Weniger ist manchmal mehr
Die Gigantomanie der Spiele sorge für Entfremdung beim Publikum, meint Ruder-Olympiasieger und Wirtschaftsprofessor Wolfgang Maennig. Bereits der Bewerbungsprozess müsse überdacht werden.
Frenzel: Malen wir zu schwarz, oder ist es so – beschädigt die Art und Weise, wie Russland als Gastgeber agiert, die Idee von Olympia?
Maennig: Na ja, die Idee von Olympia – es gibt ja viele Ideen, und Sie haben einige, man muss auch sagen, es gibt immer noch das Motto "Schneller, höher, weiter", und in dieser Manier, dass man also nach neuen Rekorden sucht und beispielsweise auch im finanziellen Bereich, und das ist ja mein Thema, die anderen Themen, da bin ich etwas unsicherer drüber. Dass die Russen hier versuchen, auch die Kanadier beispielsweise zu übertrumpfen, das ist etwas, was scheinbar normal ist. Das muss man irgendwann überdenken, ob das richtig ist, dass immer jeder versucht, den anderen zu übertrumpfen, aber noch ist es etwas, was gewünscht ist. Und ich darf auch gleich an der Stelle sagen: Von den Einnahmen des IOC profitieren ja auch die nationalen Sportverbände. Sie kennen die Diskussion aus Deutschland, dass der Spitzensport unterfinanziert ist. Der DOSB hat von der Regierung 30 Millionen mehr gefordert, ist abgeblitzt. Also muss er praktisch drauf drängen, dass beispielsweise das IOC mehr einnimmt, damit auch mehr an den nationalen deutschen Verband überwiesen wird.
Höher, schneller, weiter
Frenzel: Was verdient denn das IOC an diesen Spielen, und damit auch die deutsche Sektion? Kann man das beziffern?
Maennig: Das IOC vermarktet grundsätzlich immer seine Rechte für vier Jahre, also für eine Olympiade, und das schließt also ein die Sommer- und die Winterspiele und differenziert das nicht, sagt nicht, was ist davon den Fernsehanstalten oder die Sponsoren für Winter oder Sommer bekommt, sondern die kann das auch nur im Paket kaufen. Und die letzten Zahlen, die veröffentlicht sind, die betreffen die Olympiade bis 2012, und da waren es rund 900 Millionen Dollar aus den Marketingerlösen im Top-Programm und rund 3,9 Milliarden aus den Fernseherlösen.
Frenzel: Eine ganze Menge Geld. Sie haben gesagt, darüber muss man mal eine Debatte führen, ob man das eigentlich möchte, immer höher, schneller, weiter, also diese Gigantomanie, die wir da ja feststellen. Es gibt einen, der hat sich dazu schon geäußert, nämlich der deutsche Sportminister, der Innenminister Thomas de Maizière, der hat angemahnt, man müsse Olympia wieder bescheidener machen. Teilen Sie das?
Maennig: Ja, absolut. Ich meine, wir sollten uns überlegen, woher der Sport, die Olympische Idee kommt. Das war aus meiner Sicht eine ganz, ganz sympathische, ja, man würde hoffen Grassroot-Bewegung, eine Graswurzelbewegung, wo die Athleten unter den einfachsten Bedingungen gelebt haben, zusammen kamen und auch natürlich in fairen Wettkampfstätten, aber doch letztlich einfachen Wettkampfstätten gemessen haben. Und das ist heute doch so perfektioniert worden, dass es auch viele Menschen entfremdet. Und wir müssen nachdenken, ob überhaupt die Olympischen Spiele noch erreichbar sind, nicht nur für die Zuschauer, die mehr und mehr sich davon mit kritischem Blick auch abwenden, sondern vor allen Dingen auch für potenzielle Bewerber. So, wie das jetzt perfektioniert ist, ist es ja selbst für Deutschland als ein relativ hoch entwickeltes Land schwer geworden, sich dafür zu bewerben. Es kriegt ja praktisch die Mehrheiten in seiner Bevölkerung nicht mehr dafür, und es gibt natürlich deshalb eine Tendenz, das eher in Länder zu geben, die etwas zentraler, vielleicht auch etwas autokratischer regiert werden, und das ist ein Problem.
