"Wir ähneln uns immer weiter an"

Moderation: Jürgen König · 09.06.2008
Polen und Deutsche seien sich von der Mentalität her ähnlich, meint der Kabarettist Steffen Möller. Viel ähnlicher als Deutsche und Franzosen oder Deutsche und Italiener, sagt der in Deutschland geborene und in Polen lebende Künstler. Bestes Beispiel: Die Polen sitzen gern im Schrebergarten, pflegen die Gemütlichkeit, und grillen Würstchen.
Jürgen König: Zu Gast im Studio Steffen Möller, aus Wuppertal gebürtig, machte aus Spaß einen Polnischkurs in Krakau und beschloss umgehend auszuwandern ins gelobte Land Polen, lebt nun seit 17 Jahren ...

Steffen Möller: 14.

König: ... 14 Jahren in Warschau an der Weichsel, ist als deutscher Kabarettist ein polnischer Fernsehstar geworden, tritt aber jetzt vermehrt wieder in Deutschland auf. Steffen Möller, schön, dass Sie gekommen sind!

Möller: Hallo, guten Morgen!

König: Sie haben sich gestern das Spiel Deutschland - Polen im Berliner Admiralspalast angesehen. Für wen waren Sie?

Möller: Ich war für Polen. Ich war auch schon vor zwei Jahren in Dortmund für Polen. Damals war es schwer, weil Polen schlecht war. Gestern gab es eine Riesenchance von Marciej Zurawski, schade.

König: Dem Kapitän. Lukas Podolski hat hinterher gesagt, auf die Frage, warum er so bedrüpst ausgesehen hätte nach seinem ersten Torschuss vor allen Dingen. Ja, er habe doch polnische Großfamilie und insofern, das sei ihm schon alles schwer gefallen. Glauben Sie ihm das?

Möller: Das glaube ich ihm. Denn in Polen sind die Leute ja doch sehr familiär verwurzelt, und er hat irgendwie ganz großen Familienanhang in Westpolen. Seine Freundin ist auch, glaube ich, Polin, also die Mutter seines Kindes. Es ist schon schwierig.

König: Ja. Sie waren umringt, vermute ich mal, von Deutschen und Polen. Wie war das? Erzählen Sie mal die Stimmung. Wie wurde da gefeiert?

Möller: Ich nehme an, im Admiralspalast waren etwa 800 Leute, mindestens 200 Polen, viele in roten Trikots. Ich hatte ja auch mein rotes T-Shirt dabei "Noch ist Polen nicht verloren". Ich hatte mir auch einen Fan-Schal besorgt, noch vorgestern in Warschau mit dem weißen Adler der Polen. Und das Komische für mich war, dass wir direkt Blick hatten auf die Bahnstrecke Warschau - Berlin. Der Eurocity fuhr vorbei. Ich sage immer, das ist meine Heimat, ich bin ein "Betweener", ich lebe irgendwo in diesem Zug zwischen Deutschland und Polen.

König: Aber ein schöner Zug, der dreimal am Tag zwischen Berlin und Warschau pendelt.

Möller: Genau. Und die erste Halbzeit war dann schon recht eindeutig. In der zweiten kamen die Polen dann. Aber leider eben hat es wieder nicht gereicht. Und eine große polnische Zeitung, keine Boulevard-Zeitung ausnahmsweise, sondern "Dziennik" titelt heute: "Leo, why?" und Untertitel: "Es sollte ein Wunder geschehen, und es kam so wie immer." Und in einer eben Boulevard-Zeitung derjenigen, die für die Verstimmung gesorgt hatte der letzten Tage unter anderem, steht aber sehr genial: Schlagzeile "Kubica besiegt die Deutschen", Anspielung auf Formel Eins.

König: Formel Eins, der Große Preis von Kanada. Sie haben gerade ein sehr schönes Buch veröffentlicht, "Viva Polonia - Als deutscher Gastarbeiter in Polen". Da schreiben Sie vom polnischen Pessimismus, der sei schon wie eine Art Religion geworden. Insofern kommt das Ergebnis ja, wenn ich sozusagen sage, Sie als Pole, müssen es wissen, nicht überraschend?

Möller: Genau. Polen ist das Land der Pessimisten. Und die Taxi-Fahrer der letzten Tage, mit denen ich so rumgefahren bin, haben mich jedes Mal gefragt, für wen ich bin. Und ich habe gesagt, diesmal bin ich für Polen, ganz klar. Sie haben es verdient nach elf Niederlagen. Und dann war die Reaktion immer: "Wir schaffen das doch nie."

