"Wir brauchen ein Schulsystem, das auf Aussonderung verzichtet"
Der Interims-Schulleiter der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln, Helmut Hochschild, hat sich für ein integratives Schulsystem ausgesprochen. Eine stärkere Mischung von Schülern mit unterschiedlichem Hintergrund würde ein effektiveres Lernen und effektivere Hilfsmaßnahmen auch von Sozialarbeitern an den Schulen erlauben, sagte Hochschild.
Jürgen König: Herr Hochschild, was haben Sie vor einem halben Jahr vorgefunden, was hat sich in diesem halben Jahr geändert an der Rütli-Schule?
Helmut Hochschild: Oh, eine schwierige Frage, die in der Öffentlichkeit so darzustellen, erstens Ihre Sendezeit sprengen würde, und zweitens Informationen rüberschickt, die nicht nur für die Rütli-Schule, sondern für das gesamte Schulsystem wichtig sind. Aber vielleicht beschreibe ich Ihnen ganz kurz, wo Sie mich jetzt hier antreffen. Ich sitze in einem sonnendurchfluteten Schulsekretariat in der Rütli-Schule, und das ist genau der Gegensatz zu dem, was ich damals vorgefunden habe. Um dieses sonnendurchflutete Schulsekretariat ist Ruhe, vor dem Haus die Straße ist leer.
Als ich damals am 31. März die Schule betrat, hatten wir graues Wetter, vor der Straße stand die Polizei, die dafür sorgte, dass zwischen der Presse und der Schülerschaft es nicht zu weiteren Unruhen kam. Die Presse hat hier im Umfeld sehr viel Unruhe gestiftet. Und dann kam ich in die Schule rein, und in der Schule saßen Lehrerinnen und Lehrer, die in einer Dienstbesprechung mir mitteilten, dass das, was einen Tag vorher in den Schlagzeilen stand, Lehrerinnen und Lehrer möchten die Schule schließen, falsch war. Es war also eine Unruhe entstanden auf Grund einer falschen Information. Von daher nutze ich dieses Gespräch, dass wir auch solche Legenden hier aufarbeiten können.
Die Lehrerinnen und Lehrer hatten die Probleme, die Sie sehr gut in Ihrer Anmoderation genannt haben. Die Probleme sind, die wir in der Berliner Hauptschule konzentriert, sehr stark haben, aber auch bundesweit in den Hauptschulen vorfinden. In den Berliner Hauptschulen eben insbesondere deswegen, weil wir im großstädtischen Bereich sind und auf Grund der schulischen Situation hier nur weniger als zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler in unserem Schulzweig sammeln. Und es sind die zehn Prozent Schülerinnen und Schüler, die besonders große Schwierigkeiten haben, die bereits in den sechs Jahren Grundschule schon sehr stark darunter litten, dass sie zu den Schwächeren gehörten, mit den meisten Problem.
Das hat sich hier gesammelt, insofern stimmte es, dass die Lehrerinnen und Lehrer sich auch deswegen überfordert fühlen, weil auf Grund dieser schwierigen Rahmenbedingungen, die ich jetzt kurz angerissen habe, hier keine Schulleitung ein Jahr lang vorhanden war, jedenfalls keine, die offiziell so im Verfahren benannt werden konnte. Es hat ein erweitertes Schulleitungssystem gegeben, das neben der normalen Arbeit als Lehrerin und Lehrer versucht hat, das meiste aufzufangen und zu organisieren. Und es war ein relativ hoher Krankenstand hier im Hause, der nicht ausgeglichen werden konnte durch Neueinstellungen.
Das waren Dinge, die ich vorgefunden hatte und die ich dann in guter Weise in den Osterferien gleich aufarbeiten konnte, indem ich zwei neue Lehrerinnen und Lehrer hier einstellen durfte. Das war etwas, von dem ich 14 Jahre lang als Hauptschulleiter an einer anderen Schule geträumt hatte und ich durchführen konnte. Es kamen natürlich auch sehr schnell die Vorwürfe, na ja, du darfst da Sachen machen, die du woanders nicht machen darfst, und ich konnte dann auch sehr schnell damals schon in der Pressekonferenz, dieser großen, die damals durch die Medien ging, am 4. April sagen: Ich mache hier etwas exemplarisch, was dann zum Beispiel in den großen Ferien für fast alle Berliner Hauptschulen dann auch berlinweit durchgeführt werden konnte.
