Der ewige Paul
Der Durchbruch als Schauspieler gelang Winfried Glatzeder gleich mit einem legendären Film: "Die Legende von Paul und Paula". Glatzeder war Paul. Es folgte eine lange Film, Fernseh- und Bühnenkarriere.
Seit 60 Jahren steht Winfried Glatzeder auf der Bühne oder vor der Kamera - ob als Zwölfjähriger beim Schultheater, als Auszubildender zum Maschinenbaufacharbeiter in der DDR im Betriebskabarett – oder als Film- und Fernsehschauspieler in Ost wie West.
Seiner Leidenschaft fürs Schauspiel verdankt Winfried Glatzeder auch eines seiner Markenzeichen: Seine charakteristische Nase ist das Ergebnis einer Prügelei um einen Sitzplatz im Theater. Als Student hatte er sich zwar eine günstige Karte im dritten Rang gekauft, sich dann aber auf einen freien Platz in die erste Reihe im Parkett gesetzt - den sich auch ein anderer Student ausgesucht hatte.
"Nach der Pause kam ein junger Mann und sagte: 'Ey, steh auf, das ist mein Platz!' Ich sag': 'Gut, zeig' deine Karte! Das konnte er nicht und meinte: Wir treffen uns hinterher, nach der Vorstellung.' Und dann trafen wir uns und ich bekam auf die Nase. Im Krankenhaus nach der Narkose wachte ich auf, indem die Ärztin sagte: 'Oh, das ist mir nicht gelungen. Ihre Nasenscheidewand haben wir draußen, die war komplett zertrümmert, aber kommen Sie in sechs Wochen wieder, wir nehmen Ihnen aus dem Schienbein ein Stück Knochen und richten Ihre Nase wieder.' Das habe ich bis heute eben nicht gemacht."
Später brachte ihm die etwas schiefe Nase den Spitznamen "Belmondo des Ostens" ein.
Einer der erfolgreichsten Filme der DDR
Geboren in den letzten Kriegstagen, aufgewachsen bei den Großeltern - der Vater starb im Krieg, die Mutter war in seinen ersten Lebensjahren im Lungensanatorium – gelang dem heute 72-Jährigen nach seiner Ausbildung an der renommierten Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg der Durchbruch mit "Die Legende von Paul und Paula". Der Film wurde einer der erfolgreichsten der DDR und auch sein Hauptdarsteller Glatzeder über die Grenzen hinaus bekannt.
"Ich war in dem Moment von dem Regisseur Heiner Carow herausgesucht worden unter unzähligen Männern, weil ich so geil auf Erfolg war – und die Figur, die ich da spiele, Paul, auch geil auf Erfolg war. Er wollte Karriere wie ich machen, das war deckungsgleich. Das ist eigentlich das schwierigste: Dass man das spielt, was man ist. Carow hat es geschafft durch seine wahnsinnige sanfte Art, aus Angelica Domröse und mir diese persönlichen Ambitionen in der Rolle zu verarbeiten."
Trotz der Privilegien, die der Erfolg mit sich brachte, stellte Winfried Glatzeder in den 80er-Jahren mehrere Ausreiseanträge und siedelte schließlich mit seiner Frau und den beiden Söhnen in den Westen um. Den Anwerbeversuchen der Stasi war er vorher auf seine Weise entgangen:
"Ich war ja an der Volksbühne, und wir waren viel im Ausland, weil wir von den kommunistischen Parteien eingeladen wurden, von Frankreich, von Italien. Und überall sind wir mit Gastspielen hin gefahren, weil unser Theater zur damaligen Zeit einen guten Ruf hatte. Und dann brauchten sie jemanden, der ihnen die Haltung der anderen Kollegen im Ausland beschreiben konnte. Aber da bin ich aus Ängstlichkeit, weil ich mit denen nichts zu tun haben wollte, relativ schnell herausgekommen, weil ich diese Werbung öffentlich gemacht habe in der Kantine. ( ... ) Und dann stand da 1991, als ich meine Stasi-Akte las: Glatzeder hat sich nicht an die Verabredung gehalten von Konspiration. Ist für uns unbrauchbar. So schnell kam man aus der Geschichte raus."
In Westdeutschland setzte er seine Karriere fort, kehrte aber nach dem Fall der Mauer in sein altes Wohnhaus in Berlin-Pankow zurück, wo er bis heute lebt.
"Ich habe eigentlich nur vor den Insassen dieses Camps Angst gehabt"
Jüngeren Zuschauern ist Winfried Glatzeder wohl vor allem durch seinen Auftritt im berüchtigten "Dschungelcamp" in Erinnerung – eine Erfahrung, die Winfried Glatzeder trotz aller Kritik heute augenzwinkernd betrachtet:
"Ich bin nach wie vor neugierig. Ich bin nach wie vor geil darauf, die Welt zu sehen auf Kosten anderer. ( ... ) Nach Australien bin ich noch nie gekommen, ich bin jetzt 72 und ich nehme an, sehr viel bleibt mir nicht mehr Zeit, also bin ich da mit. Ich habe sehr gut verdient. Ich habe Kakerlaken und alles, was es gibt auf der Welt, kennengelernt und habe da keine Scheu. Plumpsklos habe ich eh schon gehabt in meinem Leben. Ich habe eigentlich nur vor den Insassen dieses Camps Angst gehabt, nicht vor den wilden Tieren und den Kakerlaken, aber auch das habe ich nebenbei ganz gut überstanden."
Mit über 70 geht der Schauspieler weiter seiner Leidenschaft nach: Gerade probt er an der Berliner Komödie am Kurfürstendamm die Wiederaufnahme des Publikumslieblings "Pension Schöller". Das Stück ist dort ab 26. Juli zu sehen.
Welche Bedeutung seine Rolle als Paul heute für ihn hat, warum er sich selbst als Muttersöhnchen bezeichnet und wieso er sich zur Zeit vor allem mit dem Thema Krankheit auseinandersetzt – darüber hat sich Klaus Pokatzky mit dem Schauspieler Winfried Glatzeder unterhalten.