"Wir können diese Krise nicht alleine meistern"
Das UN-Welternährungsprogramm braucht dringend Planungssicherheit, um in Krisenregionen helfen zu können. Derzeit fehlen rund 240 Millionen Euro, um Hungerleidende am Horn von Afrika zu unterstützen, sagt Ralf Südhoff, Leiter des Berliner Büros.
Joachim Scholl: Die Vereinten Nationen sprechen von der schlimmsten Hungerkrise in ganz Afrika seit 20 Jahren. Zwölf Millionen Menschen am Horn von Afrika, vor allem in Somalia, brauchen dringend Hilfe. Die UN hatte dafür ein eigenes Welternährungsprogramm – doch wer jetzt denkt, dass diese Institution über selbstständige Mittel verfügt, mit denen schnell zu helfen ist, liegt falsch. Das World Food Program lebt nur von freiwilligen Spenden der Mitglieder. Am Telefon ist jetzt Ralf Südhoff. Er leitet das Büro des Welternährungsprogrammes hier für Deutschland und für die Schweiz und Österreich. Guten Tag, Herr Südhoff.
Ralf Südhoff: Guten Tag!
Scholl: Man fasst sich ja schon so ein bisschen an den Kopf, dass angesichts des Hungers in der Welt – jetzt auch mal jenseits von aktuellen Katastrophen! – das Welternährungsprogramm eine rein freiwillig finanzierte Organisation ist. Und man fragt sich: Wie kann das sein?
Südhoff: Nun, in der Tat ist es eine, sagen wir mal, sehr große Herausforderung für uns, es bedeutet schlicht, dass wir über die Mittel, über die wir verfügen in einem Jahr erst im Januar 2012 beispielsweise wissen werden, wie viele Mittel wir für den Kampf gegen den Hunger in diesem Jahr hatten und dann feststellen werden, dass wir das in vielen Bereichen all das, wo wir den Auftrag bekommen haben, dringend zu helfen, nicht leisten können. Hintergrund ist sicherlich, dass Regierungen sehr, sehr zurückhaltend sind, sich dauerhaft zu verpflichten, und, wann immer sie können, ad hoc entscheiden möchten.
Scholl: Aber man denkt doch angesichts der Situation, auch der Problematik des Hungers in der Welt, dass hier ein Konsens herzustellen sei, dass Spenden verpflichtend sind! Oder dass sozusagen Mittel verpflichtend zur Verfügung gestellt werden mit einem gewissen Prozentsatz, so wie ein Mitgliedsbeitrag!
Südhoff: In der Tat würde das vieles erleichtern und ist auch die übliche Praxis bei den meisten anderen UN-Organisationen. Das hat auch seine guten Gründe: Man geht davon aus, dass man mit einem – typischerweise einem Sockelbetrag, also einem gewissen Budget, planen kann und darüber hinaus natürlich es darauf ankommt, wie sich die Lage entwickelt, ob es sehr große Krisen gibt wie jetzt am Horn, wie im vergangenen Jahr in Haiti und Pakistan, oder auch Jahre, in denen zumindest diese ganz großen, akuten Krisen ja durchaus auch einmal ausbleiben. Wenn Sie gar nicht planen können, dann hat es tatsächlich für uns ganz konkret die Schwierigkeit, dass Sie im Dezember eine Zuwendung einer Regierung bekommen, die aber auch binnen Wochen ausgegeben sein muss, weil dann das Budget ja dieser Regierung beispielsweise endet. Es hat die Folge, dass wir alle zu Recht davon sprechen, dass Entwicklungshilfe so nachhaltig wie nur irgend möglich sein muss, das aber natürlich viel, viel schwieriger ist, wenn Sie innovative Programme wie die Förderung von Kleinbauern, den Ankauf unserer Nothilfe immer mehr von Kleinbauern und Bauern vor Ort in die Wege leiten, diese unterstützen, aber gleichzeitig nie wissen, ob sie in sechs Monaten auch noch Geld haben, um diese Programme fortzusetzen oder sie womöglich zusammenstreichen müssen. Ganz konkret jetzt am Horn von Afrika mussten wir schon, bevor die Krise so massiv ausgebrochen ist, in Äthiopien, in Somalia, Hilfsprogramme so zusammenstreichen, dass wir schlichtweg Menschen in Not nur noch halb so viel Essen geben konnten, wie sie dringend brauchen, um zu überleben.
