"Wir brauchen eine Gesetzesinitiative"
Nach der Gründung eines deutschen Ablegers des Schweizer Sterbehilfe-Vereins Dignitas hat der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Klaus Kutzer, eine eindeutige Gesetzeslage in Bezug auf passive Sterbehilfe gefordert. Patienten müssten sich darauf verlassen können, dass ihre Patientenverfügung auch wirklich umgesetzt werde.
Kassel: Dignitas bietet seinen Mitglieder einiges, unter anderem Hilfe zum Selbstmord. Wer Dignitas von der Ausweglosigkeit seiner Lage überzeugt, dem besorgt der Verein ein tödliches Medikament, das ihn friedlich einschlafen lässt, allerdings nur in der Schweiz, in Deutschland geht das nicht. Oder etwa doch? Klaus Kutzer ist ehemaliger vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof und war auch einmal der Leiter der interdisziplinären Arbeitsgruppe Patientenautonomie am Lebensende im Bundesjustizministerium. Schönen guten Tag, Herr Kutzer.
Kutzer: Guten Tag.
Kassel: Der Artikel 115 des Schweizerischen Strafgesetzbuches sagt aus, dass jemand, der aus wörtlich "selbstsüchtigen Beweggründen" jemandem beim Selbstmord hilft, sich strafbar macht und dieser Verein Dignitas schließt nun daraus, dass Hilfe beim Selbstmord ohne solche selbstsüchtigen Beweggründe nicht strafbar ist und ist mit dieser Auslegung des Gesetzes in der Schweiz ja auch erfolgreich. Gibt es einen irgendwie vergleichbaren Paragraphen auch im deutschen Strafgesetz?
Kutzer: In Deutschland gibt es einen solchen Paragraphen nicht, die Beihilfe zum Suizid ist straflos und zwar egal aus welchen Motiven heraus sie begangen wird, also selbst wenn man unterstellen würde, dass hier selbstsüchtig oder eigennützig Beihilfe geleistet worden ist, ist die Beihilfe zu einem Suizid, der von einem frei Verantwortlichen begangen wird, als solche straflos.
Damit ist aber die Rechtslage noch nicht erschöpft, denn unsere Rechtssprechung legt den Paragraphen über unterlassene Hilfeleistung so aus, dass sie sagt, wenn jemand zu einem suizidalen Geschehen hinzukommt, dann muss er Hilfe leisten, das heißt, er muss diesen Suizid verhindern, wenn er sich nicht wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen will. Wer eine besondere Verpflichtung für das Leben des Suizidenten hat, zum Beispiel der Arzt oder der Ehegatte, der ist auch von Rechtswegen gehalten, diesen Suizid zu verhindern, sonst kann er sich sogar wegen eines Tötungsdelikts strafbar machen.
Sie sehen also, die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid, die theoretisch nach unserem Recht gegeben ist, wird durch andere Vorschriften doch erheblich eingeschränkt.
Kassel: Das bedeutet doch aber auch ganz konkret, dass das, was Dignitas in der Schweiz macht, also einen Arzt zu finden, der ein entsprechendes Rezept ausfüllt für dieses tödliche Medikament, das wäre in Deutschland so strafbar für alle Beteiligten.
Kutzer: Das kann man so nicht sagen. Wenn der Arzt den betreffenden Patienten nicht richtig behandelt, dann wird er wohl nicht eine Garantenpflicht für das Leben des Patienten haben, aber in Deutschland ist das schon deswegen nicht möglich, weil berufsrechtlich jedem Arzt die Beihilfe zum Suizid verboten ist. Setzt er sich über dieses Berufsgebot hinweg, muss er mit standesrechtlichen Maßnahmen bis hin zum Entzug der Approbation rechnen.
Kassel: Wie beurteilen Sie das als Jurist, der so lange wirklich auch an einem Ort wie dem Bundesgerichtshof tätig war, Sie haben jetzt das Berufsrecht der Ärzte erwähnt, die strafrechtlichen Regelungen, die es in Deutschland gibt, ich persönlich habe jetzt aber trotzdem noch den Eindruck, eine eindeutige Regelung, was den Selbstmord im Zusammenhang mit Sterbehilfe angeht, die gibt es in Deutschland irgendwie doch nicht.