Vielleicht darf ich kurz den klassischen Witz zwischen dem polnischen Optimisten und Pessimisten zitieren. Der Optimist sagt: "Liebe Leute, was auch immer wir tun, es hat doch alles keinen Sinn. Morgen kommen die Russen und deportieren uns nach Sibirien." Daraufhin sagt der Pessimist: "Was bist du doch wieder für ein unverbesserlicher Optimist. Deportieren? Zu Fuß müssen wir laufen." Und nicht umsonst heißt ja auch der erste Vers der polnischen Nationalhymne: "Noch ist Polen nicht verloren".

König: Das dachte ich gestern, als ich die Hymne hörte und auch das Lied, dachte ich mir auch, ist eigentlich ein seltsamer Hymnentext. Was machen Sie in Polen, oder wie begegnet man Ihnen, wenn Sie mit Ihrem Frohsinn dort auftreten?

Möller: Na ja, in Polen versuche ich, diesen Frohsinn etwas zu dämpfen.

König: Ja, dürften unangenehm auffallen sonst.

Möller: Genau. Am Anfang wollte ich die Welt noch bekehren, kam nach Warschau, stieg ins Taxi ein und sagte, ach, ist das nicht tolles Wetter heute. Und der Taxi-Fahrer drehte sich dann immer um, merkte sofort, das muss ein Ausländer sein, der hier so euphorisch rumschreit. Dreht sich um und meinte: "Ja, aber von der anderen Weichselseite her ziehen schon Wolken auf." Man muss in Polen realistisch sein. Man darf nicht zu viel Optimismus verbreiten. Und vielleicht sind ja auch die starken Schlagzeilen der letzten Tage in Polen einfach nur das Trommeln gegen die Angst gewesen.

König: Mit Schlagzeilen meinen Sie auch diese ganzen Geschichten mit den abgeschlagenen Köpfen usw.? Was war das?

Möller: Ja, da gab es diese eine unschöne Fotomontage, dass Leo Beenhakker in der linken Hand den Kopf von Ballack, in der rechten den von Jogi Löw hält. Und da muss man zuerst mal wissen, das war eine Anspielung auf den polnischen Nationalmythos Grunwald, die Schlacht bei Tannenberg 1410. Das ist sozusagen die polnische Entsprechung zum deutschen Mythos vom polnischen Autodieb. Die sind auch nicht besser als wir.

Und dann muss man aber auch wissen, dass in Polen schon seit Tagen ein Internetfilmchen überall rumgeistert, das von Deutschen produziert wurde, ich glaube, vor zwei Wochen oder so was. Deutsche Fußballfans halten an der Autobahn an, pinkeln alle, die Nationalhymne ertönt. Als sie sich umdrehen, ist ihr Auto weg. Und dann kommt große Schlagzeile: "8. Juni: Deutschland - Polen". Dieses Filmchen hat für viel Ärger oder auch Gelächter gesorgt.

Und es gibt bereits im Internet auf "YouTube" vier polnische Antwortfilmchen, wo dann zwei bekannte polnische Satiriker erklären, wie es wirklich war. Es waren nämlich keine Autodiebe, die da kamen, während die gepinkelt haben, sondern da kommen diese beiden Satiriker vorbeigefahren, sehen da die betrunkenen Fans. Der eine steigt ordnungsgemäß bei den Deutschen ein, fährt zum nächsten Polizisten, gibt ihm die Schlüssel und sagt: "Achtung, bitte verhaften Sie da vorne die betrunkenen Deutschen." Es gibt noch drei andere Filmchen.

König: Sie leben seit 14 Jahren in Warschau. Welche Vorurteile, die eine Seite gegen die andere und vice versa halten sich hartnäckig, und welche haben sich auch in Luft aufgelöst?

Möller: Na ja, was sich hartnäckig hält, ist natürlich das Vorurteil vom humorlosen Deutschen, der nicht tanzen kann, der alles besser weiß und der leider eben auch immer gewinnt. Dieses Vorurteil wurde nun gestern wieder bestätigt.

König: Wobei die nicht humorlos gespielt haben?

Möller: Nein, humorlos, nein. Und man muss auch sagen, was vielleicht gestern ein bisschen so beseitigt wurde, war das Klischee von der Maschine, von der deutschen Maschine. Es gab ja doch einige schöne Spielzüge. Aber es ist eben schlimm. Wir Deutschen gelten als die ewigen Gewinner. Vielleicht spiele ich ja auch deswegen in der Fernsehserie "L wie Liebe" seit fünf Jahren den deutschen Kartoffelbauern, der immer Pech hat in der Liebe und dem die Frauen immer weglaufen.

König: Wie würden Sie denn das deutsch-polnische Verhältnis nun beschreiben? Ist es so, wie ich es eingangs mal unterstellt habe, dass es, wenn man die Menschen sich anschaut und fragt, dass es sehr viel besser ist, als man es aus den Zeitungen herausliest?

