"Wir machen keine Auftragwerke"
Der Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden hat die Pekinger Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" verteidigt. Es habe keine Vorgaben oder Zensur der chinesischen Behörden gegeben, sagt Martin Roth.
Alexandra Mangel: Der Tian'anmen-Platz in Peking, des Platz des himmlischen Friedens, ist der Platz, wo 1989 Hunderte friedliche Demonstranten vom chinesischen Militär niedergeschossen wurden. Chinesen, die sich heute über dieses Massaker informieren, aufklären wollen, scheitern an der Zensurmauer im Internet. Am Tian'anmen-Platz wird morgen das frisch umgebaute und zum angeblich größten Museum der Welt erweiterte Nationalmuseum Chinas feierlich wiedereröffnet, und zwar mit der Schau "Die Kunst der Aufklärung". 600 Werke aus deutschen Museen sind dafür nach China geflogen worden, Werke aus den Staatlichen Museen Berlin, aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München.
Und für uns sitzt jetzt in Peking Martin Roth im Studio, der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Guten Morgen, Herr Roth!
Martin Roth: Guten Morgen!
Mangel: Es gab ja Sorgen, ob morgen überhaupt eröffnet werden könnte. Von Lieferengpässen auf der Museumsbaustelle war die Rede, von Bauschlamperei, das Museum würde gar nicht rechtzeitig fertig. Wird morgen pünktlich eröffnet?
Roth: Oh ja, das Museum ist in Teilen schon voreröffnet, einzelne Ausstellungen unserer chinesischen Kollegen, also Dauerausstellungen, sind schon eingerichtet. Wir wissen, dass die Chinesen unendlich schnell arbeiten. Ich habe heute Morgen noch Herrn von Gerkan gesehen, den Architekten …
Mangel: Der den Umbau leitet.
Roth: … der das ein bisschen umgebaut hat in den letzten fünf Jahren. Der sagte, hier würde mit einer Geschwindigkeit gebaut, die wir uns in Europa nicht so richtig vorstellen könnten. Und insofern ist alles fertig geworden. Was uns ein bisschen nervös gemacht hat – aber das erleben wir nicht zum ersten Mal, das haben wir auch in europäischen Situationen –, ist, dass die klimatischen Bedingungen in einem Neubau sich erst einpendeln müssen. Und da wir doch sehr wertvolle Kunst nach Peking gebracht haben, wollten wir auch sicher sein, dass das alles richtig funktioniert, und das ist mittlerweile gegeben.
Mangel: Wie viele Werke haben Sie denn nach Peking geschickt und welche Spitzenwerke sind dabei?
Roth: Es sind um die 600 Werke insgesamt, darunter sind Caspar David Friedrich, darunter ist Meißener Porzellan, darunter sind wertvolle wissenschaftliche Instrumente, zwei Canaletto und so weiter.
Mangel: Das alles wird ja nun unter dem Begriff "Kunst der Aufklärung" zusammengefasst, der ja so einfach nicht zu haben ist, das ist ja kein kunsthistorisch feststehender Begriff. Wie werden die Werte der europäischen Aufklärung, also Freiheit, die Emanzipation der Zivilgesellschaft, in dieser Ausstellung denn jetzt für den Besucher erfahrbar?
Roth: Das ist richtig, was Sie sagen, und das ist eigentlich auch das wirkliche Experiment an dieser Ausstellung, und ich bin irgendwo zwischen aufgeregt und dankbar, dass es uns tatsächlich gelungen ist, diese Ausstellung auch an diesem Ort und unter den gegebenen Bedingungen umzusetzen. Es ist wirklich keine Epoche, es ist nicht eine dieser üblichen Ausstellungen zum Thema Romantik, Rokoko, Barock oder wie auch immer, sondern es beleuchtet eine Bewegung, eine Haltung, ein Prinzip, das zur Revolution geführt hat und das bis heute unseren modernen Staat bedingt oder die Grundfesten geschaffen hat.
