"Wir müssen die Finanzmärkte in den Griff kriegen!"
Jeden Tag werden an den Finanzmärkten unvorstellbare Summen bewegt. Gleichzeitig leiden die meisten Staaten an einer galoppierenden Verschuldung. Der Wirtschaftswissenschaftler Hermannus Pfeiffer fordert, die Märkte zu zähmen und sie wieder zu Dienern der Volkswirtschaften zu machen.
Joachim Scholl: Die Schulden- und Euro-Krise beherrscht derzeit die Öffentlichkeit. Summen sind im Spiel, die jede Vorstellungskraft übersteigen, alles starrt täglich auf die Finanzmärkte, wie sie reagieren. Dabei waren sie es ja, diese Märkte, die die Krise ursprünglich produzierten. Diesen Zusammenhang ruft nun ein Buch in Erinnerung, das der Soziologe, Wirtschaftswissenschaftler und Finanzspezialist Hermannus Pfeiffer geschrieben hat, "Der profitable Irrsinn" hat er es genannt. Willkommen im "Radiofeuilleton", Herr Pfeiffer!
Hermannus Pfeiffer: Guten Tag, Herr Scholl!
Scholl: Irrsinn, das ist ein Leit- und Schlüsselwort Ihres Buches. Damit treffen Sie natürlich ein Gefühl, das vermutlich jeder teilt. So wie Sie dann diesen Finanzirrsinn entwickeln, Herr Pfeiffer, ist er aber nicht nur profitabel, sondern auch rational. Was ist denn an dieser Verrücktheit vernünftig?
Pfeiffer: Ja, das haben Sie ja in gewisser Weise schon selber gesagt, dass es auch für einige Akteure profitabel ist.
Scholl: Nein, ich meine sozusagen, was ist da vernünftig in dem Sinne … ein profitabler Irrsinn wird zum rationalen? Da denkt man ja, hm, Irrsinn kann ja nicht rational sein, oder?
Pfeiffer: Ja, wir spielen jetzt hier ein bisschen mit Paradoxien und Begriffen. Wir haben Akteure, die von diesen Entwicklungen auf den Finanzmärkten profitieren, und das war ihr Ziel, dass … Aus Sicht dieser Akteure sind die Entwicklungen rational. Das mag aus volkswirtschaftlicher Sicht, das mag aus Sicht der Verbraucher sich ja ganz anders darstellen.
Scholl: Dabei nehmen Sie auch diesen Zentralbegriff ins Visier: die Märkte. Daran haben wir uns ja gewöhnt, dass die Märkte alles entscheidend sind. Sie müssen beruhigt werden, nach jedem politischen Beschluss wird ängstlich auf die Reaktion der Märkte geschaut. Sie schreiben, Herr Pfeiffer, es sei eine – Zitat – "irgendwie launische Bestie", geboren Anfang der 1970er-Jahre, als die Vereinbarung in Bretton Woods, feste Wechsel- und Währungskurse, aufgekündigt wurde. Hat man damit, ja, eine Art, ja, Leviathan geschaffen, den jetzt niemand mehr domestizieren kann?
Pfeiffer: Also, so pessimistisch würde ich den Ausblick nicht sehen. Aber der historische Rückblick, in der Tat, muss man da in die 70er-, 80er-Jahre zurückgehen. Und in dem Bretton Woods und damit dem Fall der stabilen Wechselkurse haben wir ja so was wie eine wirtschaftsliberale Revolution erlebt, Stichwort Ronald Reagan in den USA oder Margaret Thatcher in Großbritannien, und eine Theorie, die ja dann über die ganze kapitalistische Welt geschwappt ist und die ja im Grunde genommen besagt, unser ganzes Vertrauen gilt den Märkten. Und das ist natürlich in gewisser Weise irrsinnig, zumal wenn man die jüngere Entwicklung in Rechnung stellt. Dieses großartige Vertrauen in diese unsichtbare Hand des Marktes, um Adam Smith zu zitieren, ist natürlich eine äußerst bedenkliche Entwicklung und ein ganz wesentlicher Punkt zur Erklärung der aktuellen Probleme.