Kutzer: Die gibt es nicht, da haben Sie völlig recht, vor allem, das Gesetz sagt dazu nichts, sondern alles ist Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, die sich ja auch ändern kann, die den einzelnen Modalitäten des jeweiligen Falles Rechnung tragen kann. So eine klare Rechtslage wie in der Schweiz ist hier leider nicht.
Kassel: Nun sagt ja Dignitas indirekt, dieses Büro in Hannover wurde deshalb eröffnet, weil der Verein auch in Deutschland darauf hinwirken will, dass es eine klare Rechtslage in diesem Zusammenhang gibt. Glauben Sie, da führt irgendein Weg kurzfristig hin?
Kutzer: Kurzfristig sicherlich nicht. Das, was wir brauchen, ist eine Gesetzesinitiative, um passive Sterbehilfe, um indirekte Sterbehilfe wirklich straffrei zu machen, um den Patienten zu sagen, wann eine Patientenverfügung gilt, welche Voraussetzung erfüllt sein muss, dass er sich darauf verlassen kann, dass seine Patientenverfügung später umgesetzt wird. Das ist rechtspolitisch, glaube ich, an erster Stelle zu regeln. Die Frage, wie wir es mit einem Suizid handhaben wollen, die ist dem gegenüber ganz zweitrangig. Aber wenn man die Gesamtproblematik regelt, wird man auch diese Frage zumindest erörtern und notfalls durch eine gesetzliche Klarstellung regeln müssen.
Kassel: Nun fordert dieser Verein Dignitas ganz konkret auch, dass man zunächst einmal in Deutschland dieses Medikament zulässt, das in der Schweiz eingesetzt wird. Das ist ein Medikament, das in Deutschland nur erlaubt ist im Bereich der Tiermedizin, denn der Verein sagt, das ist eine große Ungerechtigkeit, weil dieses ein Medikament ist, das Menschen sicher und friedlich sterben lässt. Brauchen wir da eine neue gesetzliche Regelung?
Kutzer: Ohne neue gesetzliche Regelung darf dieses Medikament nicht angewandt werden, sonst machen sich diejenigen, die dieses Medikament unerlaubt einführen oder es unerlaubt anwenden wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelrecht strafbar. Ich weiß nicht und möchte mir auch kein Urteil erlauben, ob wir das ändern sollten. Bisher sind wir ganz gut gefahren mit der gegenwärtigen Rechtslage und es wäre ja enorm gefährlich für die Volksgesundheit und überhaupt für das Leben der betroffenen Bürger, wenn jetzt Ärzte oder irgendwelche selbsternannten Strebehelfer in der Lage wären, Suizidwilligen ein solches Mittel zu verschaffen.
Wenn man das aber zulässt so wie in der Schweiz, dann wurde jetzt jüngst festgestellt, dass die Missbrauchsgefahr sehr groß ist und der Staat verpflichtet ist, solche Sterbehilfeorganisationen zu überwachen. Das die zum Beispiel nicht an psychisch Kranke solche Mittel abgeben oder an Menschen, die bei richtiger Behandlung vielleicht noch von dem Suizid abgebracht werden können.
Kassel: Nun wissen wir, dass für viele gesetzliche Regelungen inzwischen wirklich gelten muss: Nationale Regeln bringen nicht viel oder bieten viele Schlupflöcher. Das wissen wir, das ist ja auch in diesem Fall so, über die Hälfte der Menschen, die mit Hilfe von Dignitas Selbstmord verüben konnten in der Schweiz, waren deutsche Staatsbürger, das heißt, man müsste das Ganze eigentlich international regeln. Und Dignitas selber behauptet ja, dass in der europäischen Menschenrechtskonvention in einem Artikel angelegt ist, dass es ein Recht auf Selbstmord gibt. Steht das Ihrer Meinung nach wirklich drin in dieser Konvention oder ist das Interpretationssache?
