt, sagt Stucke. Die Planungsunterlagen seien mit Blick auf Artenschutzbelange besser geworden.

Ein Kompromiss zwischen Klima- und Artenschutz

Mehr Planungs- und Rechtssicherheit – das fordern alle Beteiligten. Hinter den Kulissen wird schon länger nach Kompromissen gesucht. „Maßnahmenvorschläge zur Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie an Land“ heißt zum Beispiel ein Strategiepapier. Es trägt die Unterschriften von NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. Und der Grünen-Politiker Robert Habeck und Oliver Krischer. Habeck ist nun Wirtschafts- und Klimaschutzminister, Oliver Krischer sein Staatssekretär.
Acht Punkte listet das Papier auf, um Windkraftausbau und Naturschutz zusammenzubringen. In sogenannten Windvorranggebieten, so heißt es etwa in Punkt fünf, könnten „artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen“ erteilt werden, wenn dafür andere Gebiete komplett von der Nutzung ausgenommen werden. Sogenannte Dichtezentren.  

"Also die Bereiche, wo besonders viele windenergiesensible und geschützte Arten vorkommen, dass die neben den bereits gesetzlich geschützten Gebieten, auch ausgeschlossen werden für den Ausbau“, sagt Stucke. „Um es dann auf der Genehmigungsebene einfacher zu haben, weil wir dann von vornherein eine Konfliktreduktion haben.“

Die Position des NABU ist, dass wir den naturverträglichen Ausbau unterstützen und hier auch an Lösungen und Kompromissen interessiert sind. Es geht aber nicht gegen die Natur.

Katharina Stucke, NABU Deutschland

Weitere Vorschläge: Technische Möglichkeiten zur Kollisionsvermeidung mit Greifvögeln sollen besser genutzt werden. Um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und Fehler auf Gemeinde- und Kreisebene zu vermeiden, soll die Regionalplanung auf Bezirks- bzw. Landesebene angesiedelt werden. Alles Maßnahmen, deren Umsetzung einige Zeit brauchen wird. Vor Ort aber, glaubt Katharina Stucke, kann die Kooperation schon jetzt beginnen:
"Dass man sich frühzeitig auch mit den Naturschutzverantwortlichen vor Ort auch in Verbindung setzt, eben weil sie ihre Gebiete seit Jahr und Tag kennen, weil sie wissen, was dort vorkommt. Und was schützenswert ist und auf was geachtet werden muss - weil die Position des NABU ja auch ist, dass wir den naturverträglichen Ausbau unterstützen und hier auch an Lösungen und Kompromissen interessiert sind. Es geht aber nicht gegen die Natur."

Noch 39 Prozent des Stroms aus Kohle und Kernkraft

Im nächsten Jahr sollen hierzulande die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen. Acht Jahre später, so die Planung der neuen Koalition, soll, wenn möglich, der Kohleausstieg perfekt sein. Im ersten Halbjahr 2021 lieferten beide Energiequellen zusammen noch rund 39 Prozent des Stroms.
"Irgendwo muss der Strom halt herkommen. Man kann ihn nicht in die Steckdose beamen. Und da müssen wir einfach mal schauen, dass wir Windkraftanlagen auch in Süddeutschland aufstellen. Das ist sehr, sehr entscheidend“, sagt Volker Quaschnig, Experte für regenerative Energiesysteme. „Und wir müssen alle Flächen nutzen, sonst können wir die Potenziale nicht ausschöpfen, und dann wird es schwierig, dass Deutschland klimaneutral wird.“