Scholl: Es ist ja auch so ungreifbar im Sinne von auch Verantwortlichkeit. Also, mich hat Ihre Charakterisierung an dieses berühmte Bild des Künstlers Paul Weber erinnert, "Das Gerücht", das kennen bestimmt viele, so eine Art Lindwurm mit tausend Ohren und Augen. Und im übertragenen Sinne wären die Märkte Tausende von Männern in Anzügen vor Computern, die, greift man sich aber einzeln raus, immer sagen, ach, ich bin doch nur ein Rädchen und bestimmt nicht schuld!
Pfeiffer: Dieses Bild der Märkte, dieser launischen Bestie, das ist natürlich, ja, ein etwas eigentümliches Bild, das ist im Grunde genommen ja eine Fassade, die man aufbaut vor den realen Geschehnissen. Mit so was haben wir es ja viel zu tun gehabt in der Diskussion um geldgeile Boni-Banker, an hoch spekulative Hedgefonds, an wirtschaftsliberale Politiker, wilde Zentralbanker. Das sind ja alles Erklärungsansätze für die Prozesse, die wir hier haben, und vieles ist da ja auch vom Augenschein her sehr irrsinnig. Ich erinnere mich, dass einer der Finanzminister ein Rettungspaket erklärte und sich dann gleich mal um 50 Milliarden Euro vergaloppiert hatte …
Scholl: … verrechnete.
Pfeiffer: Das ist irgendwo menschlich bei diesen großen Summen, die ja für uns alle nicht greifbar sind, aber wir ahnen, dass wir es hier doch mit etwas eigentümlichen Prozessen zu tun haben.
Lassen Sie mich noch mal im Grunde genommen Ihre Ausgangsfrage… Also, wo haben wir es hier mit Irrsinn zu tun, der auf der anderen Seite für viele Akteure profitabel und in diesem Sinne auch rational ist. Ist zum Beispiel ein Problemfeld, ich nenne das immer, fallende Kurse: Traditionell hat es ja auch Finanzmärkte gegeben, auch Probleme, das will ich gar nicht ignorieren. Aber ich glaube, wir reden hier über andere Dimensionen. Heutzutage kann man mittlerweile eben mit fallenden Kursen ebenso gut Gewinne machen wie mit steigenden Kursen. Klassisch setzen Sie ja auf, was weiß ich, eine Siemens-Aktie und erwarten, dass sie steigt, deswegen haben Sie sie gekauft. Heutzutage gibt es Finanzinstrumente, dass Sie genau in die andere Richtung herum … Dieser Wirkungsmechanismus auf die Märkte von Akteuren, die es ja tun, also im Wesentlichen ja große Banken, führt ja dazu, dass die Hauptakteure eigentlich gar kein Interesse an Stabilität haben, sondern im Gegenteil an einem ständigen Auf und Ab, also an Instabilität.
Scholl: "Der profitable Irrsinn", so hat der Autor Hermannus Pfeiffer sein jüngstes, jetzt veröffentlichtes Buch genannt. Er ist mit uns hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch. Aus der Bankenkrise seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, Herr Pfeiffer, 2008 hat sich eine Finanzkrise entwickelt, daraus eine weltweite Wirtschaftskrise, die nun zu gigantischen Staatsverschuldungen geführt hat. Und Sie beschreiben ja diese Kette sehr ausführlich und detailliert, nahezu zwei Billionen Euro Schulden belasten die Bundesrepublik derzeit. Das ist noch gar nichts gegen die Staatsverschuldung von Ländern wie den USA oder Japan. Und Ihrer Analyse zufolge ist das allerdings jetzt gar nicht so beängstigend. Wieso eigentlich nicht?
Pfeiffer: Staatsverschuldungen haben, wie viele andere Sachen, die in meinem Thema, Handbuch, eine Rolle spielen, doch immer etwas Janusköpfiges: Wir haben in vielen Volkswirtschaften – etwa in der Bundesrepublik, aber auch in vielen anderen Ländern – das Problem, dass das Geld, was … gewissermaßen die Werte, die produziert werden in Geldform, dann nicht völlig wieder investiert oder konsumiert werden. Man könnte jetzt ganz simpel sagen: Die Sparquote, die liegt etwa bei zehn Prozent. Diese zehn Prozent greift im Grunde genommen niemand ab. Eigentlich, volkswirtschaftlich betrachtet, um im Kreislauf zu bleiben, müsste der Staat diese zehn Prozent als Schulden nehmen und in irgendeiner Form investieren und in den Wirtschaftskreislauf einführen. Das ist die eine und im Grunde genommen positive und in gewisser Weise sogar notwendige Rolle, die ein Staat in einer Volkswirtschaft spielen sollte.