Wir konnten fast 70 Lehrerinnen und Lehrer neu einstellen. Das war etwas, was der Senat schon vor dem Rütli-Hype geplant hatte, und was jetzt hier durchgesetzt werden konnte, was auch dringend nötig war, wir brauchen in den Hauptschulen, so dieser Schulzweig noch existiert, mehr Unterstützung, als dies woanders der Fall ist, und so konnte ich damals zum Beispiel auch die drei Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter mitbringen hier, die bereits von dem erweiterten Schulleitungsteam hier organisiert worden waren, die nur zufällig zu dem gleichen Termin kamen wie ich.
Und die haben sofort eine positive Wirkung erzielen können, weil sie die ersten Menschen in unserer Schule waren, die Erwachsenen, die hier im System der Schule arbeiteten, die die Sprache der Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler sprachen, nämlich Türkisch und Arabisch, und das war zum Beispiel ein Manko, unter dem die Kollegien fast in allen Schulen leiden: dass wir eine Sprache sprechen, die die Schülerinnen und Schüler nicht mehrheitlich, zum Beispiel 83 Prozent, Sie sagten die Prozentzahl, zu Hause nicht sprechen.
König: Das heißt also, dieser Brief aus dem Kollegium damals hat dazu geführt, dass der Berliner Senat andere Rahmenbedingungen geschaffen hat. Wie sind Sie mit den Schülerinnen und Schülern umgegangen, um diese Stimmungslage – das Wort ist nicht so schön, aber mir fällt jetzt kein anderes ein – zu verändern, also um wirklich zu sagen, Kinder, so geht es nicht weiter, wir müssen etwas tun, wie haben auch die Schüler selber über diesen ganzen Prozess gedacht und gesprochen?
Hochschild: Ganz kurz zum ersten Teil Ihrer Frage, es war nicht so, dass der Senat erst anfing zu arbeiten, als die Presse hier sozusagen aufmerksam wurde auf das Problem. Dinge wie das Sozialarbeiterprogramm für die Berliner Hauptschulen waren bereits lange in der Vorbereitung, und der Sozialarbeiter, der hier kam, einer von den Dreien, hatte seinen Starttermin, hätte ihn sowieso an dem Tag gehabt. Was allerdings dazu geführt hat oder was die Auswirkung dieses Briefs war, des Rütli-Hypes, dass schon nochmal ein Rückenwind kam, dass alle anderen Hauptschulen am 1.1.2007 ihre Sozialarbeiter bekommen sollten.
Und durch diesen Rückenwind in der Senatsverwaltung die Verantwortlichen es geschafft haben, dass bereits ab 1.9., also praktisch fast Beginn des Schuljahres fast alle Berliner Hauptschulen die Sozialarbeiter hatten. Also damit nicht der Eindruck entsteht, dass die Verwaltung hier erst wach wurde durch den Brief, sondern dass das schon vorher geplant war. Jetzt aber zu Ihrer Frage, wie die Schüler reagiert haben. Insofern habe ich es dann auch so vorgefunden, so wie ich es mit der Dienstbesprechung schon beschrieben hatte mit den Kolleginnen und Kollegen, hat man das genauso mit den Schülerinnen und Schülern hier gemacht. Wir haben sofort eine Gesamt-Schülervertretungssitzung gemacht, in der auch ein manchmal Herr Böger zum Beispiel mit dabei war.
König: Der Berliner Schulsenator.
Hochschild: Richtig, und wir sind ins Gespräch gegangen und haben gefragt, was sich die Schüler wünschen, was sie wollen, und das Erste, was sie sich wünschten, war, dass die Schülerinnen und Schüler, die sich in der Presse negativ vor dem Haus darstellen konnten durch Steinewürfe und ähnliche Dinge, dass klar wird, dass diese nicht repräsentativ für die ganze Schülerschaft sind. Den Schülerinnen war interessanterweise absolut klar, in welcher Situation sie sich bezüglich ihrer Bewerbungen zum Beispiel nach der Schule befanden. Sie wollten unbedingt, dass dieses Bild korrigiert wird, denn die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler würde gerne mehr leisten können und würde gerne bessere Perspektiven haben, die man ihnen aber leider so nicht bietet und die dann durch diese Mediengeschichte auch noch verschlechtert wurden.
Das heißt also, die Schülerschaft ist zusammengerückt, und wir haben hier den Eindruck, dass die Stimmung im Hause deswegen sich auch schon verbessert hat, weil zum Beispiel, wenn es diese negativen Rausreißer unter den Schülerinnen und Schülern gibt, doch aus der schweigenden Mehrheit jetzt öfter sich die Schüler melden und sagen: Jetzt hör bitte auf, hör auf zu stören, ich möchte lernen. Das ist schon eine Stimmungsgrundlage, die natürlich die Arbeit doch an einigen Stellen verbessert - was nicht bedeutet, dass die Probleme damit weg sind.
