"Wir machen keine Kumpanei mit dem Militär"
Nikolaus Schneider hat nicht nur Margot Käßmanns Amt, sondern auch die von ihr begonnenen Debatten geerbt. Besonders umstritten waren ihre Äußerungen zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan.
Kirsten Dietrich: Nichts ist gut in Afghanistan! Dieser Satz aus Margot Käßmanns Neujahrspredigt traf auf viel Zustimmung und noch mehr Kritik. Die evangelische Kirche falle damit den Soldaten in den Rücken, unter denen ja auch viele Christen seien. Kaum hatte die Debatte um den Einsatz in Afghanistan Form angenommen, war Margot Käßmann als Hauptbeteiligte nicht mehr im Amt: Ende Februar trat sie als Bischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland nach einer alkoholisierten Autofahrt zurück.
Ihr Stellvertreter, der rheinische Präses Nikolaus Schneider, übernahm Amt und Debatte. Schneiders erste 100 Tage im Amt sind gerade vorbei, eine gute Gelegenheit also für eine erste Zwischenbilanz - nicht nur, aber auch zum Thema Krieg und Frieden in Afghanistan. Denn am Rand einer Debatte mit dem Bundesverteidigungsminister habe ich Nikolaus Schneider getroffen. Präses Schneider, den Streit um den Bundeswehreinsatz in Afghanistan haben Sie von Ihrer Amtsvorgängerin geerbt. Ist das eine Chance oder eine Bürde für Sie?
Nikolaus Schneider: Für mich ist es eine Chance, weil ich denke, dass Margot Käßmann uns allen, dieser Gesellschaft insgesamt, einen wichtigen Dienst geleistet hat. Sie hat zugespitzt formuliert, aber sie hat darauf aufmerksam gemacht, dass zu dem Militäreinsatz der Bundeswehr in Afghanistan eine öffentliche Debatte dringend nötig ist; dass wir die Begriffe klären, worüber reden wir da eigentlich? Völkerrechtlich kein Krieg, wissen wir alle, aber was passiert, ist Krieg; und dass wir über die Ziele dieses Einsatzes und die Chancen dieses Einsatzes miteinander reden. Also insofern finde ich das eine Chance und ich finde es gut, dass sie es so gemacht hat.
Dietrich: Würden Sie denn da auch das Urteil von Frau Käßmann teilen, dass nichts gut in Afghanistan ist?
Schneider: Dass nichts gut in Afghanistan ist, das würde ich so apodiktisch nicht sagen. Allerdings eben im Gespräch mit Ihnen, in einem Magazin - und das würde dann Frau Käßmann auch anders sagen. Man muss sagen, dass Schulen gebaut werden, dass Frauen zur Schule gehen können, dass im Medizinischen sich Einiges getan hat, dass man an der Infrastruktur was getan hat. Da ist schon einiges passiert.
Aber man muss sagen, Negatives ist auch passiert. Die Sicherheitslage ist eher schlechter geworden, gerade dort, wo die Bundeswehr eingesetzt ist; wir haben Wahlen gehabt, die offensichtlich gefälscht wurden, das heißt die Legitimation der staatlichen Partner ist nach unseren Maßstäben nicht gegeben; sehr viele Ziele werden nicht erreicht, die wir uns politisch vornehmen. Und ob das wesentliche Ziel, weshalb die Bundeswehr in Afghanistan mit einmarschiert ist, ob das wesentliche Ziel erreicht wird, nämlich den Terror dort zu bekämpfen oder sicherzustellen, dass von Afghanistan kein Terror mehr ausgeht, das steht wirklich in den Sternen. Das ist nicht sicher.
Dietrich: Nun hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ja vor ein paar Tagen in einer Diskussion mit Ihnen gesagt, so würde er das Ziel auch gar nicht mehr fassen, es geht um viel Größeres, es geht um das Verhindern eines Dominoeffektes, der durch Instabilität in Afghanistan passieren würde, und das würde dann auch deutschen Sicherheitsinteressen entsprechen. Ist das für Sie ein legitimer Grund für einen Bundeswehreinsatz, ein Grund, der friedensethischen Urteilen standhält?
