"Wir brauchen kostengünstige Stromversorgung"
Sicher und kostengünstig: Wolfgang Böhmer befürwortet den Beschluss, Atomkraftwerke länger am Netz zu lassen. Durch die Laufzeitverlängerung baut er auf Investitionen in die Stromnetze seines Bundeslandes. SPD und Grünen warf Böhmer "fadenscheinige Argumentationslinien" vor.
Hanns Ostermann: Die einen sind zufrieden – nach monatelangem Streit hat sich Schwarz-Gelb auf einen Kompromiss geeinigt: Die deutschen Atommeiler sollen im Schnitt 12 Jahre länger am Stromnetz bleiben als vorgesehen; die anderen schäumen - Opposition und Umweltverbände werfen der Regierung vor, sich den Forderungen der Atomindustrie gebeugt zu haben. Mancher wie SPD-Chef Gabriel spricht sogar von Käuflichkeit. Kniefall oder Kompromiss? Darüber möchte ich mit dem Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts sprechen, mit Wolfgang Böhmer von der CDU. Guten Morgen, Herr Böhmer!
Wolfgang Böhmer: Guten Morgen, Herr Ostermann!
Ostermann: Warum setzt die Bundesregierung auf eine Technologie, die in der Bevölkerung in hohem Maße umstritten ist? Spricht nicht doch einiges für einen Kniefall, für eine Rolle rückwärts statt eine Revolution?
Böhmer: Nein, das kann ich so nicht sagen. Ich würde es auch nicht als eine Revolution bezeichnen, sondern eher als ein vernünftig prognostiziertes Ausstiegsprogramm aus der Atomenergie.
Ostermann: Aber hat eventuell Angela Merkel auch gestern den Begriff der Revolution geprägt, um über eigene Schwächen hinwegzutäuschen?
Böhmer: Das weiß ich nicht, solche Fragen könnte Ihnen bestenfalls Frau Merkel beantworten. Ich sehe daraus einen evolutionären Prozess, der zielführend ist und vernünftig ist.
Ostermann: Herr Böhmer, aber wie passt das zusammen, wenn einerseits betont wird, wir wollen so schnell wie möglich ins Zeitalter der erneuerbaren Energien kommen, und parallel dürfen die Atomkraftwerke länger am Netz bleiben? Das ist doch ein Widerspruch in sich?
Böhmer: Nein, das ist es nicht, denn die erneuerbaren Energien, von denen Sie sprechen, sind meistens nicht grundlastfähig. Und wir brauchen sichere Stromversorgung und wir brauchen kostengünstige Stromversorgung. Das betrifft nicht nur die Haushalte, sondern vor allen Dingen die Industrie, die einen hohen Stromverbrauch hat und kostengünstig weiter produzieren muss. Und deswegen halte ich das für durchaus vernünftig. Die Alternative wäre gewesen, für einen längeren Zeitraum die Kohleverstromung noch weiter auszubauen, aber da wissen Sie auch, dass die CO2-Emission deutlich höher ist als bei laufenden Atomreaktoren. Und demzufolge hätten wir mit Sicherheit dann einen gleich anderen Protest bekommen, der mit Sicherheit genau so laut gewesen wäre.
Ostermann: Aber Tatsache ist doch auch, dass, solange Atomkraftwerke nicht abgeschaltet werden, solange verstopfen sie auch die Stromnetze für erneuerbare Energien. Oder ist das falsch?
Böhmer: Nein, sie verstopfen sie nicht, sondern es sind die Spitzenleistungen bei den erneuerbaren Energien, insbesondere bei der Windenergie, die zu bestimmten Zeiten die Stromnetze verstopfen, und andererseits wieder, wenn kein Wind weht - wenigstens nicht in dem Maße, in dem wir es bräuchten –, sind wir darauf angewiesen, dass andere Stromquellen einspeisen. Und Sie alle wissen, das wissen auch die Vertreter der regenerativen Energien, dass wir einen erheblichen Investitionsbedarf beim Netzausbau haben, und das muss auch jemand machen und jemand bezahlen können. Das können die Windmühlenbetreiber auf den Feldern nicht.
Ostermann: Herr Böhmer, Ihr Land ist nicht nur das Land der Frühaufsteher - das ist an den Autobahnen immer wieder zu lesen –, sondern auch ein Land der erneuerbaren Energien. Welche Auswirkung könnte der Kompromiss auf Sachsen-Anhalt haben?
Böhmer: Ich glaube nicht, dass es nennenswerte Auswirkungen haben wird. Die Probleme, die wir jetzt haben, sind vor allen Dingen Probleme der Engpässe im Netz und des überalterten Netzes. Wir brauchen erhebliche Investitionen in die Stromnetze und die muss jemand leisten. Und ich hoffe, dass diese jetzt möglich gemacht wird.
Ostermann: Das könnten ja die großen Vier machen, die jetzt sich freuen darüber, dass die Atommeiler länger laufen?
