Windkraft in Baden-Württemberg

Nur ein laues Lüftchen

07:52 Minuten
Eine Windkraftanlage. Ein Bauarbeiter steht auf einer Treppe zur Anlage, daneben Windräder auf einem Feld.
Besonders Tätigkeiten im Bereich der erneuerbaren Energien gehören schon jetzt zu den stärker nachgefragten. © imago / Westend61 / Uwe Umstätter
Von Katharina Thoms · 22.06.2022
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In Baden-Württemberg haben sich die regierenden Grünen schon vor Jahren vorgenommen: Zehn Prozent des Stroms aus Windkraft! Der kurze Aufschwung ist längst verebbt. Stattdessen erleben Windkraftbauer absurd langwierige Genehmigungsverfahren.
Knapp 800 Windräder drehen sich in Baden-Württemberg. Angesichts der Größe des Landes ist das zu wenig, sagt Umweltministerin Thekla Walker.
Die Grüne ist erst seit einem Jahr im Amt. Aber ihr Vorgänger, ebenfalls von den Grünen, war zehn Jahre im Amt. Trotzdem sei der Windkraftausbau kein Selbstläufer gewesen, sagt die Ministerin.

Der Aufschwung hielt nicht lange an

„Baden-Württemberg war ja bekanntermaßen viele Jahre davor ein Land, wo man Windkraft nicht wollte, auch politisch nicht wollte. Und meinem Vorgänger Franz Untersteller ist es durchaus gelungen, diesen Durchbruch zu schaffen. Allerdings hat es ein paar Jahre gedauert.“
Bis zu 200 Windräder in zwei Jahren wurden dann gebaut. Aber der Aufschwung hielt nicht lange an. Viele Genehmigungsverfahren versandeten.

Das Land schiebt es auf den Bund

Der Einbruch kam 2017: Aus Sicht Baden-Württembergs lag das am Bund. Und an den geänderten Rahmenbedingungen. Strom musste jetzt unter Wettbewerbsbedingungen angeboten werden - möglichst günstig.
Nur dann gab es staatliche Förderung. Im bergigen Baden-Württemberg sei es aber teurer, Windanlagen zu bauen, die Erschließungskosten lägen höher. Das habe Anlagenbauer abgeschreckt.

Andere Windsituation als an der Küste

Andreas Wagner sieht das anders und hält diese Gründe für „vorgeschoben“. Wagner arbeitet für den Windkraftbauer Sowitec. Die Firma hat ihren Sitz auf der Schwäbischen Alb, baut Windräder in Südamerika, Asien und versucht es auch vor der eigenen Haustür:
"Wir haben natürlich eine geringere Wind-Situation hier in Baden-Württemberg im Durchschnitt als an der Küste. Es gibt aber durchaus ausreichend Standorte mit hohen Windgeschwindigkeiten auch hier. Es gibt also keinerlei Grund, warum ein Projekt in Baden-Württemberg nicht wettbewerbsfähig sein sollte.“
Seit gut zehn Jahren will Wagner hier im Wald in Sonnenbühl auf der Alb fünf Windräder bauen. „Das sind 200 Meter große Anlagen, die in etwa genügend Strom produzieren im Schnitt für 10.000 Haushalte“, erläutert er.

Windräder reduzieren angeblich Denkmalwert

In der ersten Planungsphase lief alles glatt, der Gemeinderat stimmte zu. Aber nach drei Jahren habe die Behörde geäußert, dass der Windpark mit dem Schloss Lichtenstein „nicht kompatibel ist“.
Das Romantik-Schloss Lichtenstein auf der Schwäbischen Alb. Ein Schloss mit Turm und Zinnen auf einem Felsen. Im Hintergrund sind die dicht bewachsenen Hügel der Schwäbischen Alb zu sehen.
Die Behörden fürchteten, dass Windräder der Firma Sowitec das schöne Panorama von Schloss Lichtenstein auf der Schwäbischen Alb zerstören könnten. Und wollten den Bau verbieten. Die Firma klagte dagegen.© picture alliance / Jochen Schlenker / robertharding
Wagner zeigt auf ausgedruckte Fotomontagen in einem seiner vielen dicken Ordner: Im großen Panorama sind die Windräder in einiger Entfernung neben dem Romantik-Schloss aus dem 19. Jahrhundert zu sehen.
„Das Landratsamt beziehungsweise auch das Regierungspräsidium war einfach der Meinung, dass der Denkmalwert des Schlosses Lichtenstein durch diese Windkraftanlagen reduziert würde oder gefährdet würde.“

Nach dem Denkmalschutz kam der Artenschutz

Die Firma klagte sich durch alle Instanzen und bekam Recht. Nach knapp vier Jahren forderte das zuständige Landratsamt in Reutlingen plötzlich ein neues Naturschutzgutachten. Das alte sei nach so langer Zeit überholt gewesen, heißt es auf Anfrage.

Windkraft und der Umstieg auf erneuerbare Energien ist angesichts der Energiekrise derzeit ein Topthema. Lesen und hören Sie dazu weitere Beiträge in unserem Dossier "Windkraft in Deutschland".

Jetzt gab es Konflikte mit dem Artenschutz: „Im Kern ist das Problem der Rotmilan. Hier gab es unterschiedliche Ansichten vom Landratsamt und uns, wo Rotmilane nisten, wie viele Rotmilane nisten und welche Aktivitäten sie zeigen“, fasst Wagner zusammen.
Der Kopf eines Rotmilan im Regen.
Der Rotmilan soll vor rotierenden Windrädern geschützt werden. © imago / blickwinkel
Ein Argument gegen die Windräder: Weil der Rotmilan in den Rotoren der Windräder verenden kann. In Sonnenbühl geht es zwischen Behörde, Bürgerinitiative und der Firma um die Frage, ob inzwischen schon zu viel Rotmilane in der Nähe der Windräder nisten.