Schneider: Da wird es noch dünner. Nun, das Erste hat er auch gesagt. Das Zweite hat er gesagt, aber das hat er in einem anderen Zusammenhang gesagt, und diesem anderen Zusammenhang stimme ich Herrn zu Guttenberg zu. Er hat nämlich gesagt, wenn wir uns jetzt sofort zurückziehen würden, also sozusagen Hals über Kopf und einen reinen Scherbenhaufen da hinterlassen, dann gibt es derartige Instabilitäten, die tun uns nicht gut.
Uns nicht, also auch hier der Bundesrepublik Deutschland nicht, aber auch den Menschen vor Ort tun sie nicht gut. Also darauf bezogen stimme ich zu. Insgesamt ist das natürlich kein legitimer Grund. Wenn man irgendwo Unsicherheiten und Instabilität in der Welt sieht, dann da mit Militär zu intervenieren, das geht nicht, das ist friedensethisch überhaupt nicht zu rechtfertigen. Und im Übrigen hätte es die Konsequenz, dass die Bundeswehr ständig losgeschickt werden müsste. Und ich meine, das ist absurd, das geht natürlich gar nicht.
Dietrich: Wenn ich den Verteidigungsminister richtig verstanden habe, dann sieht er durchaus eine sinnvolle Rolle für die Kirchen einmal darin, eben die Debatte anzustoßen, zum anderen darin, sich um die Soldaten zu kümmern als Seelsorger und auch auf dem wachsenden Tätigkeitsfeld der Bewältigung von posttraumatischen Belastungsstörungen. Ist das eine Rolle, die Sie als Ratsvorsitzender akzeptieren können?
Schneider: Wenn es sich darauf beschränken würde, würde ich Nein sagen; wenn es zu den Aufgaben – Plural – der Kirche gehört, dann würde ich das akzeptieren. Die Begleitung der Soldaten, das sind ja unsere Schwestern und Brüder, das sind ja Christinnen und Christen, die dort als Soldatinnen und Soldaten Dienst tun, die zu begleiten, für sie da zu sein in der Seelsorge, das halte ich für absolut richtig.
Das ist ja nicht sozusagen so eine Art Soldatenbetreuung, damit die Kampfmoral stimmt, darum geht's ja überhaupt nicht, sondern Menschen in existenziellen Nöten zu begleiten, darum geht es. Und es ist im Grunde Soldatenseelsorge. Ja, und das, denke ich, ist völlig okay. Menschen zu begleiten, die traumatisiert sind, ist auch unsere Aufgabe, natürlich. Aber das ist es eben nicht alleine, sondern unsere Aufgabe ist auch, in der öffentlichen Debatte auf friedensethische Maßstäbe aufmerksam zu machen und die kritisch ins Gespräch einzubringen. Und das tun wir ja auch.
Und aus diesem Grunde ist es ein Missverständnis, wenn aus dem Bereich der Politik oder auch aus dem Bereich des Militärs argumentiert wird, wenn die Kirche öffentlich kritisch diskutiert, dann lässt sie die Soldaten im Stich, dann distanziert sie sich von ihnen. Das ist alles dummes Zeug, sondern wir sind natürlich in der Nähe der Menschen und durch eine kritische öffentliche Debatte über diesen Krieg tun wir den Soldaten einen ganz wichtigen Dienst: Denn in einen Einsatz reingeschickt zu werden, der nicht vernünftig reflektiert ist, der nicht überlegt, wie er auch wieder rauskommt, der auch die Bedingungen nicht zureichend reflektiert, in einen solchen Einsatz hineingeschickt zu werden, tut keinem Soldaten gut.
Sondern gerade dadurch, dass wir sagen, die und die Bedingungen sind nötig, dann wirkt sich die Umsetzung dieser Bedingungen für die Soldaten als ein Segen aus.
