Wippermann: "Das ist Kulturkampf"
Nach Ansicht von Wolfgang Wippermann handelt es sich bei den Äußerungen von Kardinal Meisner zur "entarteten" Kultur nicht nur um einen verbalen Fehlgriff. Der Kardinal maße sich an "zu bestimmen, was Kunst und Kultur zu sein" habe, sagte Wippermann. "Das ist Kulturkampf und das ist fundmentalistisch."
Jörg Degenhardt: Wir sprechen mit dem Historiker Professor Wolfgang Wippermann vom Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, guten Morgen, Herr Wippermann.
Wolfgang Wippermann: Ja, schönen guten Morgen Herr Degenhardt!
Degenhardt: Die Aufregung um Meisners Aussage ist groß. Zum einen geht es um seine Kulturauffassung, zum anderen um ein Wort aus dem Propagandavokabular der Nazis. Darf man ein einzelnes Wort aus dem Zusammenhang reißen und damit Meisner eine Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut unterstellen?
Wippermann: Das würde ich nicht tun, nicht so weit gehen, aber ein Kardinal muss wissen, was er sagt, und in einer Predigt und ein nationalsozialistischen Propagandabegriff darf man einfach nicht gebrauchen. Das geht nicht.
Degenhardt: Wo sehen Sie denn die Ursache für diesen verbalen Fehltritt? Mangelndes Geschichtsbewusstsein, Übereifer oder vielleicht auch Lust an der Provokation?
Wippermann: Nein, ich sehe das im größeren Zusammenhang, dass hier ein Kulturkampf geführt wird und zwar der erste Satz, der erste Teil des Satzes ist ja noch viel wichtiger, nämlich, dass Kardinal Meisner sich anmaßt zu bestimmen, was Kunst und Kultur zu sein hat und dass es entartet ist, wenn es nicht seiner Auffassung und der Auffassung der katholischen Kirche entspricht. Das ist Kulturkampf und das ist fundmentalistisch und da sehe ich eine Gefahr und wenn wir immer über Islamismus und den islamistischen Fundamentalismus reden, dann müssen wir uns an die eigene Nase, gewissermaßen, fassen und darauf hinweisen, wir haben etwas Ähnliches. Das ist Fundamentalismus und das ist im Widerspruch zu unserem Rechts- und Verfassungsverständnis.
Degenhardt: Ist dieser Fundamentalismus neu oder nehmen wir ihn nur jetzt in besonderer Weise zur Kenntnis?
Wippermann: Nein, Meisner ist ja ein Mehrfachtäter. Er hat mehrmals Äußerungen getan über Frauen und Homosexuelle, die ebenfalls nicht in Übereinstimmung stehen mit unserem Rechts- und Verfassungsverständnis, und der eine fatale Nähe zu Äußerungen von Ayatollahs und islamistischen Extremisten haben.
Degenhardt: Es sind ja zwei Debatten, die hier offensichtlich parallel laufen: Einmal geht es darum, wie gehe ich mit Naziparolen, Nazivokabular um, die andere Geschichte ist eben diese fundamentalistische Position, die einzelne Kommentatoren kritisieren und die sie offensichtlich auch kritisieren. Wir haben gerade darüber gesprochen. Ich möchte noch mal auf diese andere Geschichte zurückkommen, denn es gibt ja nicht nur den Fall Meisner aktuell. Warum greifen generell immer wieder Deutsche auf dieses Nazivokabular zurück?
Wippermann: Ja, wenn Sie auf Eva Herman, Ihre Kollegin gewissermaßen oder Moderatorin, anspielen, so ist das natürlich um zu schockieren, um zu brüskieren, um in die Öffentlichkeit zu kommen. Das ist das große Tabu, wenn man sich zum Nationalsozialismus äußert, bei Eva Herman positiv, oder wenn man eben nationalsozialistisch besetzte Begriffe wie entartete Kunst und Kultur benutzt. Ob das nun mit Absicht oder unabsichtlich war, ein Mann wie Kardinal Meisner muss wissen, was er dort gesagt hat und das ist unverzeihlich, was er dort gesagt hat.
Degenhardt: Gut, Sie haben den Fall Herman angesprochen, da gab es eine fristlose Kündigung durch den norddeutschen Rundfunk nach ihren unkritischen Worten zur nationalsozialistischen Familienpolitik. Ähnliche Konsequenzen muss ja Meisner wohl nicht fürchten. Das heißt umgekehrt, es könnte ähnliche Äußerungen auch in der Zukunft wieder geben?