Was wir machen, ist im Prinzip, den Strang der Entwicklung immer wieder unter einen Fokus zu nehmen, immer wieder zu beleuchten, immer wieder einzelne Beispiele hervorzubringen, dass wir einfach uns mit den Schattenseiten, mit den dunklen Seiten der Aufklärung auseinandersetzen – mit dem Kolonialismus, mit den Kriegen, mit dem Einsatz der Wissenschaften auch für sagen wir Kriegszwecke, für militärische Zwecke.
Mangel: Aber doch auch mit der Freiheit des Individuums, die da errungen wird?
Roth: Da wollte ich gerade sagen, wir gehen aber auch natürlich auf die Freiheit des Individuums ein. Es ist keine kulturhistorische Ausstellung, sondern indem wir wirklich uns damit auseinandersetzen, wie einzelne Künstler in verschiedenen Zeiten diese Themen wieder aufgegriffen haben, egal ob es jetzt Familiendarstellungen sind, ob es die Darstellung von Schiller ist, der versucht, in Weimar seine Gedanken zu vermitteln, seine Vorstellungen zu vermitteln. Oder auch im Bereich der Gegenwartskunst: Wir zeigen Neo Rauch und Warhol und viele andere, um zum Beispiel das Bild des freien Künstlers zu zeigen, also das Selbstverständnis eines freien Künstlers, wie er in der Aufklärung entstanden ist, und wir eben auch heute in unserer Gesellschaft eine ganz wichtige Rolle, ein ganz wichtiges Korrelativ darstellen oder auch eine provozierende Rolle übernehmen, keine Frage. Insofern, ausgerechnet heute, wo wir doch einige Diskussionen um Ai Weiwei haben in dieser Stadt, scheinen mir diese Diskussionen über Pluralität auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Thema der Aufklärung doch hochinteressant zu sein.
Mangel: Wir sprechen im Radiofeuilleton mit dem Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, mit Martin Roth, über die große Schau "Die Kunst der Aufklärung", die morgen im chinesischen Nationalmuseum in Peking mit 600 Leihgaben aus Dresden, Berlin und München eröffnet wird. Die Schau soll der Förderung der strategischen Partnerschaft zwischen Deutschland und China dienen, so haben es Wen Jiabao und Angela Merkel beschlossen. Die Schau wird zum großen Teil vom Auswärtigen Amt finanziert – heißt das, dass die Museen in Deutschland, also neben Sammeln, Bewahren und Forschen, auch die Aufgabe haben, die strategischen Allianzen der Außenpolitik zu fördern?
Roth: Nee, da täuschen Sie sich jetzt wirklich radikal, und da widerspreche ich auch heftigst, weil das meine Grundfesten oder die Grundfesten meiner Arbeit angreifen würde, wenn Sie das so formulieren. Es ist so gewesen, dass ich persönlich vor rund zehn Jahren die Zusammenarbeit mit China begonnen habe, eigentlich geleitet von dem Bild, das Dresden im Bereich der Chinoiserie eine überaus starke Sammlung hat, eine starke Präsenz und immer ein großes Interesse hatte, und insofern lag mir daran, den Kontakt mit China aufzunehmen. Das hat überaus gut funktioniert, mit sehr viel Unterstützung auch von chinesischen Partnern und chinesischen Museen, chinesischen Sammlern und so weiter und so fort. Wir sind über die Jahre hin mit großer Offenheit und viel Freundschaft und Treue aufgenommen worden.
