"Wir haben keine Phobie"

Moderation: Ulrike Timm · 25.07.2013
Katharina Wagner sieht der Eröffnung der Bayreuther Festspiele im Wagner-Jubiläumsjahr mit Gelassenheit entgegen. Die Kritik des diesjährigen "Ring"-Regisseurs Frank Castorf, die Phobien der Festspielleitung erinnerten ihn an DDR-Zeiten, wies die künstlerische Leiterin der Festspiele zurück.
Ulrike Timm: Das Wagner-Jahr lehnt sich eigentlich schon in die Schlusskurve, da wird der Ring geschmiedet, auf den nun wirklich alle gucken, im Bayreuther Festspielhaus, an dem Ort, den sich Richard Wagner für seine Opern gewünscht hat: Vier Premieren in sechs Tagen, mindestens 16 Stunden müssen auf die Bühne, das bringt wirklich jedes Theater an den Rand des Nervenzusammenbruchs, und so gehört es zum guten Ton, dass zwischen Künstlern und Intendanz vorab auch mal die Fetzen fliegen.

So auch diesmal, Regisseur Frank Castorf ließ sich vernehmen, ließ ein bisschen Dampf ab, meinte, er verstehe sich angesichts der knappen Probenzeit eh bloß als Dienstleister, und wenn alle vom Jahrhundertring redeten, ihm würde ein Jahresring völlig reichen – zweifellos ein guter Spruch. Wir sprechen mit der Festivalleiterin, mit Katharina Wagner. Schönen guten Tag!

Katharina Wagner: Guten Tag, ich grüße Sie!

Timm: Frau Wagner, glauben Sie ihm das?

Wagner: Glauben ist immer so ein komisches Wort. Ich denke mal, jetzt muss dieser Ring aufgeführt werden, und dann können sich alle eine Meinung über diesen Ring bilden, und dann werden wir sehen, ob es ein Tagesring, ein Jahresring oder ein Jahrhundertring wird. Wir hoffen natürlich, dass es der Jubiläumsring wird.

Timm: Ich frage auch, weil sich Frank Castorf ein klein wenig als Psychiater betätigt hat, er diagnostizierte bei den Verantwortlichen eine Phobie, Zitat: "Jeder von Außen ist der Feind, das ist die pure DDR." Nun hat Frank Castorf – das muss man wissen – immer auch seinen etwas angejahrten Ruf als Theaterwilder zu verteidigen, aber hat man kurz vor solchen Premieren vor dem Bayreuther Ring im Wagnerjahr womöglich tatsächlich eine kleine Phobie?

Wagner: Also, wir haben keine Phobie, und vielleicht war das mit der DDR auch nur ein kleiner, subtiler Hinweis auf sein eigenes Bühnenbild. Das sind durchaus auch genug Anspielungen auf die ehemalige DDR drin in dem Bühnenbild. So viel kann ich heute schon verraten. Er bringt auch ein bisschen DDR nach Bayreuth, wenn Sie so wollen.

Timm: Das hieße, der Spruch war Werbung in eigener Sache.

Wagner: Weiß ich nicht, kann man so verstehen, ich auf jeden Fall habe es so aufgefasst und habe es nicht als persönliche Beleidigung genommen.

Timm: Frank Castorf inszeniert, Kyrill Petrenko dirigiert, ein 60-Jähriger, ein 40er – da haben ja auch zwei Generationen die gleiche Partitur am Wickel. Was beobachten Sie im Zusammenspiel der beiden, sorgt das noch mal im Künstlerischen für zusätzliche Spannung, die 20 Jahre zwischen den beiden?

Wagner: Ach, ich glaube, das kann man Altersmäßig gar nicht festmachen. Die beiden setzen sich damit auseinander und auch zusammen mit dem Werk auseinander, und da ist eine sehr produktive Zusammenarbeit entstanden zwischen beiden, also ich würde das altersmäßig gar nicht festmachen.

Timm: Wie oft stecken beide gleichzeitig die Nase in die Partitur?

Wagner: Dann, wenn es notwendig ist. Also ich sitze ja auch nicht neben denen, ich bin ja nicht das Kindermädchen, ich begleite die ja nicht 24 Stunden täglich, aber da findet schon immer wieder ein Austausch statt, das kriegt man mit zwischen den beiden.

Timm: Irgendwo hat man vorab gehört, gibt es eine Pistole, die war dem Dirigenten Petrenko zu laut. Wer von beiden hat sich durchgesetzt?

Wagner: Ich glaube, die haben sich in der Mitte getroffen, weil es gab verschiedenste Versuche mit dieser Kalaschnikow. Und letztlich, glaube ich, hat man sich auf die goldene Mitte geeinigt.

Timm: Das heißt, es gibt einen schallgedämpften Castorf und einen sehr lauten Petrenko.

Wagner: So würde ich das nicht ausdrücken. Ich meine, Lautstärke ist ja auch immer so ein subjektives Empfinden. Es ist auf jeden Fall nicht gehörschädigend, das haben wir ausgemessen.