Wippermann: Ja, die gibt es fast täglich und wir müssen hier einfach sehen, es ist ein hartes Wort, aber hier wird ein Kulturkampf geführt und wenn sie einen Kulturkampf haben wollen, dann sollen sie ihn bekommen. Wir müssen sehen, wo die Grenzen der Toleranz sind und wir müssen unsere Werte, die Werteverfassung von Menschenrechten und so weiter, offensiver verteidigen gegen alle und gegen jedermann und jedefrau, das heißt also, nicht nur gegen Ayatollahs und islamistische Extremisten, sondern auch gewisse fundamentalistische Strömungen und Vertretungen innerhalb der katholischen Kirche. Das erinnert fatal insgesamt an den Karikaturenstreit über die dänische Zeitung und da haben wir uns auch mit Recht aufgeregt, wir müssen etwas schärfer hier umgehen.
Degenhardt: Wo sind denn dann aus Ihrer Sicht die Grenzen der Toleranz? Könnten Sie das ein bisschen konkreter benennen.
Wippermann: Ja, zum Beispiel wenn gesagt wird, dass Frauen minderwertiger sind, dass Homosexuelle abzulehnen sind, dass Kunst sich den Regeln der Kirche zu beugen hat, sind das alles Positionen, die wir seit der Aufklärung überwunden haben und die, wie ich ja schon mehrmals erwähnt habe, mit unserem Rechts- und Verfassungsverständnis nicht vereinbar sind. Das geht nicht. Auch ein Kardinal hat sich unserer Ordnung zu beugen.
Degenhardt: Das heißt, hier müssten sich auch andere Instanzen, andere Entscheidungsträger zu Wort melden, nicht zuletzt vielleicht sogar auch die deutsche Bischofskonferenz?
Wippermann: Ja, also das glaube ich auch, denn sie sind eben auch dem Gemeinwohl und der Verfassung verpflichtet und die Bischofskonferenz sollte sich davon distanzieren, bis hin auf, nach meiner Ansicht, rauf zum Papst. Vor allem aber die deutschen Bischöfe sind hier Vertreter deutscher Staatsbürger und unserer Verfassung, unserer Rechtsordnung verpflichtet und sollten sich von solchen Verletzungen distanzieren.
Degenhardt: Aber hat es so was in der Vergangenheit gegeben? Ich meine so betrachtet und zugespitzt formuliert ist doch Kardinal Meisner ein Wiederholungstäter.
Wippermann: Meisner ist ein Wiederholungstäter, aber es gibt eben auch andere und noch einmal: Hier wird ein Kulturkampf provoziert, aber von dieser Seite, also nicht wie im 19. Jahrhundert von staatlicher Seite durch Bismarck, sondern hier durch solche Äußerungen, die, nach meiner Ansicht, bewusst gewählt worden sind, um einen Kulturkampf zu führen und wenn sie den haben wollen, dann sollen sie ihn kriegen.
Degenhardt: Kardinal Meisner hat eine heftige Debatte in Deutschland ausgelöst, ich sprach darüber mit Professor Wolfgang Wippermann vom Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, vielen Dank für das Gespräch.
Wippermann: Bitte sehr.
Wolfgang Wippermann: Ja, schönen guten Morgen Herr Degenhardt!
Degenhardt: Die Aufregung um Meisners Aussage ist groß. Zum einen geht es um seine Kulturauffassung, zum anderen um ein Wort aus dem Propagandavokabular der Nazis. Darf man ein einzelnes Wort aus dem Zusammenhang reißen und damit Meisner eine Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut unterstellen?
Wippermann: Das würde ich nicht tun, nicht so weit gehen, aber ein Kardinal muss wissen, was er sagt, und in einer Predigt und ein nationalsozialistischen Propagandabegriff darf man einfach nicht gebrauchen. Das geht nicht.
Degenhardt: Wo sehen Sie denn die Ursache für diesen verbalen Fehltritt? Mangelndes Geschichtsbewusstsein, Übereifer oder vielleicht auch Lust an der Provokation?
Wippermann: Nein, ich sehe das im größeren Zusammenhang, dass hier ein Kulturkampf geführt wird und zwar der erste Satz, der erste Teil des Satzes ist ja noch viel wichtiger, nämlich, dass Kardinal Meisner sich anmaßt zu bestimmen, was Kunst und Kultur zu sein hat und dass es entartet ist, wenn es nicht seiner Auffassung und der Auffassung der katholischen Kirche entspricht. Das ist Kulturkampf und das ist fundmentalistisch und da sehe ich eine Gefahr und wenn wir immer über Islamismus und den islamistischen Fundamentalismus reden, dann müssen wir uns an die eigene Nase, gewissermaßen, fassen und darauf hinweisen, wir haben etwas Ähnliches. Das ist Fundamentalismus und das ist im Widerspruch zu unserem Rechts- und Verfassungsverständnis.
Degenhardt: Ist dieser Fundamentalismus neu oder nehmen wir ihn nur jetzt in besonderer Weise zur Kenntnis?
Wippermann: Nein, Meisner ist ja ein Mehrfachtäter. Er hat mehrmals Äußerungen getan über Frauen und Homosexuelle, die ebenfalls nicht in Übereinstimmung stehen mit unserem Rechts- und Verfassungsverständnis, und der eine fatale Nähe zu Äußerungen von Ayatollahs und islamistischen Extremisten haben.