Dietrich: Sind sie mal nicht doch vielleicht sogar zu eng eingebunden in die Strukturen, indem sie eben doch auch als Militärseelsorger, die natürlich in militärischen Strukturen arbeiten und dort angestellt sind, sich mitbeteiligen, indem zum Beispiel in der öffentlichen Debatte das jetzt doch eine relative Einzelstimme oder ein relatives Einzelereignis war, dass die Kirche sich so deutlich zum Thema Afghanistan geäußert hat, dass das Thema Frieden ansonsten ja relativ weit hinten auf der Agenda steht, wenn ich das richtig sehe, was es so an öffentlichen Äußerungen von Kirchen gibt?
Schneider: Also das Thema Frieden machen wir wirklich sehr stark. Denn die Friedensdenkschrift kam erst 2007 raus, die haben wir auch öffentlich gemacht, die haben wir öffentlich verbreitet, und wenn Sie mal in den öffentlichen Reden hören, dann kreisen die ganz häufig um das Thema Gerechtigkeit und Frieden ein, das machen wir ganz stark.
Die Frage ist ja hier, wie weit militärische Gewalt der Friedenserhaltung dient, und damit muss man in der Tat sehr kritisch und sehr skeptisch umgehen und ich sage, an einer bestimmten Stelle kann sie helfen. Und diese Bedingung müssen wir allerdings genau definieren und dann hilft es. Insofern war Margot Käßmann keine Einzelstimme, aber in dieser Zuspitzung einer leitenden Geistlichen schon. Aber wir haben ansonsten in unserer Kirche ganz viele Menschen, die genau so formulieren wie Margot Käßmann oder sogar noch radikaler.
Es gibt ja eine sehr zu respektierende Tradition des Pazifismus in unserer Kirche, vor die ich mich auch stelle, von der ich sage, die haben in ganz hohen Prozentsätzen völlig recht und Jesus an ihrer Seite für ihre Position. Das gibt es nach wie vor in unserer Kirche und von denen distanzieren wir uns nicht und die verraten wir auch nicht und wir machen keine Kumpanei mit dem Militär.
Dietrich: Dass Sie sich von solchen Gruppen, die sich in Sachen Frieden engagieren, nicht distanzieren, das ist relativ klar, denke ich. Trotzdem ist mein Eindruck, dass die Kirche, auch die evangelische Kirche in Deutschland, in der letzten Zeit vor allen Dingen auch mit internen Fragen beschäftigt war. Mit Fragen von Kirchenreform, mit Fragen nach Sparen, Kirchenzusammenlegung, all diesen Dingen. Das ist kein falscher Eindruck, oder?
Schneider: Das beschäftigt uns sehr, natürlich. Und ich würde auch selbstkritisch sagen, es ist uns vielleicht vorzuwerfen, dass wir zu sehr mit uns beschäftigt waren. Aber zu einem gewissen Grade ist es unvermeidbar. Wir müssen ja auf die sich verändernden Rahmenbedingungen reagieren und ich glaube nicht, dass man uns vorwerfen kann, dass wir nicht doch das notwendige Maß an kritischer öffentlicher Begleitung gesellschaftlicher Prozesse geleistet hätten.
Das gilt für die Debatte um Krieg und Frieden, das gilt für die Debatte um Arm und Reich, um die Gerechtigkeit von Sparpaketen, das geht um die Frage der internationalen Entwicklungen und der Armutsbekämpfung in der Welt. Und da machen wir ja sehr deutlich, dass die Zahl der Armen wieder zunimmt und dass die Entwicklungsziele, die Armut zu halbieren bis 2015, nun wirklich nicht erreicht werden. Auf diese Dinge machen wir doch sehr deutlich aufmerksam.
Dietrich: Ist das auch der Versuch eines Kurswechsels, weil die evangelische Kirche sich ja auch in zum Beispiel der Unternehmensethikdenkschrift ja doch auch sehr auf Seite von Unternehmen gestellt hat, schon als Finanzkrisen durchaus absehbar waren?