Kutzer: Das steht da nicht drin, das hat der europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch nicht gesagt, er hat das Recht auf Selbstbestimmung des Einzelnen betont und auch das Recht des Einzelnen, einen selbst bestimmten Tod zu streben, womit er aber meint, dass der Einzelne verbieten kann, dass er an lebensverlängernde ärztliche Maßnahmen angeschlossen wird, aber nirgendwo ist meines Erachtens gesagt, dass jemand das Recht hat, sich selbst umzubringen.
Kutzer: Guten Tag.
Kassel: Der Artikel 115 des Schweizerischen Strafgesetzbuches sagt aus, dass jemand, der aus wörtlich "selbstsüchtigen Beweggründen" jemandem beim Selbstmord hilft, sich strafbar macht und dieser Verein Dignitas schließt nun daraus, dass Hilfe beim Selbstmord ohne solche selbstsüchtigen Beweggründe nicht strafbar ist und ist mit dieser Auslegung des Gesetzes in der Schweiz ja auch erfolgreich. Gibt es einen irgendwie vergleichbaren Paragraphen auch im deutschen Strafgesetz?
Kutzer: In Deutschland gibt es einen solchen Paragraphen nicht, die Beihilfe zum Suizid ist straflos und zwar egal aus welchen Motiven heraus sie begangen wird, also selbst wenn man unterstellen würde, dass hier selbstsüchtig oder eigennützig Beihilfe geleistet worden ist, ist die Beihilfe zu einem Suizid, der von einem frei Verantwortlichen begangen wird, als solche straflos.
Damit ist aber die Rechtslage noch nicht erschöpft, denn unsere Rechtssprechung legt den Paragraphen über unterlassene Hilfeleistung so aus, dass sie sagt, wenn jemand zu einem suizidalen Geschehen hinzukommt, dann muss er Hilfe leisten, das heißt, er muss diesen Suizid verhindern, wenn er sich nicht wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen will. Wer eine besondere Verpflichtung für das Leben des Suizidenten hat, zum Beispiel der Arzt oder der Ehegatte, der ist auch von Rechtswegen gehalten, diesen Suizid zu verhindern, sonst kann er sich sogar wegen eines Tötungsdelikts strafbar machen.
Sie sehen also, die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid, die theoretisch nach unserem Recht gegeben ist, wird durch andere Vorschriften doch erheblich eingeschränkt.
Kassel: Das bedeutet doch aber auch ganz konkret, dass das, was Dignitas in der Schweiz macht, also einen Arzt zu finden, der ein entsprechendes Rezept ausfüllt für dieses tödliche Medikament, das wäre in Deutschland so strafbar für alle Beteiligten.
Kutzer: Das kann man so nicht sagen. Wenn der Arzt den betreffenden Patienten nicht richtig behandelt, dann wird er wohl nicht eine Garantenpflicht für das Leben des Patienten haben, aber in Deutschland ist das schon deswegen nicht möglich, weil berufsrechtlich jedem Arzt die Beihilfe zum Suizid verboten ist. Setzt er sich über dieses Berufsgebot hinweg, muss er mit standesrechtlichen Maßnahmen bis hin zum Entzug der Approbation rechnen.
Kassel: Wie beurteilen Sie das als Jurist, der so lange wirklich auch an einem Ort wie dem Bundesgerichtshof tätig war, Sie haben jetzt das Berufsrecht der Ärzte erwähnt, die strafrechtlichen Regelungen, die es in Deutschland gibt, ich persönlich habe jetzt aber trotzdem noch den Eindruck, eine eindeutige Regelung, was den Selbstmord im Zusammenhang mit Sterbehilfe angeht, die gibt es in Deutschland irgendwie doch nicht.
Kutzer: Die gibt es nicht, da haben Sie völlig recht, vor allem, das Gesetz sagt dazu nichts, sondern alles ist Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, die sich ja auch ändern kann, die den einzelnen Modalitäten des jeweiligen Falles Rechnung tragen kann. So eine klare Rechtslage wie in der Schweiz ist hier leider nicht.
