Windows Vista - ein "Spion im Arbeitszimmer"

Moderation: Dieter Kassel |
Einen Tag vor der Auslieferung des neuen Betriebssystems "Vista" von Microsoft hat der Computerspezialist und Sachbuchautor André Spiegel die Software als bedenklich kritisiert. Der Käufer des Produkts hole sich den "Spion ins Arbeitszimmer", sagte Spiegel im Deutschlandradio Kultur.
Dieter Kassel: Durch den Erfolg des iPods ist die Zahl der Benutzer auch von normalen Apple-Computern durchaus gestiegen in den letzten Jahren. Auch gestiegen ist die Anzahl der Menschen, die das freie Betriebssystem Linux einsetzen. Aber man sollte sich davon nicht täuschen lassen. Ungefähr 95 Prozent aller Computer auf dieser Welt laufen weiterhin exklusiv mit dem Betriebssystem der Firma Microsoft, und deshalb ist es ein entsprechend großes Ereignis, wenn morgen nach über fünf Jahren zum ersten Mal ein völlig neues Betriebssystem vom Microsoft in die Läden kommt, übrigens in die Läden im Sinne von für Privatmenschen erwerbbar – für Großanwender gibt es das schon seit vergangenem Herbst.

Vista hat verschiedene Probleme. Selbst die, die bisher Jubelartikel darüber geschrieben haben, mussten am Rande erwähnen, dass es nur auf sehr modernen, sehr schnellen Computern läuft, weil es sehr groß und sehr umständlich ist. Aber das ist bei weitem nicht das Schlimmste, sagen einige Computerexperten, wie auch der Sachbuchautor André Spiegel. Er warnt vor dem Spion im Arbeitszimmer und ist heute Morgen bei uns im Studio. Guten Morgen Herr Spiegel!

André Spiegel: Schönen guten Morgen!

Kassel: Was genau spioniert denn Vista aus, wenn ich das ab morgen auf meinem Computer installiere?

Spiegel: Na, es gibt einen Kopierschutzmechanismus in Vista, der Produktaktivierung genannt wird, und das bedeutet: Wenn ich Vista bekomme, dann muss ich das innerhalb von 30 Tagen bei Microsoft registrieren. Die Nummer der Vista-Lizenz wird an Microsoft gemeldet und die Seriennummer meiner Festplatte, die Internetadresse meines PCs und noch ein paar andere Daten. Und diese Daten werden dann auch nach dieser Aktivierung regelmäßig wieder an Microsoft gemeldet. Und wenn Microsoft dann das Gefühl hat, dass da was nicht stimmt, dass ein und dieselbe Vista-Lizenz auf mehreren Rechnern verwendet wird, dann kann Microsoft über das Internet den Rechner in einen eingeschränkten Modus herunterschalten, in dem man eigentlich nur noch diese Produktaktivierung kontrollieren oder berichtigen kann.

Kassel: Nun hat sich eine Aktivierung und das Machen von möglichst vielen Angaben Microsoft bei den Vorgängerbetriebssystemen, im Moment benutzen sicherlich die meisten Menschen XP, ja auch schon ausdrücklich gewünscht, und es klang schon immer in den Anleitungen so, als müsse man das tun. Musste man aber gar nicht, man konnte es auch lassen. Ist das bei Vista nicht mehr so?

Spiegel: Das ist bei Vista verschärft worden. Also diese Mechanismen wurden bei Windows XP eingeführt, wurden ausprobiert, haben teilweise zu großem Protest von Bürgerrechtsorganisationen auch geführt. Und in Vista ist es aber so, dass sie insgesamt verschärft sind.

Kassel: Nun sagt schon Microsoft, und die Zahlen, glaube ich, können durchaus stimmen, dass ungefähr ein Drittel der Programme des Hauses weltweit benutzt werden als Kopien. Das heißt, in ungefähr einem Drittel aller Fälle, es geht jetzt um Betriebssysteme, es geht um Programme wie Word und Excel, hat Microsoft keinen Cent gesehen dafür, dass Anwender das benutzen. Hat so eine Firma nicht das Recht zu sagen, wir wollen alles Mögliche dagegen tun, dass unsere Produkte geklaut werden?

Spiegel: Das ist sicherlich richtig. Man muss sich auf der anderen Seite überlegen, dass Microsoft eines der reichsten Unternehmen der Welt ist. Es wurde ausgerechnet, dass Microsoft über so viel Cash verfügt, dass sie die gesamten Goldreserven der Vereinigten Staaten aufkaufen könnten, und zwar viermal nacheinander. Das heißt also, dieses Problem der Softwarepiraterie kann nicht ganz so schlimm sein, wenn es der Firma immer noch so dermaßen gut geht dabei.