Timm: Der Nibelungenschatz ist aus Erdöl, das war vorab zu hören. Zieht sich das durch den ganzen Ring, der Erdölschatz?

Wagner: Es spielt immer wieder eine Rolle. man kann sagen, dieses Thema zieht sich durchaus über den ganzen Ring in verschiedensten Formen, und auch gar nicht so eindeutig, sondern es sind auch immer wieder sehr viele interessante Randverweise, was auch aus Öl werden kann, was Öl aus Leuten machen kann, das ist schon sehr interessant.

Timm: Nun war Frank Castorf als Regisseur des Jubiläumsrings eine bekannt späte Lösung, im vergangenen Dezember erst gefunden. Die szenischen Arbeiten in Bayreuth, die haben in den letzten Jahren – ich sage es diplomatisch – nicht so die ganz große Begeisterung hinterlassen, musikalisch dagegen war es unumstritten toll: Christian Thielemann, Andris Nelsons und jetzt Kyrill Petrenko stehen im Graben. Verlagert sich das Gewicht in Bayreuth wieder auf die Musik?

Wagner: Ich denke, es sollte sich auf beides lagern, wenn Sie so wollen. Wir wollten sowohl eine sehr gute musikalische Leistung herausbringen, aber als auch eine szenisch interessante Interpretation. Bloß, natürlich lässt sich häufig mal, gerade was die Szene angeht, sehr viel mehr streiten, weil Geschmack eben sehr unterschiedlich ist. Das ist zwar beim Dirigenten auch so, aber die Partitur ist nun mal erst da.

Timm: Frau Wagner, derzeit bröckelt in Bayreuth mehr als nur der Putz. Das Festspielhaus ist so marode, dass man ausgerechnet zum Jubiläum mit Gerüst dasteht. Wenn nun ein Frank Castorf Regie führt, spielt das Gerüst dann mit?

Wagner: Nein, das Gerüst steht vor dem Haus und stört auch überhaupt nicht in irgendwelchen Arbeitsabläufen. Die Bühne ist Gott sei Dank voll funktionsfähig und auch der Zuschauerraum ist voll funktionsfähig und dieses Gerüst ist ein reines Schutzgerüst, und das muss man mal dazu sagen, und es sind auch keine Belästigungen durch Bauarbeiten oder irgendwas in der Form, sondern da muss man dem Künstler auch ermöglichen, dass der in Ruhe probieren kann. Und das ist selbstverständlich, dass da keine Beeinträchtigung herrscht, das ist ein reines Schutzgerüst, das vor dem Haus steht, und hat insofern überhaupt keine Auswirkung auf irgendeine Form der Arbeit.

Timm: Nun hat man sich auf die Finanzierung der dringend nötigen Baumaßnahmen geeinigt. Wann geht es denn los?

Wagner: Das ist eine sehr gute Frage. Wenn Sie gerade bei so einer großen Baumaßnahme, wo auch öffentliche Gesellschafter mit beteiligt sind, die müssen das ausschreiben, und so eine Ausschreibung dauert. Man kann nicht damit rechnen, dass jetzt ab 1. September die Bauarbeiten beginnen, weil das Ganze muss ordentlich ausgeschrieben werden. Es muss vor allem auch ordentlich geplant werden, dass man eben auch für das Geld, was zur Verfügung steht, sanieren kann und keine bösen Überraschungen erlebt. Also man muss das ordentlich planen, und Planung bedarf auch Zeit, deswegen kann man sagen, es wird nicht im September beginnen.

Timm: Wie sehr graut Ihnen davor, alle Operationen am Bau finden ja statt bei laufendem Betrieb?

Wagner: Nein, das wird schon so sein, dass wir, wenn die Probenzeit wieder beginnt, keinen Baulärm haben werden. Das muss und wird auch so geplant werden, weil das ist niemandem zumutbar, dass man sozusagen in einer Baustelle, vor allem mit Baulärm, probieren muss, das wird dann auch schon so organisiert werden, dass eben die Zeit zwischen den Probenzeiten genutzt wird, um zu bauen.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Festspielleiterin Katharina Wagner, heute beginnen in Bayreuth die Wagnerfestspiele. Frau Wagner, Sie haben mal gesagt, Ihnen sei das Repräsentieren, das ganze Brimborium um den roten Teppich eigentlich wesensfremd, und mir ist das nie wieder aus dem Kopf gegangen, weil es mir glaubhaft klang. Da müssen Ihnen die vielen Wagnerianer, die in Andachtshaltung auf den grünen Hügel pilgern, eigentlich bisweilen merkwürdig vorkommen. Gibt es solche Momente?