Aus diesem Diskussionsprozess heraus, aus diesem gemeinsamen Prozess haben sich viele Kooperationen entwickelt, die wirklich sozusagen immer gemeinsam von beiden Seiten betrieben worden sind. Wir haben nie Ausstellungen gemacht, die in Deutschland entwickelt worden sind und dann einfach hier reingesetzt wurden. Ich wäre gegen dieses Prinzip. Und aus diesem Gedanken heraus ist vor fünf Jahren, gemeinsam mit meinen Kollegen in Berlin und München, das Thema der Aufklärung entstanden, in der Diskussion mit unseren Kollegen aus dem Nationalmuseum. Wir haben dann damals drum gebeten, dass wir die Unterstützung bekommen des Auswärtigen Amtes, wir haben um einen politischen Rahmen gebeten, den hat man uns gegeben durch den Präsidenten und den Bundespräsidenten und die Kanzlerin und Wen Jiabao. Und das ging von uns aus sozusagen, diese Verankerung, diese Versicherung.
Wir machen keine Auftragwerke im Zusammenhang der Cultural Diplomacy – Kultur ist eigenständig, und in dieser eigenständigen Zusammenarbeit sehen wir durchaus Brücken, die wir bauen können, in denen auch die Wirtschaft oder die Politik sozusagen die Brücken begeht, aber Kultur ist wirklich vollkommen eigenständig zu definieren und steht hier nicht als Gehilfe für irgendwelche politischen Maßnahmen zur Verfügung.
Mangel: Mussten Sie Ihr Ausstellungskonzept denn dann in China den Zensurbehörden vorlegen oder wie erfolgte da konkret die Absprache?
Roth: Nein, es gab nie irgendeinen Einfluss. Es gab nie irgendeine Veränderung, es gab nie eine Vorlage irgendwo, niemals. Wir hätten es dann auch nicht weiterbetrieben, wenn es so gewesen wäre. Nie!
Mangel: Könnte die Tatsache, dass das so harmonisch läuft, denn daran liegen, dass es keine Bezüge zur, ja, zur zeitgenössischen Kunst oder auch keine Verweise auf das antiaufklärerische Umfeld dieser Schau gibt, erklärt sich das daraus auch?
Roth: Die Frage zu beantworten, ist relativ schwierig, auch wenn ich sie die ganze Zeit gestellt bekomme. Da müssten Sie eigentlich die Chinesen fragen und nicht mich. Im Übrigen, wir zeigen Gegenwartskunst, wir gehen in den aktuellen Themenbereich hinein. Wenn es sozusagen ohne Probleme liefe, sollten wir uns doch alle nur daran freuen. Und die Tatsache, dass wir intensivst zusammengearbeitet haben in Arbeitsgruppen seit fünf, sechs Jahren, zeigt halt, dass man sich tatsächlich um so was wie eine wissenschaftliche und kunsthistorische Tiefe bemüht hat, und das ist, denke ich, auf beiden Seiten gelungen.
Mangel: Aber geben Sie dem chinesischen Regime, das seinen nationalen Prestigekulturbau eröffnet, nicht genau den Anschein, die Fassade von Offenheit und Freiheitlichkeit, die es dem Ausland so gern zeigt, wenn man mal zum Beispiel an die Olympischen Spiele zurückdenkt?
Roth: Wir eröffnen morgen nicht das Museum. Das Museum ist in Teilen bereits eröffnet und es gibt halt noch mal eine große, insgesamt eine Eröffnung im Juni, also überschätzen Sie bitte nicht unsere Rolle. Wir sind eine von mehreren Ausstellungen, das ist die erste internationale Ausstellung im umgebauten Haus. Meinen Sie, hier würde sich irgendwas verändern, wenn die Ausstellung nicht stattfindet? Hilft das irgendjemand, wenn die Ausstellung nicht stattfindet? Da steckt nicht immer gleich irgendeine politische Intention hinter irgendeiner Ausstellung. Es gibt einfach auch so was wie ein ganz profundes Interesse an der Kultur, an der Zivilisation, an der politischen Geschichte, wenn Sie so wollen, oder an der Sozialgeschichte einer anderen Nation oder einer anderen Kultur. Die Tatsache, dass man uns hier eingeladen hat, wird immer als Feigenblatt gezeigt. Nehmen Sie doch mal einfach auch die Tatsache, dass es viele Leute geben wird, die sich da mit dem Thema auseinandersetzen, wenn sie die Ausstellung besucht haben. Ich weiß nicht, was da negativ dran sein soll.
