Windkraft in Baden-Württemberg

Das Dilemma der Grünen beim Klimaschutz

08:05 Minuten
Ein Mäusebussard fliegt neben den Rotorblättern eines Windrads vor blauem Himmel.
Es könnten nicht immer, wenn ein Vogel auftauche, Windkraftprojekte neu geplant werden, so Umweltminister Untersteller. © picture alliance / dpa / blickwinkel / AGAMI /M. Guy
Von Uschi Goetz · 12.11.2019
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Beim Atomausstieg hat die Windenergie eine entscheidende Rolle. Doch selbst Baden-Württemberg verfehlt unter einem grünen Ministerpräsidenten sein Ziel beim Bau von Windrädern. Das liegt auch daran, dass hier zwei Grüne miteinander konkurrieren.
"Ich meine, man muss doch jetzt schauen, dass man die Windkraft befördert und nicht noch erschwert."
Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann regt sich auf: Das Thema Windenergie erhitzt die Gemüter in Baden-Württemberg – erst recht das des grünen Umweltministers Franz Untersteller. Der fordert eine Südquote: mehr Geld für den Bau von Windkraftanlagen im bergigen Süden. Denn aufgrund des höheren Aufwands seien die Erschließungskosten für gute Standorte höher. "Ich muss den Berg rauf, während die Kollegen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen gar keinen Berg haben", sagt Untersteller. "Unsere Türme sind halt 20, 30 Meter höher als in Norddeutschland."
Die hohen Kosten sind einer von mehreren Gründen, weshalb in Baden-Württemberg in diesem Jahr bislang nur zwei Anlagen in Betrieb gingen.

Verheerende Bilanz beim Ausbau der Windkraft

Noch 2012 hatte man gemeinsam mit der damals mitregierenden SPD das Ziel ausgegeben, 1.200 Windanlagen zu bauen, um bis 2020 mindestens zehn Prozent des Energiebedarfs aus heimischer Windenergie zu erzeugen. Die Grünen verfehlen ihr selbstgestecktes Ziel komplett. Bislang stehen gerade einmal 725 Anlagen im Südwesten.
"Aktuell läuft es verheerend in Baden-Württemberg", konstatiert Sebastian Grosch. Er ist Leiter des Bereichs Projektentwicklung national beim Windparkprojektierer wpd und Mitglied im Bundesverband Windenergie. "Wir haben da auch unsere Erfahrungen gemacht, sind parallel zur grünen Landesregierung damals gestartet hier, haben ein Team aufgebaut, haben unsere Aktivitäten hochgefahren."
Kaum waren die Grünen 2011 in Regierungsverantwortung, kam Schwung in den Ausbau regenerativer Energien. "Das ging ja einher mit Fukushima und der Euphorie im Land und auch die Aufträge, die die Regionalplanung und die Gemeinden dann hatten", so Grosch. Eigentlich haben die Grünen aus seiner Sicht "die Dinge in die richtige Richtung geschoben" – das Landesplanungsgesetz angepasst beispielsweise. "Aber nach unserem Eindruck ist es dann unterwegs, wie soll man sagen, verloren gegangen oder schwierig geworden."
Von zehn Windkraftprojekten wurden am Ende acht nicht gebaut, erinnert sich Grosch. Bis heute stehe der Naturschutz vor dem Klimaschutz, wenn es um die Windkraft ginge, glaubt er.

Naturschutz gegen Windkraft

Ein Dilemma für die Grünen. Denn auch grüne Naturschützer demonstrieren gegen Windkraftanlagen. Als Argument wird dabei häufig der Schutz einer bestimmten Vogelart angeführt, des Rotmilans. Kommen im Radius von 3,3 Kilometer um eine geplante Windenergieanlage mindestens vier Revierpaare vor, spricht man von einem Dichtezentrum. Windräder in einem Dichtezentrum sind zwar nicht unmöglich – aber ihr Bau dort kompliziert. Das habe in vielen Gemeinden dazu geführt, dass Dichtezentren nicht weiter verfolgt wurden, obwohl das von der Regierung nicht so gedacht gewesen sei, erklärt Grosch. "War aber auch nicht gut kommuniziert."
Die mittlerweile grün-schwarze Landesregierung sah in den vergangenen Jahren Vermittlungsbedarf. Bis heute bietet die Landesregierung Kommunen an, sich bei strittigen Energiethemen, wie dem Bau von Windkraftanlagen, eine kostenlose Begleitung von Fachleuten zu holen. Eberstadt bei Heilbronn hat sich für ein solches Angebot entschieden.
Auf einem Berg könnten dort zwei Windräder gebaut werden. Doch es regt sich Widerstand. Fachleute vermittelten im Rahmen eines sogenannten Energiedialogs viele Monate zwischen Gegnern und Befürwortern.
"Ich will – und da spreche ich ganz für mich persönlich – auch meinen Kindern sagen: Du hast alles dafür getan, dass wir wegkommen von Kohle und Atom", erlärt Eberstadts Bürgermeister Stephan Franczak bei einer von mehreren Bürgerversammlungen. Es folgen Fachvorträge und eine Exkursion zu einer Windkraftanlage in der Nachbargemeinde. "Die Windgeräusche, die Lautstärke und vor allem der Infraschall interessiert mich." Viel Aufwand wurde betrieben, um die Menschen vor Ort zu informieren. Ein Schallschutzexperte etwa hat Messungen vorgenommen: "Das sind jetzt ungefähr 55 Dezibel, das ist genau der Immissionsrichtwert."