König: In der TAZ stand am Montag zu lesen, "Hauptschulen werden zur Unterschichtenfabrik". Anlass für den Artikel war eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. In dieser Studie wurde dargelegt, dass in 16 Prozent aller Hauptschulen Unterricht strukturell nicht mehr stattfindet. Auch in Bayern, wo die Hauptschule noch relativ viele Kinder aufnehme, verkomme sie zur Restschule. So also diese Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Was sagen Sie dazu, verkommen Hauptschulen zu Abstellkammern für Unterprivilegierte?
Hochschild: Also das Wort "verkommen" würde ich keinesfalls unterstreichen, weil die Kollegien in den Berliner Hauptschulen sich große Mühe geben, und es war wieder in der "Frankfurter Rundschau" gerade am Wochenende ein Beispiel genannt, unsere Nikolaus-August-Otto-Schule in Steglitz mit ihrem Elterntrainingsmodell ist herausragend. Wir haben mehrere Hauptschulen, die pädagogische Programme entwickelt haben auf Grund der Notsituation, die ganz klar gerade in dieser Studie auch beschrieben wird, die meiner Ansicht nach inzwischen vorbildlich sein können für das gesamte Schulsystem. Ich könnte hier Namen von Schulen nennen, aber das wissen Sie als gut recherchierender Journalist auch und die Hörer auch teilweise, etliche unserer Berliner Hauptschulen sind durch die Presse gegangen, wo positive Arbeit geleistet wird.
Nichtsdestotrotz hat die TAZ natürlich mit ihrer Aussage recht, dass hier ein Schulsystem geschaffen wurde, - und ich hatte es ja vorhin schon gesagt: Wenn zehn Prozent der Schülerschaft mit den problematischsten Hintergründen in einem Schulzweig gesammelt werden, dann, denke ich, könnte auch Herr Sarrazin hier einen Modus finden, zu sagen: Wir können tatsächlich unsere Ressourcen effektiver einsetzen, also das Geld, was in die Schulen geht, tatsächlich effektiver einsetzen, indem wir hier eine andere Mischung von Schullandschaft schaffen. Dann würden wir auch mit unseren Sozialarbeitern, die wir in den Schulen brauchen, die wir auch zukünftig in den integrativen Schulen, die es hoffentlich dann geben wird, das wird ja auch angeschoben.
Und das verlangen auch die Berliner Hauptschulleiterinnen und Hauptschulleiter besonders, in einem solchen integrativen Schulsystem würden Hilfsmöglichkeiten, die wir in den Hauptschulen schaffen, weitaus effektiver laufen, weil wir eigentlich sofort mit einer anderen Mischung von Schülerinnen und Schülern arbeiten. Wir brauchen also einen Einstieg in ein Schulsystem, was auf Aussonderung verzichtet. Das passiert hier in Deutschland einfach viel, viel mehr als zum Beispiel in den angrenzenden EU-Ländern oder gar Skandinavien, die immer als vorbildlich genannt werden.
König: Also Sie spielen jetzt an auf die Diskussion um eine Schulreform in Berlin, die von den Gegnern als Einheitsschule gebrandmarkt wird. Sie sagen, ja, das wäre gut, die Abschaffung der Hauptschule wäre ein Beitrag zur Problemlösung?
Hochschild: Wobei Abschaffung der Hauptschule ist immer so ein etwas falscher Begriff, weil es reicht ja nicht, diese Schüler, also den Schulzweig abzuschaffen und sie woanders hineinzustecken. Sondern wir müssen schon das Schulsystem so umorganisieren, dass die Hilfsmöglichkeiten, die natürlich unsere Schülerinnen und Schüler brauchen, weil sie diese Probleme haben, die ich schon beschrieben habe, die müssen im Schulsystem vorhanden sein.
Es kann also nicht sein, dass wir das abschaffen und damit auch die Hilfsmöglichkeiten abschaffen und wir sie in andere Schulen integrieren. Nein, nein, wir sollten uns Gedanken darüber machen, dass wir spätestens seit der PISA-Studie wissen, dass Deutschland, Österreich und Lichtenstein die drei Staaten sind, die am frühesten aussondern und aussortieren. Alle andere Länder um uns herum, die in der PISA-Studie weitaus positiver abgeschnitten haben mit ihren Werten, haben integrative Schulsysteme - teilweise, wenn man nach Skandinavien schaut, bis zum Abschluss der Schule, und erzielen eben über diese integrative Art eine weitaus bessere Möglichkeit.