Kassel: Aber wird denn, wenn man das jetzt sieht, trotzdem ein Drittel auch für Microsoft als Riesenkonzern, der auf vielen Ebenen Geld verdient, der auch viel Druck machen kann mit seiner Marktmacht, wenn man trotzdem sieht, ein Drittel der Programme läuft und die haben kein Geld gesehen, muss man nicht sagen: Geld verdienen mit Software dieser Art ist eben ein bisschen schwierig heute?

Spiegel: Das ist richtig. Also man muss sagen, dass das Internet, das Internet und dieses Zeitalter, in das wir jetzt hereinmarschieren, es nahe legt, Daten frei und ungehindert zu kopieren, weltweit, ohne dass dabei Kosten entstehen. Und in so einer Welt zu versuchen, Bits zu verkaufen, also digitale Information zu verkaufen, ist wahrscheinlich kein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell. Man wird versuchen müssen, mit anderen Dingen Geld zu verdienen.

Kassel: Aber das könnte doch auch ein Problem von Microsoft sein. Ich habe Apple erwähnt, es gibt das Apple-Betriebssystem, aber das läuft nur auf Apple-Computern, Apple verdient das Geld nicht mit dem System, das kann man auch kaufen, wenn man unbedingt will, sondern mit den Computern. Aber Microsoft stellt doch eigentlich bis auf eine Spielkonsole überhaupt nichts her, was man anfassen kann, überhaupt keine Hardware her.

Spiegel: Das ist richtig. Insofern hat es Microsoft es tatsächlich vielleicht schwerer als andere Hersteller, obwohl sie natürlich, gerade das versuchen sie. Sie haben diese Spielkonsole rausgebracht, es wird demnächst in Europa Microsofts Versucht erscheinen, dem iPod Konkurrenz zu machen, die werden einen Media-Player namens Zune herausbringen, und andere Dinge sind da in der Mache. Also es ist nicht unvorstellbar, dass sich der Konzern über Jahrzehnte auch verändern wird in seiner Ausrichtung. Alleine nur ungreifbare digitale Informationen zu vertreiben, geht wahrscheinlich nicht auf Dauer.

Kassel: Kommen wir zurück zu diesem neuen Betriebssystem Vista, morgen für Privatanwender auch erhältlich. Sie haben bisher gesagt, dass Informationen über den Benutzer im Zusammenhang mit diesem Betriebssystem abgefragt werden und regelmäßig über das Internet an Microsoft geschickt. Geht das noch ein bisschen weiter, denn man hat manchmal das Gefühl, dass da jetzt regulär das gemacht wird, was eigentlich Spyware tut, also eine Art von Virus. Das heißt gucken, auf welchen Seiten bin ich zum Beispiel im Internet, und so wird Werbung für mich sortiert. Ist das zu erwarten, dass Vista so was auch macht?

Spiegel: Na, das hängt immer davon ab, ob es mit dem Geschäftsmodell von Microsoft irgendwas zu tun hat. Also dieses Ansinnen, die Seriennummer der Festplatte zu Microsoft zu senden, das hat für großen Protest gesorgt. Und Microsoft hat ein paar Konzessionen in diesem Mechanismus gemacht, aber sie bestehen darauf ihn einzusetzen. Trotzdem werden sie nicht an jeder beliebigen Stelle versuchen so was auch wiederum einzubauen, sondern nur wenn sie es für ihr Geschäftsmodell für wichtig halten.

Kassel: Sie haben das Wort Kopierschutz am Anfang unseres Gesprächs erwähnt im Zusammenhang mit dem Kopieren von Software von zum Beispiel Microsoft. Das ist ja nicht das einzige Problem. Dieses neue Betriebssystem Vista ist ja gerade gemacht worden für sehr schnelle, sehr moderne Computer und für neue Medien. Da kommen Sachen auf uns zu wie die HD-DVD, also eine hochauflösende DVD, Blue Ray Disks, einfach ausgedrückt: sieht ungefähr so rund aus, wie wir das bisher kennen, aber es passt noch viel mehr drauf, auch ein Kinofilm an Programmpaketen. Und Microsoft sagt auch immer, wir müssen auch Rücksicht nehmen auf die Filmindustrie, beschränkt auch auf die Musikindustrie. Wie viel Rücksicht nimmt denn Vista da?

Spiegel: Na ja, auch da ist in Vista einiges geschehen. Um eben gerade diese neuen hochauflösenden Videos für die neuen hochauflösenden Fernsehschirme darstellen zu können, hat man Vereinbarungen mit Hollywood getroffen, die so aussehen, dass der PC innen drin eigentlich zu einem Irrgarten aus Schutzmechanismen wird. Also da müssen die Daten ganz oft verschlüsselt werden, wieder entschlüsselt werden, damit nur ja die niemand abgreifen kann.

