"Wir haben da nicht einen Alleinvertretungsanspruch"

Moderation: Nana Brink |
Weil es so viele Mitläufer gab, haben die Deutschen ein prekäres Verhältnis zum Widerstand, glaubt der Drehbuchautor Fred Breinersdorfer. Dies sei auch der Grund für die aktuelle Aufregung um eine mögliche Darstellung des Hitler-Attentäters Stauffenberg durch den Hollywood-Star Tom Cruise. Deutsche Filmemacher hätten bei dem Thema vielleicht mehr Leidenschaft, aber auch ein Hollywood-Film könne erfolgreich sein, glaubt Breinersdorfer.
Brink: Wir sind jetzt verbunden mit Fred Breinersdorfer, er ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Er hat u.a. das Drehbuch für einen anderen Film über den deutschen Widerstand im Dritten Reich geschrieben, für den Film "Sophie Scholl". Der Film ist 2006 für den Oscar nominiert worden als bester ausländischer Film. Schönen guten Morgen, Herr Breinersdorfer!
Fred Breinersdorfer: Guten Morgen.
Brink: Verstehen Sie die Aufregung in Deutschland darüber, wie wir eben in dem Beitrag gehört haben, dass ein amerikanischer Kinoheld eine Figur wie Stauffenberg verkörpern will?
Breinersdorfer: Ich verstehe das gut. Ich finde Auseinandersetzungen über künstlerische Projekte grundsätzlich gut. Dazu ist Kunst auch da, zu animieren und zu provozieren, dass man sich mit ihr befasst.
Brink: Warum sind wir denn in Deutschland so empfindlich? Sind Menschen wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg gewissermaßen Säulenheilige des deutschen Widerstandes, deren Leben man nur in einer bestimmten Art und Weise erzählen darf?
Breinersdorfer: Nein, ich glaube, das hängt damit zusammen, dass wir in Deutschland zum Widerstand ein sehr prekäres Verhältnis haben. Wenn in Deutschland weniger Leute hinter Hitler hergelaufen wären, wenn es weniger Ja-Sager gegeben hätte, hätte sich das Regime mit allen Folgen nicht so entwickeln können. Und Widerstand im Sinne von aktivem Dagegenhalten haben sowieso nur ganz wenige geleistet. Im Grunde ist es ein sehr beschämender Zustand, wenn man es mit Widerstandssituationen in anderen Diktaturen vergleicht.

Aber deswegen ist Deutschland sehr sensibel, deswegen, wenn ich daran erinnern darf, ist auch ein Widerstandsrecht der Deutschen in unser Grundgesetz reingeschrieben worden, und deswegen reagieren wir darauf, wenn sich andere mit dem Thema Widerstand befassen.

Noch eine kleine Nebenbemerkung: Der Widerstand des 20. Juli hat ja anders als der Widerstand der Studenten der "Weißen Rose" ja auch durchaus andere Aspekte gehabt als bloß die Veränderung des Systems. Da waren ja auch Karriereaspekte dabei, man wollte ja auch eine neue Regierung bilden, man wollte auch in dieser Regierung Funktionen ausüben. All das macht den Widerstand auch in der deutschen, sagen wir mal, öffentlichen Wahrnehmung differenzierter.

Brink: Aber der Film ist ja keine historische Abhandlung. Oder haben Sie zum Beispiel, wenn ich jetzt daran anknüpfen darf, Sorge, dass jemand wie Tom Cruise diese ganze komplizierte Geschichte, die auch hinter Stauffenberg steht, der ja am Anfang auch mitgemacht hat und dann erst sich gewandelt hat, dass der das nicht erzählen kann oder falsch erzählt?
Breinersdorfer: Ja, es gibt so was wie eine Authentizität, die gerade einen Film auszeichnen kann. Diese Authentizität kann politisch und auch emotional sein, das hat auch andere Aspekte, aber nehmen wir die beiden mal heraus. Ich glaube, dass ein solches sehr deutsches Thema, ja, wir haben da nicht einen Alleinvertretungsanspruch, aber ich glaube, dass deutsche Filmemacher sich damit mit besonderer Leidenschaft auseinandersetzen.

Und ich weiß jetzt nicht, ob eine Hollywoodproduktion neben der Leidenschaft auch nicht noch handfeste wirtschaftliche Interessen hat und deswegen, sagen wir mal, so auf die Tränendrüse drückt und auf die emotionale Seite die ganze Geschichte rückt und dass es dann so ein Knallbumm-Action-Ding wird. Aber das kann man erst beurteilen, wenn man das Drehbuch gelesen hat oder den Film gesehen hat. Da möchte ich mal wirklich zurückhalten.

