"Wir erfahren das Heilige nicht mehr"

Von Susanne von Schenck |
In der Vorweihnachtszeit fragen wir täglich einen Prominenten: "Was ist Ihnen heilig?" Diesmal antwortete der Pädagoge Bernard Bueb. 30 Jahre lang hat er die Eliteschule Schloss Salem geleitet. Davor war er Assistent des Pädagogen Hartmut von Hentig und von 1972 bis 1974 Lehrer an der Odenwaldschule.
Der renommierte Pädagoge und Vater von zwei Töchtern gilt als einer der bekanntesten Kritiker des deutschen Erziehungswesens. Seine provokanten Thesen fasste er 2006 in einem Buch zusammen: "Lob der Disziplin". Disziplin ist in seinen Augen die Voraussetzung für Glück und Freiheit. Sein Buch wurde ein Bestseller – und auch scharf kritisiert. Manche werfen Bernhard Bueb vor, die "schwarze Pädagogik" in Deutschland wieder salonfähig zu machen. Susanne von Schenck hat Bernhard Bueb getroffen und gefragt, was ihm heilig ist.

"Was ist mir heilig? Der Rechtsstaat, in dem ich lebe. Ich finde den Rechtsstaat eine der größten Errungenschaften der Neuzeit und überhaupt in der Geschichte der Menschheit und dafür würde ich unglaublich viel hingeben und kämpfen, um den Rechtsstaat in Deutschland zu erhalten.

Den Himmel gibt's nicht mehr, wo soll er denn sein, wo soll denn die Himmelfahrt hingegangen sein, wo soll ein Jenseits sich befinden?

Wir Menschen brauchen Anschauung, wir brauchen Raum und Zeit, um uns etwas vorzustellen, und das ist uns genommen worden. Ein vernünftiger, aufgeklärter Mensch kann gar nicht in der Lage sein, ohne Verrat an seiner Vernunft noch einem Glauben anzuhängen. Das ist unsere große Tragödie. Ich empfinde das als Tragödie, weil Sigmund Freud mit Recht gesagt hat, die primitivste, animistische Religion ist jedem Atheismus darin überlegen, dass sie eine Antwort hat auf die Frage, woher kommen wir, wohin gehen wir, wie können wir den Tod erklären, wie dem Leiden einen Sinn geben.

Ein Jugendlicher, der heute aufwächst, weiß, dass das Klima bedroht ist, dass wir die Welt ausbeuten, dass einerseits die Menschen an Zahl überhand nehmen, andererseits wir in Deutschland vergreisen, dass es eine strukturelle Arbeitslosigkeit gibt, der Materialismus überhand nimmt. Das sind alles Bedrohungen, die junge Menschen erwarten. Dem entgegen steht ein Gefühl der Zuversicht, das ich erlebe. Und das erlebe ich bei uns Älteren ebenso wie bei vielen jungen Menschen."

Filmauszug "Der Pauker":
"... Ich verlange, dass ihr alle Antworten des Herrn Oberschulrats wie aus der Pistole geschossen beantwortet und zwar richtig ... .Wann ist Napoleon geboren? 1769 ... "

"Dass man zwischen Strenge und Liberalität einen Gegensatz sieht, finde ich völlig falsch. Das ist überhaupt kein Gegensatz. Sie können Ihre Kinder liberal und streng erziehen. Strenge heißt ja, dass sie konsequent die Grundsätze, die Sie sich vorgenommen haben, auch den Kindern abfordern. Strenge ist ein anderes Wort für Konsequenz. Dagegen kann überhaupt niemand was haben. Eine nicht konsequente Erziehung ist eine ganz schlechte Erziehung.

Ich bin sehr kritisch meiner katholischen Kirche gegenüber, bleibe aber in der Kirche, weil ich glaube, dass wir solche Einrichtungen brauchen, die das Jahr einteilt in Weihnachten, Ostern, Pfingsten usw. Ich finde zum Beispiel eine Beerdigung, eine kirchliche Beerdigung auch dann noch sehr viel wohltuender und tröstender, wenn man nicht glaubt, als eine weltliche Veranstaltung. Weil die große Liturgie unserer Kirchen nach wie vor etwas sehr Tröstendes hat.

Wir gehen als Familie an Weihnachten in die Mitternachtsmesse, obwohl wir sonst keine Kirchgänger sind. Ich gebe zu, dass das Erlebnis mehr ästhetischer Natur ist als religiöser. Das Heilige im großen Sinne spielt in meinem Leben leider keine große Rolle mehr. Das Heilige ist ja etwas Erhabenes, etwas, das den Menschen überfordert. Wenn in der Bibel zum Beispiel Gott auftritt oder Gesandte Gottes, dann ist die erste Ansprache "Fürchtet Euch nicht", weil das Heilige sollte ja Ehrfurcht auslösen und diese Erfahrung gibt es meiner Ansicht nach nicht mehr. Wir erfahren das Heilige nicht mehr, wir haben gar keine Antennen dafür."

"Was mir heilig ist"
Weihnachtliche Reihe in Fazit
Mehr zum Thema