Gefährdung von Rotmilanen

 Was „zu viel“ ist – das so genannte Dichtezentrum - das legen die Bundesländer selbst fest. Bis vor kurzem durften es in Baden-Württemberg nicht mehr als drei Paare sein. Die Population erholt sich aber. Das Land definiert das Dichtezentren neu: Brüten heute sieben Rotmilan-Paare im Umkreis von drei Kilometern, darf kein Windrad gebaut werden.
Das ist für den Projektierer Wagner nur ein Beispiel dafür, dass man schon früher an Stellschrauben hätte drehen können.

Das muss jeder mal kritisch hinterfragen: Ob er wirklich alles dafür getan hat, dass wir hier vorankommen. Es ist die Raumplanung, die nicht funktioniert. Es gibt keine Flächennutzungspläne, die hier Windkraftstandorte ausweist. Es gibt bürokratische Hürden, die nicht sein müssen, die auch im Bereich der Landesregierung liegen.

Andreas Wagner, Mitarbeiter eines Windkraftanlagen-Herstellers

Immerhin will die Regierung die jetzt abbauen, wie  Baden-Württembergs Umweltministerin Walker erklärt:

Wir haben bei den Regierungspräsidien schnelle so genannte Eingreiftruppen installiert, die wirklich den Landratsämtern und den Genehmigungsbehörden helfen, Sie unterstützen, wenn es Probleme gibt. Wir wollen den gesamten Prozess durchdigitalisieren, damit man wegkommt von diesen Aktenbergen, die da abgegeben werden müssen. Wir haben das Widerspruchsverfahren abgeschafft in Baden-Württemberg.

Thekla Walker, Grünen-Politikerin und Umweltministerin in Baden-Württemberg

Was nicht bedeutet, dass niemand mehr gegen Windkraftprojekte vorgehen darf. Statt im Landratsamt eine förmliche Eingabe zu machen, sollen Kritiker gleich klagen. Denn in fast allen Streitfällen sei es ohnehin auf ein Gerichtsverfahren rausgelaufen. Das spare Zeit im Genehmigungsverfahren.

Genehmigungsverfahren zeitlich halbieren

Im Schnitt dauert es in Baden-Württemberg sieben Jahre von der Idee bis zum sich drehenden Windrad. Dieser Zeitraum soll halbiert werden
Auch sonst sind die Regierungsziele ehrgeizig: Auf zwei Prozent der Fläche sollen erneuerbare Energien erzeugt werden. Aktuell sind es 0,2 Prozent. 1.000 Windräder allein im staatseigenen Wald stehen im aktuellen Koalitionsvertrag. Lange wurde der Eindruck erweckt, das sei in fünf Jahren Regierungszeit, bis 2026, zu schaffen.
Ministerpräsident Kretschmann von den Grünen hat das kürzlich kassiert. Er sagte: „Weil, das ist ja realistischerweise überhaupt nicht zu schaffen. Jedes Jahr, wo ich nicht baue, muss ich ja im nächsten Jahr mehr bauen. Aber irgendwie sollten wir schon mal dahin kommen, dass wir hundert pro Jahr dann aufstellen.“

Grundlagen für 1.000 Windräder

Jetzt will man die Grundlagen schaffen für 1.000 Windräder. Die ersten Flächen dafür hat das Land jetzt ausgewiesen. Aber alle erhoffen sich mehr Geschwindigkeit auch durch die neuen Bundesregeln: Erneuerbare Energien sollen im besonderen öffentlichen Interesse stehen.
Andreas Wagner von Sowitec sagt: „Das hilft natürlich in dieser Abwägung zwischen Naturschutz, Umweltschut und militärischen Belangen.“ Er freut sich, „dass jetzt die erneuerbaren Energien den Stellenwert bekommen, den sie brauchen, um auch genehmigt zu werden.“
Im Naturschutz will der Bund weniger Vogelarten als besonders windkraftsensibel einstufen. Als Ausgleich geht Geld in einen Artenschutzfonds.

Warnvorrichtung für Rotmilane

Naturschutzverbände kritisieren die verkürzte Schutzliste allerdings. Auch Landschaftsschutzgebiete sollen nicht mehr grundsätzlich tabu sein für Windräder. Und: In Zukunft könnten technische Lösungen in einigen Fällen die Artenschutzprobleme lösen. Darauf will auch Wagner mit seinem Unternehmen setzen.
„Um jetzt diese leidige Diskussion zu beenden, haben wir uns entschlossen, ein kamerabasiertes Abschaltsystem vorzuschlagen. Das sind Kameras, die am Windkraftmast installiert werden und dann automatisch den Rotmilan erfassen. Und sobald der Rotmilan sich nähert, wird die Anlage abgeschaltet.“

Und wieder vor Gericht

Ob das noch dieses Jahr in Angriff genommen werden kann, muss wieder ein Gericht klären. Weil aus Sicht des Landratsamts Unterlagen fehlten, hatte sich die Genehmigung der fünf Windräder weiter verzögert.
Wagners Firma fand, die Behörde sei untätig, und zog wieder vor Gericht. Jetzt, rund zehn Jahre nach den ersten Plänen, ist man kurz vor einer Einigung.
(mkn)

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