Kassel: Nun sagt ja Dignitas indirekt, dieses Büro in Hannover wurde deshalb eröffnet, weil der Verein auch in Deutschland darauf hinwirken will, dass es eine klare Rechtslage in diesem Zusammenhang gibt. Glauben Sie, da führt irgendein Weg kurzfristig hin?
Kutzer: Kurzfristig sicherlich nicht. Das, was wir brauchen, ist eine Gesetzesinitiative, um passive Sterbehilfe, um indirekte Sterbehilfe wirklich straffrei zu machen, um den Patienten zu sagen, wann eine Patientenverfügung gilt, welche Voraussetzung erfüllt sein muss, dass er sich darauf verlassen kann, dass seine Patientenverfügung später umgesetzt wird. Das ist rechtspolitisch, glaube ich, an erster Stelle zu regeln. Die Frage, wie wir es mit einem Suizid handhaben wollen, die ist dem gegenüber ganz zweitrangig. Aber wenn man die Gesamtproblematik regelt, wird man auch diese Frage zumindest erörtern und notfalls durch eine gesetzliche Klarstellung regeln müssen.
Kassel: Nun fordert dieser Verein Dignitas ganz konkret auch, dass man zunächst einmal in Deutschland dieses Medikament zulässt, das in der Schweiz eingesetzt wird. Das ist ein Medikament, das in Deutschland nur erlaubt ist im Bereich der Tiermedizin, denn der Verein sagt, das ist eine große Ungerechtigkeit, weil dieses ein Medikament ist, das Menschen sicher und friedlich sterben lässt. Brauchen wir da eine neue gesetzliche Regelung?
Kutzer: Ohne neue gesetzliche Regelung darf dieses Medikament nicht angewandt werden, sonst machen sich diejenigen, die dieses Medikament unerlaubt einführen oder es unerlaubt anwenden wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelrecht strafbar. Ich weiß nicht und möchte mir auch kein Urteil erlauben, ob wir das ändern sollten. Bisher sind wir ganz gut gefahren mit der gegenwärtigen Rechtslage und es wäre ja enorm gefährlich für die Volksgesundheit und überhaupt für das Leben der betroffenen Bürger, wenn jetzt Ärzte oder irgendwelche selbsternannten Strebehelfer in der Lage wären, Suizidwilligen ein solches Mittel zu verschaffen.
Wenn man das aber zulässt so wie in der Schweiz, dann wurde jetzt jüngst festgestellt, dass die Missbrauchsgefahr sehr groß ist und der Staat verpflichtet ist, solche Sterbehilfeorganisationen zu überwachen. Das die zum Beispiel nicht an psychisch Kranke solche Mittel abgeben oder an Menschen, die bei richtiger Behandlung vielleicht noch von dem Suizid abgebracht werden können.
Kassel: Nun wissen wir, dass für viele gesetzliche Regelungen inzwischen wirklich gelten muss: Nationale Regeln bringen nicht viel oder bieten viele Schlupflöcher. Das wissen wir, das ist ja auch in diesem Fall so, über die Hälfte der Menschen, die mit Hilfe von Dignitas Selbstmord verüben konnten in der Schweiz, waren deutsche Staatsbürger, das heißt, man müsste das Ganze eigentlich international regeln. Und Dignitas selber behauptet ja, dass in der europäischen Menschenrechtskonvention in einem Artikel angelegt ist, dass es ein Recht auf Selbstmord gibt. Steht das Ihrer Meinung nach wirklich drin in dieser Konvention oder ist das Interpretationssache?
Kutzer: Das steht da nicht drin, das hat der europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch nicht gesagt, er hat das Recht auf Selbstbestimmung des Einzelnen betont und auch das Recht des Einzelnen, einen selbst bestimmten Tod zu streben, womit er aber meint, dass der Einzelne verbieten kann, dass er an lebensverlängernde ärztliche Maßnahmen angeschlossen wird, aber nirgendwo ist meines Erachtens gesagt, dass jemand das Recht hat, sich selbst umzubringen.