Wo können zukünftig Windräder stehen? Das wird für die Energiewende zur Schlüsselfrage. Den Mindestabstand von Windkraftanlagen zu Gebäuden regelt bisher jedes Bundesland für sich. In Schleswig-Holstein müssen Anlagen 400 Meter zu Einzelgebäuden haben und zu Wohngebieten 800. In Bayern dagegen gilt die sogenannte „10H-Regel“. Also die zehnfache Höhe der Windkraftanlage. Moderne Anlagen für Binnenstandorte sind schon mal 200 Meter hoch. Das heißt: Der Mindestabstand beträgt dann 2 Kilometer.
"Aber so wie in Bayern, wo man Abstände so stark definiert, dass man praktisch keine Windkraftanlage mehr aufstellen kann – das wird nix dann mit der Energiewende und dem Klimaschutz.“
Eine Windkraftanlage steht in der Nähe eines Wohngebiets aus Einfamilienhäusern.
Wie nah darf eine Windkraftanlage einem Wohngebiet kommen? Dazu gibt es in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Regelungen.© imago images / Jochen Tack
Die neue Bundesregierung, so ist zu hören, will sich um eine Vereinheitlichung der Abstandsregelungen bemühen. Ein Vorschlag ist 3H, die dreifache Anlagenhöhe. So soll der Windkraftausbau auch im Süden der Republik vorangetrieben werden. Dort herrscht bislang eher Flaute. Eine Berechnung der Erneuerbare-Energien-Agentur aus dem Jahr 2019 zeigt: Während Schleswig-Holstein seine mögliche Windenergieleistung zu fast 75 Prozent ausgeschöpft hat und Brandenburg zu fast 55 Prozent, sind es in Bayern und Baden-Württemberg unter zehn Prozent.
Mehr Windräder und mehr Fläche – nur so lässt sich die Energiewende erreichen, sagt Volker Quaschning. Derzeit sind bundesweit 0,8 Prozent der Landesfläche planerisch für die Nutzung von Windenergie ausgewiesen.
"Wir wissen, dass wir ungefähr zwei Prozent der Landesfläche brauchen. Und wir wissen natürlich auch, dass Naturschutzgebiete oder irgendwelche Landschaftsschutzgebiete, wo es wirklich einen besonderen Einfluss hätte, wenn wir da Windkraftanlagen hätten, wo wir auch größere Städte in der Nähe haben, da geht das einfach auch nicht.

Die Bürger über Standorte mitentscheiden lassen

Das heißt, es gibt auch einen gewissen Spielraum, die Windkraftanlagen aufzubauen. Ich denke, man sollte den Menschen vor Ort sagen: Ihr dürft nicht entscheiden, ob Windräder hinkommen oder nicht, sondern weist bei euch zwei Prozent der Landesfläche aus und dann könnt ihr diskutieren wo, aber nicht, ob sie gebaut werden."
Wo welche Flächen unter welchen Bedingungen zur Verfügung stehen könnten, darüber hat Barbara Saerbeck den Überblick. Sie sitzt in Berlin vor ihrem Laptop und ruft den sogenannten PV- und Windflächenrechner auf. Ein Beamer projiziert das Bild an die Wand des Besprechungsraums. Durch das gekippte Fenster dringt Straßenmusik. Saerbeck ist Projektleiterin „Grundsatzfragen“ der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende.
"Wir haben uns in unserer Studie, den Fotovoltaik- und Windflächen-Rechnern, z.B. den Abstand zu Siedlungen angeschaut, aber auch die Nutzung von Wäldern – natürlich nicht geschützten Wäldern, sondern von forstwirtschaftlich genutzten Wäldern. Aber auch Landschaftsschutzgebiete, und dort haben wir gesehen, wenn man da ein bisschen spielt und eine Varianz zulässt, dass dort auch gut Kompromisse möglich sind."

