"Wir haben keine Possen gerissen"

Rainer Clute im Gespräch mit Britta Bürger · 16.12.2011
Vor allem als Komiker und Possenreißer werde der gestern verstorbene Schauspieler Walter Giller in den Nachrufen genannt. Aber das werde ihm nicht gerecht, sagt der Regisseur Rainer Clute. Er habe auch "durchaus andere Facetten" zeigen können. Noch vor drei Jahren hat er mit Giller und seiner Frau Nadja Tiller ein Hörspiel fürs Deutschlandradio aufgenommen.
Britta Bürger: Vor drei Jahren hat das Deutschlandradio ein bewegendes Hörspiel mit der Schauspielerin Nadja Tiller und ihrem gestern Abend verstorbenen Ehemann Walter Giller produziert: "Begegnung am Nachmittag", ein Original-Hörspiel von Henning Mankell. Es ist das Psychogramm eines lange verheirateten Paares. Nach 60 Ehejahren will sie die Scheidung, er jedoch nicht. 80-Jährige lassen sich nicht scheiden, meint er. Sie reden über Betablocker und Diabetes, nicht über alte Rechnungen. Einiges sollte aber am Lebensende doch noch geklärt werden.

((O-Ton aus dem Hörspiel))

Und nun ist Walter Giller doch tatsächlich gestorben, gestern Abend in einem Hamburger Krankenhaus. Wir hörten ihn hier noch einmal mit seiner Frau Nadja Tiller in dem Hörspiel "Begegnung am Nachmittag" von Henning Mankell. Vor drei Jahren wurde es hier bei uns im Deutschlandradio Kultur produziert in der Regie von Rainer Clute, der jetzt ins Studio gekommen ist. Schönen guten Tag, Herr Clute!

Rainer Clute: Tag, Frau Bürger!

Bürger: Nach der Nachricht vom Tod Walter Gillers sind diese Szenen einer Ehe bestimmt sofort wieder in Ihren Sinn gekommen, und vermutlich kann man ohnehin nur schwer über Walter Giller sprechen, ohne Nadja Tiller mitzudenken, oder?

Clute: Das scheint so zu sein, die beiden sind ja nun eine lange Zeit verheiratet gewesen, sie haben, kurz bevor wir unsere Produktion machten, Goldene Hochzeit gefeiert. Das ist ja zunehmend selten in dem Genre, in dem Beruf. Und die beiden haben nun wirklich - außer, dass sie lange gemeinsam gelebt haben - haben sie wirklich sehr lange gemeinsam gearbeitet. Wenn man mal die Filmografie anguckt, ich habe es mal durchgezählt vorhin: Ich bin auf 124 Filme gekommen, die Walter Giller im Laufe seines Lebens gedreht hat, natürlich nicht alle zusammen mit seiner Frau, aber doch den größeren Teil hat er wirklich zusammen mit seiner Frau produziert und gedreht.

Bürger: Haben die beiden denn dieser Hörspielproduktion spontan und gleich zugesagt? Es ging ja ziemlich ans Eingemachte.

Clute: Das geht ziemlich ans Eingemachte. Nein, sie haben durchaus nicht sofort zugesagt. Nun sind das auch Schauspieler eines Kalibers, die ruft man nicht einfach an und sagt, habt ihr gerade mal Zeit, dann und dann, sondern da sind Stellen zwischengeschaltet wie zum Beispiel eine Agentur bei denen, und das sind die Leute, mit denen man, wenn man diese Leute engagieren will, mit denen man zuerst mal reden muss.

Und wir haben auch längere Zeit von der Agentur erst mal nichts gehört, dann haben wir nachgefragt, wie ist es denn nun? Es war eine ernsthafte Anfrage eigentlich. Und dann hieß es, ja, sie überlegen noch, es geht ihnen doch ein bisschen nah. Und das ist natürlich klar: Schauspieler haben gelernt, Situationen umzusetzen, natürlich auch Situationen, die sie eventuell erlebt haben oder möglicherweise noch erleben werden.

Und dass wir alle mal sterben werden, das wissen wir theoretisch, dass wir das irgendwie vor uns haben, aber ob wir da immer und zu jeder Zeit und in jeder Situation drüber reden möchten oder das in irgendeiner Form umsetzen, das ist wahrscheinlich zweifelhaft eher. Und so ist es denen natürlich auch gegangen. Die haben sich Zeit gelassen und dann etwas zögernd zugesagt.

Bürger: Warum waren sie die Idealbesetzung?

Clute: Ja, die Idealbesetzung waren sie, ... Muss ich erst mal dazu sagen: Die Idee der Besetzung ist nicht von mir gekommen, sondern die ist von der Leiterin unseres Besetzungsbüros, Michaela Ziegler-Heim, gekommen, und ich war sehr dankbar für diese Besetzungsidee. Sie ist schlichtweg genial. Es ist ein altes Ehepaar, das ein altes Ehepaar spielt. Insofern wäre es jetzt wieder ein Klischee, dass man sagt, na ja, also eben, man besetzt den Lahmen für den Lahmen und den Tauben für den Tauben und so weiter.

Aber dass sie eben aufeinander eingespielt, auch in künstlerischer und persönlicher Hinsicht, sind, natürlich auch Bereiche ihrer Biografie in irgendeiner Form einfließen lassen können - was überhaupt nicht heißt, dass das, was der Text, der in dem Hörspiel zu vermitteln ist, in irgendeiner Form in ihrer Biografie wiederzufinden wäre, es kann sein, aber das ist auch gar nicht der Punkt -, sondern die Art des miteinander Arbeitens und aneinander gewöhnt seins... das eingespielte Team, das ist das, was absolut überzeugend war an der Idee.

Bürger: Wie haben Sie Walter Giller denn während der Arbeit erlebt? Er hatte ja so das Image des notorischen Possenreißers. War er das tatsächlich, oder haben Sie eine ganz andere Seite an ihm kennengelernt?

Clute: Ich habe natürlich eine ganz andere Seite kennengelernt logischerweise. Wir haben nun nicht immer nur über den Inhalt dieses Textes gesprochen, natürlich hatten wir auch zwischendurch mal ganz entspannte Situationen, aber auch selbst da habe ich ihn überhaupt nicht empfunden als jemand, der nun seinem Image entsprechen will oder sich womöglich zwanghaft fühlt, dem entsprechen zu müssen, überhaupt nicht.

Er war entspannt, er war professionell. Alles, was ich über ihn sage, gilt natürlich auch vice versa für seine Frau, für Nadja Tiller: Sie haben absolut professionell mit dem Text gearbeitet. Es gab eine kleine Spannung, jetzt aber gar nicht mal inhaltlicher Art: Wir hatten drei Tage für diese Aufnahmen zur Verfügung. Am zweiten Tag ging es ihm irgendwie von vornherein nicht besonders gut. Ich habe die morgens immer vom Hotel abgeholt und hier hingebracht, und er sagte schon im Auto: Hm, irgendwie geht es ihm heute nicht gut. Und wir haben dann aber angefangen, und nach einer Weile hat er gemeint, nein, er glaubt, er muss doch aufhören.

Da habe ich natürlich erst mal einen Schreck gekriegt, dachte, heißt das jetzt generell oder wie auch immer, er muss sich mal einen Augenblick hinlegen oder hinsetzen und hat denn gesagt, haben wir auch abgebrochen, kurz geredet und gesagt, ist besser, Sie fahren ins Hotel zurück und wir holen das nach. Am nächsten Tag war alles wieder okay und er war in seiner alten Topform. Da muss man natürlich mit rechnen. Also insofern, wir haben durchaus auch mal gescherzt, aber wir haben keine Possen gerissen.

Bürger: Na ja, er war ja auch über längere Jahre krank, er hatte früher Herzprobleme und dann eben jetzt auch schon einige Jahre diese Lungenkrebserkrankung, an der er dann auch gestorben ist. Walter Gillers Schauspielkarriere begann zwar am Theater, führte später auch wieder dorthin zurück, aber Karriere gemacht hat er ja im deutschen Nachkriegskino. Was für einen Typus Mann hat er dort überwiegend verkörpert?