Scholl: Und das Welternährungsprogramm und viele andere Hilfsorganisationen haben schon länger, schon früh auf die drohende Katastrophe aufmerksam gemacht, man spricht da immer von einem Frühwarnsystem. Was bringt ein Frühwarnsystem, wenn sozusagen dann die Gelder nicht da sind?
Südhoff: Das ist in der Tat schwierig und insofern auch fatal, weil wenn Sie auf diese Frühwarnung auch nicht reagieren, werden Sie im nächsten Schritt viel, viel mehr Geld einsetzen müssen, oder es kostet eben, wenn Sie das nicht tun, viel, viel mehr Menschenleben, als wenn Sie beispielsweise jetzt vor einem Dreivierteljahr noch mehr Vorsorge getroffen hätten. Seit vergangenem Herbst bahnte sich an, dass am Horn die Regenfälle ausbleiben, dass es zu einer massiven Dürre kommen könnte, weshalb wir dann in Depots, in die entscheidenden Regionen vorab Nahrungsmittel bringen, um dann schnell handeln zu können. Das sorgt dafür, dass wir im Moment beispielsweise auch in den Flüchtlingslagern, die jetzt so überrannt werden von rund 20.000 Menschen pro Woche aus Somalia, noch Nahrungsmittel vor Ort haben – die werden uns aber sehr bald ausgehen. Und das ist jetzt schon absehbar, weil es natürlich auch eine gewisse Zeit dauert, bis Mittel eintreffen, bis man die Nahrungsmittel kaufen und sie dann in solche Lager transportieren kann. Das ist eine große Herausforderung und fast unmöglich zu helfen, wenn man so schlecht planen kann in so einer Krise.
Scholl: Die Hungerkatastrophe in Ostafrika, Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Ralf Südhoff, dem deutschen Vertreter des UN-Welternährungsprogramms. Bekommen Sie denn wenigstens das Geld, das man Ihnen dann zusagt, wenn Sie wieder quasi auf Betteltour waren, Herr Südhoff?
Südhoff: Wenn wir Zusagen erhalten von einzelnen Regierungen, dann erhalten sie diese Mittel auch. Uns trifft nicht das Schicksal von diesen bisweilen allgemeineren Ankündigungen auf G8-, G20-Gipfeln, wo dann vielfach beklagt wird, dass die Mittel so ja gar nicht fließen. Dann ist halt eher die Frage: Wie lange dauert es, bis die Mittel wirklich eintreffen. Gerade in Krisen geht es ja tatsächlich um Tage und nicht um Wochen und Monate, und da in der Tat könnte manches schneller laufen.
Scholl: Hat es jemals eigentlich Initiativen, Anträge, Vorstöße in die Richtung gegeben, dass die UN-Mitglieder so gestaffelt nach Wirtschaftsgrad vielleicht einen verpflichtenden jährlichen Beitrag für dieses humanitäre Programm zahlen?
Südhoff: Es gibt immer wieder so diese Anfragen. Wir haben auch von unserer Seite schon mehrfach drauf gedrängt, ob nicht alle Geberstaaten uns auch mehrjährige Mittel zumindest dann in Aussicht stellen können. Leider stehen dem teils politische Interessen, so flexibel wie möglich bleiben zu wollen, teils Abrechnungsmethoden – nehmen Sie den Bundesrechnungshof, der alles jährlich überprüfen möchte und darauf auch besteht –, steht diesem bisweilen entgegen, was aber in der Tat die Planbarkeit der Hilfe und damit auch ihre nachhaltige Wirkung viel, viel schwieriger macht.
Scholl: Wie viel Geld brauchen Sie aktuell - Sie, das Welternährungsprogramm - wie schnell, um möglichst viele Menschen zu retten?
Südhoff: Am Horn von Afrika haben wir gerade in dieser Woche neue Schätzungen und Analysen der Lage vor Ort vornehmen können, unsere Direktorin ist auch gerade in der Region, hat gestern eine Schätzung ermittelt für Somalia insbesondere, wo wir davon ausgehen können, dass wir im Süden des Landes künftig wieder helfen können, wo in der Vergangenheit allein 14 unserer Mitarbeiter umgebracht wurden. Wir kriegen jetzt offenbar Zusagen auch von islamistischer Seite, dass unsere Hilfe akzeptiert ist und nicht angegriffen wird. Das würde bedeuten, dass wir allein dort über zwei Millionen weitere Menschen dringend unterstützen müssen, dafür auch sorgen können dann, dass sie nicht mehr in diese Lager fliehen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass wir davon ausgehen, dass wir in der Region insgesamt allein in diesem Jahr rund 240 Millionen Euro brauchen, um die über elf Millionen Menschen – Sie hatten das am Anfang genannt –, die dort akut vom Hunger bedroht sind und jetzt unsere Hilfe kurzfristig brauchen, damit sie nicht dauerhaft abhängig werden, ihre Felder verlassen, ihr Vieh verkaufen müssen, um diese Menschen unterstützen zu können. Am Horn von Afrika in diesem Jahr rund 240 Millionen Euro.
