"Wir brauchen mehr glaubwürdige Ratingagenturen"
Eine europäische Ratingagentur müsse auf der Seite der Anleger stehen und ein "öffentliches Gut produzieren", meint Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament. Um das zu gewährleisten, brauche auch sie eine unabhängige Finanzierung und Führung.
Gabi Wuttke: Moodys, Fitch, Standard and Poor - sie legen der Politik mit ihren von den Unternehmen finanzierten Einschätzungen Daumenschrauben an. Europa möchte den amerikanischen Ratingagenturen deshalb etwas entgegensetzen - aber keiner macht mit. Das von der EU unterstützte Großstrategieunternehmen Roland Berger konnte für sein 300-Millionen-Euro-Projekt nicht genügend Geldgeber erwärmen, auch der Vorstoß von Bertelsmann steht unter keinem guten Stern. Warum? Weil beispielsweise der Bundesverband der deutschen Industrie sich mit den Amerikanern gut vertreten und ebenso bewertet fühlt.
Am Telefon begrüße ich um 6:51 Uhr Sven Giegold, finanz- und währungspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament. Guten Morgen!
Sven Giegold: Guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Herr Giegold, bleibt der EU jetzt noch etwas anderes übrig als eine europäische Ratingagentur mit Staatsgeldern zu finanzieren?
Giegold: Also zunächst mal sollte die EU das machen. Bertelsmann wünsche ich mehr Glück als Roland Berger bei der Suche nach dem Geld. Der Vorschlag, eine globale Ratingagentur einzurichten, ist auf jeden Fall interessant. Wir brauchen mehr glaubwürdige Ratingagenturen als die großen Drei, insofern ist Bertelsmann hier gar nicht zu kritisieren. Der Punkt ist, allerdings kann es nicht um eine staatliche Ratingagentur gehen - ich glaube, das wäre ein Fehler.
Wuttke: Lassen Sie uns mal ganz kurz bei Bertelsmann bleiben, die unterschiedliche Konstruktion zu Roland Berger ist ja, dass - warum auch immer - die Stiftung dieses Geschäft vielleicht für die AG anschieben will, die Konstruktion nonprofit funktionieren soll. Inwiefern ist das für Sie denn ein machbarerer Weg als - wie Sie selber sagen - den, den keiner gehen will, obwohl er vielleicht nötig ist, nämlich mit Staatsgeldern ranzugehen?
Giegold: Also zunächst mal sind das zwei verschiedene Fragen. Das eine ist: Eine glaubwürdige Ratingagentur sollte aus meiner Sicht ein öffentliches Gut produzieren, das allen zur Verfügung steht, und deshalb funktioniert das nicht gut nonprofit. Wenn es ein Rating einmal gibt, dann können es ja auch andere nutzen, und das führt eben dazu, dass in der Tendenz solche Ratingagenturen immer mit großen Konflikten behaftet sind.
Die Lösung, die wir in Deutschland in anderen Bereichen haben, mit der wir gut fahren, ist die Stiftung Warentest. Wenn so ein Testbericht einmal draußen ist, dann kann jeder ja im Grunde mehr oder weniger kostenlos hineinschauen, und dann will ihn niemand mehr finanzieren - es ist genau das gleiche Problem, wie wir es im Finanzmarkt haben.
Das heißt, wenn wir staatliche Gelder nutzen, dann dürfen wir zwar das als Anschubfinanzierung nehmen, aber der Staat darf keinerlei Einfluss auf die Rating-Einschätzungen bekommen. Ansonsten ersetzen wir die jetzigen Interessenskonflikte durch die bezahlenden Unternehmen durch Interessenskonflikte mit der Politik im Staat. Deshalb eben der Vorschlag einer unabhängigen Ratingstiftung.
Wuttke: Aber sagen Sie doch mal, warum will denn keiner mitmachen? Weder bei der einen noch bei der anderen Konstruktion, das ist zumindest absehbar.