Schneider: Es ist der Versuch, deutlich zu machen, dass man eine Gesamtsicht wahrnehmen muss. Also diese sogenannte Unternehmerdenkschrift hat deutlich gemacht: Es gibt eine Wahrnehmung von Verantwortung in der Wirtschaft von Unternehmerseite, die ist nötig, und diese Wahrnehmung von Verantwortung kann gut sein für alle und ein Segen sein für alle, sie kann aber auch destruktiv sein für alle, wenn sie zu Formen der Ausbeutung führt, der sozialen Spaltung, des Auseinanderrückens einer Gesellschaft.
Und wir haben deutlich gemacht unsere Wertschätzung der Unternehmer, die ihre Gaben und Fähigkeiten und auch ihr Vermögen im Interesse der Allgemeinheit einsetzen, so wie es ja etwa im Grundgesetz auch beschrieben ist, dass Eigentum sozialverpflichtet ist. Also die haben wir gelobt und stark gemacht und davon gibt es ja Gott sei Dank auch sehr viele.
Dass man nicht mehr so schwarz-weiß denkt, sondern auch da die nötigen Differenzierungen anbringt – denn dass es genügend andere gibt, die ausbeuten, die diese Situation missbrauchen, die auch völlig überzeugende Erwartungen haben, was ihr Einkommen und ihr Vermögen angeht –, das wissen wir auch und das nennen wir ja auch beim Namen. Also das muss man wirklich in einem größeren Zusammenhang sehen und indem man differenziert hinschaut, sorgt man auch für eine andere Gesprächskultur, und die brauchen wir auch, dass das nicht mehr so schwarz-weiß geht.
Dietrich: Als Sie Ihr Amt angetreten haben, sind Sie unter anderem mit dem Vorsatz angetreten, soziale Fragen zu stärken. Ist Ihnen das bisher gelungen?
Schneider: Ich denke, dass ich schon einige Akzente gesetzt habe, aber hier müssen Sie die augenblickliche Situation sehen: Ich bin als Stellvertreter nun in diese Verantwortung gekommen und ich möchte die Wahl im November in der Synode abwarten, bevor ich dann doch noch mit ganz eigenen Akzenten und einer eigenen, anderen Kraft auftrete. Da möchte ich erst die Legitimation der gesamten Synode zu haben.
Dietrich: Das heißt, Sie werden sich im November auf jeden Fall der Wahl stellen?
Schneider: Wenn mich der Rat vorschlägt, werde ich mich der Wahl stellen, ja.
Dietrich: In welchen Konflikten ist die Stimme der evangelischen Kirche hörbar, in welchen sollte Sie es vielleicht sein? Nikolaus Schneider war das, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Ihr Stellvertreter, der rheinische Präses Nikolaus Schneider, übernahm Amt und Debatte. Schneiders erste 100 Tage im Amt sind gerade vorbei, eine gute Gelegenheit also für eine erste Zwischenbilanz - nicht nur, aber auch zum Thema Krieg und Frieden in Afghanistan. Denn am Rand einer Debatte mit dem Bundesverteidigungsminister habe ich Nikolaus Schneider getroffen. Präses Schneider, den Streit um den Bundeswehreinsatz in Afghanistan haben Sie von Ihrer Amtsvorgängerin geerbt. Ist das eine Chance oder eine Bürde für Sie?
Nikolaus Schneider: Für mich ist es eine Chance, weil ich denke, dass Margot Käßmann uns allen, dieser Gesellschaft insgesamt, einen wichtigen Dienst geleistet hat. Sie hat zugespitzt formuliert, aber sie hat darauf aufmerksam gemacht, dass zu dem Militäreinsatz der Bundeswehr in Afghanistan eine öffentliche Debatte dringend nötig ist; dass wir die Begriffe klären, worüber reden wir da eigentlich? Völkerrechtlich kein Krieg, wissen wir alle, aber was passiert, ist Krieg; und dass wir über die Ziele dieses Einsatzes und die Chancen dieses Einsatzes miteinander reden. Also insofern finde ich das eine Chance und ich finde es gut, dass sie es so gemacht hat.
Dietrich: Würden Sie denn da auch das Urteil von Frau Käßmann teilen, dass nichts gut in Afghanistan ist?