Immer wieder der Rotmilan

Infraschall, der mögliche Wertverlust des eigenen Hauses in Nähe eines Windrads, es gibt viele Vorbehalte gegen die Windkraft. Und immer wieder geht es um den Rotmilan: "Der Milan ist der einzige Vogel, der beim Fliegen nach unten guckt" – und dadurch laufe er Gefahr, blindlings in die Rotorenblätter zu fliegen, fürchtet ein älterer Herr. Er diskutiert bei einer Veranstaltung mit einer Naturschützerin vom Nabu.
Rotmilan im Flug über einem Wald
Auch Naturschützer demonstrieren in Baden-Württemberg gegen Windkraftanlagen - Grund ist häufig der Schutz des Rotmilans.© imago images / blickwinkel
Es könne nicht sein, dass immer dann, wenn ein Vogel auftauche, ganze Windkraftprojekte neu geplant werden müssten, sagt indes Umweltminister Untersteller, und deutet Änderungen der Regelung auf Landesebene an.
Doch nicht nur der Greifvogel verhindert den Ausbau, auch die Novellierung des EEG, das Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien, führe noch bis 2020 zu Ausfällen. Dahinter verbirgt sich eine Fehleinschätzung, die mühsam korrigiert werden musste. Auch um die Akzeptanz von Windkraftanlagen vor Ort zu erhöhen, können Bürgerprojekte und Genossenschaften eigene Anlagen bauen. Das Prinzip: Als Mit-Bauherren bezahlen die Genossenschaften einen bestimmten Betrag. Wenn das Windrad Strom erzeugt, bekommen sie auch wieder Geld zurück.
Genossenschaften mussten aber zunächst keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für ihre geplanten Windkraftanlagen vorlegen. So sollte ihre Beteiligung unterstützt werden. Auch bei der Umsetzung hatten Genossenschaften mehr Spielraum: Nach einem Zuschlag hatten sie fünf Jahre Zeit zum Bau einer Anlage, Energieversorger etwa mussten innerhalb von zwei Jahren ihr Projekt umsetzen. Doch schnell gab es viele schwarze Schafe, berichtet Umweltminister Untersteller: "Weil im Grunde genommen auch Projektierer hingegangen sind, haben an drei Haustüren geklingelt und haben Unterschriften eingesammelt – und mit fünf Unterschriften war man plötzlich ein Bürgerwindkraftprojekt, um es mal überspitzt zu sagen."

Hoffen auf den Sonderbonus Süd

Das Verfahren wurde mittlerweile geändert, doch dadurch sei eine Lücke entstanden, so Untersteller. Nun hofft man in Baden-Württemberg auf einen Sonderbonus Süd, um den Ausbau der Windenergie wieder anzukurbeln. Aktuell geht es zumindest den Grünen in der Landesregierung darum, die vom Bund geplante Abstandsregelung zu verhindern.
Im Rahmen des Klimapakets sieht die Bundesregierung künftig für Windkraftanlagen einen Mindestabstand von 1.000 Metern von Wohnsiedlungen vor. Käme es zu dieser Regelung, fiele allein in Baden-Württemberg fast jeder zweite mögliche Standort für eine Windkraftanlage weg. Landesumweltminister Untersteller verweist auf die Lösung, die es bereits im Südwesten bei der Abstandsfrage gibt. Die fordere 700 Meter Abstand. " Damit sind alle emissionsschutzrechtlichen Anforderungen eingehalten: Lärmschutz, Infraschall, Schattenwurf und all diese Dinge." Wenn sie es planungsrechtlich begründen können, könnten die Planungsträger auch nach oben hin abweichen. Die Folgen einer verbindlichen 1.000-Meter-Abstandsregel aus Unterstellers Sicht: "Das wird bedeuten, dass eine ganze Reihe von Standorten in Deutschland, um es mal plastisch zu sagen, über die Wupper gehen."
Auch mit Blick auf das Thema Windenergie deutete Ministerpräsident Kretschmann jüngst an, man werde dem Klimapaket im Bundesrat Ende des Monats so nicht zustimmen.
(abr)
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