Giegold: Wer diese Ratings am meisten nutzt, sind ja im Grunde Investoren verschiedener Art, und dann, wenn die Investoren nicht bezahlen wollen, sind es zum Teil auch die Hersteller von Finanzprodukten, die selbst die Ratings finanzieren, und die fühlen sich mit den Ratings der drei großen ganz gut.
Diejenigen, die Interessenkonflikte haben, wollen ebenso das Geld nicht bereitstellen, im Übrigen stehen die Ratings ja, wie ich eben sagte, als öffentliches Gut allen zur Verfügung, nur eben mit dem Problem der Interessenkonflikte. Und zudem erwirtschaften die drei Großen, die sich eben diese starke Marktmacht erarbeitet haben, sehr große Monopolrenten. Das bedeutet, sie haben Gewinne in Höhe von Umsatzrenditen von 40 Prozent - mehrere Milliarden Euro Profite, die nur dadurch zustande kommen, dass es eben nur drei sind und es keinen echten Wettbewerb gibt.
Wuttke: Die Amerikaner treten die europäische Politik in die Tonne, wenn sie es für nötig halten, deshalb sagt die EU, sie will eine Konkurrenzveranstaltung, das sagt sie ganz offen, die soll unabhängig sein. Sie sagen, wie sie unabhängig sein könnte, aber wenn wir mal auf den Bodensatz des Ganzen schauen, auf den Subtext, der da aus Brüssel kommt, dann liest doch jeder, wir wollen gute Noten für unsere Politik. Ist diese Ratingagentur in Europa nicht per se eine Konstruktion, die unglaubwürdig erscheint?
Giegold: Also wenn die Politik versucht, den Eindruck zu erwecken, man will europäische Unternehmen oder Staaten besser geratet sehen als bisher, dann wäre das ein großer Fehler, weil das ist genau der Beginn der Unglaubwürdigkeit, da haben Sie völlig recht. Worum es aber geht, ist aus unserer Sicht nicht, dass jetzt man immer wieder interessensgeleitet erscheinende Ratings aus amerikanischer Sicht durch entsprechende aus europäischer Sicht ersetzt.
Worum es geht, ist, dass Ratings tatsächlich auf der Seite der Anleger stehen, also auf Seite der Investoren. Und um das zu gewährleisten, brauchen Sie eine unabhängige Finanzierung und eine unabhängige Führung des entsprechenden Rating-Stiftungs-Unternehmens. Und das gelingt eben dann, wenn die Finanzierung nicht verbunden ist mit denjenigen, die die Finanzprodukte herstellen, die geratet werden sollen, und das funktioniert eben am besten, indem Sie einen großen Kapitalstock aufbauen.
Und unser Vorschlag ist, wenn eben niemand bisher bereit ist, den privatwirtschaftlich zur Verfügung zu stellen, dann besteuern wir eben diese Übergewinne der großen drei Ratingagenturen, die ja weiter am Markt bleiben, und bauen damit den Kapitalstock unserer Stiftung auf.
Wuttke: Eine vernünftige, aber doch nicht durchsetzbare Planung, denn wir haben auch keine Finanztransaktionssteuer, zumindest nicht, soweit ich weiß.
Giegold: Ja, aber es gibt doch einen Unterschied: Ich finde ja interessant, dass Herr Westerwelle hat ja vor einigen Monaten große Interviews gegeben, wir brauchen eine europäische Ratingstiftung nach dem Modell der Stiftung Warentest. Da habe ich gedacht, das finde ich jetzt gut - die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag ein ganz klares Bekenntnis zu einer europäischen Ratingagentur, und jetzt ist die Frage ...
Wuttke: Und der Rest Europas?
Giegold: ... und da gibt es auch sehr, sehr viele Befürworter, hier im Europaparlament hatten wir eine große Mehrheit für das Modell der europäischen Ratingstiftung, und jetzt warte ich auf Aktivitäten sowohl der Europäischen Kommission als auch der Bundesregierung, diese öffentlich gemachten Aussagen mit Vorschlägen zu unterfüttern.