König: Vielen Dank für das Gespräch.
Helmut Hochschild: Oh, eine schwierige Frage, die in der Öffentlichkeit so darzustellen, erstens Ihre Sendezeit sprengen würde, und zweitens Informationen rüberschickt, die nicht nur für die Rütli-Schule, sondern für das gesamte Schulsystem wichtig sind. Aber vielleicht beschreibe ich Ihnen ganz kurz, wo Sie mich jetzt hier antreffen. Ich sitze in einem sonnendurchfluteten Schulsekretariat in der Rütli-Schule, und das ist genau der Gegensatz zu dem, was ich damals vorgefunden habe. Um dieses sonnendurchflutete Schulsekretariat ist Ruhe, vor dem Haus die Straße ist leer.
Als ich damals am 31. März die Schule betrat, hatten wir graues Wetter, vor der Straße stand die Polizei, die dafür sorgte, dass zwischen der Presse und der Schülerschaft es nicht zu weiteren Unruhen kam. Die Presse hat hier im Umfeld sehr viel Unruhe gestiftet. Und dann kam ich in die Schule rein, und in der Schule saßen Lehrerinnen und Lehrer, die in einer Dienstbesprechung mir mitteilten, dass das, was einen Tag vorher in den Schlagzeilen stand, Lehrerinnen und Lehrer möchten die Schule schließen, falsch war. Es war also eine Unruhe entstanden auf Grund einer falschen Information. Von daher nutze ich dieses Gespräch, dass wir auch solche Legenden hier aufarbeiten können.
Die Lehrerinnen und Lehrer hatten die Probleme, die Sie sehr gut in Ihrer Anmoderation genannt haben. Die Probleme sind, die wir in der Berliner Hauptschule konzentriert, sehr stark haben, aber auch bundesweit in den Hauptschulen vorfinden. In den Berliner Hauptschulen eben insbesondere deswegen, weil wir im großstädtischen Bereich sind und auf Grund der schulischen Situation hier nur weniger als zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler in unserem Schulzweig sammeln. Und es sind die zehn Prozent Schülerinnen und Schüler, die besonders große Schwierigkeiten haben, die bereits in den sechs Jahren Grundschule schon sehr stark darunter litten, dass sie zu den Schwächeren gehörten, mit den meisten Problem.
Das hat sich hier gesammelt, insofern stimmte es, dass die Lehrerinnen und Lehrer sich auch deswegen überfordert fühlen, weil auf Grund dieser schwierigen Rahmenbedingungen, die ich jetzt kurz angerissen habe, hier keine Schulleitung ein Jahr lang vorhanden war, jedenfalls keine, die offiziell so im Verfahren benannt werden konnte. Es hat ein erweitertes Schulleitungssystem gegeben, das neben der normalen Arbeit als Lehrerin und Lehrer versucht hat, das meiste aufzufangen und zu organisieren. Und es war ein relativ hoher Krankenstand hier im Hause, der nicht ausgeglichen werden konnte durch Neueinstellungen.
Das waren Dinge, die ich vorgefunden hatte und die ich dann in guter Weise in den Osterferien gleich aufarbeiten konnte, indem ich zwei neue Lehrerinnen und Lehrer hier einstellen durfte. Das war etwas, von dem ich 14 Jahre lang als Hauptschulleiter an einer anderen Schule geträumt hatte und ich durchführen konnte. Es kamen natürlich auch sehr schnell die Vorwürfe, na ja, du darfst da Sachen machen, die du woanders nicht machen darfst, und ich konnte dann auch sehr schnell damals schon in der Pressekonferenz, dieser großen, die damals durch die Medien ging, am 4. April sagen: Ich mache hier etwas exemplarisch, was dann zum Beispiel in den großen Ferien für fast alle Berliner Hauptschulen dann auch berlinweit durchgeführt werden konnte.
Wir konnten fast 70 Lehrerinnen und Lehrer neu einstellen. Das war etwas, was der Senat schon vor dem Rütli-Hype geplant hatte, und was jetzt hier durchgesetzt werden konnte, was auch dringend nötig war, wir brauchen in den Hauptschulen, so dieser Schulzweig noch existiert, mehr Unterstützung, als dies woanders der Fall ist, und so konnte ich damals zum Beispiel auch die drei Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter mitbringen hier, die bereits von dem erweiterten Schulleitungsteam hier organisiert worden waren, die nur zufällig zu dem gleichen Termin kamen wie ich.