Wagner: Nein, gar nicht, nein, nein, gar nicht, weil die gehen ja von der Sache her rein. Die pilgern ja hierher, um die Musik Wagners zu erleben, das ist ein großer Unterschied. Die Höflichkeit, Leute zu begrüßen, finde ich ja schön, Gastgeber zu sein, wenn Sie so wollen, aber dann geht es ja … wissen Sie, bei so einem roten Teppich geht es wochenlang in der Vorbereitung um Sicherheitsmaßnahmen und solche Dinge. Und das ist immer auch so das, was einen förmlich irritiert, weil die Leute ja doch hierherkommen, um Herrn Thielemann morgen zu erleben und die Inszenierung von Herrn Gloger zu sehen und Frau Merbeth zu hören.

Timm: Nun kann man Richard Wagners Werk gerade in diesem Jubiläumsjahr überall auf der Welt erleben, oft in sehr guten Aufführungen. Wozu braucht man wirklich die Bayreuther Festspiele jenseits des Nostalgischen?

Wagner: Jenseits des Nostalgischen haben wir wirklich eine einzigartige Akustik. Also dieses Haus hat eine einzigartige Akustik, die, kann man schon wirklich sagen, werden Sie so nirgends anders auf der Welt erleben, und das ist immer wieder doch ein ganz besonderes Gefühl, wenn Sie in diesem Haus sitzen und eben diesen Klang miterleben dürfen.

Timm: Nur da klingt Wagner, wie Wagner sich Wagner dachte?

Wagner: Das will ich jetzt gar nicht behaupten, dass er sich das genau so gedacht hat, ich sage lediglich, das Haus hat eine einzigartige Akustik. Ob Wagner sich das wirklich genau so gedacht hat, das haben Sie jetzt gesagt. Wagner war ja auch durchaus immer unzufrieden, wie wir wissen, Wagner war ja permanent unzufrieden. Aber trotz allem, er hat dieses Haus hier hingestellt und hat sich natürlich für seine Werke eine gewisse Akustik vorgestellt, und das ist sicherlich das, was seinen Wünschen am nächsten kam, wobei man nicht sagen kann, ob ihm das hundertprozentig gefallen hat.

Timm: Aber das verdeckte Orchester gibt es nach wie vor nur da, ne?

Wagner: Das gibt es nur bei uns, und das ist immer wieder doch ein kleines akustisches Wunder.

Timm: Frau Wagner, man kommt immer schwer an Karten, jetzt kommt man aber auch noch schwerer hin. Bayreuth ist von der Bahn, ich sage mal, eh ziemlich abgehängt, und im Moment gibt es noch mehr Verspätungen. Wie oft haben Sie Ihren Urgroßvater Richard Wagner eigentlich schon verflucht, dass er fürs Festspielhaus ausgerechnet die fränkische Provinz gewählt hat?

Wagner: Also so provinziell sind wir gar nicht. Sie können ja hier wunderbar anfahren mit dem Auto, wenn Sie wollen. Wir haben immerhin eine tadellose Autobahnanbindung, wenn ich das mal so sagen darf. Ich glaube nicht, dass er damit gerechnet hat, dass da jetzt gerade die Bahn hier mehrere Probleme hat, gerade im Jubiläumsjahr, das kann man jetzt dem Richard weniger zum Vorwurf machen.

Timm: 2015, da laufen die Verträge für Sie und Ihre Schwester aus. Wie weit sind denn die Verhandlungen um eine Verlängerung schon gediehen, Frau Wagner?

Wagner: Na ja, wir warten jetzt erst mal die Premiere ab, und dann müssen ja die Gesellschafter auf uns zukommen.

Timm: Das war klar, dass Sie nichts sagen dürfen, aber ich drehe es mal um: Wollen Sie unbedingt aus Herzblut und Familienehre heraus?

Wagner: Ich glaube wirklich, da muss man die Vertragsverhandlungen abwarten. Es sind ja viele Fragen, zum Beispiel: Was ist mit dem kaufmännischen Geschäftsführer? Kriegt man den, kriegt man den nicht?

Timm: Den Sie unbedingt an Ihrer Seite haben wollen?

Wagner: Ja, das ist zum Beispiel, wenn Sie es Bedingungen nennen wollen, das ist in jedem anderen Haus normal, aber das ist zum Beispiel das, was schon relevant wäre.

Timm: Frau Wagner, auch wenn man mit den Festspielen aufgewachsen ist, denke ich doch mal, das kribbelt immer wieder. Worauf freuen Sie sich in den nächsten Tagen am meisten?

Wagner: Natürlich freue ich mich auf die Premiere heute Abend – aber was Sie mit diesem Kribbeln beschreiben, jede Premiere hat natürlich ein gewisses Kribbeln, das kann man nicht abstellen, und gleichzeitig sind wir aber auch heute Abend aktuell noch live in über 200 Kinos inzwischen, und wir machen live Pausenvorprogramm, unter anderem mit Klaus Florian Vogt, und da hoffen wir immer auf gutes Wetter, weil das ja auch über Satelliten übertragen wird, und das ist immer noch mal ein besonderer Reiz auch.

Timm: Katharina Wagner, die Festspielleiterin der Bayreuther Festspiele, heute Abend geht es los. Vielen Dank fürs Gespräch und Toi, Toi, Toi!

Wagner: Gerne, danke sehr!


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