Blaue Flächen für Windkraft, gelbe für Fotovoltaik

Auf der Wand eine Landkarte Deutschlands, die 16 Bundesländer. Blau sind sogenannte Windpotenzialflächen, gelb die für Fotovoltaik. Links von der Karte drei Regler, stufenlos verschiebbar. Einer für den Abstand zu den Siedlungen, ein zweiter und dritter für die anteilige Nutzung von Wald bzw. Landschaftsschutzgebieten.
"Und wir sagen jetzt: Moment, da könnten wir doch mal mit rumspielen. Dass wir einfach mal sagen, wir spielen mit dem Abstand zu Siedlungen. Um es jetzt einfach mal darzustellen: Du verringerst den Abstand auf 400 Meter. Das wollen wir natürlich nicht pauschal, aber einfach mal, um das zu visualisieren. Und schon merkt man: Es ist deutlich mehr Potenzial vorhanden.“
Saerbeck verschiebt einen Regler: Auf der Karte poppen jetzt überall blaue Einsprengsel auf. Hier ließen sich – theoretisch – Windenergieanlagen bauen. Doch 400 Meter Mindestabstand – das ist zu wenig. Saerbeck verschiebt die Regler für Wald- und Landschaftsschutzgebiete ein wenig:
"Wenn man das hier moderat bewegt, also wirklich nur auf fünf Prozent beispielsweise Waldflächen und zwei Prozent Landschaftsschutzgebiete, dann kommt man da schon eher dran. Und beispielsweise den Abstand auf 800 Meter erhöht…"

Mehr Transparenz bei der Standortentscheidung

Ausloten, was machbar ist – dabei soll der PV- und Windflächenrechner helfen. Und er soll für Transparenz bei der Bevölkerung sorgen:
"Dass sie informiert in die Debatten gehen und mit diesen Tool auch nachvollziehen können, was für Entscheidungen die Entscheider und die zuständigen Akteure zu treffen haben und dass es für die auch nicht immer leicht ist. Um da am Bildschirm mitverfolgen zu können, welche Entscheidungen getroffen werden müssen. Aber auch, um den Kompromiss-Findungsprozess auch aktiv mitgestalten zu können."
So könnte sich auch die Akzeptanz für den Ausbau der Windkraft in Deutschland erhöhen. Denn für die Beteiligten mache es einen großen Unterschied, so Saerbeck, ob man sage: "So, das sind mögliche Flächen, schauen wir mal gemeinsam, welche sind möglich. Oder ob man am Ende sage: Hier sind übrigens die Flächen, die wir nehmen – und Pech gehabt…"

Windkraftanlagen als Recyclingfall

Während ein Großteil der Windbranche sich mit den Ausbauperspektiven beschäftigt, kümmert sich Frank Kroll in Bremen um den Abbau. In schweren Stiefeln stapft er durch fein geschredderte Glasfaserteilchen. Reste von Rotorblättern. Meterhoch liegen sie konfettigleich in einer großen Halle.
"Es ist der einzige in Deutschland, nach unserer Kenntnis vielleicht sogar in Europa, der einzige Ort stofflicher Verwertung, in dem wir das Siliziumoxid, also das Silikat aufbereiten für den Einsatz im Zementwerk als Substitut für Rohsand", erklärt Kroll, Geschäftsführer des Unternehmens Neocomp. Es ist die Endstation für die meisten ausgedienten GFK-Rotorblätter der Republik. GFK steht für „glasfaserverstärkter Kunststoff“. Die geschredderten Fasern werden mit Abfallstoffen aus der Papierherstellung vermengt.
"Das ist genau das, was wir hier ins Zementwerk bringen. Wenn sie hier reingehen, dann sehen sie überall diese langen Fasern, das sind die GFK-Teile, die dort eben den Sand ersetzen."

Früher wurden die Flügel verbrannt

Das Gemisch wird dann in einem Zementwerk verbrannt. Durch den Brennwert wird Kohle gespart, das zurückbleibende Silikat ersetzt Sand.
"Die Entsorgungswege sind vorgegeben, manchmal auch ein bisschen über Bande, wollen wir es mal so formulieren. In der Vergangenheit war es nicht unüblich, die Glasfaserverbunde auch in die Verbrennung zu schicken."
Die ersten demontierten Flügel landeten in der Müllverbrennung. Dort verstopften Partikel die Filter und verklebten den Brennraum. Heute nehmen Verbrennungsanlagen das Material nicht mehr an und bereits seit 2005 ist die Deponierung verboten.
Über Jahre hatte die Windkraftbranche Millionen in die Entwicklung der GFK-Flügel investiert, sich aber über deren Entsorgung kaum Gedanken gemacht. 2019 dann schlug das Umweltbundesamt Alarm. Es warnte vor Engpässen bei der Entsorgung und vor Risiken für Umwelt und Mensch. Zudem, so die Befürchtung, könnten die Rückstellungen der Betreiber für den Anlagenrückbau nicht ausreichen.