Schneider: Dass nichts gut in Afghanistan ist, das würde ich so apodiktisch nicht sagen. Allerdings eben im Gespräch mit Ihnen, in einem Magazin - und das würde dann Frau Käßmann auch anders sagen. Man muss sagen, dass Schulen gebaut werden, dass Frauen zur Schule gehen können, dass im Medizinischen sich Einiges getan hat, dass man an der Infrastruktur was getan hat. Da ist schon einiges passiert.
Aber man muss sagen, Negatives ist auch passiert. Die Sicherheitslage ist eher schlechter geworden, gerade dort, wo die Bundeswehr eingesetzt ist; wir haben Wahlen gehabt, die offensichtlich gefälscht wurden, das heißt die Legitimation der staatlichen Partner ist nach unseren Maßstäben nicht gegeben; sehr viele Ziele werden nicht erreicht, die wir uns politisch vornehmen. Und ob das wesentliche Ziel, weshalb die Bundeswehr in Afghanistan mit einmarschiert ist, ob das wesentliche Ziel erreicht wird, nämlich den Terror dort zu bekämpfen oder sicherzustellen, dass von Afghanistan kein Terror mehr ausgeht, das steht wirklich in den Sternen. Das ist nicht sicher.
Dietrich: Nun hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ja vor ein paar Tagen in einer Diskussion mit Ihnen gesagt, so würde er das Ziel auch gar nicht mehr fassen, es geht um viel Größeres, es geht um das Verhindern eines Dominoeffektes, der durch Instabilität in Afghanistan passieren würde, und das würde dann auch deutschen Sicherheitsinteressen entsprechen. Ist das für Sie ein legitimer Grund für einen Bundeswehreinsatz, ein Grund, der friedensethischen Urteilen standhält?
Schneider: Da wird es noch dünner. Nun, das Erste hat er auch gesagt. Das Zweite hat er gesagt, aber das hat er in einem anderen Zusammenhang gesagt, und diesem anderen Zusammenhang stimme ich Herrn zu Guttenberg zu. Er hat nämlich gesagt, wenn wir uns jetzt sofort zurückziehen würden, also sozusagen Hals über Kopf und einen reinen Scherbenhaufen da hinterlassen, dann gibt es derartige Instabilitäten, die tun uns nicht gut.
Uns nicht, also auch hier der Bundesrepublik Deutschland nicht, aber auch den Menschen vor Ort tun sie nicht gut. Also darauf bezogen stimme ich zu. Insgesamt ist das natürlich kein legitimer Grund. Wenn man irgendwo Unsicherheiten und Instabilität in der Welt sieht, dann da mit Militär zu intervenieren, das geht nicht, das ist friedensethisch überhaupt nicht zu rechtfertigen. Und im Übrigen hätte es die Konsequenz, dass die Bundeswehr ständig losgeschickt werden müsste. Und ich meine, das ist absurd, das geht natürlich gar nicht.
Dietrich: Wenn ich den Verteidigungsminister richtig verstanden habe, dann sieht er durchaus eine sinnvolle Rolle für die Kirchen einmal darin, eben die Debatte anzustoßen, zum anderen darin, sich um die Soldaten zu kümmern als Seelsorger und auch auf dem wachsenden Tätigkeitsfeld der Bewältigung von posttraumatischen Belastungsstörungen. Ist das eine Rolle, die Sie als Ratsvorsitzender akzeptieren können?
Schneider: Wenn es sich darauf beschränken würde, würde ich Nein sagen; wenn es zu den Aufgaben – Plural – der Kirche gehört, dann würde ich das akzeptieren. Die Begleitung der Soldaten, das sind ja unsere Schwestern und Brüder, das sind ja Christinnen und Christen, die dort als Soldatinnen und Soldaten Dienst tun, die zu begleiten, für sie da zu sein in der Seelsorge, das halte ich für absolut richtig.
