"Wir reden von Steuerhinterziehung, und die ist nicht erlaubt"

Nicola Liebert im Gespräch mit Christopher Ricke |
Vermögende profitieren zwar davon, dass es in Industrieländern wie Deutschland ordentliche Rechtssysteme und Infrastrukturen gibt, tragen aber wenig zur Finanzierung des Gemeinwohls bei, findet Nicola Liebert, Vorstandsmitglied des Netzwerks für Steuergerechtigkeit. Sie sieht die Politik in der Pflicht, Reiche zur Kasse zu bitten.
Christopher Ricke: Große Aufregung in diesen Tagen über Wohlhabende, die ihr Geld ins Ausland bringen. Ein Journalistennetzwerk hat Daten veröffentlicht, wer wie viel wo in den letzten Jahrzehnten verbunkert hat, zum Beispiel auf den britischen Kanalinseln, in Monaco, in Tonga, den Bahamas oder in Dubai. Für die Datensätze interessieren sich jetzt Steuerfahnder in aller Welt, weil da ja möglicherweise auch Schwarzgeld dabei sein könnte. Andererseits – wenn das ganz normal verdientes und versteuertes Geld ist, was ist daran illegal, sein Geld dorthin zu bringen, wo Zinsen vielleicht nicht so massiv besteuert werden wie bei uns?

Ich habe mit Nicola Liebert gesprochen, sie ist Mitglied im Europäischen Vorstand des Netzwerkes für Steuergerechtigkeit, eines ihrer Bücher heißt "Steuergerechtigkeit in der Globalisierung – wie die steuerpolitische Umverteilung von unten nach oben gestoppt werden kann". Frau Liebert, wie sehr hat Sie denn überrascht, dass zum Beispiel Gunter Sachs und andere Millionäre ihr Geld in Steueroasen angelegt haben?

Nicola Liebert: Also sehr überraschend ist das nicht. Irgendwo muss das ganze Geld ja herkommen, das in den Steueroasen liegt, und das kommt natürlich von den Reichen, denen es bisher allzu leicht gemacht wurde, dem Fiskus hierzulande zu entkommen.

Ricke: Nicht alles, was Steuern spart, ist ja verboten. Warum macht man diesen Menschen jetzt Vorwürfe, die ja gar nicht illegal gehandelt haben in manchen Bereichen?

Liebert: Steuerhinterziehung ist schon verboten, also Einnahmen, die in Deutschland oder in Gunter Sachsens Fall in der Schweiz erzielt wurden, müssen auch dort versteuert werdend. Es ist was anderes, wenn Unternehmen Investitionen vornehmen und über ihre verschiedenen Tochtergesellschaften verschiedene steuerliche Konstruktionen wählen. Das ist zwar hart am Rande des Legalen, aber es ist noch legal. Aber hier reden wir von Steuerhinterziehung, und die ist nicht erlaubt.

Ricke: Wir haben ja jenseits von Legalität oder Illegalität das Problem einer immer weiter klaffenden Gerechtigkeitslücke – es gibt diese wachsenden Privatvermögen, die dann manchmal auch illegal ins Ausland gebracht werden, in Steueroasen, und es gibt die Risiken, die zurzeit der normale Steuerzahler in der Eurokrise trägt. Kann denn eine schärfere Steuerfahndung da helfen, diese Gerechtigkeitslücke zu schließen?

Liebert: Auf jeden Fall, also es ist ja kein Wunder, dass viele Leute eine gewisse Politikverdrossenheit verspüren, wenn sie merken, dass jetzt gerade in den Eurostaaten überall Sparen, Sparen, Sparen angesagt ist. Selbst in Deutschland, obwohl das jetzt kein Krisenland ist, klagen zum Beispiel die Kommunen überall über leere Kassen, und es gibt nicht genügend Kita-Plätze, und die Schulen sind unterfinanziert auf der einen Seite, und auf der anderen Seite hören wir von riesigen Vermögen, die zwar durchaus davon profitieren, dass es in Industrieländern wie auch in Deutschland ein ordentliches Rechtssystem, eine ordentliche Infrastruktur gibt, aber andererseits nichts zu deren Finanzierung beitragen. Ich glaube, dass die Politik hier sich keinen Gefallen tut, wenn sie da nicht dagegen angeht, das wird soziale Unruhe schüren.

Ricke: Na ja, es gibt aber doch auch erhebliche Steuerlasten, die durchaus auch auf Besserverdienenden lasten.

Liebert: Wir reden jetzt von zwei verschiedenen Dingen: die Einkommensteuer einerseits, und die Vermögenden andererseits. Also das, was jetzt durch diese Offshore-Leaks öffentlich gemacht wurde, da geht es nicht um Einkommen, die nicht bei der Steuer angemeldet wurden, sondern da geht es um hohe Vermögen, die da einer Besteuerung entzogen werden. Also eine Vermögensteuer gibt es bei uns ja schon sowieso mal nicht, was ich durchaus aus verteilungspolitischen Gesichtspunkten problematisch finde, und es gibt aber nach wie vor bei uns eine Kapitalertragssteuer, auch diese wird nicht gezahlt. Das ist was anderes als die Frage, ob Einkommen besteuert werden, darüber reden wir hier gar nicht.

Ricke: Na, schauen wir uns mal die Vermögensteuer an: Jetzt hat jemand sein Leben lang gearbeitet, hat ein Vermögen gebildet und möchte selbst darüber entscheiden, was mit dem Geld gemacht wird, das er sich vielleicht fürs Alter zurückgelegt hat, und der kann doch dann wirklich mit dem Geld tun, was er will, meinetwegen auch auf einem Konto in Singapur.

Liebert: Wenn er sein Geld für die Altersvorsorge anlegt, zum Beispiel in einer Lebensversicherung, in einer Rentenversicherung oder hier in einem deutschen Konto, dann ist dem natürlich unbenommen, damit zu tun, was er will, das nimmt ihn ja keiner. Also wenn wir von einer Vermögensbesteuerung reden, dann reden wir nicht von so kleineren Ersparnissen oder mittleren Ersparnissen, die einer Altersversorgung dienen, sondern da reden wir von Milliardenvermögen.

Also ich will ja gar nicht sagen, dass eine Million sonderlich viel Geld ist, davon kann man vielleicht zwei Häuser kaufen und sich einen ordentlichen Platz im Altersheim finanzieren, ich rede davon, dass es eine wachsende Zahl von Vermögensmilliardären gibt oder Multimillionären, die durchaus zur Kasse gebeten werden könnten, wenn es darum geht, das Umfeld, in dem sie ihre Vermögen erst bilden konnten, auch mit zu finanzieren. Und darüber hinaus kommt ja auch dazu, dass diese Riesenvermögen, von denen ich rede, dass diese Riesenvermögen ja erst in den letzten Jahrzehnten so gigantisch groß geworden sind, also dass hier auch eine Umverteilung nach oben stattgefunden hat, die es zu bremsen oder der es entgegenzuwirken gilt.

Ricke: Aber wenn man jetzt tatsächlich diesen Superreichen das ganze Geld abknöpfen würde, es an die breite Bevölkerung verteilen, an den Staat mit der Begründung, dann kann man das Geld auch ausgeben – Sie wissen, was dann passiert: Dann kriegen wir eine galoppierende Inflation und entwerten Rentenversicherung, Lebensversicherung, Sparguthaben. Eigentlich müssten wir den Reichen doch dankbar dafür sein, dass sie dieses Geld dem Kreislauf entziehen.

Liebert: Also wenn hier jemand mit einer Inflation droht, dann die Krisenbekämpfung, die momentan in der Eurozone herrscht, nämlich dass die Zentralbanken massenhaft Geld in den Umlauf bringen, und nicht etwa damit, dass das Vermögen, das besteuert werden könnte, also dass die Steuereinnahmen aus den Vermögen für sinnvolle Zwecke investiert werden.

Ricke: Wir haben in der Europäischen Union, auch in der Eurozone, nach wie vor einen gewissen Steuerwettbewerb. Das heißt, es gibt Länder, in denen man nicht so viel Steuern zahlen muss wie in den anderen, entsprechend gibt es in der Wirtschaft Ausweichbewegungen. Es gibt die Forderung nach mehr Steuergleichheit in Europa, aber wir wissen auch, dass das so schnell nicht funktionieren kann. Was sagt denn der Pragmatismus?

Liebert: Der Pragmatismus sagt, dass es da durchaus schon Diskussionen gibt. Ich glaube, dass die Politik gerade auch in Europa mittlerweile anerkannt hat, dass der Steuerwettbewerb, der Standortwettbewerb, wo es um reale Arbeitsplätze geht, die da verlagert werden, wo es darum geht, dass ganze Staaten pleite gehen, ausgehungert werden finanziell, dass das nicht zu vergleichen ist mit dem Wettbewerb von, sagen wir mal, Einzelhändlern beim Preis, und dass man diesem Wettbewerb entgegenwirken muss.

Also dieser Trend, der so seit den späten 90ern eingesetzt hat, dass sich die verschiedenen europäischen Staaten mit immer niedrigeren Steuersätzen gegenseitig zu unterbieten versuchen, dieser Trend ist mittlerweile einigermaßen gestoppt. Worum es jetzt gehen muss, ist ein Unternehmenssteuersystem zu finden, vielleicht auch eine gemeinsame Einkommensteuer, Mindeststeuersätze, um hier gemeinsam ohne einen fehlgeleiteten Wettbewerb wieder zu etwas höheren Steuereinnahmen zu kommen.

Ricke: Glauben Sie wirklich, dass alle mitmachen, also auch die Briten und die Luxemburger?

Liebert: Da sprechen Sie natürlich ein großes Problem damit an. Ich glaube, dass es in der Europäischen Union zukünftig mehr Fälle geben wird, wo eine Kerngruppe voran geht, denn auf den Euro konnten sich ja die Briten zum Beispiel auch nicht einigen, müssen sie auch nicht, und auf ein gerechteres Steuersystem kann man auch zunächst mal ohne die Briten vorgehen. Ich glaube, dass sich das aber langfristig durchsetzen wird.

Ricke: Nicola Liebert, sie ist die Autorin des Buches "Steuergerechtigkeit in der Globalisierung – wie die steuerpolitische Umverteilung von unten nach oben gestoppt werden kann". Vielen Dank, Frau Liebert, und noch einen guten Tag!

Liebert: Ihnen auch! Tschüss!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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