Mangel: Sie haben eben Ai Weiwei selber angesprochen. Die Werke des wohl berühmtesten chinesischen Künstlers, und man kann vielleicht sagen auch Aufklärers, könnten an diesem Ort ja niemals gezeigt werden. Wie man jetzt auch gerade wieder sehen kann, kann er in China nicht frei arbeiten. Also kann eine Ausstellung zur europäischen Aufklärung an diesem Ort über solche Denkverbote denn schweigen?
Roth: Wir reden doch über die negativen Seiten auch der Aufklärung, wir reden über die positiven Seiten der Aufklärung. Wer Augen hat zu sehen und wer sich auf solche Themen einlassen möchte, wird in der Ausstellung viel darüber erkennen. Aber ich sag noch mal: Wir machen weder eine Propaganda- noch eine Anti-Propaganda-Ausstellung, wir sind keine politische Institution. Wir stellen Themenkomplexe bereit, um sie zu verhandeln. Außerdem, man muss die Rolle von Ai Weiwei, glaube ich, auch schon doppelt sehen. Er ist in diesem Land überaus bekannt und man redet über ihn, man diskutiert über ihn.
Ich war selbst in einer Diskussion vor nicht allzu langer Zeit hier, in der ich in einem sehr direkten Gespräch einen Minister sagen hörte, man könnte ein bestimmtes Thema nicht ohne Ai Weiwei verhandeln, er müsste sozusagen einbezogen werden. Das ist alles aus der Ferne sehr schwer verstehbar. Es muss nicht immer Verständnis sein. Ich will nicht für was werben, mit dem ich zum Teil durchaus auch unter Umständen meine Schwierigkeiten hätte, sondern es geht darum, dass man hierher kommt und sich mit der Situation auseinandersetzt, bevor man aus der Ferne sich ein Urteil bildet.
Mangel: Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die zusammen mit den Staatlichen Museen Berlin und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München mit 600 Leihgaben an der großen Schau "Die Kunst der Aufklärung" beteiligt sind. Morgen wird sie im Nationalmuseum in Peking am Platz des himmlischen Friedens eröffnet. Die Schau wird dann ein Jahr lang bis März 2012 in Peking zu sehen sein.
Informationen zur Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" in Peking
Und für uns sitzt jetzt in Peking Martin Roth im Studio, der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Guten Morgen, Herr Roth!
Martin Roth: Guten Morgen!
Mangel: Es gab ja Sorgen, ob morgen überhaupt eröffnet werden könnte. Von Lieferengpässen auf der Museumsbaustelle war die Rede, von Bauschlamperei, das Museum würde gar nicht rechtzeitig fertig. Wird morgen pünktlich eröffnet?
Roth: Oh ja, das Museum ist in Teilen schon voreröffnet, einzelne Ausstellungen unserer chinesischen Kollegen, also Dauerausstellungen, sind schon eingerichtet. Wir wissen, dass die Chinesen unendlich schnell arbeiten. Ich habe heute Morgen noch Herrn von Gerkan gesehen, den Architekten …
Mangel: Der den Umbau leitet.
Roth: … der das ein bisschen umgebaut hat in den letzten fünf Jahren. Der sagte, hier würde mit einer Geschwindigkeit gebaut, die wir uns in Europa nicht so richtig vorstellen könnten. Und insofern ist alles fertig geworden. Was uns ein bisschen nervös gemacht hat – aber das erleben wir nicht zum ersten Mal, das haben wir auch in europäischen Situationen –, ist, dass die klimatischen Bedingungen in einem Neubau sich erst einpendeln müssen. Und da wir doch sehr wertvolle Kunst nach Peking gebracht haben, wollten wir auch sicher sein, dass das alles richtig funktioniert, und das ist mittlerweile gegeben.