Deutschland war ja bereit, in anderen Bereichen sehr viel Druck auszuüben, wenn es darum geht, diese milliardenschweren Gewinne der großen amerikanischen Ratingstiftungen für was Sinnvolles in Bewegung zu setzen, wie eine europäische Ratingstiftung, dann sehe ich von der Bundesregierung keinerlei Aktivitäten.
Wuttke:Dann warten wir mal gemeinsam zu. Vielen Dank, Sven Giegold, der finanz- und währungspolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur, schönen Tag!
Giegold: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon begrüße ich um 6:51 Uhr Sven Giegold, finanz- und währungspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament. Guten Morgen!
Sven Giegold: Guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Herr Giegold, bleibt der EU jetzt noch etwas anderes übrig als eine europäische Ratingagentur mit Staatsgeldern zu finanzieren?
Giegold: Also zunächst mal sollte die EU das machen. Bertelsmann wünsche ich mehr Glück als Roland Berger bei der Suche nach dem Geld. Der Vorschlag, eine globale Ratingagentur einzurichten, ist auf jeden Fall interessant. Wir brauchen mehr glaubwürdige Ratingagenturen als die großen Drei, insofern ist Bertelsmann hier gar nicht zu kritisieren. Der Punkt ist, allerdings kann es nicht um eine staatliche Ratingagentur gehen - ich glaube, das wäre ein Fehler.
Wuttke: Lassen Sie uns mal ganz kurz bei Bertelsmann bleiben, die unterschiedliche Konstruktion zu Roland Berger ist ja, dass - warum auch immer - die Stiftung dieses Geschäft vielleicht für die AG anschieben will, die Konstruktion nonprofit funktionieren soll. Inwiefern ist das für Sie denn ein machbarerer Weg als - wie Sie selber sagen - den, den keiner gehen will, obwohl er vielleicht nötig ist, nämlich mit Staatsgeldern ranzugehen?
Giegold: Also zunächst mal sind das zwei verschiedene Fragen. Das eine ist: Eine glaubwürdige Ratingagentur sollte aus meiner Sicht ein öffentliches Gut produzieren, das allen zur Verfügung steht, und deshalb funktioniert das nicht gut nonprofit. Wenn es ein Rating einmal gibt, dann können es ja auch andere nutzen, und das führt eben dazu, dass in der Tendenz solche Ratingagenturen immer mit großen Konflikten behaftet sind.
Die Lösung, die wir in Deutschland in anderen Bereichen haben, mit der wir gut fahren, ist die Stiftung Warentest. Wenn so ein Testbericht einmal draußen ist, dann kann jeder ja im Grunde mehr oder weniger kostenlos hineinschauen, und dann will ihn niemand mehr finanzieren - es ist genau das gleiche Problem, wie wir es im Finanzmarkt haben.
Das heißt, wenn wir staatliche Gelder nutzen, dann dürfen wir zwar das als Anschubfinanzierung nehmen, aber der Staat darf keinerlei Einfluss auf die Rating-Einschätzungen bekommen. Ansonsten ersetzen wir die jetzigen Interessenskonflikte durch die bezahlenden Unternehmen durch Interessenskonflikte mit der Politik im Staat. Deshalb eben der Vorschlag einer unabhängigen Ratingstiftung.
Wuttke: Aber sagen Sie doch mal, warum will denn keiner mitmachen? Weder bei der einen noch bei der anderen Konstruktion, das ist zumindest absehbar.
Giegold: Wer diese Ratings am meisten nutzt, sind ja im Grunde Investoren verschiedener Art, und dann, wenn die Investoren nicht bezahlen wollen, sind es zum Teil auch die Hersteller von Finanzprodukten, die selbst die Ratings finanzieren, und die fühlen sich mit den Ratings der drei großen ganz gut.
