"Wir brauchen richtige Charaktere“

Henning Scherf im Gespräch mit Frank Meyer |
Der SPD-Politiker Henning Scherf, der als Jurymitglied bei der ZDF-Castingshow "Ich kann Kanzler" mitwirkt, zeigt sich vom Ideenreichtum der Kandidaten begeistert. Um vor der Jury und in der Politik bestehen zu können, seien "authentische Kraft" und das Talent, "Hoffnungen zu bündeln", nötig.
Frank Meyer: … Steffen Seibert, heute Abend wird er das Finale von "Ich kann Kanzler" moderieren. In der Jury sitzen dann die Komödiantin Anke Engelke, der Fernsehmann Günter Jauch und der Politiker Henning Scherf, und er ist jetzt für uns am Telefon. Herr Scherf, es gibt ja Politiker, die mit Guido-Mobilen rumfahren oder in Tanzshows machen oder sonst wie um Aufmerksam kämpfen. Sie sind eigentlich mit solchen Aktionen noch nicht aufgefallen. Warum machen Sie jetzt bei dieser Castingshow mit?

Henning Scherf: Ich bin ja eigentlich gar kein aktiver Politiker mehr, ich bin ja seit vier Jahren aus allen Ämtern raus und hab also nicht dieses Problem, dass ich mich selbst darstellen muss, sondern ich bin angetan von dieser Idee, dass man ein neues Format sucht, um junge Leute über junge Leute, die sich was zutrauen, zu Politik zu interessieren.

Meyer: Zu dieser Idee gehört ja eine Idee von Deutschland – wir haben das gerade schon in unserem Beitrag gehört –, das hat gestern in der ZDF-Sendung auch schon eine Rolle gespielt. Da gab’s einen längeren Bericht über die Vorentscheidung für das Finale heute, und man konnte schön sehen, alle Bewerber mussten da antreten und in 45 Sekunden ihre Idee für Deutschland darbieten. Das ist ja sehr schwierig, in diesen paar Sekunden über Phrasen hinauszukommen. Könnten Sie das denn in 45 Sekunden, Ihre Idee für Deutschland?

Scherf: Also man muss sich darauf vorbereitet haben, die wissen ja, dass das auf sie zukommt. Die haben sich da sehr genau überlegt, was wir sagen wollen. Alle sind mit der Zeit klargekommen. Und sie suchen sich dann eine Sache aus, eine Idee, die ihnen besonders plausibel ist, sagen sie. Und es waren Integrationsideen, es waren Bildungsideen, es waren internationale Ideen, also dass man ein Jahr im Ausland als Schüler sein muss als Idee, dass man was tun muss außerhalb seiner Schulzeit, wo man lernt, wie Leben wirklich ist. Ganz wunderbare Sachen sind da gekommen.

Meyer: Ihre Mitjurorin Anke Engelke hat in einem Interview zu dieser Sendung gesagt, ihr erstes Interesse habe dem Auftreten der Kandidaten gegolten, also eben waren wir ja bei der inhaltlichen Seite, jetzt das Auftreten. Was war denn wichtiger – das Showtalent, das Auftreten, oder das, was die jungen Leute an Inhalten mitgebracht haben?

Scherf: Auftreten konnten sie alle gut. Das waren ja schon ausgesiebte Kandidaten. Da haben sich über Zweieinhalbtausend beworben, und wir hatten’s da mit 38 zu tun. Also da sind keine Mauerblümchen aufgetreten bei uns, sondern die wussten alle sehr couragiert ans Rednerpult zu treten und loszulegen. Nein, ich fand, das Wichtigste war, ob das wirklich authentisch ist, was sie sagen, ob sie wirklich sich mit ihrer Person – einige sind ja noch in der Schule – schon so richtig identifizieren mit politischen Aufgaben. Und da waren erstaunliche Beiträge. Und das ist schön zu sehen, dass wir in der Bundesrepublik junge Leute haben, die hoch motiviert sind. Ich habe keinen einzigen Meckerer erlebt, der sagte, alles Mist, was da läuft, die könnt ihr alle vergessen, sondern ich habe eigentlich ausschließlich motivierte junge Leute getroffen. Wunderbar!