Auf der anderen Seite – das ist ja das Thema, was im Moment so verabsolutiert wird – kann man das Spiel natürlich nicht endlos treiben. Wir haben ja eine Situation, wo aufgrund dieser Schulden – etwa in der Bundesrepublik, aber ja wiederum auch in anderen Ländern – etwa ein Viertel der Steuereinnahmen allein für Zinszahlungen rausgeht! Das heißt, der politische Spielraum für die Regierung wird eminent kleiner. Insofern kann man nicht immer an dem Schuldenrad drehen. Trotzdem noch mal, man muss das relativieren: Es gibt eine volkswirtschaftliche Verantwortung des Staates, es gibt Länder etwa wie Japan, die sind doppelt so groß verschuldet wie das kleine, kleine Griechenland. Japan ist ja nun ein großer Spieler und die USA ist auch hoch verschuldet. Das sind Themen, die nicht so im Fokus stehen, wo sich aber gar keine Lösung eigentlich abzeichnet. In der Beziehung ist Europa, wenn man so will, ein bisschen weiter.
Scholl: Ihr Buch kann man als Handbuch lesen, Herr Pfeiffer. Sie erklären sehr verständlich Finanzgeschäfte, -produkte. Es mündet schließlich da aber doch auch in eine ebenso handfeste Kritik am kapitalistischen System, so geht es nicht weiter, und als Alternative entwerfen Sie das Bild vom demokratischen Markt Europas. Also im Gegensatz zur marktkonformen Demokratie, wie sie Angela Merkel einmal unglückselig formuliert hat, ein demokratiekonformer Markt. Wie soll der aussehen?
Pfeiffer: Ja, zunächst lassen Sie mich kurz noch mal erklären, wo ich die großen, die eigentlichen Probleme sehe hinter dieser Fassade der aktuellen Diskussion: Das ist zum einen, dass zu viel Reichtum, zu viel Geld auf der Welt ist. Wir haben dadurch – das ist auch ein Paradoxon –, dadurch aufgeblähte Finanzmärkte. Und diese Finanzmärkte gieren nach Renditen und teilweise maßlos hohen Profiten und Renditen. Dadurch ist eine Instabilität in diesen gesamten Kapitalismus reingekommen, der über das gewissermaßen normale Maß – Kapitalismus und Krisen gehört ja irgendwo zusammen – hinausgeht. Dieser von Finanzakteuren getriebene Kapitalismus, wie Jörg Huffschmid das mal nannte, der leider im Dezember 2009 gestorben ist, ist ein Extraproblem.
Insofern, meine Alternativvorschläge gehen erst mal in die Richtung, zu sagen, wir müssen die Finanzmärkte in den Griff kriegen! Jetzt sind wir in einer geradezu existenziellen Notlage, insofern geht es im Moment ums Löschen, aber perspektivisch – übrigens, seit dem Sommer 2007 haben wir die ersten Krisensymptome, das heißt, wir sind jetzt im fünften beziehungsweise sechsten Jahr der Krise – haben wir keine weitergehende Regulierungen, die wirklich durch sind und die mehr sind als Symbolpolitik. Das heißt, hier gilt es zu deckeln. Es gilt, die großen Akteure zu deckeln, es gilt, die großen Werkzeuge, die Hebel, mit denen etwa Banken operieren, zu deckeln auf ein maßvolles Maß. Nehmen wir die Deutsche Bank, die mit 50 Milliarden Eigenkapital ein Rad dreht an Bilanzvolumen von zwei Billionen. Summen, die man sich gar nicht vorstellen kann, aber die Relationen sind ja hier spannend. Hier muss man deckeln.
Aber es geht natürlich perspektivisch weit darüber hinaus, man muss sehen, dass die Finanzmärkte ihre ursprüngliche Rolle, nämlich ein Diener der Volkswirtschaft zu sein, wiedergewinnen. Und dazu bedarf es erheblicher demokratischer, regulierender, indirekt regulierender Maßnahmen. Das … ich denke zum Beispiel ans Steuerrecht: Wir haben jetzt eine Situation, dass Sie im Grunde genommen, wenn Sie Geld investieren, steuerrechtlich gut beraten sind, wenn Sie es auf Finanzmärkten tun. Sinnvoll wäre aber ein Steuerrecht, was es begünstigt, wenn ich mit meinen Investitionen Arbeitsplätze und nachhaltige Unternehmen schaffe.