Mangel: Wie viele Werke haben Sie denn nach Peking geschickt und welche Spitzenwerke sind dabei?
Roth: Es sind um die 600 Werke insgesamt, darunter sind Caspar David Friedrich, darunter ist Meißener Porzellan, darunter sind wertvolle wissenschaftliche Instrumente, zwei Canaletto und so weiter.
Mangel: Das alles wird ja nun unter dem Begriff "Kunst der Aufklärung" zusammengefasst, der ja so einfach nicht zu haben ist, das ist ja kein kunsthistorisch feststehender Begriff. Wie werden die Werte der europäischen Aufklärung, also Freiheit, die Emanzipation der Zivilgesellschaft, in dieser Ausstellung denn jetzt für den Besucher erfahrbar?
Roth: Das ist richtig, was Sie sagen, und das ist eigentlich auch das wirkliche Experiment an dieser Ausstellung, und ich bin irgendwo zwischen aufgeregt und dankbar, dass es uns tatsächlich gelungen ist, diese Ausstellung auch an diesem Ort und unter den gegebenen Bedingungen umzusetzen. Es ist wirklich keine Epoche, es ist nicht eine dieser üblichen Ausstellungen zum Thema Romantik, Rokoko, Barock oder wie auch immer, sondern es beleuchtet eine Bewegung, eine Haltung, ein Prinzip, das zur Revolution geführt hat und das bis heute unseren modernen Staat bedingt oder die Grundfesten geschaffen hat.
Was wir machen, ist im Prinzip, den Strang der Entwicklung immer wieder unter einen Fokus zu nehmen, immer wieder zu beleuchten, immer wieder einzelne Beispiele hervorzubringen, dass wir einfach uns mit den Schattenseiten, mit den dunklen Seiten der Aufklärung auseinandersetzen – mit dem Kolonialismus, mit den Kriegen, mit dem Einsatz der Wissenschaften auch für sagen wir Kriegszwecke, für militärische Zwecke.
Mangel: Aber doch auch mit der Freiheit des Individuums, die da errungen wird?
Roth: Da wollte ich gerade sagen, wir gehen aber auch natürlich auf die Freiheit des Individuums ein. Es ist keine kulturhistorische Ausstellung, sondern indem wir wirklich uns damit auseinandersetzen, wie einzelne Künstler in verschiedenen Zeiten diese Themen wieder aufgegriffen haben, egal ob es jetzt Familiendarstellungen sind, ob es die Darstellung von Schiller ist, der versucht, in Weimar seine Gedanken zu vermitteln, seine Vorstellungen zu vermitteln. Oder auch im Bereich der Gegenwartskunst: Wir zeigen Neo Rauch und Warhol und viele andere, um zum Beispiel das Bild des freien Künstlers zu zeigen, also das Selbstverständnis eines freien Künstlers, wie er in der Aufklärung entstanden ist, und wir eben auch heute in unserer Gesellschaft eine ganz wichtige Rolle, ein ganz wichtiges Korrelativ darstellen oder auch eine provozierende Rolle übernehmen, keine Frage. Insofern, ausgerechnet heute, wo wir doch einige Diskussionen um Ai Weiwei haben in dieser Stadt, scheinen mir diese Diskussionen über Pluralität auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Thema der Aufklärung doch hochinteressant zu sein.
Mangel: Wir sprechen im Radiofeuilleton mit dem Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, mit Martin Roth, über die große Schau "Die Kunst der Aufklärung", die morgen im chinesischen Nationalmuseum in Peking mit 600 Leihgaben aus Dresden, Berlin und München eröffnet wird. Die Schau soll der Förderung der strategischen Partnerschaft zwischen Deutschland und China dienen, so haben es Wen Jiabao und Angela Merkel beschlossen. Die Schau wird zum großen Teil vom Auswärtigen Amt finanziert – heißt das, dass die Museen in Deutschland, also neben Sammeln, Bewahren und Forschen, auch die Aufgabe haben, die strategischen Allianzen der Außenpolitik zu fördern?
