"Wir hatten schon unsere Vorbehalte"

Siegfried Wernik im Gespräch mit Susanne Führer |
Das Berliner Architekturbüro Léon, Wohlhage, Wernik hat vor drei Jahren einen internationalen Wettbewerb gewonnen, um das Regierungsviertel im libyschen Tripolis neu zu entwerfen. Das sei "eine einmalige Chance" gewesen, sagt dazu der Architekt Siegfried Wernik.
Susanne Führer: Bis vor wenigen Jahren noch wurde Libyen von den USA - und nicht nur von den USA - als Schurkenstaat bezeichnet, weil Libyens oberster Herr, Muammar al-Gaddafi, Terrororganisationen unterstützte. Doch diese Zeiten sind vorbei. Libyen feilt an seinem neuen Image, an New Libya.

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Geplant hat dieses Regierungsviertel das Berliner Architekturbüro Léon, Wohlhage, Wernik. Es gewann vor gut drei Jahren den internationalen Wettbewerb. Vor dieser Sendung habe ich mit dem Berliner Architekten Siegfried Werner gesprochen und ihn gefragt, ob er und seine Partner eigentlich keine Skrupel hatten, ausgerechnet für Gaddafi ausgerechnet ein Regierungsviertel zu entwerfen.

Siegfried Wernik: Skrupel vielleicht nicht, aber wir hatten schon unsere Vorbehalte, als man uns mit dem Thema konfrontierte, an dem Wettbewerb teilzunehmen. Das Bild hat sich dann geändert, nachdem wir in Libyen waren. Wir sind im Februar 2007 das erste Mal in Libyen gewesen, wurden dort eingeladen zu dem Briefing für diesen Wettbewerb und mussten feststellen, dass das Libyen-Bild, was wir im Kopf trugen, nicht stimmt. Wir wurden dort in einem sehr interessanten, gastfreundlichen Land empfangen, was touristisch nicht oder faktisch nicht erschlossen ist.

Führer: Und es gab ja bis vor sieben Jahren auch noch Wirtschaftssanktionen.

Wernik: Genau, es gab die Wirtschaftssanktionen und Privatinitiativen kamen erst langsam wieder in der Praxis an, und wir haben uns eigentlich sehr wohl gefühlt und waren positiv überrascht über dieses sehr offene Land. Interessanterweise auch Fragen, die wir stellten, ob die Menschen reisen dürften, wurden mit Unverständnis beantwortet und gesagt, selbstverständlich können wir reisen.

Vor allen Dingen die Menschen, mit denen wir zusammenkamen, mit denen wir auch dort dann später zu tun hatten, haben fast ausnahmslos im Ausland studiert – USA, in England, in Deutschland –, sprachen perfekt die andere Sprache, und wir konnten sehr gut mit denen kommunizieren. Es war eine sehr große Überraschung, die das Bild geändert hat.

Führer: Die Dimensionen dieses Projekts sind ja auch nicht von schlechten Eltern, ich habe gelesen, das Grundstück 230 Hektar groß, in dem dieses neue Regierungsviertel entstehen soll, darauf sollte dann der Palast des Volkskongresses errichtet werden, die zahllosen Ministerien, dazu der Sitz des Ministerpräsidenten, auch noch ein Hotel und ein Kongresszentrum, also wirklich was Gigantisches. Wie sind Sie das angegangen, Herr Wernik?

Wernik: Die Aufgabe für uns natürlich ungewöhnlich, also es ist ... kommt ja so gut wie nie vor, dass man die Chance bekommt, ein Regierungszentrum, Regierungsanlage am Stück zu planen wie dieses. Die Aufgabe bestand aus, wenn ich mich recht erinnere, 23 Ministerien, einer Moschee, einem großen Hotel, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten, einem großen, wir haben es Conference Palace genannt, nachher Parlamentsgebäude.

Der Ansatz, den wir in der Regel wählen, ist die Suche nach dem Ort und nach den Eigenschaften dieses besonderen Ortes. Nun war das ein Grundstück vor den Toren Tripolis’, und man kann sagen, der Kontext war nicht sehr intensiv, weil relativ wenige andere Gebäude dort stehen.