Standards für die Demontage entwickeln

Nach Ende ihrer Betriebszeit, also nach etwa 20 bis 25 Jahren, muss der Standort wieder in seinen natürlichen Zustand zurückversetzt, Betonsockel und Windkraftanlage müssen entsorgt werden. Dafür müssen die Betreiber schon bei der Genehmigungen Rückstellungen bilden.
"Die UBA-Studie sah ja vor, dass wir jedes Jahre 5000 Anlagen zurückbauen wollen“, so Kroll. „Und dann muss man doch mal etwas genauer hingucken. Und dann stellen wir fest, dass durchaus Anlagen weiterbetrieben werden können, weil es sinnhaft ist, betriebswirtschaftlich. Und weil es auch keinen Zwang gibt, die zurückzubauen. d.h. es gibt deutlich weniger."
Ein kleine E-40 Windturbine liegt auf einer Grasfläche. Im Hintergrund stehen Windräder.
Kleine Anlagen abbauen, um Flächen für größere, leistungsfähige Windräder zu bekommen.© imago images / Joerg Boethling
Glück für die Branche, denn sonst wären die Entsorgungspfade schon jetzt verstopft. Vor zwei Jahren gründete Kroll zusammen mit anderen Entsorgungsbetrieben den Verband RDR-Wind. RDR steht für Repowering, Demontage, Recycling. Erstmal sollen hier verbindliche Standards für die Demontage von Windkraftanlagen entwickelt werden. Für das nächste Jahr kalkulieren Kroll und Kollegen mit dem Rückbau von 700 bis 1000 Anlagen. Die sind in Bremen noch zu schaffen, dann wird es langsam eng.
"Wir werden darüber nachdenken müssen, ob wir noch ein ähnliches Werk im Süden bauen. Wir haben Lieferanten nach Bremen aus der Oberpfalz, aus dem Nordosten Bayerns, die verbringen Dinge über 600 km. CO2 und klimafreundlich sieht anders aus."

Hexafluorsulfid - Klimakiller in der Anlage

Die Klimafrage sollte die Anlagenbauern noch aus einem anderen Grund beschäftigen, mahnt Axel Friedrich. Der ehemalige Abteilungsleiter vom Umweltbundesamt arbeitet seit seiner Pensionierung als Berater und sorgt regelmäßig für Schlagzeilen. Etwa als er zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe den Dieselskandal ins Rollen brachte.
Auch die Windkraftbranche hat er im Blick: Denn sie nutzt ein Gas, das zu den stärksten Klimakillern zählt. Es wird vor allem zur Isolation in Umspannanlagen eingesetzt, wo die niedrige Spannung der Windkraftanlagen für die Übertragung hochtransformiert wird.
"Bisher wird in fast allen diesen Anlagen ein Stoff zur Isolation eingesetzt: SF 6 Hexafluorsulfid. Ein Gramm SF 6 hat die gleiche Wirkung wie 25 Tonnen CO2. Das heißt, wenn hier was rauskommt, hat es eine extrem hohe Klimawirkung. Und der Stoff hat mindestens 1000 Jahre Halbwertzeit, das heißt, ich brauche 10.000 Jahre und mehr, bis der Stoff wieder aus der Atmosphäre verschwindet. Das heißt, wir generieren hier Klimawirkungen nicht nur für uns, sondern für die überüberüberüberübernächste Generation. Das ist für mich unakzeptabel. Vor allem, es gibt Alternativen."