Scholl: Herr Pfeiffer, unsere Zeit ist leider schon zu Ende, ich danke Ihnen für Ihren Besuch und das Gespräch! Und das Buch von Hermannus Pfeiffer, "Der profitable Irrsinn. Was auf den Finanzmärkten geschieht und wer dabei gewinnt", ist jetzt im Christoph Links Verlag erschienen mit 256 Seiten zum Preis von 16,90 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Hermannus Pfeiffer: Guten Tag, Herr Scholl!
Scholl: Irrsinn, das ist ein Leit- und Schlüsselwort Ihres Buches. Damit treffen Sie natürlich ein Gefühl, das vermutlich jeder teilt. So wie Sie dann diesen Finanzirrsinn entwickeln, Herr Pfeiffer, ist er aber nicht nur profitabel, sondern auch rational. Was ist denn an dieser Verrücktheit vernünftig?
Pfeiffer: Ja, das haben Sie ja in gewisser Weise schon selber gesagt, dass es auch für einige Akteure profitabel ist.
Scholl: Nein, ich meine sozusagen, was ist da vernünftig in dem Sinne … ein profitabler Irrsinn wird zum rationalen? Da denkt man ja, hm, Irrsinn kann ja nicht rational sein, oder?
Pfeiffer: Ja, wir spielen jetzt hier ein bisschen mit Paradoxien und Begriffen. Wir haben Akteure, die von diesen Entwicklungen auf den Finanzmärkten profitieren, und das war ihr Ziel, dass … Aus Sicht dieser Akteure sind die Entwicklungen rational. Das mag aus volkswirtschaftlicher Sicht, das mag aus Sicht der Verbraucher sich ja ganz anders darstellen.
Scholl: Dabei nehmen Sie auch diesen Zentralbegriff ins Visier: die Märkte. Daran haben wir uns ja gewöhnt, dass die Märkte alles entscheidend sind. Sie müssen beruhigt werden, nach jedem politischen Beschluss wird ängstlich auf die Reaktion der Märkte geschaut. Sie schreiben, Herr Pfeiffer, es sei eine – Zitat – "irgendwie launische Bestie", geboren Anfang der 1970er-Jahre, als die Vereinbarung in Bretton Woods, feste Wechsel- und Währungskurse, aufgekündigt wurde. Hat man damit, ja, eine Art, ja, Leviathan geschaffen, den jetzt niemand mehr domestizieren kann?
Pfeiffer: Also, so pessimistisch würde ich den Ausblick nicht sehen. Aber der historische Rückblick, in der Tat, muss man da in die 70er-, 80er-Jahre zurückgehen. Und in dem Bretton Woods und damit dem Fall der stabilen Wechselkurse haben wir ja so was wie eine wirtschaftsliberale Revolution erlebt, Stichwort Ronald Reagan in den USA oder Margaret Thatcher in Großbritannien, und eine Theorie, die ja dann über die ganze kapitalistische Welt geschwappt ist und die ja im Grunde genommen besagt, unser ganzes Vertrauen gilt den Märkten. Und das ist natürlich in gewisser Weise irrsinnig, zumal wenn man die jüngere Entwicklung in Rechnung stellt. Dieses großartige Vertrauen in diese unsichtbare Hand des Marktes, um Adam Smith zu zitieren, ist natürlich eine äußerst bedenkliche Entwicklung und ein ganz wesentlicher Punkt zur Erklärung der aktuellen Probleme.
Scholl: Es ist ja auch so ungreifbar im Sinne von auch Verantwortlichkeit. Also, mich hat Ihre Charakterisierung an dieses berühmte Bild des Künstlers Paul Weber erinnert, "Das Gerücht", das kennen bestimmt viele, so eine Art Lindwurm mit tausend Ohren und Augen. Und im übertragenen Sinne wären die Märkte Tausende von Männern in Anzügen vor Computern, die, greift man sich aber einzeln raus, immer sagen, ach, ich bin doch nur ein Rädchen und bestimmt nicht schuld!