Roth: Nee, da täuschen Sie sich jetzt wirklich radikal, und da widerspreche ich auch heftigst, weil das meine Grundfesten oder die Grundfesten meiner Arbeit angreifen würde, wenn Sie das so formulieren. Es ist so gewesen, dass ich persönlich vor rund zehn Jahren die Zusammenarbeit mit China begonnen habe, eigentlich geleitet von dem Bild, das Dresden im Bereich der Chinoiserie eine überaus starke Sammlung hat, eine starke Präsenz und immer ein großes Interesse hatte, und insofern lag mir daran, den Kontakt mit China aufzunehmen. Das hat überaus gut funktioniert, mit sehr viel Unterstützung auch von chinesischen Partnern und chinesischen Museen, chinesischen Sammlern und so weiter und so fort. Wir sind über die Jahre hin mit großer Offenheit und viel Freundschaft und Treue aufgenommen worden.
Aus diesem Diskussionsprozess heraus, aus diesem gemeinsamen Prozess haben sich viele Kooperationen entwickelt, die wirklich sozusagen immer gemeinsam von beiden Seiten betrieben worden sind. Wir haben nie Ausstellungen gemacht, die in Deutschland entwickelt worden sind und dann einfach hier reingesetzt wurden. Ich wäre gegen dieses Prinzip. Und aus diesem Gedanken heraus ist vor fünf Jahren, gemeinsam mit meinen Kollegen in Berlin und München, das Thema der Aufklärung entstanden, in der Diskussion mit unseren Kollegen aus dem Nationalmuseum. Wir haben dann damals drum gebeten, dass wir die Unterstützung bekommen des Auswärtigen Amtes, wir haben um einen politischen Rahmen gebeten, den hat man uns gegeben durch den Präsidenten und den Bundespräsidenten und die Kanzlerin und Wen Jiabao. Und das ging von uns aus sozusagen, diese Verankerung, diese Versicherung.
Wir machen keine Auftragwerke im Zusammenhang der Cultural Diplomacy – Kultur ist eigenständig, und in dieser eigenständigen Zusammenarbeit sehen wir durchaus Brücken, die wir bauen können, in denen auch die Wirtschaft oder die Politik sozusagen die Brücken begeht, aber Kultur ist wirklich vollkommen eigenständig zu definieren und steht hier nicht als Gehilfe für irgendwelche politischen Maßnahmen zur Verfügung.
Mangel: Mussten Sie Ihr Ausstellungskonzept denn dann in China den Zensurbehörden vorlegen oder wie erfolgte da konkret die Absprache?
Roth: Nein, es gab nie irgendeinen Einfluss. Es gab nie irgendeine Veränderung, es gab nie eine Vorlage irgendwo, niemals. Wir hätten es dann auch nicht weiterbetrieben, wenn es so gewesen wäre. Nie!
Mangel: Könnte die Tatsache, dass das so harmonisch läuft, denn daran liegen, dass es keine Bezüge zur, ja, zur zeitgenössischen Kunst oder auch keine Verweise auf das antiaufklärerische Umfeld dieser Schau gibt, erklärt sich das daraus auch?
Roth: Die Frage zu beantworten, ist relativ schwierig, auch wenn ich sie die ganze Zeit gestellt bekomme. Da müssten Sie eigentlich die Chinesen fragen und nicht mich. Im Übrigen, wir zeigen Gegenwartskunst, wir gehen in den aktuellen Themenbereich hinein. Wenn es sozusagen ohne Probleme liefe, sollten wir uns doch alle nur daran freuen. Und die Tatsache, dass wir intensivst zusammengearbeitet haben in Arbeitsgruppen seit fünf, sechs Jahren, zeigt halt, dass man sich tatsächlich um so was wie eine wissenschaftliche und kunsthistorische Tiefe bemüht hat, und das ist, denke ich, auf beiden Seiten gelungen.