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem SPD-Politiker Henning Scherf. Heute Abend ist er Juror in der ZDF-Sendung "Ich kann Kanzler", und da müssen Sie ja nun heute entscheiden die Grundfrage dieser Sendung, wer von denen hat denn das Zeug zu einem deutschen Bundeskanzler. Was sind denn für Sie die wichtigsten Kriterien, was muss man da mitbringen?

Scherf: Er muss ne Kompetenz mitbringen, mit Problemen, mit komplexen Problemen umzugehen, also nicht immer gleich zu wissen, da geht’s lang, sondern ich nehme die Komplexität einer Lage an und versuche, mir Ratschläge zu holen. Dann muss er eine Kompetenz haben, Mehrheiten zu bilden. Er muss kommunikativ sein, er muss bündnisfähig sein, er muss nicht sagen, ich alleine und alle anderen können mir mal gestohlen bleiben, sondern er muss Verständnis für Mitstreiter haben. Die muss er auch gewinnen können. Und dann muss er das Ganze überzeugend darstellen können. Er muss es so vermitteln können, dass man wirklich sagen kann: Ja, das ist die richtige Entscheidung gewesen.

Meyer: Welche Aufgaben müssen denn diese sechs, die in der Endrunde sind, welche müssen die heute Abend noch bestehen, bevor sie dann zur Wahl gestellt werden?

Scherf: Also sie müssen sich vorstellen, die müssen ihre Idee für Deutschland innerhalb von 45 Sekunden präsentieren, sie müssen sich unseren Fragen stellen, um ihnen Gelegenheit zu geben, zu zeigen, wie fix sie reagieren und wie intelligent sie antworten können. Ja, und dann müssen sie sich der Abstimmung stellen. Und ich glaube, 800 Leute sind da im Studio untergebracht und dann eben dieses Millionenpublikum, das zuschaut.

Meyer: Herr Scherf, Sie haben vor Kurzem in einem Interview mit der Wochenzeitung "Freitag" gesagt: "Wer in der Politik glücklich werden will, der hat es schwer. Man muss viel mehr arbeiten, als die meisten Leute wissen, man muss Stress aushalten, eine kritische Öffentlichkeit, die nicht mit einem einverstanden ist." Das klingt eigentlich so, als müssten Sie den Gewinner heute Abend dann beiseite nehmen nach der Show und sagen: War schön mit dir, aber such dir lieber einen angenehmeren Beruf.

Meyer: Nee, also wir suchen ja nicht so Dünnbrettbohrer, sondern wir brauchen Menschen in der Politik, die wirklich auch Stress aushalten können, die so viel Motivation mitbringen und so viel auch authentische Kraft, die sie in sich haben und die sie sich angeeignet haben, dass sie Widerstände aushalten können. Also die, die es bequem haben wollen, die es leicht haben wollen, die schnell zu Geld kommen wollen, die sind in der Politik falsch. Wir brauchen richtige Charaktere. Und wenn man die hat, dann muss man denen Mut machen und sagen: Du bist so stark und du bist so talentiert, auf dich kann man Hoffnung setzen, und du kannst Hoffnung bündeln. Und du kannst mit diesen Hoffnungen verantwortlich arbeiten. Und dann werden auch viele, nicht alle, aber viele dich dabei begleiten. Und dann hältst du auch aus, dass es immer wieder Leute gibt, die sagen, du bist der größte Trottel auf dem Globus.

Meyer: "Ich kann Kanzler", die Kanzler-Castingshow heute um 21:15 Uhr im ZDF. In der Jury sind dann Anke Engelke, Günter Jauch und Henning Scherf. Herr Scherf, vielen Dank für das Gespräch!

Scherf: Bitte sehr!