Auf kultureller Klassenfahrt
Für "Winterreise" haben sich sieben Schauspieler auf eine zweiwöchige Reise quer durch Deutschland gemacht. Herausgekommen ist ein Stück über das Exil und wie man in Deutschland ankommen kann. Ein ernstes Thema, lustig wird es trotzdem.
Die Regisseurin Yael Ronen, sechs Schauspieler aus arabischen Regionen und ein Deutscher zeigen im Berliner Gorki Theater einen Projektabend: "Winterreise". Das Exil-Ensemble war zwei Wochen in zehn Städten unterwegs und hat daraus ein Stück erarbeitet. Diese "Winterreise" ist eine Busreise von Schauspielern aus drei arabischen Regionen durch zehn Städte, sie beginnt in Dresden an einem Pegida-Montag und geht dann weiter nach Buchenwald in die KZ-Gedenkstätte. Wie immer bei Yael Ronen ist das auch lustig - es entsteht Komik, weil sich die Ankommenden Deutschland halt sehr anders vorgestellt haben.
Franz Schuberts Liederzyklus "Die Winterreise" war ein Werk voller Todesahnungen. Und was ahnt man nach dem Abend im Gorki? Dass dunkle Vorahnungen und die exzessive Beschäftigung mit dem Tod eher ein deutsches Phänomen sind. Die Deutschen zieht es, thematisch und ideell zumindest, eher zum Dunklen hin.
Gelungene Comedy
Die Beziehungen zwischen den Neu-Berlinern und dem einen Deutschen sind auf der Bühne: kompliziert, komisch und auch immer ein bisschen klischeehaft. Niels Bormann gibt den kulturellen Dolmetscher, der sich beim Erklären stets verheddert und die eigenen Standards durcheinander bringt.
Yael Ronen und ihr Ensemble - unter der Leitung von Ayham Majid Agha - haben gute Boulevard-Dialoge geschrieben, das muss man erst mal bringen. Wenn Bormann den Busfahrer mit seiner Erotik des Verbotenen und der schlimmstmöglichen Wendungen gibt oder Karim Daoud und Hussein al Shatheli in Dresden vor dem Hotelfenster Bier trinken und ganz ernsthaft versuchen, die fremdenfeindlichen Pegida-Plakate zu verstehen – tolle Comedy: "'Fatima Merkel 'steht da, warum?" - "Ich glaube, Fatima ist ihr zweiter Vorname." - "Echt, die ist Muslima?"
Es ist, zu diesem Zeitpunkt, ein einleuchtender, trotz Härte entspannter Ansatz, die Begegnungen zwischen Einwohner und Ankommenden erstmal über das Nicht-Verstehen, aber eben auch angstfrei über die gegenseitige Parodie laufen zu lassen.
"Die Winterreise" knüpft an "The Situation" an
Die Busreise, eher eine kulturelle Klassenfahrt, führt insgesamt in zehn Städte. Spielen die Orte eine Rolle oder sind das eher Projektionsflächen für die Geschichten der Ankommenden? Bei Dresden und Buchenwald natürlich nicht, später aber schon. München oder auch der Abstecher nach Zürich sind höchstens Impulse, dann eben doch die Geschichten der Performer zu erzählen, auch ein bisschen die des Deutschen. In Mannheim und Hamburg gelingen ihnen dann wieder sehr eigene Geschichten, die man dennoch in diesen Städten verorten kann. Und das Road-Movie-Video, unterstützt von wuseligen, beschleunigten Zeichnungen, hält das Ganze flott am Laufen, auch wenn es mal in die Nummernrevue driftet und sich der Abend zunehmend zieht.
Das Exilensemble war teilweise bereits Teil des erfolgreichen Theaterabends "The Situation" am selben Theater, als der Nahost-Konflikt in Berlin thematisiert wurde. "Die Winterreise" knüpft daran an. Allerdings kriegen die Schauspieler hier deutlich mehr Kontur. Und zwar als Schauspieler, nicht nur als Erzähler ihrer Biografie. Die Neu-Berliner spielen nach wie vor sich selbst, aber sie spielen sich eben auch als Schauspieler.
Könnte sich das bald ändern und wir sehen sie auch in andern Rollen? Es ist anzunehmen (und zu hoffen), dass dieser Prozess weiter geht. Das Exilensemble arbeitet weiter am Gorki, die Winterreise ist nur der Start dieser Arbeit. Denn ganz am Anfang haben es die Spieler schon selbst gesagt: Wir sind gelangweilt von unseren eigenen Geschichten. Man sollte das sehr ernst nehmen.