Frenzel: Aber es gibt ja auch andere Beispiele. Es gab die Winterspiele von Lillehammer in den 90er-Jahren, die ja sehr bescheiden daherkamen, die in einem demokratischen Land mit allen Standards, die wir uns wünschen, stattgefunden haben in Norwegen. Ist das nicht möglich? Muss man nicht auch, zum Beispiel, wenn München oder andere deutsche Städte an so was denken, einfach die Sache wieder ein bisschen runterschrauben? Könnte man damit auch nicht bei der Bevölkerung punkten an der Stelle?
Maennig: Absolut! Und ich glaube, das ist aber beim IOC auch angekommen. IOC-Präsident Thomas Bach hat ja in seiner charmanten Art und Weise gesagt, dass wir den Bewerbungsprozess schon überdenken müssen und dass wir den Olympia-Bewerbern mehr Freiraum geben müssen, auch mit ihren Ideen zu kommen. Schauen Sie, heute kriegen die Bewerberstädte einen Fragenkatalog, einen dicken, dicken Fragenkatalog, und diese Fragen sind schon so, dass sie auch missverstanden werden als ein Soll, das zu erfüllen ist, was die Bettenzahlen betrifft, die Finanzierung, die Garantien und so weiter und so fort. Und lässt eigentlich relativ wenig Chancen für Phantasie. Deshalb sehen die Bewerbungsbücher letztlich auch alle ziemlich gleich aus und sind schwer auseinanderzuhalten. Und da sagt er zu Recht, wir müssen es auch wieder möglich machen, dass so jemand wie Lillehammer gewinnt. Denn viele Experten würden sagen, heute hätte Lillehammer keine Chance, die Olympischen Spiele erneut auszurichten.
Nichtsdestotrotz Begeisterung
Frenzel: Lassen Sie uns noch mal kurz auf die Spiele gucken, vielleicht im Vergleich die Spiele, bei denen Sie gewonnen haben, 1988 in Seoul. Das waren ja fröhliche Spiele, die waren ja auch schon so was wie der Vorbote auf die ganzen politischen Öffnungen, die sich dann ergaben. Glauben Sie denn, dass Sotschi 2014, dass das überhaupt noch Spiele werden können, die begeistern – bei diesem ganzen Vorlauf, den wir jetzt hatten?
Maennig: Ach ja, das glaube ich schon. Es gibt eigentlich vor jedem Mega-Event – ich kümmere mich ja beruflich auch um Fußballweltmeisterschaften – immer sehr viel Kritik. Denken Sie an Südafrika, denken Sie jetzt an Rio. Aber auch selbst an London 2012. Irgendwie ist es so, dass in dem Augenblick, wo die Olympische Flamme entzündet worden ist und die Wettkämpfe losgehen, dass alles vergessen worden ist. Und denken Sie an den Rausch, den sie, unserer englischen Freunde, während der Olympischen Spiele erlebt haben und wie sie jetzt noch begeistert davon sind. Da wird vieles von der Kritik vergessen werden. Und ich bin überzeugt, wir werden fantastische Bilder bekommen und tolle sportliche Leistungen sehen.
Frenzel: Sind Sie denn auch jemand, der dann ab Samstag Stunden vor dem Fernseher verbringt und Wettkämpfe schaut?
Maennig: Ja, soweit mir das meine Familie und mein Beruf zulässt, gucke ich natürlich gerne und bin natürlich neugierig, was passiert und gucke mir schon ausgesuchte Ereignisse an.
Frenzel: Professor Wolfgang Maennig, 1988 Olympiasieger im Rudern, heute Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hamburg, und der Mann, der die deutschen Olympiabewerbungen in den letzten Jahren durchgerechnet hat. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Maennig: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.