Und die haben sofort eine positive Wirkung erzielen können, weil sie die ersten Menschen in unserer Schule waren, die Erwachsenen, die hier im System der Schule arbeiteten, die die Sprache der Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler sprachen, nämlich Türkisch und Arabisch, und das war zum Beispiel ein Manko, unter dem die Kollegien fast in allen Schulen leiden: dass wir eine Sprache sprechen, die die Schülerinnen und Schüler nicht mehrheitlich, zum Beispiel 83 Prozent, Sie sagten die Prozentzahl, zu Hause nicht sprechen.
König: Das heißt also, dieser Brief aus dem Kollegium damals hat dazu geführt, dass der Berliner Senat andere Rahmenbedingungen geschaffen hat. Wie sind Sie mit den Schülerinnen und Schülern umgegangen, um diese Stimmungslage – das Wort ist nicht so schön, aber mir fällt jetzt kein anderes ein – zu verändern, also um wirklich zu sagen, Kinder, so geht es nicht weiter, wir müssen etwas tun, wie haben auch die Schüler selber über diesen ganzen Prozess gedacht und gesprochen?
Hochschild: Ganz kurz zum ersten Teil Ihrer Frage, es war nicht so, dass der Senat erst anfing zu arbeiten, als die Presse hier sozusagen aufmerksam wurde auf das Problem. Dinge wie das Sozialarbeiterprogramm für die Berliner Hauptschulen waren bereits lange in der Vorbereitung, und der Sozialarbeiter, der hier kam, einer von den Dreien, hatte seinen Starttermin, hätte ihn sowieso an dem Tag gehabt. Was allerdings dazu geführt hat oder was die Auswirkung dieses Briefs war, des Rütli-Hypes, dass schon nochmal ein Rückenwind kam, dass alle anderen Hauptschulen am 1.1.2007 ihre Sozialarbeiter bekommen sollten.
Und durch diesen Rückenwind in der Senatsverwaltung die Verantwortlichen es geschafft haben, dass bereits ab 1.9., also praktisch fast Beginn des Schuljahres fast alle Berliner Hauptschulen die Sozialarbeiter hatten. Also damit nicht der Eindruck entsteht, dass die Verwaltung hier erst wach wurde durch den Brief, sondern dass das schon vorher geplant war. Jetzt aber zu Ihrer Frage, wie die Schüler reagiert haben. Insofern habe ich es dann auch so vorgefunden, so wie ich es mit der Dienstbesprechung schon beschrieben hatte mit den Kolleginnen und Kollegen, hat man das genauso mit den Schülerinnen und Schülern hier gemacht. Wir haben sofort eine Gesamt-Schülervertretungssitzung gemacht, in der auch ein manchmal Herr Böger zum Beispiel mit dabei war.
König: Der Berliner Schulsenator.
Hochschild: Richtig, und wir sind ins Gespräch gegangen und haben gefragt, was sich die Schüler wünschen, was sie wollen, und das Erste, was sie sich wünschten, war, dass die Schülerinnen und Schüler, die sich in der Presse negativ vor dem Haus darstellen konnten durch Steinewürfe und ähnliche Dinge, dass klar wird, dass diese nicht repräsentativ für die ganze Schülerschaft sind. Den Schülerinnen war interessanterweise absolut klar, in welcher Situation sie sich bezüglich ihrer Bewerbungen zum Beispiel nach der Schule befanden. Sie wollten unbedingt, dass dieses Bild korrigiert wird, denn die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler würde gerne mehr leisten können und würde gerne bessere Perspektiven haben, die man ihnen aber leider so nicht bietet und die dann durch diese Mediengeschichte auch noch verschlechtert wurden.
Das heißt also, die Schülerschaft ist zusammengerückt, und wir haben hier den Eindruck, dass die Stimmung im Hause deswegen sich auch schon verbessert hat, weil zum Beispiel, wenn es diese negativen Rausreißer unter den Schülerinnen und Schülern gibt, doch aus der schweigenden Mehrheit jetzt öfter sich die Schüler melden und sagen: Jetzt hör bitte auf, hör auf zu stören, ich möchte lernen. Das ist schon eine Stimmungsgrundlage, die natürlich die Arbeit doch an einigen Stellen verbessert - was nicht bedeutet, dass die Probleme damit weg sind.