Scholl: Wie viel haben Sie denn von diesen 240 Millionen?
Südhoff: Von diesen haben wir praktisch noch gar nichts, denn das ist der zusätzliche Bedarf dieser Krise, und schon bevor die Krise ausbrach, fehlten uns für unsere Programme in den Ländern vor Ort mindestens rund 30 Prozent, je nach Land.
Scholl: Nun wird allenthalben auch zu privaten Spenden aufgerufen, Herr Südhoff. Die Resonanz ist bislang gering im Vergleich zu anderen Katastrophen wie beim Erdbeben in Haiti oder der Flutkatastrophe in Pakistan. Viele Menschen befürchten, dass ihr Geld nicht ankommt, vor allem wegen der desolaten politischen, kriegerischen Situation in Somalia, Sie haben es schon angesprochen. Können Sie solche Bedenken zerstreuen?
Südhoff: Ich glaube, das kann man sehr gut, denn wir haben eine Situation, wo wir beispielsweise – wir haben Somalia angesprochen – unsere Hilfe ganz bewusst Anfang letzten Jahres eingestellt haben, weil Bedingungen gestellt wurden, die wir nicht akzeptieren konnten, beispielsweise Geldzahlungen an Rebellen vor Ort, beispielsweise, dass keine Frauen bei uns mitarbeiten dürften, um diese Hilfe zu leisten. Jetzt gibt es offenbar eine Bereitschaft, und sei es nur aus Eigeninteresse, die Helfer wieder ins Land zu lassen, weil die Lage so dramatisch ist vor Ort, auch im Süden Somalias. Wir können ohnehin rund anderthalb Millionen Menschen in Mogadischu und im Norden in diesen Tagen schon unterstützen. Und das Welternährungsprogramm hat eben auch den Vorteil, dass wir in allen genannten Ländern schon sehr lange vor Ort sind, weil wir dort auch Entwicklungshilfe leisten, weil wir mit den Regierungen und Partnerorganisationen schon sehr lange und vor allem auch mit einheimischen Kräften zu rund 90 Prozent zusammenarbeiten.
Es ist übrigens auch ein Mythos, dass die Lage ja immer schlimmer wird, und deswegen die Hilfe ja nichts nutze. Wenn ich kurz zwei Beispiele geben darf: Äthiopien, ein Land, von dem wir immer das Gefühl haben, da ist doch eine Krise nach der anderen – noch in den 80er-Jahren, wo diese schreckliche Hungersnot war, waren dort rund 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung hungernde, heute sind es noch rund 30 Prozent. Natürlich viel zu viel, aber bei hohem Bevölkerungswachstum in so kurzer Zeit, glaube ich, auch ein großer Erfolg. Ein Land in Uganda, ein ganz armes Land, auch im Horn von Afrika, hat den Hunger praktisch besiegt. Also, es nutzt etwas, zu helfen und natürlich müssen auch die Regierungen vor Ort etwas tun.
Scholl: Am Montag findet in Rom ein UN-Krisentreffen zur Hungerkatastrophe statt. Erhoffen Sie sich da einen Fortschritt auch in Sachen der Finanzierung?
Südhoff: Das hoffen wir sehr, denn es ist tatsächlich dringend geboten. Wir können diese Krise nicht alleine meistern, und vor allem, wenn wir nicht jetzt etwas tun, genau dann entsteht die Abhängigkeit. Wenn wir nicht jetzt helfen, werden wir diese Menschen gerade in die Abhängigkeit führen. Sie können sich von ihren Feldern nicht mehr ernähren, die Kleinbauern müssen in die Städte fliehen, weil sie bedingungslos hoffen, dort irgendwie Arbeit zu finden, was natürlich kaum möglich ist. Die Viehbauern fangen an, ihr Vieh zu verkaufen und werden überhaupt nichts mehr haben, von dem sie sich ernähren können, wenn man jetzt nicht kurzfristig in dieser Dürrezeit hilft. Die Erfahrung lehrt auch, es ist absolut möglich und auch Praxis des Welternährungsprogramms, nach diesen Dürreperioden, wenn der Regen wieder da ist und die Ernte kommt, drastisch die Hilfe wieder zurückzufahren. Denn die Menschen können sich dann, wenn man ihnen zwischenzeitlich geholfen hat, wieder selbst ernähren und wollen und tun das auch.