Das ist ja nicht sozusagen so eine Art Soldatenbetreuung, damit die Kampfmoral stimmt, darum geht's ja überhaupt nicht, sondern Menschen in existenziellen Nöten zu begleiten, darum geht es. Und es ist im Grunde Soldatenseelsorge. Ja, und das, denke ich, ist völlig okay. Menschen zu begleiten, die traumatisiert sind, ist auch unsere Aufgabe, natürlich. Aber das ist es eben nicht alleine, sondern unsere Aufgabe ist auch, in der öffentlichen Debatte auf friedensethische Maßstäbe aufmerksam zu machen und die kritisch ins Gespräch einzubringen. Und das tun wir ja auch.
Und aus diesem Grunde ist es ein Missverständnis, wenn aus dem Bereich der Politik oder auch aus dem Bereich des Militärs argumentiert wird, wenn die Kirche öffentlich kritisch diskutiert, dann lässt sie die Soldaten im Stich, dann distanziert sie sich von ihnen. Das ist alles dummes Zeug, sondern wir sind natürlich in der Nähe der Menschen und durch eine kritische öffentliche Debatte über diesen Krieg tun wir den Soldaten einen ganz wichtigen Dienst: Denn in einen Einsatz reingeschickt zu werden, der nicht vernünftig reflektiert ist, der nicht überlegt, wie er auch wieder rauskommt, der auch die Bedingungen nicht zureichend reflektiert, in einen solchen Einsatz hineingeschickt zu werden, tut keinem Soldaten gut.
Sondern gerade dadurch, dass wir sagen, die und die Bedingungen sind nötig, dann wirkt sich die Umsetzung dieser Bedingungen für die Soldaten als ein Segen aus.
Dietrich: Sind sie mal nicht doch vielleicht sogar zu eng eingebunden in die Strukturen, indem sie eben doch auch als Militärseelsorger, die natürlich in militärischen Strukturen arbeiten und dort angestellt sind, sich mitbeteiligen, indem zum Beispiel in der öffentlichen Debatte das jetzt doch eine relative Einzelstimme oder ein relatives Einzelereignis war, dass die Kirche sich so deutlich zum Thema Afghanistan geäußert hat, dass das Thema Frieden ansonsten ja relativ weit hinten auf der Agenda steht, wenn ich das richtig sehe, was es so an öffentlichen Äußerungen von Kirchen gibt?
Schneider: Also das Thema Frieden machen wir wirklich sehr stark. Denn die Friedensdenkschrift kam erst 2007 raus, die haben wir auch öffentlich gemacht, die haben wir öffentlich verbreitet, und wenn Sie mal in den öffentlichen Reden hören, dann kreisen die ganz häufig um das Thema Gerechtigkeit und Frieden ein, das machen wir ganz stark.
Die Frage ist ja hier, wie weit militärische Gewalt der Friedenserhaltung dient, und damit muss man in der Tat sehr kritisch und sehr skeptisch umgehen und ich sage, an einer bestimmten Stelle kann sie helfen. Und diese Bedingung müssen wir allerdings genau definieren und dann hilft es. Insofern war Margot Käßmann keine Einzelstimme, aber in dieser Zuspitzung einer leitenden Geistlichen schon. Aber wir haben ansonsten in unserer Kirche ganz viele Menschen, die genau so formulieren wie Margot Käßmann oder sogar noch radikaler.
Es gibt ja eine sehr zu respektierende Tradition des Pazifismus in unserer Kirche, vor die ich mich auch stelle, von der ich sage, die haben in ganz hohen Prozentsätzen völlig recht und Jesus an ihrer Seite für ihre Position. Das gibt es nach wie vor in unserer Kirche und von denen distanzieren wir uns nicht und die verraten wir auch nicht und wir machen keine Kumpanei mit dem Militär.
Dietrich: Dass Sie sich von solchen Gruppen, die sich in Sachen Frieden engagieren, nicht distanzieren, das ist relativ klar, denke ich. Trotzdem ist mein Eindruck, dass die Kirche, auch die evangelische Kirche in Deutschland, in der letzten Zeit vor allen Dingen auch mit internen Fragen beschäftigt war. Mit Fragen von Kirchenreform, mit Fragen nach Sparen, Kirchenzusammenlegung, all diesen Dingen. Das ist kein falscher Eindruck, oder?