Ich glaube aber, dass die Auswahl des Hauptdarstellers sicherlich auch ein Problem ist und auch als Problem gesehen werden darf. Also da muss ich dem Sohn von Graf Stauffenberg auch Recht geben, mir ist persönlich auch extrem unwohl, wenn Tom Cruise als praktizierender Scientologe diese Figur spielt. Andererseits denke ich, muss man, und das ist meine feste Position, immer die Kunst und den Künstler auseinanderhalten.
Brink: Aber wie lösen wir dann den Konflikt auf?
Breinersdorfer: Indem wir unser Unbehagen äußern, aber nicht gegen den Film irgendwas unternehmen, sei es durch Versagung von Drehgenehmigungen, sei es durch irgendwelche Appelle, den Film nicht anzuschauen. Bloß man ist natürlich frei zu sagen, wir hätten uns lieber einen anderen Hauptdarsteller gewünscht. Und man ist aber genauso verpflichtet, aus meiner Sicht, zu sagen, man muss Kunst und Künstler trennen. Es kann Künstler geben, die menschlich extrem schwierig sind oder extreme Schweine sind, und trotzdem große Kunst schaffen. Das liegt im Wesen der Kunst, und das ist auch ein Freiheitsmoment, das wir unbedingt verteidigen müssen.
Brink: In den USA interessanterweise interessiert das ja kaum jemanden, ob der Schauspieler Tom Cruise Scientologe ist. Hier ist es das große Thema. Auch eine typisch deutsche Sache, dass man ja eigentlich doch nicht trennen kann zwischen Schauspieler und Rolle?
Breinersdorfer: Nein, das ist eine typische US-Angelegenheit. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind im Wesentlichen gebaut auf der Vorstellung, verfassungsmäßigen Vorstellung der Religionsfreiheit. Das war der Antrieb überhaupt für die ersten Siedler, rüberzukommen. Und wenn sich dort was Religion nennt, hat es Narrenfreiheit. Das muss man einfach so sehen. Das respektiert man in höherem Maße als bei uns, wo wir traditionell schon, wenn wir in die Geschichte gucken, mit den Protestanten ja Schwierigkeiten haben, weil sie sich mal von der Staatskirche abgewandt haben. Also da sind einfach die kulturellen Wurzeln anders.
Brink: Warum ist eigentlich der Stoff so interessant für Hollywood, dass sich jemand wie ein Superstar Tom Cruise dafür interessiert? Was ist das Prickelnde, Interessante? Sie haben ja Erfahrung damit.
Breinersdorfer: Ich glaube, dass es der Mut ist und dass es auch der Opferwille ist eines Menschen, erstens Mal umzukehren, wie es ja auch viele Religionen erwarten, wenn du was Falsches gemacht hast, dann bist du noch nicht verloren, du hast die Möglichkeit der Umkehr. Viele scheitern schon an der Stufe. Und dann sich nicht nur von dem System abzuwenden, sondern im Falle von Stauffenberg als Familienvater sich in die Gefahr zu begeben, die dann auch dazu führte, dass er hingerichtet wurde, in Todesgefahr zu begeben.

Und dieser Mut, in diesen zwei Stufen zu handeln, diese Konsequenz ist eigentlich für die Mehrzahl von uns Normalbürgern, die nie so extreme politische Verhältnisse zum Glück durchleben mussten, etwas Faszinierendes. Wir wissen eigentlich nicht, warum es die einen tun und die anderen nicht, und wir wissen auch selbst nicht, wie wir handeln würden. Und diese Neugier treibt uns dazu, uns mit solchen Widerstandsfiguren auseinanderzusetzen.
Brink: Dann räumen Sie dem Film also durchaus auch finanziellen, kommerziellen Erfolg ein?
Breinersdorfer: Ich denke, er wird im Ausland vielleicht mehr kommerziellen Erfolg haben als bei uns. Bei uns kommt hinzu, dass Jo Baier einen sehr, sehr guten Film gemacht hat, der nach meiner Erinnerung siebeneinhalb Millionen Zuschauer hatte, sodass doch ein großer Teil der Deutschen sagt, das Thema habe ich schon mal gesehen. Da müsste man vielleicht ein paar Jahre warten, um das wieder hochzuziehen. Wir haben ja mit "Sophie Scholl" auch den dritten Film gemacht, aber auch in einem Abstand von über 25 Jahren. Das macht dann vielleicht Sinn.

Ich kann aber nicht ausschließen, dass eben das Spektakel um Tom Cruise und seine Figur als Schauspieler einen gewissen Erfolg garantieren. Ich bin immer froh über deutsche Filme, ganz national und patriotisch, was die Kultur angeht, die Erfolg haben. Das hängt immer auch vom Erfolg der amerikanischen ab.
Brink: Vielen Dank, Fred Breinersdorfer. Er ist Drehbuchautor, und wir sprachen mit ihm über das Filmprojekt von Tom Cruise, das den Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg zum Thema hat.
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