Pfeiffer: Dieses Bild der Märkte, dieser launischen Bestie, das ist natürlich, ja, ein etwas eigentümliches Bild, das ist im Grunde genommen ja eine Fassade, die man aufbaut vor den realen Geschehnissen. Mit so was haben wir es ja viel zu tun gehabt in der Diskussion um geldgeile Boni-Banker, an hoch spekulative Hedgefonds, an wirtschaftsliberale Politiker, wilde Zentralbanker. Das sind ja alles Erklärungsansätze für die Prozesse, die wir hier haben, und vieles ist da ja auch vom Augenschein her sehr irrsinnig. Ich erinnere mich, dass einer der Finanzminister ein Rettungspaket erklärte und sich dann gleich mal um 50 Milliarden Euro vergaloppiert hatte …
Scholl: … verrechnete.
Pfeiffer: Das ist irgendwo menschlich bei diesen großen Summen, die ja für uns alle nicht greifbar sind, aber wir ahnen, dass wir es hier doch mit etwas eigentümlichen Prozessen zu tun haben.
Lassen Sie mich noch mal im Grunde genommen Ihre Ausgangsfrage… Also, wo haben wir es hier mit Irrsinn zu tun, der auf der anderen Seite für viele Akteure profitabel und in diesem Sinne auch rational ist. Ist zum Beispiel ein Problemfeld, ich nenne das immer, fallende Kurse: Traditionell hat es ja auch Finanzmärkte gegeben, auch Probleme, das will ich gar nicht ignorieren. Aber ich glaube, wir reden hier über andere Dimensionen. Heutzutage kann man mittlerweile eben mit fallenden Kursen ebenso gut Gewinne machen wie mit steigenden Kursen. Klassisch setzen Sie ja auf, was weiß ich, eine Siemens-Aktie und erwarten, dass sie steigt, deswegen haben Sie sie gekauft. Heutzutage gibt es Finanzinstrumente, dass Sie genau in die andere Richtung herum … Dieser Wirkungsmechanismus auf die Märkte von Akteuren, die es ja tun, also im Wesentlichen ja große Banken, führt ja dazu, dass die Hauptakteure eigentlich gar kein Interesse an Stabilität haben, sondern im Gegenteil an einem ständigen Auf und Ab, also an Instabilität.
Scholl: "Der profitable Irrsinn", so hat der Autor Hermannus Pfeiffer sein jüngstes, jetzt veröffentlichtes Buch genannt. Er ist mit uns hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch. Aus der Bankenkrise seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, Herr Pfeiffer, 2008 hat sich eine Finanzkrise entwickelt, daraus eine weltweite Wirtschaftskrise, die nun zu gigantischen Staatsverschuldungen geführt hat. Und Sie beschreiben ja diese Kette sehr ausführlich und detailliert, nahezu zwei Billionen Euro Schulden belasten die Bundesrepublik derzeit. Das ist noch gar nichts gegen die Staatsverschuldung von Ländern wie den USA oder Japan. Und Ihrer Analyse zufolge ist das allerdings jetzt gar nicht so beängstigend. Wieso eigentlich nicht?
Pfeiffer: Staatsverschuldungen haben, wie viele andere Sachen, die in meinem Thema, Handbuch, eine Rolle spielen, doch immer etwas Janusköpfiges: Wir haben in vielen Volkswirtschaften – etwa in der Bundesrepublik, aber auch in vielen anderen Ländern – das Problem, dass das Geld, was … gewissermaßen die Werte, die produziert werden in Geldform, dann nicht völlig wieder investiert oder konsumiert werden. Man könnte jetzt ganz simpel sagen: Die Sparquote, die liegt etwa bei zehn Prozent. Diese zehn Prozent greift im Grunde genommen niemand ab. Eigentlich, volkswirtschaftlich betrachtet, um im Kreislauf zu bleiben, müsste der Staat diese zehn Prozent als Schulden nehmen und in irgendeiner Form investieren und in den Wirtschaftskreislauf einführen. Das ist die eine und im Grunde genommen positive und in gewisser Weise sogar notwendige Rolle, die ein Staat in einer Volkswirtschaft spielen sollte.
