"Wir müssen die Kontakte aufrecht erhalten"
Vor dem heutigen Sondertreffen der EU-Außenminister in Brüssel äußert sich der CDU-Europaabgeordnete Hans-Gert Pöttering kritisch hinsichtlich dem Einfrieren von Hilfsgeldern gegenüber Ägypten. Es lohne nicht, "jetzt schnell zu sagen, wir machen Sanktionen oder wir brechen die Kontakte ab", sagte Pöttering.
André Hatting: Jetzt also offenbar doch - die USA stoppen die Militärhilfe für Ägypten, die knapp 600 Millionen Dollar, die noch in diesem Jahr nach Kairo fließen sollen, will Washington zurückhalten. Das hatte eine Internetseite berichtet und sich dabei auf einen Senator berufen. Die US-Regierung, hat das zwar umgehend dementiert, fest steht, Präsident Obama will die Zusammenarbeit beider Länder genauestens überprüfen, und diese Formulierung kennen wir, genau das hat die Bundeskanzlerin wiederholt angekündigt, und genau darüber verhandeln heute auch die Außenminister der 28 EU-Mitgliedsstaaten.
Am Telefon begrüße ich jetzt Hans-Gert Pöttering. Der CDU-Politiker war bis 2009 Präsident des EU-Parlamentes und ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Schönen guten Morgen, Herr Pöttering!
Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton will heute Vorschläge machen, was Europa tun kann. Muss auf diese Liste auch die Streichung der Militärhilfe?
Pöttering: Also zunächst einmal, Herr Hatting, ist ganz wichtig, dass sich heute die Außenminister der Länder der Europäischen Union treffen. Es hat ja in der Beurteilung von Syrien unterschiedliche Nuancen gegeben bei den Außenministern der EU-Länder, und das darf jetzt bei Ägypten nicht passieren, deswegen finde ich es sehr positiv, dass die Außenminister sich treffen.
Und Frau Ashton hat sich in den vergangenen Wochen sehr bemüht, das muss man auch anerkennen, und die Frage der Militärhilfe ist eine Frage, aber jetzt nicht die wichtigste. Mein persönlicher Rat ist, dass wir sehr zurückhaltend sein sollten mit der Lieferung von Militärgütern, aber das ist jetzt nicht das ganz Entscheidende, sondern das ganz Entscheidende ist, dass wir den Machthabern in Kairo klar sagen, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel angewandt werden muss, dass man gegenüber der Muslimbruderschaft jetzt auch nicht überreagieren darf, dass man der Gewalt nicht freien Lauf geben darf, dass zweitens die christlichen Gemeinden geschützt werden, die Christen, die Kopten in Ägypten, geschützt werden, die Kirchen geschützt werden, und das Dritte, was ganz entscheidend ist, dass das Militär klar sagt, dass man in eine pluralistische, in eine demokratische Entwicklung hineingehen will, und dass das, was wir den Arabischen Frühling genannt haben, diese wunderbaren jungen Leute, die ja im Februar 2011 auf die Straße, auf den Tahrir-Platz gegangen sind, ich habe diese jungen Menschen dort getroffen, dass man dieser demokratischen Entwicklung, dieser freiheitlichen pluralistischen Entwicklung, die Zukunft anvertrauen will. Und das ist wichtig, dass die Außenminister der Länder der Europäischen Union dieses heute deutlich machen.
Hatting: Herr Pöttering, Sie haben jetzt die Vielstimmigkeit angesprochen, die bislang in der Europäischen Union geherrscht hat, das war ja zum Beispiel bei der Beurteilung des Putsches so, da war man sich nicht ganz sicher, man hat ihn nicht verurteilt, man hat zunächst das Militär als Garanten für Stabilität angesehen, es gab keine klare Schuldzuweisung wegen der brutalen Räumungen der Protestcamps. Warum glauben Sie, dass man das jetzt hinbekommt, eine Stimme, ein klares Signal nach Ägypten zu senden?
Am Telefon begrüße ich jetzt Hans-Gert Pöttering. Der CDU-Politiker war bis 2009 Präsident des EU-Parlamentes und ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Schönen guten Morgen, Herr Pöttering!
Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton will heute Vorschläge machen, was Europa tun kann. Muss auf diese Liste auch die Streichung der Militärhilfe?
Pöttering: Also zunächst einmal, Herr Hatting, ist ganz wichtig, dass sich heute die Außenminister der Länder der Europäischen Union treffen. Es hat ja in der Beurteilung von Syrien unterschiedliche Nuancen gegeben bei den Außenministern der EU-Länder, und das darf jetzt bei Ägypten nicht passieren, deswegen finde ich es sehr positiv, dass die Außenminister sich treffen.
Und Frau Ashton hat sich in den vergangenen Wochen sehr bemüht, das muss man auch anerkennen, und die Frage der Militärhilfe ist eine Frage, aber jetzt nicht die wichtigste. Mein persönlicher Rat ist, dass wir sehr zurückhaltend sein sollten mit der Lieferung von Militärgütern, aber das ist jetzt nicht das ganz Entscheidende, sondern das ganz Entscheidende ist, dass wir den Machthabern in Kairo klar sagen, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel angewandt werden muss, dass man gegenüber der Muslimbruderschaft jetzt auch nicht überreagieren darf, dass man der Gewalt nicht freien Lauf geben darf, dass zweitens die christlichen Gemeinden geschützt werden, die Christen, die Kopten in Ägypten, geschützt werden, die Kirchen geschützt werden, und das Dritte, was ganz entscheidend ist, dass das Militär klar sagt, dass man in eine pluralistische, in eine demokratische Entwicklung hineingehen will, und dass das, was wir den Arabischen Frühling genannt haben, diese wunderbaren jungen Leute, die ja im Februar 2011 auf die Straße, auf den Tahrir-Platz gegangen sind, ich habe diese jungen Menschen dort getroffen, dass man dieser demokratischen Entwicklung, dieser freiheitlichen pluralistischen Entwicklung, die Zukunft anvertrauen will. Und das ist wichtig, dass die Außenminister der Länder der Europäischen Union dieses heute deutlich machen.
Hatting: Herr Pöttering, Sie haben jetzt die Vielstimmigkeit angesprochen, die bislang in der Europäischen Union geherrscht hat, das war ja zum Beispiel bei der Beurteilung des Putsches so, da war man sich nicht ganz sicher, man hat ihn nicht verurteilt, man hat zunächst das Militär als Garanten für Stabilität angesehen, es gab keine klare Schuldzuweisung wegen der brutalen Räumungen der Protestcamps. Warum glauben Sie, dass man das jetzt hinbekommt, eine Stimme, ein klares Signal nach Ägypten zu senden?
"Moslems gegen Moslems"
Pöttering: Ja, Herr Hatting, die Dinge in Ägypten wie auch in anderen arabischen Ländern, so auch in Syrien, sind ja unglaublich kompliziert, und es gibt nicht die gute Seite und die schlechte Seite, es gibt also nicht schwarzweiß, und deswegen muss man ganz genau hinschauen, wer was tut, und wir als Europäer können am Ende die Situation in Ägypten auch von uns aus nicht gestalten oder bewältigen, sondern das muss aus der Gesellschaft selber kommen, und die Tragödie jetzt wie in Syrien, jetzt in Ägypten, ist ja, dass die Gesellschaft so gespalten ist. Moslems gegen Moslems, das dürfen wir auch nicht vergessen, und wir sollten auch sagen, dort, wo Persönlichkeiten des moslemischen Glaubens Gewalt anwenden, sind wir natürlich Gegner dieser Leute, aber dort, wo ein Moslem friedlich ist – und die überwiegende Mehrheit der Moslems in Ägypten und auch in den anderen Ländern sind friedliche Menschen, die in Frieden leben wollen –, und deswegen ist es für uns, für unsere Haltung in der Europäischen Union und darüber hinaus ganz wichtig, dass wir jetzt nicht alle Menschen muslimischen Glaubens verurteilen, sondern sagen, es gibt viele, viele Moslems, die eine demokratische Entwicklung wollen, die in Würde leben wollen, und dafür müssen wir unsere Stimme erheben, und das erwarte ich vor allen Dingen auch heute von den Außenministern der Länder der Europäischen Union.