Diejenigen, die Interessenkonflikte haben, wollen ebenso das Geld nicht bereitstellen, im Übrigen stehen die Ratings ja, wie ich eben sagte, als öffentliches Gut allen zur Verfügung, nur eben mit dem Problem der Interessenkonflikte. Und zudem erwirtschaften die drei Großen, die sich eben diese starke Marktmacht erarbeitet haben, sehr große Monopolrenten. Das bedeutet, sie haben Gewinne in Höhe von Umsatzrenditen von 40 Prozent - mehrere Milliarden Euro Profite, die nur dadurch zustande kommen, dass es eben nur drei sind und es keinen echten Wettbewerb gibt.
Wuttke: Die Amerikaner treten die europäische Politik in die Tonne, wenn sie es für nötig halten, deshalb sagt die EU, sie will eine Konkurrenzveranstaltung, das sagt sie ganz offen, die soll unabhängig sein. Sie sagen, wie sie unabhängig sein könnte, aber wenn wir mal auf den Bodensatz des Ganzen schauen, auf den Subtext, der da aus Brüssel kommt, dann liest doch jeder, wir wollen gute Noten für unsere Politik. Ist diese Ratingagentur in Europa nicht per se eine Konstruktion, die unglaubwürdig erscheint?
Giegold: Also wenn die Politik versucht, den Eindruck zu erwecken, man will europäische Unternehmen oder Staaten besser geratet sehen als bisher, dann wäre das ein großer Fehler, weil das ist genau der Beginn der Unglaubwürdigkeit, da haben Sie völlig recht. Worum es aber geht, ist aus unserer Sicht nicht, dass jetzt man immer wieder interessensgeleitet erscheinende Ratings aus amerikanischer Sicht durch entsprechende aus europäischer Sicht ersetzt.
Worum es geht, ist, dass Ratings tatsächlich auf der Seite der Anleger stehen, also auf Seite der Investoren. Und um das zu gewährleisten, brauchen Sie eine unabhängige Finanzierung und eine unabhängige Führung des entsprechenden Rating-Stiftungs-Unternehmens. Und das gelingt eben dann, wenn die Finanzierung nicht verbunden ist mit denjenigen, die die Finanzprodukte herstellen, die geratet werden sollen, und das funktioniert eben am besten, indem Sie einen großen Kapitalstock aufbauen.
Und unser Vorschlag ist, wenn eben niemand bisher bereit ist, den privatwirtschaftlich zur Verfügung zu stellen, dann besteuern wir eben diese Übergewinne der großen drei Ratingagenturen, die ja weiter am Markt bleiben, und bauen damit den Kapitalstock unserer Stiftung auf.
Wuttke: Eine vernünftige, aber doch nicht durchsetzbare Planung, denn wir haben auch keine Finanztransaktionssteuer, zumindest nicht, soweit ich weiß.
Giegold: Ja, aber es gibt doch einen Unterschied: Ich finde ja interessant, dass Herr Westerwelle hat ja vor einigen Monaten große Interviews gegeben, wir brauchen eine europäische Ratingstiftung nach dem Modell der Stiftung Warentest. Da habe ich gedacht, das finde ich jetzt gut - die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag ein ganz klares Bekenntnis zu einer europäischen Ratingagentur, und jetzt ist die Frage ...
Wuttke: Und der Rest Europas?
Giegold: ... und da gibt es auch sehr, sehr viele Befürworter, hier im Europaparlament hatten wir eine große Mehrheit für das Modell der europäischen Ratingstiftung, und jetzt warte ich auf Aktivitäten sowohl der Europäischen Kommission als auch der Bundesregierung, diese öffentlich gemachten Aussagen mit Vorschlägen zu unterfüttern.
Deutschland war ja bereit, in anderen Bereichen sehr viel Druck auszuüben, wenn es darum geht, diese milliardenschweren Gewinne der großen amerikanischen Ratingstiftungen für was Sinnvolles in Bewegung zu setzen, wie eine europäische Ratingstiftung, dann sehe ich von der Bundesregierung keinerlei Aktivitäten.
Wuttke:Dann warten wir mal gemeinsam zu. Vielen Dank, Sven Giegold, der finanz- und währungspolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur, schönen Tag!
Giegold: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.