Wir haben im Bereich Mittelspannung allein 20.000 Anlagen weltweit laufen, wieviel Erfahrung wollt ihr noch haben? Wir haben im Bereich der Hochspannung über 1000 Stück laufen. Was wollt ihr eigentlich noch? Es ist wirklich erprobt, es ist sicher.

Axel Friedrich, Umweltexperte

Im Schnitt 26 Kilogramm finden sich in jeder Anlage, hat Friedrich ausgerechnet. Dabei funktioniert die Isolierung auch ohne SF6, etwa durch ein Vakuum- oder ein Trockenluft-Verfahren.
Das finde ich schon verrückt, dass in Spanien mehr Luftanlagen laufen als in Deutschland, irgendwas kann hier nicht stimmen. Die Betreiber sagen, wir brauchen noch Erfahrung und was alles. Da sage ich: Wir haben im Bereich Mittelspannung allein 20.000 Anlagen weltweit laufen, wieviel Erfahrung wollt ihr noch haben? Wir haben im Bereich der Hochspannung über 1000 Stück laufen. Was wollt ihr eigentlich noch? Es ist wirklich erprobt, es ist sicher."
Umweltfreundliche Lösungen in der Gegenwart statt Problemverschiebung in die Zukunft. Das sollte die Branche eigentlich nach 30 Jahren Windkraftbetrieb gelernt haben, sagt Axel Friedrich.
"Es ist so, dass die Branche, obwohl sie ja erneuerbare Energien verkauft, noch nicht verstanden hat, was ihre Aufgaben ist. Nicht nur Wind zu verkaufen, sondern auch Nachhaltigkeit. Das habe ich versucht, ihnen zu erklären. Und das fanden nicht alle lustig."

"Es geht in die richtige Richtung"

In Neuruppin stellt Christian Wenger-Rosenau die Miniatur-Windräder wieder zurück auf den Wandschrank. Auch wenn er sein Unternehmen verkauft hat, von der Windkraft kann er nicht lassen. Er unterstützt weiter seine alte Firma, fährt in Gemeinden, wirbt um Akzeptanz vor Ort für neue Anlagen und Repowering.
„Letzte Woche habe ich aus einer Gemeinde gehört, die damals dagegen war, dass da jetzt ein Beschluss war, sie wollen Windenergie. Und mehr als geplant, sie stehen voll dahinter. Und das ist ein positives Zeichen, es geht in die richtige Richtung.“

Ich merke die ersten Anzeichen, dass die Bevölkerung mehr Windkraft will und dass das Image besser wird.

Christian Wenger-Rosenau, Ex-Windkraftunternehmer

In den ersten neun Monaten dieses Jahres gingen in Deutschland 345 Windturbinen mit 1372 Megawatt Leistung in Betrieb – ein Plus von über 50 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2020. Langsam bekommen die regenerativen Energien wieder mehr Rückenwind, glaubt Wenger-Rosenau. Ausreichend Flächen, effizientere, umweltfreundlichere Windkraftanlagen, überschaubare Genehmigungsfristen. Besserer Vogelschutz, mehr Bürgerbeteiligung. Dieses Gesamtpaket könnte dem dringend nötigen Windkraftausbau richtig Schwung verleihen.
"Ich merke die ersten Anzeichen, dass die Bevölkerung mehr Windenergie will. Dass das Image besser wird, dass man sieht, wir brauchen das, woher soll die Energie kommen. Elektroenergie ist besonders wertvoll. Ich brauche es für Elektroautos zum Fahren. Ich brauche es später mal für die Wasserstoffherstellung und natürlich jetzt, um die Energiewende schnell voranzutreiben. Und dass man sieht, die Notwendigkeit ist da. Auch wenn die Dinger für manche vielleicht hässlich sind. Aber dass sie einsehen, sie können das dulden." 

Mitwirkende
Es sprachen: Maria Lang und Miko Böttcher
Ton: Martin Eichberg
Regie: Beatrix Ackers
Redaktion: Martin Hartwig

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