Hatting: Herr Pöttering, vor vier Wochen hat die EU-Spitzendiplomatin Helga Schmid bei uns im Programm noch davon gesprochen, wie gut das Ansehen der EU in Ägypten sei, und das hat sie so begründet:
Helga Schmid: Was, glaube ich, richtig ist, dass die Europäische Union wie keine andere Organisation oder kein anderes Land Glaubwürdigkeit und Respekt in Ägypten genießt. Das liegt sicherlich daran, dass wir in den letzten zwei Jahren versucht haben, Ägypten bei dem sehr, sehr schwierigen Übergangsprozess hin zu politischen und wirtschaftlichen Reformen zu unterstützen. Und es liegt auch daran, dass wir Zugang zu Vertretern aller Fraktionen haben.
Hatting: Herr Pöttering, verspielt die EU gerade diese Glaubwürdigkeit in Ägypten eben, weil sie nicht mehr den Zugang zu allen Gruppen dort hat?
Pöttering: Also das, was Helga Schmid gesagt hat, ist im Kern richtig und bleibt richtig, und wir sollten der Militärführung in Kairo sagen, dass man das Gespräch mit allen Gruppen der Gesellschaft suchen muss, und wenn wir als Europäische Union klar sagen, das Ziel muss die Demokratie, das Ziel muss Pluralismus sein, das Ziel muss sein, dass die Menschen in Ägypten in Würde leben können, dass sie frei wählen können, dass sie nicht von einer Diktatur in eine andere kommen.
Wenn wir diesen freiheitlichen und demokratischen und rechtsstaatlichen Standpunkt ganz klar machen, dann behalten wir auch die Persönlichkeiten und die Menschen, gerade auch die jungen Menschen, die eine westliche Orientierung haben, an unserer Seite. Wir müssen also Anwalt sein der Demokratie, des Rechtsstaates und einer offenen Gesellschaft, darauf kommt es jetzt an. Und wenn uns dieses gelingt und wir dieses deutlich machen, dann, glaube ich, werden wir unsere gute Position, die wir in Ägypten und woanders haben, auch in der Zukunft gestalten können.
Hatting: Ja, Herr Pöttering, aber reichen da hehre Worte? Ich meine, wenn man sich zum Beispiel die angedrohte Kürzung der Militärhilfe anschaut, wo es wirklich um hartes Geld geht, da sagt die Militärregierung in Kairo, interessiert uns nicht, denn Saudi-Arabien würde ja dann einspringen und das kompensieren. Glauben Sie, dass sich die Militärregierung in Kairo von starken Worten, von einem starken Signal der EU beeindrucken ließe?
Hatting: Herr Pöttering, vor vier Wochen hat die EU-Spitzendiplomatin Helga Schmid bei uns im Programm noch davon gesprochen, wie gut das Ansehen der EU in Ägypten sei, und das hat sie so begründet:
Helga Schmid: Was, glaube ich, richtig ist, dass die Europäische Union wie keine andere Organisation oder kein anderes Land Glaubwürdigkeit und Respekt in Ägypten genießt. Das liegt sicherlich daran, dass wir in den letzten zwei Jahren versucht haben, Ägypten bei dem sehr, sehr schwierigen Übergangsprozess hin zu politischen und wirtschaftlichen Reformen zu unterstützen. Und es liegt auch daran, dass wir Zugang zu Vertretern aller Fraktionen haben.
Hatting: Herr Pöttering, verspielt die EU gerade diese Glaubwürdigkeit in Ägypten eben, weil sie nicht mehr den Zugang zu allen Gruppen dort hat?
Pöttering: Also das, was Helga Schmid gesagt hat, ist im Kern richtig und bleibt richtig, und wir sollten der Militärführung in Kairo sagen, dass man das Gespräch mit allen Gruppen der Gesellschaft suchen muss, und wenn wir als Europäische Union klar sagen, das Ziel muss die Demokratie, das Ziel muss Pluralismus sein, das Ziel muss sein, dass die Menschen in Ägypten in Würde leben können, dass sie frei wählen können, dass sie nicht von einer Diktatur in eine andere kommen.