Schneider: Das beschäftigt uns sehr, natürlich. Und ich würde auch selbstkritisch sagen, es ist uns vielleicht vorzuwerfen, dass wir zu sehr mit uns beschäftigt waren. Aber zu einem gewissen Grade ist es unvermeidbar. Wir müssen ja auf die sich verändernden Rahmenbedingungen reagieren und ich glaube nicht, dass man uns vorwerfen kann, dass wir nicht doch das notwendige Maß an kritischer öffentlicher Begleitung gesellschaftlicher Prozesse geleistet hätten.
Das gilt für die Debatte um Krieg und Frieden, das gilt für die Debatte um Arm und Reich, um die Gerechtigkeit von Sparpaketen, das geht um die Frage der internationalen Entwicklungen und der Armutsbekämpfung in der Welt. Und da machen wir ja sehr deutlich, dass die Zahl der Armen wieder zunimmt und dass die Entwicklungsziele, die Armut zu halbieren bis 2015, nun wirklich nicht erreicht werden. Auf diese Dinge machen wir doch sehr deutlich aufmerksam.
Dietrich: Ist das auch der Versuch eines Kurswechsels, weil die evangelische Kirche sich ja auch in zum Beispiel der Unternehmensethikdenkschrift ja doch auch sehr auf Seite von Unternehmen gestellt hat, schon als Finanzkrisen durchaus absehbar waren?
Schneider: Es ist der Versuch, deutlich zu machen, dass man eine Gesamtsicht wahrnehmen muss. Also diese sogenannte Unternehmerdenkschrift hat deutlich gemacht: Es gibt eine Wahrnehmung von Verantwortung in der Wirtschaft von Unternehmerseite, die ist nötig, und diese Wahrnehmung von Verantwortung kann gut sein für alle und ein Segen sein für alle, sie kann aber auch destruktiv sein für alle, wenn sie zu Formen der Ausbeutung führt, der sozialen Spaltung, des Auseinanderrückens einer Gesellschaft.
Und wir haben deutlich gemacht unsere Wertschätzung der Unternehmer, die ihre Gaben und Fähigkeiten und auch ihr Vermögen im Interesse der Allgemeinheit einsetzen, so wie es ja etwa im Grundgesetz auch beschrieben ist, dass Eigentum sozialverpflichtet ist. Also die haben wir gelobt und stark gemacht und davon gibt es ja Gott sei Dank auch sehr viele.
Dass man nicht mehr so schwarz-weiß denkt, sondern auch da die nötigen Differenzierungen anbringt – denn dass es genügend andere gibt, die ausbeuten, die diese Situation missbrauchen, die auch völlig überzeugende Erwartungen haben, was ihr Einkommen und ihr Vermögen angeht –, das wissen wir auch und das nennen wir ja auch beim Namen. Also das muss man wirklich in einem größeren Zusammenhang sehen und indem man differenziert hinschaut, sorgt man auch für eine andere Gesprächskultur, und die brauchen wir auch, dass das nicht mehr so schwarz-weiß geht.
Dietrich: Als Sie Ihr Amt angetreten haben, sind Sie unter anderem mit dem Vorsatz angetreten, soziale Fragen zu stärken. Ist Ihnen das bisher gelungen?
Schneider: Ich denke, dass ich schon einige Akzente gesetzt habe, aber hier müssen Sie die augenblickliche Situation sehen: Ich bin als Stellvertreter nun in diese Verantwortung gekommen und ich möchte die Wahl im November in der Synode abwarten, bevor ich dann doch noch mit ganz eigenen Akzenten und einer eigenen, anderen Kraft auftrete. Da möchte ich erst die Legitimation der gesamten Synode zu haben.
Dietrich: Das heißt, Sie werden sich im November auf jeden Fall der Wahl stellen?
Schneider: Wenn mich der Rat vorschlägt, werde ich mich der Wahl stellen, ja.
Dietrich: In welchen Konflikten ist die Stimme der evangelischen Kirche hörbar, in welchen sollte Sie es vielleicht sein? Nikolaus Schneider war das, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland.