"Wir predigen niemandem"

Von Johannes Kaiser |
Afrika war auch auf der diesjährigen Berlinale nur schwach vertreten. So brachte das Internationale Forum des Jungen Film lediglich zwei neue Filme von dem Kontinent. Das hat seine Gründe.
Kamya: "Für die meisten Afrikaner oder Leute afrikanischer Abstammung ist Musik sehr wichtig. Es ist sozusagen der Herzschlag deines Lebens. Alles, was einen satten Rhythmus enthält und eine echte Basslinie besitzt, treibt voran und führt einen durch die Geschichte."

Die 36-jährige ugandische Filmemacherin Caroline Kamya hat denn auch ihren Debütfilm "Imani" im Rhythmus der Musik geschnitten. Drei Geschichten erzählt sie, die alle an einem Tag geschehen. Als Mary, alleinerziehende Mutter, Hausangestellte in einem reichen schwarzen Haushalt erfährt, dass die Polizei ihre Schwester festgenommen hat und nur gegen eine hohe Kaution wieder freilässt, sucht sie verzweifelt nach einem Ausweg.

Olweny war Kindersoldat, während des Bürgerkriegs in der Nordprovinz Gulu von Rebellen gekidnappt. An diesem Tag soll er aus dem Rehabilitationszentrum wieder zu seinen Eltern zurückkehren. Armstrong ist ein junger HipHop Tänzer, der abends mit einer Gruppe von Waisenkindern im Slum auftreten will.

Ein alter Freund aus der Kindheit, inzwischen zum "Ghetto-King" abgestiegen, macht ihm Schwierigkeiten. Die drei Geschichten laufen parallel zueinander, unterbrechen sich gegenseitig, bauen so eine gewisse Spannung auf, kommen aber nie zusammen.

In ruhigen Bildern zeigt Caroline Kamya Ausschnitte aus Ugandas Alltag. Sie möchte ein ehrliches Bild der Wirklichkeit zeichnen. Die Menschen sollen sich in ihren Geschichten wiedererkennen und zwar nicht nur in Uganda:

"Es ist in Afrika, in Uganda wie überall auf der Welt. Es gibt die Reichen, die Armen, die Guten und die Bösen. Wir predigen niemandem, erzählen keine moralischen Geschichten. Wir wollen nichts anderes sagen als, so ist es, so sind wir. Man kann sich selbst, egal ob weiß oder schwarz, in 'Imani' wiedererkennen."

Klassische Spielfilme in westlicher Kinoqualität wie "Imani" sind Mangelware. Es fehlt an Geld, dennoch werden viele Filme gedreht. In Lagos zum Beispiel entstehen jährlich Hunderte Billigproduktionen, die alle Genre abdecken, vom Liebesfilm über den Politthriller bis zur Gespenstergeschichte.

Sie kommen gar nicht in die Kinos, sondern werden als DVD's in sogenannten Viewing Centern gezeigt, kleinen Hütten mit einem großen Fernsehbildschirm, mitten in den Dörfern oder Slums, in Fußnähe der Bewohner, die gegen minimales Entgelt das Gemeinschaftserlebnis suchen. Dorothee Wenner, die die afrikanischen Filme des Internationalen Forums des jungen Films ausgesucht hat:

"Die Filme sind extrem erfolgreich und es zeigt eigentlich auch, dass die Leute einen ausgeprägten Hunger nach Filmen haben, in denen sie sich selbst wieder erkennen. Ich rede jetzt nicht nur über die Hautfarbe, sondern in der Art und Weise, wie man spricht, wie man sich auch lange Zeit lässt für Dialoge, eine gewisse Behäbigkeit beim Schnitt, was damit zu tun hat, dass man in Afrika gerne Filme sieht, sich aber dabei unterhält. Das führt dazu, dass die Filme relativ lang sind. Und das sind nicht notwendigerweise Geschichten, die im westlichen Kino gerade en vogue sind."

Unseren Sehgewohnheiten entspricht eher die vierteilige Dokumentation "Congo in four acts", von drei kongolesischen Regisseure gedreht.

Die Stimme in Kiripi Katembos viertelstündiger, nüchternen und darum umso erschreckenderen Dokumentation erzählt von den katastrophalen Lebensbedingungen in den Slums von Kinshasa, der Hauptstadt des Kongo. Nicht weniger schockierend seine Bilder einer Familie im Minendistrikt, die sich ein paar Cents mit dem mühsamen, kräfteraubenden Zerkleinern von Steinen verdient.

In den anderen Dokumenten geht es im junge Mütter, die nach der Geburt ihrer Kinder ihre Krankenhausrechnung nicht bezahlen können und von einer jungen Zeitungsjournalistin, deren Vater ermordet wurde und deren Zeitung ums Überleben kämpft. Man sieht den Filmen an, dass ihre Regisseure mit minimalsten Mitteln auskommen mussten. Sie sind unvollkommen, roh, aber voller Energie und Intensität. Sie gehen unter die Haut.

Im Mittelpunkt des Films "Soul Boy" der jungen ghanaisch-kenianischen Regisseurin Hawa Essuman steht der 14-jährige Abila, der eines Morgens seinen Vater apathisch auf dem Bett liegen sieht. Angeblich ist ihm die Seele von einer Geisterfrau gestohlen worden.

Unterstützt von seiner Freundin Shiku macht sich Abila auf den Weg zu dieser Frau. Sie stellt ihm sieben Aufgaben, um die Seele seines Vaters zu retten. Es sind Charakterproben, die Mut erfordern. Abila bewährt sich.

Der berührende, amüsante, rasant inszenierte Film aus dem Berlinale Programm Generation 14 plus ist eine Art Märchen, im Mikrokosmos des Slumviertels Kibera angesiedelt. Er zeigt die Wirklichkeit und ist doch kein Elendsdrama.

"Soul Boy" ist das ungewöhnliche Ergebnis eines Filmworkshops, den der deutsche Regisseur Tom Tykwer in Nairobi mit jungen kenianischen Auszubildenden durchgeführt hat. Entwicklungshilfe einmal ganz anders. Es sind nicht zuletzt solche Initiativen, die Dorothee Wenner optimistisch in die Zukunft sehen lassen:

"Es ist glücklicherweise so, anders als vor ein paar Jahren, dass man nicht nur sagen muss, es ist alles ganz furchtbar und schrecklich, weil im gleichen Moment es eine so große Aufbruchsbewegung gibt in verschiedenen Ländern und diese Form des Aufbruchs, finde ich, gibt Anlass, wirklich sehr hoffnungsfroh eigentlich in die unmittelbare Zukunft zu schauen.

Diese jungen Filmemacher, die relativ kostengünstig produzieren, die gegen alle Widerstände bereit sind zu kämpfen, um ihre Filme machen zu können, die brauchen eine andere Form von Unterstützung, als das vorher der Fall war und ich finde, das gehört mit zu unseren Pflichten."