Scholl: Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht, und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen muss wieder um das benötigte Geld betteln gehen. Das war Ralf Südhoff, der deutsche Vertreter der Organisation in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Südhoff!
Südhoff: Sehr, sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ralf Südhoff: Guten Tag!
Scholl: Man fasst sich ja schon so ein bisschen an den Kopf, dass angesichts des Hungers in der Welt – jetzt auch mal jenseits von aktuellen Katastrophen! – das Welternährungsprogramm eine rein freiwillig finanzierte Organisation ist. Und man fragt sich: Wie kann das sein?
Südhoff: Nun, in der Tat ist es eine, sagen wir mal, sehr große Herausforderung für uns, es bedeutet schlicht, dass wir über die Mittel, über die wir verfügen in einem Jahr erst im Januar 2012 beispielsweise wissen werden, wie viele Mittel wir für den Kampf gegen den Hunger in diesem Jahr hatten und dann feststellen werden, dass wir das in vielen Bereichen all das, wo wir den Auftrag bekommen haben, dringend zu helfen, nicht leisten können. Hintergrund ist sicherlich, dass Regierungen sehr, sehr zurückhaltend sind, sich dauerhaft zu verpflichten, und, wann immer sie können, ad hoc entscheiden möchten.
Scholl: Aber man denkt doch angesichts der Situation, auch der Problematik des Hungers in der Welt, dass hier ein Konsens herzustellen sei, dass Spenden verpflichtend sind! Oder dass sozusagen Mittel verpflichtend zur Verfügung gestellt werden mit einem gewissen Prozentsatz, so wie ein Mitgliedsbeitrag!
Südhoff: In der Tat würde das vieles erleichtern und ist auch die übliche Praxis bei den meisten anderen UN-Organisationen. Das hat auch seine guten Gründe: Man geht davon aus, dass man mit einem – typischerweise einem Sockelbetrag, also einem gewissen Budget, planen kann und darüber hinaus natürlich es darauf ankommt, wie sich die Lage entwickelt, ob es sehr große Krisen gibt wie jetzt am Horn, wie im vergangenen Jahr in Haiti und Pakistan, oder auch Jahre, in denen zumindest diese ganz großen, akuten Krisen ja durchaus auch einmal ausbleiben. Wenn Sie gar nicht planen können, dann hat es tatsächlich für uns ganz konkret die Schwierigkeit, dass Sie im Dezember eine Zuwendung einer Regierung bekommen, die aber auch binnen Wochen ausgegeben sein muss, weil dann das Budget ja dieser Regierung beispielsweise endet. Es hat die Folge, dass wir alle zu Recht davon sprechen, dass Entwicklungshilfe so nachhaltig wie nur irgend möglich sein muss, das aber natürlich viel, viel schwieriger ist, wenn Sie innovative Programme wie die Förderung von Kleinbauern, den Ankauf unserer Nothilfe immer mehr von Kleinbauern und Bauern vor Ort in die Wege leiten, diese unterstützen, aber gleichzeitig nie wissen, ob sie in sechs Monaten auch noch Geld haben, um diese Programme fortzusetzen oder sie womöglich zusammenstreichen müssen. Ganz konkret jetzt am Horn von Afrika mussten wir schon, bevor die Krise so massiv ausgebrochen ist, in Äthiopien, in Somalia, Hilfsprogramme so zusammenstreichen, dass wir schlichtweg Menschen in Not nur noch halb so viel Essen geben konnten, wie sie dringend brauchen, um zu überleben.
Scholl: Und das Welternährungsprogramm und viele andere Hilfsorganisationen haben schon länger, schon früh auf die drohende Katastrophe aufmerksam gemacht, man spricht da immer von einem Frühwarnsystem. Was bringt ein Frühwarnsystem, wenn sozusagen dann die Gelder nicht da sind?