Clute: Na ja, wenn man jetzt mal im Internet die Nachrufe so durchblättert - natürlich findet man immer wieder dieselben Vokabeln wie Possenreißer, man findet Begriffe wie Clown, es wird von Klamauk gesprochen. Das wird ihm nicht wirklich gerecht. Natürlich hat er ein Genre bedient und man hat es sich gegebenenfalls auch viele, viele Jahre lang einfach gemacht, ihn zu besetzen in dem Bewusstsein: Wenn ich den besetze, dann kriege ich genau das, was ich kenne, und das will ich vielleicht haben.

Und so ist er besetzt worden, obwohl er eben, wie wir es bei unserer Arbeit kennengelernt haben, eben durchaus andere Facetten hatte, die, aus welchem Grund auch immer - das müsste man die fragen, die ihn nicht genommen haben -, ... Ich denke, er hatte ... Die, die ihn nicht genommen hatten, hatten Angst, dass er einfach nur das Klischee, das sie selbst im Kopf hatten, nur erfüllen könnte.

Bürger: Die "FAZ" schrieb mal, Giller blieb stigmatisiert mit dem Etikett des Komikers, das bei uns seit je Talente einebnet. Das war halt die Zeit dann, Ende der 60er-Jahre, es entstand das Autorenkino, die jungen engagierten politischen Filmemacher, die hatten Walter Giller in eine Schublade gepackt, in der er nicht hätte bleiben müssen.

Clute: Genau, da haben Sie völlig recht. Es ist - und der Begriff "stigmatisiert" zeigt es ja eigentlich auch -, ... schwingt ja mit, dass es eben ungerechtfertigt ist, ihn darauf einzuengen, aber man hat es halt leider Gottes getan. Und jetzt kann man posthum sich natürlich gegebenenfalls ärgern, dass man nicht versucht hat, doch ihn als Persönlichkeit zu nutzen, um auch andere Farben durch ihn hörbar oder sichtbar zu machen.

Bürger: Zuletzt spielten Walter Giller und Nadja Tiller noch mit in Leander Haußmanns Film "Dinosaurier - gegen uns seht ihr alt aus!", auch eine Komödie war das, die im Altersheim spielte. Hier hatten die beiden wohl auch lange gezögert, schließlich waren sie selbst voller Überzeugung in eine Hamburger Seniorenresidenz gezogen. Wissen Sie, wie die beiden tatsächlich die letzte Phase ihres Lebens gestalten wollten?

Clute: Kann ich so genau nicht sagen. Wir haben natürlich darüber auch zwischendurch mal gesprochen. Es ist ja so gewesen - da hatte ich mich auch gewundert, als ich es hörte, es war nämlich genau in der Zeit unserer Produktion, dass sie umgezogen waren. Sie hatten viele, viele Jahre, ich weiß gar nicht wie lange, zig Jahre in der Schweiz gelebt in einem offensichtlich sehr schönen Haus am Luganer See - bin ich jetzt nicht hundertprozentig ...

Bürger: Ja, am Luganer See.
Clute: ... ich glaube, es war dort, und haben sich dann entschieden, eben mit zunehmendem Alter in ein Seniorenstift zu ziehen. Das ist sicher ein sehr luxuriöses gewesen, was sie sich wohl auch leisten konnten, also es war jetzt nicht irgendein Heim, wo man nicht wirklich hin möchte, ...

Bürger: In getrennten Zimmern.

Clute: In getrennten Zimmern, das war ihnen auch wichtig, und es war ihnen im Gespräch auch immer wichtig. Das war so eine kleine Kabbelei immer, die dann vielleicht auch ein Komikfilmhintergrund wiedergab: Sie legte immer Wert darauf, zu sagen, dass sie ein großes Appartement hatte, hat, immer noch, mit einer schönen Terrasse und einem großen Blick auf den Hamburger Hafen, und er hat nur das kleine Zimmer, aber das ist auch ganz kuschelig, hat sie immer gesagt. Also sie lebten Tür an Tür, aber sie legten Wert auf ihre eigenen Bereiche.

Bürger: Gestern ist der Schauspieler Walter Giller im Alter von 84 Jahren gestorben. Deutschlandradio-Regisseur Rainer Clute erinnerte sich an seine Zusammenarbeit mit Walter Giller in dem Hörspiel "Begegnung am Nachmittag", mit dem wir unser Gespräch jetzt ausklingen lassen wollen. Herzlichen Dank!

Clute: Bitte!

((O-Ton Hörspiel))

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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