Windkraft in Bayern

Die 10-H-Regel ist heftig umstritten

08:10 Minuten
Eine Windkraftanlagen steht auf einer Lichtung im Wald nahe dem Creußener Ortsteil Neuhof. Rechts im Vordergrund sind Baumstämme zum Abtransport gestapelt.
Windkraftanlage nahe dem Creußener Ortsteil Neuhof. In Bayern müssen neue Windräder mindestens zehnmal so weit von bewohnten Häusern entfernt stehen, wie die Windräder hoch sind. © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Von Tobias Krone |
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Wenn Robert Habeck Bayern besucht, kommt er in ein Land, das beim Thema Windenergie eine 180-Grad-Wende hinter sich hat: Erst kämpfte die CSU dafür, massiv Windräder bauen zu dürfen, dann folgte das 10-H-Gesetz. Über die Folgen wird heftig gestritten.
Es gibt politische Erdrutsche. Einen der letzten der deutschen Politikgeschichte löste die Reaktorkatastrophe Fukushima in Japan aus.
Kurz danach, am 28. Juni 2011, verkündete Bayerns damaliger Ministerpräsident Horst Seehofer, lange Befürworter von Atomstrom, den Abschied von Atomkraftwerken und den Einstieg in eine bayerische Energiewende.
„Bürgerenergie wird ein Stichwort sein, die Aktivierung privaten Investitionskapitals für Windanlagen, für Bürgeranlagen, für Biomasse und für Bürgersolaranlagen.“

Seehofers Einsatz für ein Windradland Bayern

Damals träumte ein CSU-Chef noch von einem Bayern voller Windräder im Besitz von Bürgerinnen und Bürgern. Sie sollten für Strom und Wohlstand in Stadt und Land sorgen.
Und wie man das von der bayerischen Partei kennt, versuchte Seehofer damals, alles für sein Bayern rauszuholen.

„Dafür kämpfen zurzeit beim Bund: Dass der verstärkte Ausbau der Windenergie nicht nur auf hoher See, sondern auch an Land vorangetrieben wird. Abstriche bei der Förderung von Onshore-Windkraftanlagen darf es nicht geben, meine Damen und Herren, das wäre nämlich zum Nachteil Bayerns.“

Damals, 2011, war für Seehofer und die CSU klar: Die Zukunft der Stromerzeugung liegt in der Windkraft – und das nicht nur an der Küste, sondern auch in Bayern.

Ein Windrad für die Gemeinde

Manche nahmen diese Zusage ernst: Menschen wie der SPD-Stadtrat aus der oberbayerischen Kleinstadt Pfaffenhofen, Markus Käser – heute leitet er den Dachverband Bürgerenergie Bayern.
„Ich kann mich noch sehr gut an die Zahlen erinnern … Es war die Zeit, in der sich die bürgerlichen Energiegenossenschaften gegründet haben wie die Schwammerl.“
Auf Hochdeutsch: Wie die Pilze aus dem Boden schossen Initiativen von Bürgern, die sagten: Wir wollen ein Windrad für unsere Gemeinde.

Gesetz gegen "Verspargelung der Landschaft"

Bis heute hat Bayern viele dieser Genossenschaften. Nur sind viele von ihnen inzwischen frustriert. Und das hat mit der 180-Grad-Wendung zu tun, die Seehofers CSU 2014 vollführte.
In Bayern wurden die Windrad-Skeptiker immer mehr, und auch das Kabinett wetterte über die "Verspargelung der Landschaft" – und führte schließlich das 10-H-Gesetz ein.

Das küstenreiche Niedersachsen ist seit jeher Vorreiter bei der Nutzung der Windkraft, hat zuletzt aber auch einen Einbruch erlebt. Bis 2030 will Umweltminister Olaf Lies (SPD) 20 Gigawatt Windenergie ans Netz bringen. In Niedersachsen gibt es keinen fixen Abstand als Regelfall. Bastian Brandau hat sich in dem Bundesland umgesehen, in dem sich die meisten Windräder drehen .