Und das führt letzten Endes dazu, dass Microsoft wiederum über das Internet bestimmte Teile des PCs lahmlegen kann, in einen eingeschränkten Modus heruntersetzen kann, wenn man das Gefühl hat, da können die Daten plötzlich abgegriffen werden. Microsoft betont immer, dass der PC nicht ganz abgeschaltet werden kann von ihnen, aber sie können für solche hochauflösende Datenströme gewisse Komponenten deaktivieren, wenn Microsoft oder Hollywood glaubt, dass die Daten da nicht sicher sind.

Kassel: Das heißt, es ist wirklich so, dass über das Internet, egal ob nun Microsoft fürchtet, ich benutze Vista zu Unrecht, oder ob irgendjemand fürchtet, ich habe einen Film kopiert, den ich nicht kopieren durfte, dass über das Internet wirklich jemand meinen Computer quasi abschaltet?

Spiegel: In einen eingeschränkten Modus heruntergesetzt, und, wenn sie Recht haben, dann auch nur für solche Daten, die geschützt sind. Das heißt also, Microsoft betont immer, ihr PC wird nach wie vor funktionieren, aber Teile werden abgeschaltet. Das ist so, ja, das geben sie zu.

Kassel: Nun kann ich mir vorstellen, dass jetzt Leute zu Hause sitzen und sagen, einerseits Alternativen wie Linux und Apple sind mir zu exotisch, andererseits ich mache sowieso nichts Verbotenes, ich kaufe auch so was wie Vista morgen oder irgendwann ganz legal, mir kann ja nichts passieren. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass einer dieser Schutzmechanismen, die Sie schon erklärt haben, auf Grund eines technischen Defekts plötzlich sich einschaltet?

Spiegel: Das ist natürlich genau der Punkt. Also wir alle wissen, dass Computer nicht perfekt sind und dass solche Systeme auch mal etwas tun, was sie nicht sollen. Und mit kommt das so vor, als wenn da in dem PC ganz viele Sollbruchstellen eingebaut werden, und solche Sollbruchstellen, die brechen manchmal dann, wenn sie nicht sollen, und so was wird mit Sicherheit passieren, es ist auch schon passiert.

Also ich habe gehört, dass ein großer Kunde von Microsoft beispielsweise im letzten Oktober plötzlich 24 Stunden lang seine Rechner nicht benutzen konnte, weil Microsoft irrtümlich davon ausging, dass die Lizenzvereinbarung nicht erfüllt worden war. Solche Fehler werden passieren, und es kommt hinzu, dass die Hardware, dass die Rechner natürlich teurer werden, und dafür muss der Endkunde bezahlen, um all diese kryptografischen Maßnahmen im Betriebssystem finanzieren zu können.

Kassel: Wird sich denn Ihrer Meinung nach, es gibt ein paar Experten, die schon Formulierungen benutzt haben wie "das ist der längste Abschiedsbrief der Geschichte". Damit meinen sie die Beschreibung und das Funktionieren von Microsoft Vista. Auf der anderen Seite, ich habe es gesagt, Linux wird immer einfacher, es gibt Distributionen, die kann man wirklich, auch ohne selbst der große Programmierer zu sein, durchaus benutzen. Stadtverwaltung München, die Geschichte kennen wir, tut das oder will es sehr bald tun. Es gibt Apple als Alternative. Trotzdem benutzen die allermeisten Leute Windows. Glauben Sie, daran wird sich jetzt irgendetwas ändern?

Spiegel: Ich hoffe es. Ich kann nicht in die Zukunft sehen. Ich habe das Gefühl, und viele Leute sagen das, dass Microsoft vielleicht seinen Zenit überschritten hat. Natürlich sind da immer noch ganz starke monopolistische Taktiken im Spiel. Beispielsweise kann man heutzutage keinen PC kaufen, ohne gleichzeitig Windows mit zu kaufen. Das ist eine Vereinbarung, die Microsoft mit den Herstellern hat, auf dem PC muss ein Aufkleber drauf, "Designed for Windows". Und nur dann darf der Hersteller überhaupt Windows damit anbieten, und er muss sich verpflichten, dass er kein anderes Betriebssystem anbietet, und dann ist natürlich klar: Wenn jeder das automatisch bekommt mit seinem neuen PC, dann haben sie damit ihr Monopol sehr gut abgesichert.

Kassel: Warten wir, was passiert. Sicher ist: Ab morgen gibt es Vista, und die ersten Werbeblättchen mit den Billiglaptops, die aber schon Vista haben, haben Sie sicherlich auch schon im Briefkasten gehabt. André Spiegel, der Autor des Buches "Die Befreiung der Information", Computerexperte, war bei uns im Studio. Ich danke Ihnen, dass Sie heute Morgen gekommen sind, wünsche uns allen viel Spaß mit den Betriebssystemen, die wir uns aussuchen. Vista, der Spion im Arbeitszimmer, kann ab morgen mit ausgesucht werden, wenn man es denn unbedingt möchte.