Auf der anderen Seite – das ist ja das Thema, was im Moment so verabsolutiert wird – kann man das Spiel natürlich nicht endlos treiben. Wir haben ja eine Situation, wo aufgrund dieser Schulden – etwa in der Bundesrepublik, aber ja wiederum auch in anderen Ländern – etwa ein Viertel der Steuereinnahmen allein für Zinszahlungen rausgeht! Das heißt, der politische Spielraum für die Regierung wird eminent kleiner. Insofern kann man nicht immer an dem Schuldenrad drehen. Trotzdem noch mal, man muss das relativieren: Es gibt eine volkswirtschaftliche Verantwortung des Staates, es gibt Länder etwa wie Japan, die sind doppelt so groß verschuldet wie das kleine, kleine Griechenland. Japan ist ja nun ein großer Spieler und die USA ist auch hoch verschuldet. Das sind Themen, die nicht so im Fokus stehen, wo sich aber gar keine Lösung eigentlich abzeichnet. In der Beziehung ist Europa, wenn man so will, ein bisschen weiter.
Scholl: Ihr Buch kann man als Handbuch lesen, Herr Pfeiffer. Sie erklären sehr verständlich Finanzgeschäfte, -produkte. Es mündet schließlich da aber doch auch in eine ebenso handfeste Kritik am kapitalistischen System, so geht es nicht weiter, und als Alternative entwerfen Sie das Bild vom demokratischen Markt Europas. Also im Gegensatz zur marktkonformen Demokratie, wie sie Angela Merkel einmal unglückselig formuliert hat, ein demokratiekonformer Markt. Wie soll der aussehen?
Pfeiffer: Ja, zunächst lassen Sie mich kurz noch mal erklären, wo ich die großen, die eigentlichen Probleme sehe hinter dieser Fassade der aktuellen Diskussion: Das ist zum einen, dass zu viel Reichtum, zu viel Geld auf der Welt ist. Wir haben dadurch – das ist auch ein Paradoxon –, dadurch aufgeblähte Finanzmärkte. Und diese Finanzmärkte gieren nach Renditen und teilweise maßlos hohen Profiten und Renditen. Dadurch ist eine Instabilität in diesen gesamten Kapitalismus reingekommen, der über das gewissermaßen normale Maß – Kapitalismus und Krisen gehört ja irgendwo zusammen – hinausgeht. Dieser von Finanzakteuren getriebene Kapitalismus, wie Jörg Huffschmid das mal nannte, der leider im Dezember 2009 gestorben ist, ist ein Extraproblem.
Insofern, meine Alternativvorschläge gehen erst mal in die Richtung, zu sagen, wir müssen die Finanzmärkte in den Griff kriegen! Jetzt sind wir in einer geradezu existenziellen Notlage, insofern geht es im Moment ums Löschen, aber perspektivisch – übrigens, seit dem Sommer 2007 haben wir die ersten Krisensymptome, das heißt, wir sind jetzt im fünften beziehungsweise sechsten Jahr der Krise – haben wir keine weitergehende Regulierungen, die wirklich durch sind und die mehr sind als Symbolpolitik. Das heißt, hier gilt es zu deckeln. Es gilt, die großen Akteure zu deckeln, es gilt, die großen Werkzeuge, die Hebel, mit denen etwa Banken operieren, zu deckeln auf ein maßvolles Maß. Nehmen wir die Deutsche Bank, die mit 50 Milliarden Eigenkapital ein Rad dreht an Bilanzvolumen von zwei Billionen. Summen, die man sich gar nicht vorstellen kann, aber die Relationen sind ja hier spannend. Hier muss man deckeln.
Aber es geht natürlich perspektivisch weit darüber hinaus, man muss sehen, dass die Finanzmärkte ihre ursprüngliche Rolle, nämlich ein Diener der Volkswirtschaft zu sein, wiedergewinnen. Und dazu bedarf es erheblicher demokratischer, regulierender, indirekt regulierender Maßnahmen. Das … ich denke zum Beispiel ans Steuerrecht: Wir haben jetzt eine Situation, dass Sie im Grunde genommen, wenn Sie Geld investieren, steuerrechtlich gut beraten sind, wenn Sie es auf Finanzmärkten tun. Sinnvoll wäre aber ein Steuerrecht, was es begünstigt, wenn ich mit meinen Investitionen Arbeitsplätze und nachhaltige Unternehmen schaffe.
Scholl: Herr Pfeiffer, unsere Zeit ist leider schon zu Ende, ich danke Ihnen für Ihren Besuch und das Gespräch! Und das Buch von Hermannus Pfeiffer, "Der profitable Irrsinn. Was auf den Finanzmärkten geschieht und wer dabei gewinnt", ist jetzt im Christoph Links Verlag erschienen mit 256 Seiten zum Preis von 16,90 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.