Böhmer: Das ist auch meine Vorstellung davon.
Ostermann: Und dies ist auch der Bundesregierung bekannt? Haben Sie das Gefühl, dass der Bundesumweltminister sich in die gleiche Richtung bewegt?
Böhmer: Ich habe wenigstens das Gefühl, denn er kennt die Probleme und er weiß, dass zweistellige Milliardenbeträge notwendig sind, um das Stromnetz zu erneuern. Die ganzen Offshore-Anlagen, die jetzt gebaut worden sind, die müssen ja angeschlossen werden und letztlich Strom bis nach Süddeutschland liefern. Und da gibt es ja jetzt schon viele, die sagen, ihr könnt aber nicht durch unser Land.
Ostermann: Nordrhein-Westfalen hat bereits angekündigt, vor das Bundesverfassungsgericht zu gehen. Müsste nicht bei einer so weitreichenden Entscheidung in der Tat der Bundesrat angehört werden, also die Länderkammer?
Böhmer: Gut, als damals beschlossen wurde, die Laufzeit zu verkürzen, von der rot-grünen Regierung, ist der Bundesrat auch nicht gefragt worden. Und die gleichen Leute, die damals der Meinung waren, er müsste nicht gefragt werden, die sind jetzt dafür, weil es eine andere parteipolitische Konstellation gibt. Also das sind alles sehr fadenscheinige Argumentationslinien. Am Ende werden es wahrscheinlich doch die Verfassungsjuristen entscheiden müssen.
Ostermann: Was bedeutet der Kompromiss bei der Atomkraft aus Ihrer Sicht für die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung? Ist Ihnen da ein kleiner Stein vom Herzen gefallen, dass sich Union und FDP eben nicht nur fetzen, sondern auch einigen können?
Böhmer: Ja darauf haben wir schon lange gewartet, dass Sachpolitik gemacht wird und dass die Diskussionen, die notwendig sind und die ich niemandem vorwerfen würde, dass die nicht allzu sehr in der Öffentlichkeit zelebriert werden, denn das schadet tatsächlich dem Ansehen der Bundesregierung und der Politik allgemein.
Ostermann: Herr Böhmer, bevor die Leitung zusammenkracht, trotzdem noch mal die Frage: Glauben Sie, dass Ihre Partei mit diesem Thema, also mit der Atomkraft beispielsweise nun wirklich punkten kann und aus dem Umfragetief herauskommen kann?
Böhmer: Also wissen Sie, wenn man Politik nur aus parteipolitischen Kalkül heraus macht und sagt, womit können wir punkten und womit nicht, dann fände ich das ausgesprochen armselig. Eine Partei, die in der politischen Verantwortung ist, muss vor allen Dingen sich daran orientieren, was ist notwendig für unser Land, womit bringen wir unser Land voran. Und wenn das erfolgreich und sinnvoll gemacht wird und vernünftig gemacht wird, dann wird es am Ende auch einmal Punkte bringen. Aber das zum Ziel jeden politischen Handelns zu machen, das fände ich wirklich armselig und das hat auch die CDU bisher nicht gemacht.
Ostermann: Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts Wolfgang Böhmer von der CDU, Herr Böhmer, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Böhmer: Bitte schön, Herr Ostermann!
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Wolfgang Böhmer: Guten Morgen, Herr Ostermann!
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Böhmer: Nein, das kann ich so nicht sagen. Ich würde es auch nicht als eine Revolution bezeichnen, sondern eher als ein vernünftig prognostiziertes Ausstiegsprogramm aus der Atomenergie.
Ostermann: Aber hat eventuell Angela Merkel auch gestern den Begriff der Revolution geprägt, um über eigene Schwächen hinwegzutäuschen?
Böhmer: Das weiß ich nicht, solche Fragen könnte Ihnen bestenfalls Frau Merkel beantworten. Ich sehe daraus einen evolutionären Prozess, der zielführend ist und vernünftig ist.
Ostermann: Herr Böhmer, aber wie passt das zusammen, wenn einerseits betont wird, wir wollen so schnell wie möglich ins Zeitalter der erneuerbaren Energien kommen, und parallel dürfen die Atomkraftwerke länger am Netz bleiben? Das ist doch ein Widerspruch in sich?
Böhmer: Nein, das ist es nicht, denn die erneuerbaren Energien, von denen Sie sprechen, sind meistens nicht grundlastfähig. Und wir brauchen sichere Stromversorgung und wir brauchen kostengünstige Stromversorgung. Das betrifft nicht nur die Haushalte, sondern vor allen Dingen die Industrie, die einen hohen Stromverbrauch hat und kostengünstig weiter produzieren muss. Und deswegen halte ich das für durchaus vernünftig. Die Alternative wäre gewesen, für einen längeren Zeitraum die Kohleverstromung noch weiter auszubauen, aber da wissen Sie auch, dass die CO2-Emission deutlich höher ist als bei laufenden Atomreaktoren. Und demzufolge hätten wir mit Sicherheit dann einen gleich anderen Protest bekommen, der mit Sicherheit genau so laut gewesen wäre.
