"Wir leuchten, also sind wir"

Von Carsten Probst |
Die Biennale für Internationale Lichtkunst unter dem Titel "open light in private spaces" bringt Kunst zu Leuten, die sonst oft gar nichts mit Kunst zu tun haben. Die Ausstellungsorte sind private Wohnungen und Hauser.
"Kontext Ganzheit Ort Teile Bedeutung", fünf Wörter aus Neonbuchstaben tauchen die Hauswirtschaftskammer von Frau Schmidt in rotes Licht. So hat die 83-jährige ehemalige Gymnasiallehrerin aus dem Städtchen Bergkamen ihr Hab und Gut noch nicht gesehen. Auf den Regalen liegen Kartons mit dem Lichtbogen fürs Weihnachtsfest, den alten Punkplatten ihres Sohnes oder ausgediente Suppenschüsseln. Der Name des Künstlers, Joseph Kosuth, sagt der liebenswürdigen Frau Schmidt ebenso wenig wie die von ihm mitbegründete Konzeptkunst, aber das stört sie wenig in ihrer Freude an dieser Arbeit, die durchaus exemplarisch ist für das Vorhaben dieser Biennale der Lichtkunst. Im Vorfeld haben manche Kritiker gespottet, dies sei die Fortsetzung von "Unser Dorf soll schöner werden" mit dekorativen Leucht-Mitteln. Kurator Matthias Wagner K dagegen sagt:

"Wenn Sie dann in den nächsten Wochen dann die Gelegenheit finden ( ... ), einige dieser Privaträume aufzusuchen, dann werden Sie sehen, dass mit dieser Biennale für internationale Lichtkunst der Begriff Lichtkunst und natürlich auch der Begriff Öffentlichkeit und Privatheit wirklich im tiefsten Grund berührt wird."

Und damit könnte er Recht haben. Dieses Kunstfestival, das sich von außen wie ein hübscher Aufmerksamkeitsfänger in der strukturschwachen Hellweg-Region im östlichen Ruhrgebiet ausmacht, entpuppt sich als komplexe Angelegenheit.

Schon äußerlich ist es eine Herausforderung für alle Beteiligten: für die Künstler, die ihre oft empfindlichen Arbeiten privaten Haushalten anvertrauen, für die Gastgeber, die nun bis Ende Mai mitunter beträchtliche Teile ihrer privaten Räume dem Publikum öffnen, und für das Publikum selbst. Nur wenige werden vermutlich am Ende alle 60 Werke an 60 Orten in den sechs verschiedenen Städten gesehen haben, zu groß sind die Entfernungen. Zwar gibt es einen Shuttleservice zu ausgewählten Präsentationen, aber am besten fährt man mit dem Privatauto und vor allem mit einem Navigationsgerät, denn die Suche nach den einzelnen Wohnungen gleicht mitunter einer Schnitzeljagd. Frau Grziwotz hat ihr Wohnzimmer in einem Bergkamener 60er-Jahre Bungalow geopfert, damit eine Installation von Olafur Eliasson und Tobias Rehberger Platz finden kann. Tut sie gern, sagt sie.

"Ansonsten muss ich halt aufpassen, dass ich nicht an diese Kugel komme und die Scheinwerfer verstelle. Weil, das hat was gedauert, bis die Herren die eingestellt hatten, und da bin ich also immer ganz vorsichtig, dass ich da nicht drankomme."

Je länger man unterwegs ist, desto stärker schiebt sich die inständige Privatheit dieser Ausstellungsorte vor die Kunst. Sie ist so etwas wie das eigentliche Grundthema dieser Biennale.

Wagner: "Der Grund, warum viele der Gastgeber mitgemacht und sich gemeldet haben, war, einfach zu sagen: ( ... ) Wir möchten zeigen, wie wir hier leben, ( ... ) und wir haben so die Möglichkeit, überhaupt mal wieder eine Gemeinschaft zu bilden und uns mit Kunst auseinanderzusetzen, wo vielleicht vorher Schwellenängste bestanden. ( ... )Es gibt etliche Familien, da war noch nie jemand in einem Kunstmuseum ... Ein Gastgeber, ein Biobauer, Herr Stemper, brachte das dann ganz zum Schluss auf den Punkt: ( ... ) Wir leuchten, also sind wir."

Ganze Lebenswelten, um deren Bild-Analyse sich beispielsweise die Fotografie der Düsseldorfer Becher-Schule seit Jahrzehnten bemüht hat, sind hier selbst Teil der Ausstellung geworden. Der Bungalow, die Scheune auf dem in einem merkwürdig historisierenden Stilmix restaurierten Hofgut oder die Hauswirtschaftskammer der Frau Schmidt. Es bräuchte nicht einmal die Lichtkunst, um diese Orte als bedeutungsvoll zu markieren.

Wagner: "Das stellt auch immer Fragen zur Identität: Wo steh ich gerade, wo gehör ich eigentlich hin? Lassen sich noch Begriffe wie Heimat und dergleichen überhaupt aufrecht erhalten ( ... ) in dieser globalisierten Welt. Und das sind alles Themen, die hier mit reinspielen, bei den Künstlern, und die diese Städte auch so interessant gemacht haben, weil natürlich auch hier die Frage gestellt wird nach der Identität: Wohin geht es mit uns? ( ... ) Wie können wir uns wandeln, nachdem Bergbau und Schwerindustrie nicht mehr existieren. ( ... ) Das war sozusagen der Grund erstmal, warum wir hier sind."

Vorbild für diese Art der Präsentation ist eine Ausstellung, die der belgische Ausstellungsmacher Jan Hoet 1986 in Gent unter dem Titel "Chambre d'Amis"veranstaltet hat, bei der 50 Künstler oft monatelang in den Privatwohnungen von Familien lebten und ortsbezogene Arbeiten erstellten.

Doch bei Jan Hoets Konzeption spielten damals wohl noch Einflüsse der Fluxus-Bewegung und die alte Forderung mit hinein, Kunst und Leben müssten eine Einheit bilden. Davon kann heute keine Rede mehr sein.

2006 ließ auch die Berlin Biennale einen Teil ihrer Exponate in trendigen Privatwohnungen in Berlin-Mitte unterkommen. Ein Beweggrund dafür mag zwar sein, Kunst zu den Leuten zu bringen, die sonst vielleicht gar nichts mit Kunst zu tun haben. Doch vor allem geht es den Ausstellungsmachern dabei um eine Kontextualisierung, um die gegenseitige Anverwandlung von historischer, persönlicher und bildlicher Sphäre. Die Theorie bemächtigt sich der Lebenspraxis und inszeniert daraus einen Menschenzoo des Privaten und Intimen. Ein mutiges, radikales Konzept, aber auch nicht unproblematisch in einer Region, die sich nun so bereitwillig selbst ausstellt und ihren sozialen und wirtschaftlichen Niedergang.

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