Mangel: Aber geben Sie dem chinesischen Regime, das seinen nationalen Prestigekulturbau eröffnet, nicht genau den Anschein, die Fassade von Offenheit und Freiheitlichkeit, die es dem Ausland so gern zeigt, wenn man mal zum Beispiel an die Olympischen Spiele zurückdenkt?
Roth: Wir eröffnen morgen nicht das Museum. Das Museum ist in Teilen bereits eröffnet und es gibt halt noch mal eine große, insgesamt eine Eröffnung im Juni, also überschätzen Sie bitte nicht unsere Rolle. Wir sind eine von mehreren Ausstellungen, das ist die erste internationale Ausstellung im umgebauten Haus. Meinen Sie, hier würde sich irgendwas verändern, wenn die Ausstellung nicht stattfindet? Hilft das irgendjemand, wenn die Ausstellung nicht stattfindet? Da steckt nicht immer gleich irgendeine politische Intention hinter irgendeiner Ausstellung. Es gibt einfach auch so was wie ein ganz profundes Interesse an der Kultur, an der Zivilisation, an der politischen Geschichte, wenn Sie so wollen, oder an der Sozialgeschichte einer anderen Nation oder einer anderen Kultur. Die Tatsache, dass man uns hier eingeladen hat, wird immer als Feigenblatt gezeigt. Nehmen Sie doch mal einfach auch die Tatsache, dass es viele Leute geben wird, die sich da mit dem Thema auseinandersetzen, wenn sie die Ausstellung besucht haben. Ich weiß nicht, was da negativ dran sein soll.
Mangel: Sie haben eben Ai Weiwei selber angesprochen. Die Werke des wohl berühmtesten chinesischen Künstlers, und man kann vielleicht sagen auch Aufklärers, könnten an diesem Ort ja niemals gezeigt werden. Wie man jetzt auch gerade wieder sehen kann, kann er in China nicht frei arbeiten. Also kann eine Ausstellung zur europäischen Aufklärung an diesem Ort über solche Denkverbote denn schweigen?
Roth: Wir reden doch über die negativen Seiten auch der Aufklärung, wir reden über die positiven Seiten der Aufklärung. Wer Augen hat zu sehen und wer sich auf solche Themen einlassen möchte, wird in der Ausstellung viel darüber erkennen. Aber ich sag noch mal: Wir machen weder eine Propaganda- noch eine Anti-Propaganda-Ausstellung, wir sind keine politische Institution. Wir stellen Themenkomplexe bereit, um sie zu verhandeln. Außerdem, man muss die Rolle von Ai Weiwei, glaube ich, auch schon doppelt sehen. Er ist in diesem Land überaus bekannt und man redet über ihn, man diskutiert über ihn.
Ich war selbst in einer Diskussion vor nicht allzu langer Zeit hier, in der ich in einem sehr direkten Gespräch einen Minister sagen hörte, man könnte ein bestimmtes Thema nicht ohne Ai Weiwei verhandeln, er müsste sozusagen einbezogen werden. Das ist alles aus der Ferne sehr schwer verstehbar. Es muss nicht immer Verständnis sein. Ich will nicht für was werben, mit dem ich zum Teil durchaus auch unter Umständen meine Schwierigkeiten hätte, sondern es geht darum, dass man hierher kommt und sich mit der Situation auseinandersetzt, bevor man aus der Ferne sich ein Urteil bildet.
Mangel: Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die zusammen mit den Staatlichen Museen Berlin und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München mit 600 Leihgaben an der großen Schau "Die Kunst der Aufklärung" beteiligt sind. Morgen wird sie im Nationalmuseum in Peking am Platz des himmlischen Friedens eröffnet. Die Schau wird dann ein Jahr lang bis März 2012 in Peking zu sehen sein.
Informationen zur Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" in Peking