Windräder müssen mindestens zehnmal so weit von bewohnten Häusern entfernt sein, wie sie hoch sind. Bei modernen Windrädern sind das bis zu zwei Kilometer.

Grüne Kritik an 10-H-Gesetz

Das 10-H-Gesetz ist den Grünen bis heute ein Dorn im Auge. "Mehr als sieben Jahre sind jetzt vorbei seit der Einführung von 10H und wir sind jetzt beim Nullpunkt", sagt der Landtagsabgeordnete Martin Stümpfig.

"Wir haben tatsächlich in den letzten neun Monaten letzten Jahres keinen einzigen Genehmigungsantrag – und unterm Strich wurden gerade mal sechs Anlagen zugebaut. Sechs Anlagen!“

Martin Stümpfig von den Landtagsgrünen schüttelt den Kopf. Gerade mal knapp sieben Prozent insgesamt schafft Bayern mit seinen Windrädern. 
Für die Energiewende bräuchte es achtmal so viele Windräder wie jetzt, hat Umweltingenieur Stümpfig ausgerechnet – 10H stehe dem aber im Weg.

CSU-Politiker: 10H ist kein kein Windrad-Verbot

Sein konservativer Kollege im Wirtschaftsausschuss, Sandro Kirchner, sieht es anders.
„Ich würde erst mal prinzipiell feststellen, dass die 10-H-Regel in Bayern kein einziges Windrad verboten hat. Und gegenüber der landläufigen Meinung, dass Windräder mit 10H nicht gebaut werden können, ist das vollkommen falsch, weil es einfach nur die Spielregeln verändert und die Bürgerinnen und Bürger, beziehungsweise der Gemeinderat, die Kommune entsprechend mitgestalten kann, wenn ein Windrad in einem Abstand von kleiner 10H gebaut wird.“

Kirchner findet: Der bayerische Sonderweg schürt keine Vorbehalte gegen Windräder, sondern schafft vielmehr Vertrauen.

10H in den Gemeinden

Ein Grüner und der CSU-Politiker – beide sind im Landtag. Aber wer hat recht?
Antworten auf diese Frage bekommt man, wenn man sich in Bayerns Gemeinden umhört. Zum Beispiel bei Johannes Hümpfner, Bürgermeister von Strahlungen in der Rhön, ein paar Kilometer von der bayerisch-thüringischen Landesgrenze entfernt.

„Wir hatten 2010 schon mal eine Genossenschaft in Gründung, wir wollten damals schon Windräder bauen", sagt der Bürgermeister des 900-Seelen-Dorfes. "Letztlich gescheitert ist das nicht an 10H, sondern eher an der Flugplatzrunde Bad Neustadt.“

In der Einflugschneise dürfen keine Windräder stehen – zu gefährlich. Also ging es nicht.

Bürgermeister: Kommunen profitieren von 10H

10H findet Johannes Hümpfer gut. Und zwar nicht nur, weil er bei der CSU ist, sondern weil es bei 10H eine Ausnahmeregelung gibt: Wenn eine Gemeinde selbst entscheidet, dass ein Windrad näher an die Häuser herangebaut werden soll, dann darf sie es auch näher bauen.

„Wenn man das jetzt abschaffen würde, hätte man als Kommune einen viel kleineren Handlungsspielraum beziehungsweise Beteiligungsspielraum."