Südhoff: Das ist in der Tat schwierig und insofern auch fatal, weil wenn Sie auf diese Frühwarnung auch nicht reagieren, werden Sie im nächsten Schritt viel, viel mehr Geld einsetzen müssen, oder es kostet eben, wenn Sie das nicht tun, viel, viel mehr Menschenleben, als wenn Sie beispielsweise jetzt vor einem Dreivierteljahr noch mehr Vorsorge getroffen hätten. Seit vergangenem Herbst bahnte sich an, dass am Horn die Regenfälle ausbleiben, dass es zu einer massiven Dürre kommen könnte, weshalb wir dann in Depots, in die entscheidenden Regionen vorab Nahrungsmittel bringen, um dann schnell handeln zu können. Das sorgt dafür, dass wir im Moment beispielsweise auch in den Flüchtlingslagern, die jetzt so überrannt werden von rund 20.000 Menschen pro Woche aus Somalia, noch Nahrungsmittel vor Ort haben – die werden uns aber sehr bald ausgehen. Und das ist jetzt schon absehbar, weil es natürlich auch eine gewisse Zeit dauert, bis Mittel eintreffen, bis man die Nahrungsmittel kaufen und sie dann in solche Lager transportieren kann. Das ist eine große Herausforderung und fast unmöglich zu helfen, wenn man so schlecht planen kann in so einer Krise.
Scholl: Die Hungerkatastrophe in Ostafrika, Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Ralf Südhoff, dem deutschen Vertreter des UN-Welternährungsprogramms. Bekommen Sie denn wenigstens das Geld, das man Ihnen dann zusagt, wenn Sie wieder quasi auf Betteltour waren, Herr Südhoff?
Südhoff: Wenn wir Zusagen erhalten von einzelnen Regierungen, dann erhalten sie diese Mittel auch. Uns trifft nicht das Schicksal von diesen bisweilen allgemeineren Ankündigungen auf G8-, G20-Gipfeln, wo dann vielfach beklagt wird, dass die Mittel so ja gar nicht fließen. Dann ist halt eher die Frage: Wie lange dauert es, bis die Mittel wirklich eintreffen. Gerade in Krisen geht es ja tatsächlich um Tage und nicht um Wochen und Monate, und da in der Tat könnte manches schneller laufen.
Scholl: Hat es jemals eigentlich Initiativen, Anträge, Vorstöße in die Richtung gegeben, dass die UN-Mitglieder so gestaffelt nach Wirtschaftsgrad vielleicht einen verpflichtenden jährlichen Beitrag für dieses humanitäre Programm zahlen?
Südhoff: Es gibt immer wieder so diese Anfragen. Wir haben auch von unserer Seite schon mehrfach drauf gedrängt, ob nicht alle Geberstaaten uns auch mehrjährige Mittel zumindest dann in Aussicht stellen können. Leider stehen dem teils politische Interessen, so flexibel wie möglich bleiben zu wollen, teils Abrechnungsmethoden – nehmen Sie den Bundesrechnungshof, der alles jährlich überprüfen möchte und darauf auch besteht –, steht diesem bisweilen entgegen, was aber in der Tat die Planbarkeit der Hilfe und damit auch ihre nachhaltige Wirkung viel, viel schwieriger macht.
Scholl: Wie viel Geld brauchen Sie aktuell - Sie, das Welternährungsprogramm - wie schnell, um möglichst viele Menschen zu retten?
Südhoff: Am Horn von Afrika haben wir gerade in dieser Woche neue Schätzungen und Analysen der Lage vor Ort vornehmen können, unsere Direktorin ist auch gerade in der Region, hat gestern eine Schätzung ermittelt für Somalia insbesondere, wo wir davon ausgehen können, dass wir im Süden des Landes künftig wieder helfen können, wo in der Vergangenheit allein 14 unserer Mitarbeiter umgebracht wurden. Wir kriegen jetzt offenbar Zusagen auch von islamistischer Seite, dass unsere Hilfe akzeptiert ist und nicht angegriffen wird. Das würde bedeuten, dass wir allein dort über zwei Millionen weitere Menschen dringend unterstützen müssen, dafür auch sorgen können dann, dass sie nicht mehr in diese Lager fliehen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass wir davon ausgehen, dass wir in der Region insgesamt allein in diesem Jahr rund 240 Millionen Euro brauchen, um die über elf Millionen Menschen – Sie hatten das am Anfang genannt –, die dort akut vom Hunger bedroht sind und jetzt unsere Hilfe kurzfristig brauchen, damit sie nicht dauerhaft abhängig werden, ihre Felder verlassen, ihr Vieh verkaufen müssen, um diese Menschen unterstützen zu können. Am Horn von Afrika in diesem Jahr rund 240 Millionen Euro.
Scholl: Wie viel haben Sie denn von diesen 240 Millionen?