Wenn wir diesen freiheitlichen und demokratischen und rechtsstaatlichen Standpunkt ganz klar machen, dann behalten wir auch die Persönlichkeiten und die Menschen, gerade auch die jungen Menschen, die eine westliche Orientierung haben, an unserer Seite. Wir müssen also Anwalt sein der Demokratie, des Rechtsstaates und einer offenen Gesellschaft, darauf kommt es jetzt an. Und wenn uns dieses gelingt und wir dieses deutlich machen, dann, glaube ich, werden wir unsere gute Position, die wir in Ägypten und woanders haben, auch in der Zukunft gestalten können.
Hatting: Ja, Herr Pöttering, aber reichen da hehre Worte? Ich meine, wenn man sich zum Beispiel die angedrohte Kürzung der Militärhilfe anschaut, wo es wirklich um hartes Geld geht, da sagt die Militärregierung in Kairo, interessiert uns nicht, denn Saudi-Arabien würde ja dann einspringen und das kompensieren. Glauben Sie, dass sich die Militärregierung in Kairo von starken Worten, von einem starken Signal der EU beeindrucken ließe?
"Wir wollen eine Demokratieentwicklung fördern"
Pöttering: Ja, es geht ja nicht nur um die Militärregierung, die Militärregierung hat die Macht jetzt, aber wir hätten ja nichts gewonnen, wenn, nachdem man die Muslimbrüderschaft und diese ja auch wirklich sehr negativen Tendenzen, die sich unter Präsident Mursi entwickelt haben, wenn man dieses jetzt austauscht gegen eine Militärdiktatur und damit die freiheitlichen Entwicklungen wieder keine Chance haben. Das heißt, am Ende werden weder die Moslems, weder die Muslimbruderschaft, die ja tief verwurzelt ist in der ägyptischen Gesellschaft, noch die freiheitliche Bewegung eine Zukunft haben, und es muss unsere Aufgabe sein, dass wir uns ganz klar an die Seite einer freiheitlichen Entwicklung stellen, und dieses müssen wir den Machthabern, dem Armeechef al-Sisi, deutlich machen, und allen, die jetzt die Verantwortung in Kairo haben.
Wir müssen die Kontakte aufrecht erhalten, und deswegen lohnt es auch nicht, jetzt schnell zu sagen, wir machen Sanktionen, oder wir brechen die Kontakte ab nach Ägypten, nein, wir müssen sie intensivieren, alle, die mit uns sprechen wollen, sollten wissen, wir sind gesprächsbereit und wir wollen eine Demokratieentwicklung fördern, aber wir können sie nicht erzwingen. Und das zeigt natürlich ein wenig unsere Hilflosigkeit, aber gleichwohl können wir politische Signale im Sinne der Freiheit, der Demokratie und des Rechtsstaates senden, und das ist unsere vorrangige Aufgabe jetzt als Signal gegenüber Kairo.
Hatting: Hans-Gerd Pöttering, CDU-Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pöttering!
Pöttering: Sehr gerne, Herr Hatting!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wir müssen die Kontakte aufrecht erhalten, und deswegen lohnt es auch nicht, jetzt schnell zu sagen, wir machen Sanktionen, oder wir brechen die Kontakte ab nach Ägypten, nein, wir müssen sie intensivieren, alle, die mit uns sprechen wollen, sollten wissen, wir sind gesprächsbereit und wir wollen eine Demokratieentwicklung fördern, aber wir können sie nicht erzwingen. Und das zeigt natürlich ein wenig unsere Hilflosigkeit, aber gleichwohl können wir politische Signale im Sinne der Freiheit, der Demokratie und des Rechtsstaates senden, und das ist unsere vorrangige Aufgabe jetzt als Signal gegenüber Kairo.
Hatting: Hans-Gerd Pöttering, CDU-Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pöttering!
Pöttering: Sehr gerne, Herr Hatting!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.