Möller: Genauso würde ich sagen. Ich würde sagen, es ist umgekehrt wie mit Frankreich. Mit Frankreich haben wir auf der offiziellen Ebene gute Kontakte und inoffiziell sind die Franzosen, soweit ich das höre, wenig interessiert, die Deutschen etwas mehr. In Polen ist es umgekehrt. Offiziell gibt es viele Spannungen, aber unter der offiziellen Ebene läuft es sehr gut. Ich sehe es ja überall bei meinen Auftritten, über 400 deutsch-polnische Städtepartnerschaften, Tausende von deutsch-polnischen Ehen jedes Jahr. Polen, Polinnen sind die beliebtesten ausländischen Ehepartner in Deutschland.

Und man muss auch gar nicht jetzt weit suchen. Der Eurocity, den ich eben erwähnt habe, da sitzen jeden Tag Deutsche und Polen beieinander, "Betweener", so wie ich, die erst einmal im Pass nachgucken müssen, woher sie nun eigentlich kommen. Und da redet man miteinander, wir reden deutsch, wir reden polnisch.

König: Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen beiden Völkern?

Möller: Ja, auch wieder viel mehr, als man denkt. Erstmal haben wir die Geografie gemeinsam. Nur zwei Länder in Europa haben im Norden das Meer, im Süden die Berge, im Osten die Hauptstadt. Auch in Polen gibt es so eine Sache wie bei uns zwischen Ossis/Wessis, Westpolen und Ostpolen. Polen haben auch eine ähnliche Mentalität, finde ich, viel ähnlicher als Franzosen oder Italiener. Die sitzen gern im Schrebergarten, pflegen so die Gemütlichkeit, grillen Würstchen.

König: Trinken Bier ...

Möller: Trinken Bierchen, übrigens Wodkakonsum in Polen um 50 Prozent gesunken in den letzten Jahren. Wir ähneln uns immer weiter an. Bestes Beispiel ist die Sprache. Es gibt im Polnischen Hunderte von deutschen Wörtern, Plattfuß, Reisefieber, Meisterstück, Tanzbuda, Tanzbuda ist eine schlechte Disco.

König: Aber die polnische Sprache bleibt schon eine Hürde?

Möller: Eine kleine Hürde.

König: Eine große Hürde, das ist schon höllisch schwer.

Möller: Aber nicht so groß wie Latein. Und zum Latein-Unterricht sind Millionen Deutsche jedes Jahr bereit. Bitte, dann nehmen wir doch Polnisch, hat alle Vorteile des Lateinischen, ist aber viel schöner.

König: Erzählen Sie uns zum Abschluss noch irgendeinen sehr schönen Witz aus Polen über die Polen.

Möller: Einen Witz über die Polen?

König: Hm. Oder eine schöne Geschichte. Ihr Buch wimmelt von schönen Geschichten.

Möller: Ja.

König: Das ist immer schwierig, solche Bücher, danach zu fragen, weil man will ja nicht, erzählen Sie mal die Geschichte, die Sie auf Seite 105 schreiben. Sondern ich möchte es schon Ihnen überlassen.

Möller: Na ja, für mich war immer das Wichtigste eigentlich der Anfang in Polen. Meine erste Begegnung mit Polens Nationaldichter Adam Mickiewicz, von dem ich nie gehört hatte als 23-Jähriger. Ich kam an in Krakau, sehe dieses Denkmal auf dem Marktplatz, größter Marktplatz Europas, und da steht darauf "Adamowym Mickiewiczowy Narod". Ich gucke im Reiseführer nach, gab es nicht. Es gab nur Adam Mickiewicz, aber diesen Mickiewiczowy gab es nicht.

Später habe ich erfahren, es handelt sich um den Dativ. Da stand drauf "Dem Adam Mickiewicz" und dritter Fall Dativ, da hängt am -owy hinten dran. Das hat mir so gut gefallen. Aus Steffen Möller wird Steffenowy Möllerowy. Da habe ich meine erste Postkarte nach Wuppertal nach Wuppertal geschrieben an meine Mutter "Sigrunowy Möllerowy". War ein Fehler, war nämlich maskulin, meine Mutter weiß es bis heute nicht.

König: Vielen Dank! Nach dem Länderspiel Deutschland - Polen ein Gespräch mit dem deutschen Kabarettisten aus Warschau, Steffen Möller. Sein Buch "Viva Polonia - Als deutscher Gastarbeiter in Polen" ist im Scherz Verlag erschienen. Die nächsten Auftritte von Steffen Möller in Deutschland, in Berlin am 13. und 14. Juni, jetzt am Wochenende, just mit diesem Programm "Viva Polonia". Herr Möller, vielen Dank!

Möller: Tschüss!