Jeremy Deller: "Wir haben die Schnauze voll"
16. Februar – 26. April
Bonner Kunstverein
"Wir haben die Schnauze voll"
Kinderturnen mit Instrumenten: Szene aus Jeremy Dellers „Wir haben die Schnauze voll“. © Fotografie Mareike Tocha
Beethoven als Soundtrack des Protestes
09:08 Minuten
In Jeremy Dellers "Wir haben die Schnauze voll" begleitet Beethovens Musik die Klimaproteste von Kindern. Zu sehen ist der Film im Bonner Kunstverein mit einem weiteren Film Dellers. Auch darin geht es um Beethoven, Protest – und den Brexit.
Ein Orchester spielt im Proberaum den zweiten Satz von Beethovens 7. Sinfonie. Dann kommen 40 Kinder herein, tanzen um die Musiker herum, bewegen sie wie Roboter, lachen und tanzen. Eine Szene aus einem Film von Jeremy Deller. Ein Film, zu dem Beethoven den Soundtrack liefert.
Den Soundtrack der Jugend. Wie einst im Film "A Clockwork Orange" von Stanley Kubrick. Doch während die Musik bei Kubrick brutale Gewalt untermalte, dient die 7. Sinfonie hier einem guten Zweck: Die Kinder gehen zu einer Fridays for Future-Demo in Bonn. Auf einem Schild steht: "Wir haben die Schnauze voll" – und so heißt auch der Film.
Gezeigt wird er in der gleichnamigen Ausstellung im Bonner Kunstverein. Über den Zusammenhang von Musik, von Protest und von Politik geht es oft bei Jeremy Deller. Die Klimademos kennt er auch aus London. Und war etwas überrascht, wie gesittet sie in Bonn ablaufen.
"In London nennt man Fridays for Future Klimastreik und die Stimmung ist viel aufrührerischer als in Deutschland", sagt Deller. "Hier nimmt man die Kinder und Jugendlichen auf einen langen Spaziergang mit, damit sie müde werden. In London besetzen sie eine Straße, blockieren den Verkehr, fluchen und tanzen. Und dann haben sie wahnsinnig unhöfliche, obszöne Songs und Slogans über Politiker. Es ist fantastisch."
Geschichte von unten
Deller geht oft auf Demos, um zu filmen. Und er sagt, so eine gut organisierte Demo wie FFF in Bonn habe er noch nie erlebt. Deller hat auch ein großes Interesse an Popkultur als Teil des britischen Alltags:
"In Großbritannien kennen wir uns gut mit Musik aus. Zumindest meine Generation, für die Musik jahrelang die einzig dominante Kultur war", sagt er. "Ich glaube, es kommt darauf an, wie man Musik historisch einordnet. Meine Arbeiten drehen sich hauptsächlich um britische Geschichte, aber sie sind musikalisch. Ich interessiere mich für Zeitgeschichte, für Sozialgeschichte, für – wie man so sagt – 'Geschichte von unten'."
Zweiter Film: "Putin's Happy"
Um den Brexit geht es in Dellers zweitem Film, der in Bonn gezeigt wird: Für "Putin's Happy" hat er wochenlang vor dem britischen Parlament gefilmt, wo Brexiteers und Remainers aufeinandertrafen und miteinander diskutiert haben.
"Viele Leute haben einfach nur vor dem Parlament rumgestanden und geschaut, was los war", sagt Deller. "Leute mit allen möglichen Ansichten. Es war fast wie eine Art offenes Demokratieforum. So als ob das Internet lebendig geworden wäre. All diese Leute, die sich gegenseitig fertigmachen. Remainer haben versucht, vernünftig mit ihren Gegnern zu reden, aber es war sehr, sehr schwer."
Da stehen antisemitische Verschwörungstheoretiker neben Musikern aus einer jüdischen Familie, die Beethovens "Ode an die Freude" spielen. Ein Marxist erläutert den Rechtspopulismus mit der Finanzkrise. Britisch-asiatische Jugendliche erzählen, wie sie seit dem Brexit vermehrt rassistisch angefeindet werden. Und eine Brexit-Befürworterin mit gelber Weste, die im Rollstuhl sitzt, erklärt sich die sozialen Probleme des Vereinigten Königreichs mit der Einwanderung. Der Film zeichnet ein Gesellschaftsbild des Vereinigten Königreichs. Deller verhält sich da neutral, auch wenn er ein überzeugter Remainer ist.
(Onlinetext: leg)