Ostermann: Aber Tatsache ist doch auch, dass, solange Atomkraftwerke nicht abgeschaltet werden, solange verstopfen sie auch die Stromnetze für erneuerbare Energien. Oder ist das falsch?
Böhmer: Nein, sie verstopfen sie nicht, sondern es sind die Spitzenleistungen bei den erneuerbaren Energien, insbesondere bei der Windenergie, die zu bestimmten Zeiten die Stromnetze verstopfen, und andererseits wieder, wenn kein Wind weht - wenigstens nicht in dem Maße, in dem wir es bräuchten –, sind wir darauf angewiesen, dass andere Stromquellen einspeisen. Und Sie alle wissen, das wissen auch die Vertreter der regenerativen Energien, dass wir einen erheblichen Investitionsbedarf beim Netzausbau haben, und das muss auch jemand machen und jemand bezahlen können. Das können die Windmühlenbetreiber auf den Feldern nicht.
Ostermann: Herr Böhmer, Ihr Land ist nicht nur das Land der Frühaufsteher - das ist an den Autobahnen immer wieder zu lesen –, sondern auch ein Land der erneuerbaren Energien. Welche Auswirkung könnte der Kompromiss auf Sachsen-Anhalt haben?
Böhmer: Ich glaube nicht, dass es nennenswerte Auswirkungen haben wird. Die Probleme, die wir jetzt haben, sind vor allen Dingen Probleme der Engpässe im Netz und des überalterten Netzes. Wir brauchen erhebliche Investitionen in die Stromnetze und die muss jemand leisten. Und ich hoffe, dass diese jetzt möglich gemacht wird.
Ostermann: Das könnten ja die großen Vier machen, die jetzt sich freuen darüber, dass die Atommeiler länger laufen?
Böhmer: Das ist auch meine Vorstellung davon.
Ostermann: Und dies ist auch der Bundesregierung bekannt? Haben Sie das Gefühl, dass der Bundesumweltminister sich in die gleiche Richtung bewegt?
Böhmer: Ich habe wenigstens das Gefühl, denn er kennt die Probleme und er weiß, dass zweistellige Milliardenbeträge notwendig sind, um das Stromnetz zu erneuern. Die ganzen Offshore-Anlagen, die jetzt gebaut worden sind, die müssen ja angeschlossen werden und letztlich Strom bis nach Süddeutschland liefern. Und da gibt es ja jetzt schon viele, die sagen, ihr könnt aber nicht durch unser Land.
Ostermann: Nordrhein-Westfalen hat bereits angekündigt, vor das Bundesverfassungsgericht zu gehen. Müsste nicht bei einer so weitreichenden Entscheidung in der Tat der Bundesrat angehört werden, also die Länderkammer?
Böhmer: Gut, als damals beschlossen wurde, die Laufzeit zu verkürzen, von der rot-grünen Regierung, ist der Bundesrat auch nicht gefragt worden. Und die gleichen Leute, die damals der Meinung waren, er müsste nicht gefragt werden, die sind jetzt dafür, weil es eine andere parteipolitische Konstellation gibt. Also das sind alles sehr fadenscheinige Argumentationslinien. Am Ende werden es wahrscheinlich doch die Verfassungsjuristen entscheiden müssen.
Ostermann: Was bedeutet der Kompromiss bei der Atomkraft aus Ihrer Sicht für die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung? Ist Ihnen da ein kleiner Stein vom Herzen gefallen, dass sich Union und FDP eben nicht nur fetzen, sondern auch einigen können?
Böhmer: Ja darauf haben wir schon lange gewartet, dass Sachpolitik gemacht wird und dass die Diskussionen, die notwendig sind und die ich niemandem vorwerfen würde, dass die nicht allzu sehr in der Öffentlichkeit zelebriert werden, denn das schadet tatsächlich dem Ansehen der Bundesregierung und der Politik allgemein.
Ostermann: Herr Böhmer, bevor die Leitung zusammenkracht, trotzdem noch mal die Frage: Glauben Sie, dass Ihre Partei mit diesem Thema, also mit der Atomkraft beispielsweise nun wirklich punkten kann und aus dem Umfragetief herauskommen kann?
Böhmer: Also wissen Sie, wenn man Politik nur aus parteipolitischen Kalkül heraus macht und sagt, womit können wir punkten und womit nicht, dann fände ich das ausgesprochen armselig. Eine Partei, die in der politischen Verantwortung ist, muss vor allen Dingen sich daran orientieren, was ist notwendig für unser Land, womit bringen wir unser Land voran. Und wenn das erfolgreich und sinnvoll gemacht wird und vernünftig gemacht wird, dann wird es am Ende auch einmal Punkte bringen. Aber das zum Ziel jeden politischen Handelns zu machen, das fände ich wirklich armselig und das hat auch die CDU bisher nicht gemacht.
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