König: In der TAZ stand am Montag zu lesen, "Hauptschulen werden zur Unterschichtenfabrik". Anlass für den Artikel war eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. In dieser Studie wurde dargelegt, dass in 16 Prozent aller Hauptschulen Unterricht strukturell nicht mehr stattfindet. Auch in Bayern, wo die Hauptschule noch relativ viele Kinder aufnehme, verkomme sie zur Restschule. So also diese Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Was sagen Sie dazu, verkommen Hauptschulen zu Abstellkammern für Unterprivilegierte?
Hochschild: Also das Wort "verkommen" würde ich keinesfalls unterstreichen, weil die Kollegien in den Berliner Hauptschulen sich große Mühe geben, und es war wieder in der "Frankfurter Rundschau" gerade am Wochenende ein Beispiel genannt, unsere Nikolaus-August-Otto-Schule in Steglitz mit ihrem Elterntrainingsmodell ist herausragend. Wir haben mehrere Hauptschulen, die pädagogische Programme entwickelt haben auf Grund der Notsituation, die ganz klar gerade in dieser Studie auch beschrieben wird, die meiner Ansicht nach inzwischen vorbildlich sein können für das gesamte Schulsystem. Ich könnte hier Namen von Schulen nennen, aber das wissen Sie als gut recherchierender Journalist auch und die Hörer auch teilweise, etliche unserer Berliner Hauptschulen sind durch die Presse gegangen, wo positive Arbeit geleistet wird.
Nichtsdestotrotz hat die TAZ natürlich mit ihrer Aussage recht, dass hier ein Schulsystem geschaffen wurde, - und ich hatte es ja vorhin schon gesagt: Wenn zehn Prozent der Schülerschaft mit den problematischsten Hintergründen in einem Schulzweig gesammelt werden, dann, denke ich, könnte auch Herr Sarrazin hier einen Modus finden, zu sagen: Wir können tatsächlich unsere Ressourcen effektiver einsetzen, also das Geld, was in die Schulen geht, tatsächlich effektiver einsetzen, indem wir hier eine andere Mischung von Schullandschaft schaffen. Dann würden wir auch mit unseren Sozialarbeitern, die wir in den Schulen brauchen, die wir auch zukünftig in den integrativen Schulen, die es hoffentlich dann geben wird, das wird ja auch angeschoben.
Und das verlangen auch die Berliner Hauptschulleiterinnen und Hauptschulleiter besonders, in einem solchen integrativen Schulsystem würden Hilfsmöglichkeiten, die wir in den Hauptschulen schaffen, weitaus effektiver laufen, weil wir eigentlich sofort mit einer anderen Mischung von Schülerinnen und Schülern arbeiten. Wir brauchen also einen Einstieg in ein Schulsystem, was auf Aussonderung verzichtet. Das passiert hier in Deutschland einfach viel, viel mehr als zum Beispiel in den angrenzenden EU-Ländern oder gar Skandinavien, die immer als vorbildlich genannt werden.
König: Also Sie spielen jetzt an auf die Diskussion um eine Schulreform in Berlin, die von den Gegnern als Einheitsschule gebrandmarkt wird. Sie sagen, ja, das wäre gut, die Abschaffung der Hauptschule wäre ein Beitrag zur Problemlösung?
Hochschild: Wobei Abschaffung der Hauptschule ist immer so ein etwas falscher Begriff, weil es reicht ja nicht, diese Schüler, also den Schulzweig abzuschaffen und sie woanders hineinzustecken. Sondern wir müssen schon das Schulsystem so umorganisieren, dass die Hilfsmöglichkeiten, die natürlich unsere Schülerinnen und Schüler brauchen, weil sie diese Probleme haben, die ich schon beschrieben habe, die müssen im Schulsystem vorhanden sein.
Es kann also nicht sein, dass wir das abschaffen und damit auch die Hilfsmöglichkeiten abschaffen und wir sie in andere Schulen integrieren. Nein, nein, wir sollten uns Gedanken darüber machen, dass wir spätestens seit der PISA-Studie wissen, dass Deutschland, Österreich und Lichtenstein die drei Staaten sind, die am frühesten aussondern und aussortieren. Alle andere Länder um uns herum, die in der PISA-Studie weitaus positiver abgeschnitten haben mit ihren Werten, haben integrative Schulsysteme - teilweise, wenn man nach Skandinavien schaut, bis zum Abschluss der Schule, und erzielen eben über diese integrative Art eine weitaus bessere Möglichkeit.
König: Vielen Dank für das Gespräch.