Allerdings haben wir ein Stück Gelände vorgefunden, eine Parkanlage, einen Wald, und wir haben den Vorschlag gemacht, das Zentrum in diesen Wald, diesen Park einzubetten und in der Entwicklung der Gebäude haben wir versucht natürlich, die Architektur, die in Nordafrika praktiziert wird, die traditionelle Architektur zu adaptieren – was dicke Wände zur Folge hat, tiefe Fenstergewände, schattenspendende Anlagen und so weiter – und haben die natürlich kombiniert mit Elementen aus einer westlichen Architektur, mit modernen, zeitgemäßen Elementen.

Das Interessante dabei ist, dass nicht alle Kollegen auf der anderen Seite diesen Ansatz richtig finden und begeistert sind, denn es ist oft so, dass in den Ländern dann erwartet wird: Wir wollen ein Stück Architektur haben, wie es auch in Chicago, in Berlin oder in Paris steht - was aber nicht in jedem Falle angemessen ist. Dieser Regel oder dieser Methode folgen wir nicht, sondern wir versuchen, die Architektur und die Lösung für den besonderen Ort zu entwickeln, und das ist letztlich, glaube ich, auch das erfolgreiche Moment gewesen in diesem Konzept.

Führer: Genau, Sie waren ja zunächst sehr erfolgreich, also, mit dieser Architektur, wo Sie versucht haben, eben arabische, nordafrikanische und europäische Bautradition zu verbinden, in das Zentrum einen Park zu stellen also klingt für mich jetzt auch nicht nach einer Monumentalarchitektur, nach so einer wirklich machtstrotzenden Architektur. Sie haben dann diesen Wettbewerb gewonnen, und dann ging die Arbeit, glaube ich, erst richtig los, oder?

Wernik: In der Tat. Wir sind dann sehr schnell zu Vertragsverhandlungen nach Tripolis eingeladen worden und dann entlassen worden mit der Aufforderung, jetzt das Konzept zu verfeinern, die Planungen anzugehen und das Projekt sollte dann fertiggestellt werden zum September 2009 – wobei wir dann natürlich fragten, okay, das soll fertiggestellt sein, aber welcher Teil davon soll fertiggestellt werden? Ja, alles.

Das war natürlich eine überraschende Auskunft, wobei jeder, der sich mit großen Projekten auseinandersetzt und sich dieses Projekt vor Augen führt, dem klar gewesen sein muss, dass das sehr wahrscheinlich nicht möglich sein wird, denn ein Projekt dieser Größenordnung ist in zwei Jahren nicht wirklich herstellbar.

Führer: Der Architekt Siegfried Wernik im Deutschlandradio Kultur, er hat für Libyens Hauptstadt Tripolis ein neues Regierungsviertel entworfen. Ja, so weit, so gut, Herr Wernik, eigentlich sollte das Ganze ja im vergangenen September eingeweiht werden, 40. Jahrestag der Revolution, 40 Jahre lang Gaddafi an der Macht. Das ist nicht passiert. Was ist denn passiert?

Wernik: Das ist uns verborgen geblieben. Nach meiner Einschätzung ist die Erkenntnis, dass das Projekt bis September 2009 nicht wirklich realisierbar sein wird, dann auch durchgedrungen in die Entscheiderkreise, die dann vermutlich die Entscheidung gefällt haben, das Projekt dann doch nicht zu realisieren. Also, das ist eine Sache, über die wir nur mutmaßen können letztlich.

Führer: Das verstehe ich nicht, haben Sie denn keine Nachricht bekommen? Man muss Ihnen doch irgendwas mitgeteilt haben.

Wernik: Wir haben dann im Frühjahr 2008 die Nachricht bekommen "The project is cancelled", auf Nachfrage, wie es denn jetzt weitergehen sollte, und dann hieß es "The project is cancelled". Also, insbesondere muss man sagen, die Kommunikation mit der libyschen Seite ist sporadisch und sehr zurückhaltend gewesen, also, insofern wussten wir auch nicht, während der Planung nicht zu jedem Zeitpunkt, wo stehen wir jetzt genau und wer ist genau der Entscheider für unser Projekt und die entscheidenden Punkte, die wir zu klären hatten.