Degenhardt: Es sind ja zwei Debatten, die hier offensichtlich parallel laufen: Einmal geht es darum, wie gehe ich mit Naziparolen, Nazivokabular um, die andere Geschichte ist eben diese fundamentalistische Position, die einzelne Kommentatoren kritisieren und die sie offensichtlich auch kritisieren. Wir haben gerade darüber gesprochen. Ich möchte noch mal auf diese andere Geschichte zurückkommen, denn es gibt ja nicht nur den Fall Meisner aktuell. Warum greifen generell immer wieder Deutsche auf dieses Nazivokabular zurück?
Wippermann: Ja, wenn Sie auf Eva Herman, Ihre Kollegin gewissermaßen oder Moderatorin, anspielen, so ist das natürlich um zu schockieren, um zu brüskieren, um in die Öffentlichkeit zu kommen. Das ist das große Tabu, wenn man sich zum Nationalsozialismus äußert, bei Eva Herman positiv, oder wenn man eben nationalsozialistisch besetzte Begriffe wie entartete Kunst und Kultur benutzt. Ob das nun mit Absicht oder unabsichtlich war, ein Mann wie Kardinal Meisner muss wissen, was er dort gesagt hat und das ist unverzeihlich, was er dort gesagt hat.
Degenhardt: Gut, Sie haben den Fall Herman angesprochen, da gab es eine fristlose Kündigung durch den norddeutschen Rundfunk nach ihren unkritischen Worten zur nationalsozialistischen Familienpolitik. Ähnliche Konsequenzen muss ja Meisner wohl nicht fürchten. Das heißt umgekehrt, es könnte ähnliche Äußerungen auch in der Zukunft wieder geben?
Wippermann: Ja, die gibt es fast täglich und wir müssen hier einfach sehen, es ist ein hartes Wort, aber hier wird ein Kulturkampf geführt und wenn sie einen Kulturkampf haben wollen, dann sollen sie ihn bekommen. Wir müssen sehen, wo die Grenzen der Toleranz sind und wir müssen unsere Werte, die Werteverfassung von Menschenrechten und so weiter, offensiver verteidigen gegen alle und gegen jedermann und jedefrau, das heißt also, nicht nur gegen Ayatollahs und islamistische Extremisten, sondern auch gewisse fundamentalistische Strömungen und Vertretungen innerhalb der katholischen Kirche. Das erinnert fatal insgesamt an den Karikaturenstreit über die dänische Zeitung und da haben wir uns auch mit Recht aufgeregt, wir müssen etwas schärfer hier umgehen.
Degenhardt: Wo sind denn dann aus Ihrer Sicht die Grenzen der Toleranz? Könnten Sie das ein bisschen konkreter benennen.
Wippermann: Ja, zum Beispiel wenn gesagt wird, dass Frauen minderwertiger sind, dass Homosexuelle abzulehnen sind, dass Kunst sich den Regeln der Kirche zu beugen hat, sind das alles Positionen, die wir seit der Aufklärung überwunden haben und die, wie ich ja schon mehrmals erwähnt habe, mit unserem Rechts- und Verfassungsverständnis nicht vereinbar sind. Das geht nicht. Auch ein Kardinal hat sich unserer Ordnung zu beugen.
Degenhardt: Das heißt, hier müssten sich auch andere Instanzen, andere Entscheidungsträger zu Wort melden, nicht zuletzt vielleicht sogar auch die deutsche Bischofskonferenz?
Wippermann: Ja, also das glaube ich auch, denn sie sind eben auch dem Gemeinwohl und der Verfassung verpflichtet und die Bischofskonferenz sollte sich davon distanzieren, bis hin auf, nach meiner Ansicht, rauf zum Papst. Vor allem aber die deutschen Bischöfe sind hier Vertreter deutscher Staatsbürger und unserer Verfassung, unserer Rechtsordnung verpflichtet und sollten sich von solchen Verletzungen distanzieren.
Degenhardt: Aber hat es so was in der Vergangenheit gegeben? Ich meine so betrachtet und zugespitzt formuliert ist doch Kardinal Meisner ein Wiederholungstäter.
Wippermann: Meisner ist ein Wiederholungstäter, aber es gibt eben auch andere und noch einmal: Hier wird ein Kulturkampf provoziert, aber von dieser Seite, also nicht wie im 19. Jahrhundert von staatlicher Seite durch Bismarck, sondern hier durch solche Äußerungen, die, nach meiner Ansicht, bewusst gewählt worden sind, um einen Kulturkampf zu führen und wenn sie den haben wollen, dann sollen sie ihn kriegen.
Degenhardt: Kardinal Meisner hat eine heftige Debatte in Deutschland ausgelöst, ich sprach darüber mit Professor Wolfgang Wippermann vom Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, vielen Dank für das Gespräch.
Wippermann: Bitte sehr.