Dann, so betont Hümpfer, würde die Gemeinde nicht mehr sagen können, wo genau sie die Windkraftanlage gern hätte und wo sie mit ihr leben könne: "Sondern dann kann letztlich ein Konzern sich einfach die Flächen sichern und notfalls auch gegen unseren Willen entsprechende Windräder mehr oder minder durchdrücken – auch an Positionen, wo wir sie vielleicht vom Landschaftsbild her oder von der Ortsbebauung her nicht haben wollen.“

Die Macht der Kommune

So einfach durchdrücken konnte ein Konzern seine Windräder allerdings auch schon vor 10H nicht. Schon damals hatten sich die Planungsverbände der Regionen auf Vorranggebiete geeinigt: wo landschaftliche Sichtachsen etwa es erlauben.
Doch in diesen Regionalplanungen habe seine Gemeinde Strahlungen kaum Mitspracherecht gehabt. „Sie müssen sehen, da sind ja alle Bürgermeister aller Kommunen beteiligt. Sie haben als Kommune, wenn das im Regionalplan entschieden wird, welche Fläche sinnvoll ist, keine so große Einflussmöglichkeit.“

Bei Markus Käser, 250 Kilometer weiter südlich Richtung Alpen, in der Kleinstadt Pfaffenhofen, sieht die Lage anders aus: Seine Bürgergenossenschaft hatte ihre drei Windräder schon mit dem Instrument der Regionalplanung so gut wie fertig geplant.

SPD-Stadtrat beklagt Doppelstrukturen

Dann kam 10H – und um diese Regel zu umgehen, musste die Stadt erst einen Bebauungsplan aufstellen. „Und damit auch Prozesse, mehr oder weniger Doppelstrukturen", berichtet SPD-Stadtrat Käser. "Da werden also Dinge untersucht, im Bebauungsplan geregelt, die eigentlich schon durch Bundesgesetze geregelt werden. Man kann sagen: 10H hat alles verkompliziert und verteuert und verlängert.“
Nicht zu vergessen das finanzielle Risiko, das sich für die Genossenschaft erhöhte, denn nach der Planung musste die Stadt dann erst einmal einen Bürgerentscheid initiieren.
„Wenn man alles zusammenzählt, dann kommt man irgendwo bei 300.000 Euro raus", sagt Bürgerenergie-Fan Käser. "Diese 300.000 Euro stehen erst mal schon im Raum. Und dann weißt du nicht, ob du weitermachen kannst. Weil jetzt kommt der Bürgerentscheid." Der Bürgerentscheid war positiv. Insofern 300.000 – aber positiv – und jetzt geht’s weiter.“

Zehn Jahre durchgehalten mit Eifer

Dann gingen viele Jahre ins Land. Zum einen, weil 10H und der Bebauungsplan trotz Bürgerentscheids es den klagefreudigen Nachbarn ermöglichte, alles zu tun, um dem Projekt rechtliche Steine in den Weg zu legen: Es gab Beleidigungen gegen Käser, Morddrohungen.
Weitere Jahre verbrachte man nicht mit 10H, zugegeben, sondern mit dem Streit um geschützte Tiere in der Umgebung: dem Flugverhalten eines Uhus und der Vergrämung von bis jetzt drei Zauneidechsen.
Möglicherweise können in diesem Sommer die Windräder aufgestellt werden – genau zehn Jahre nach Planungsbeginn, nach einem irrwitzig aufwendigen Prozess, an dem Käser und seine Mitstreiter und Mitstreiterinnen mit idealistischem Eifer festhielten.
„Und dann stelle ich mir immer wieder vor: Wie ist das bei anderen, die jetzt erst anfangen?", sagt Markus Käser.

"Wie ist das bei anderen, die das jetzt jahrelang weggeschoben haben, die gesagt haben: Das interessiert uns nicht, das geht uns gar nichts an, das soll irgendwer machen – die stehen jetzt bei null.“

Gerade in diesen Gemeinden habe die 10H-Regelung die Lust an Windrädern vollends zerstört.

Grüne für Windrad-Pflicht

10H abzuschaffen sei also nur ein erster Schritt – sagen die Grünen. Der zweite sei, die nötige Anzahl an Windrädern auch in einem Bundes- und Landesgesetz niederzuschreiben, um all diejenigen Gemeinden, die noch kein Windrad geplant haben, nun dazu zu verpflichten.

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