Führer: Und jetzt sitzen Sie da und warten darauf, dass Ihnen vielleicht noch mal eine Begründung geliefert wird, oder ...

Wernik: Nein, für uns ist das Projekt zurzeit erledigt.

Führer: Für Sie ist das erledigt. Herr Wernik, Sie und Ihre Partner haben ja sehr viel Arbeit in dieses Projekt gesteckt. Haben Sie denn wenigstens Ihr Geld bekommen dafür?

Wernik: In der Tat. Wir waren ja in einem sehr großen Team unterwegs, haben eine Menge Arbeit geleistet, aber das Geld, was wir verabredet haben mit dem (…), ist auch vollständig gezahlt worden, also, da kann ich nicht klagen.

Führer: Also, insofern kein Groll?

Wernik: Kein Groll, nein. Ich meine, der Groll ist eher so, dass das schade ist, dass man dieses Projekt nicht realisieren durfte, aber finanziell ist kein Schaden entstanden, nein.

Führer: Wenn Sie das jetzt mal vergleichen mit dem Anfang vor so dreieinhalb Jahren, als Sie da das erste Mal da waren und – ja, Sie haben vorhin auch noch richtig gestrahlt – also doch ja sehr euphorisch waren, welche Schlüsse ziehen Sie dann daraus?

Wernik: Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass dieser Staat oder das Land in Nordafrika anders ist, als wir es in der Regel kennen. Also, wir haben unsere Erfahrungen gemacht, wir haben unser Bild sehr positiv verändern können, haben es dann relativieren müssen, aber gleichwohl bin ich der Auffassung, dass das Land ein sehr großes Potenzial hat. Ich bin sicher, dass sich dort in den nächsten Jahren noch einiges verändern wird.

Führer: Kann man vielleicht auch sagen, dass Sie sich auch haben verführen lassen vor drei Jahren, also einfach von dieser Größe dieses Projekts? Wann hat ein Architekt schon mal die Chance, so etwas zu bauen, eben ein ganzes Regierungsviertel? Das gibt es ja nicht so häufig.

Wernik: Das gibt es in der Tat nicht häufig, richtig, das ist natürlich eine einmalige Chance, die man bekommt, und die haben wir ja allerdings in Anbetracht der Randbedingungen, die wir kannten, sehr gerne angenommen.

Führer: Man kann ja auch fragen, ob einen als Architekt nicht vielleicht auch so ein bisschen der Größenwahn packt, wenn man so etwas Großes machen darf. Der "Spiegel" hat mal vom Speer-Effekt geschrieben, in Anlehnung an Albert Speer.

Wernik: Der Versuchung unterliegt man sehr wahrscheinlich, das ist richtig. Natürlich war es für uns auch eine hoch interessante Aufgabe, sich einem solchen großen und interessanten Projekt zu nähern. Allerdings versuchen wir nicht, das von der Seite anzusehen, sondern: Wie kann ich für diesen Ort, für die Aufgabenstellung, die wir dort vor uns hatten, eine geeignete Lösung finden? Also, uns war der Versuch der optimalen Lösung für die Situation, die Aufgabenstellung wichtiger, als das Großprojekt.

Führer: Vielleicht ist ja auch das Grundproblem, wenn man gerne solche großen Projekte mal machen möchte, dass die eigentlich ja fast ausschließlich von autoritär bis diktatorisch regierten Staaten vergeben werden.

Wernik: Das sieht so aus, das ist richtig. Ich denke, dass Staaten wie Libyien, China gehört dazu, Vietnam, die Möglichkeit haben, durch den enormen Nachholbedarf, den sie haben, solche großen Projekte in der Dimension auch wirklich in Auftrag zu geben. Die Möglichkeit haben wir in Mitteleuropa in der Form nicht mehr, weil so große Aufgaben schlichtweg auch nicht anstehen.

Führer: Der Architekt Siegfried Wernik über seinen Entwurf, "Tripolis Greens" heißt er übrigens, für ein neues Regierungsviertel in Libyen. Ich danke für Ihren Besuch, Herr Wernik!
Wernik: Gern.

Führer: Und morgen um kurz nach elf setzen wir unsere Reihe "Promised City" fort - und zwar dann mit Abuja in Nigeria.