Südhoff: Von diesen haben wir praktisch noch gar nichts, denn das ist der zusätzliche Bedarf dieser Krise, und schon bevor die Krise ausbrach, fehlten uns für unsere Programme in den Ländern vor Ort mindestens rund 30 Prozent, je nach Land.
Scholl: Nun wird allenthalben auch zu privaten Spenden aufgerufen, Herr Südhoff. Die Resonanz ist bislang gering im Vergleich zu anderen Katastrophen wie beim Erdbeben in Haiti oder der Flutkatastrophe in Pakistan. Viele Menschen befürchten, dass ihr Geld nicht ankommt, vor allem wegen der desolaten politischen, kriegerischen Situation in Somalia, Sie haben es schon angesprochen. Können Sie solche Bedenken zerstreuen?
Südhoff: Ich glaube, das kann man sehr gut, denn wir haben eine Situation, wo wir beispielsweise – wir haben Somalia angesprochen – unsere Hilfe ganz bewusst Anfang letzten Jahres eingestellt haben, weil Bedingungen gestellt wurden, die wir nicht akzeptieren konnten, beispielsweise Geldzahlungen an Rebellen vor Ort, beispielsweise, dass keine Frauen bei uns mitarbeiten dürften, um diese Hilfe zu leisten. Jetzt gibt es offenbar eine Bereitschaft, und sei es nur aus Eigeninteresse, die Helfer wieder ins Land zu lassen, weil die Lage so dramatisch ist vor Ort, auch im Süden Somalias. Wir können ohnehin rund anderthalb Millionen Menschen in Mogadischu und im Norden in diesen Tagen schon unterstützen. Und das Welternährungsprogramm hat eben auch den Vorteil, dass wir in allen genannten Ländern schon sehr lange vor Ort sind, weil wir dort auch Entwicklungshilfe leisten, weil wir mit den Regierungen und Partnerorganisationen schon sehr lange und vor allem auch mit einheimischen Kräften zu rund 90 Prozent zusammenarbeiten.
Es ist übrigens auch ein Mythos, dass die Lage ja immer schlimmer wird, und deswegen die Hilfe ja nichts nutze. Wenn ich kurz zwei Beispiele geben darf: Äthiopien, ein Land, von dem wir immer das Gefühl haben, da ist doch eine Krise nach der anderen – noch in den 80er-Jahren, wo diese schreckliche Hungersnot war, waren dort rund 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung hungernde, heute sind es noch rund 30 Prozent. Natürlich viel zu viel, aber bei hohem Bevölkerungswachstum in so kurzer Zeit, glaube ich, auch ein großer Erfolg. Ein Land in Uganda, ein ganz armes Land, auch im Horn von Afrika, hat den Hunger praktisch besiegt. Also, es nutzt etwas, zu helfen und natürlich müssen auch die Regierungen vor Ort etwas tun.
Scholl: Am Montag findet in Rom ein UN-Krisentreffen zur Hungerkatastrophe statt. Erhoffen Sie sich da einen Fortschritt auch in Sachen der Finanzierung?
Südhoff: Das hoffen wir sehr, denn es ist tatsächlich dringend geboten. Wir können diese Krise nicht alleine meistern, und vor allem, wenn wir nicht jetzt etwas tun, genau dann entsteht die Abhängigkeit. Wenn wir nicht jetzt helfen, werden wir diese Menschen gerade in die Abhängigkeit führen. Sie können sich von ihren Feldern nicht mehr ernähren, die Kleinbauern müssen in die Städte fliehen, weil sie bedingungslos hoffen, dort irgendwie Arbeit zu finden, was natürlich kaum möglich ist. Die Viehbauern fangen an, ihr Vieh zu verkaufen und werden überhaupt nichts mehr haben, von dem sie sich ernähren können, wenn man jetzt nicht kurzfristig in dieser Dürrezeit hilft. Die Erfahrung lehrt auch, es ist absolut möglich und auch Praxis des Welternährungsprogramms, nach diesen Dürreperioden, wenn der Regen wieder da ist und die Ernte kommt, drastisch die Hilfe wieder zurückzufahren. Denn die Menschen können sich dann, wenn man ihnen zwischenzeitlich geholfen hat, wieder selbst ernähren und wollen und tun das auch.
Scholl: Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht, und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen muss wieder um das benötigte Geld betteln gehen. Das war Ralf Südhoff, der deutsche Vertreter der Organisation in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Südhoff!
Südhoff: Sehr, sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.