"Wir sind in die Sowjetzeiten zurückversetzt"
Nach Ansicht des Historikers Bernd Bonwetsch ist bei der Präsidentenwahl in Russland Dmitri Medwedew, der Wunschkandidat Putins, konkurrenzlos. Unter den Kandidierenden sei er noch der seriöseste Politiker. Die Opposition habe allerdings auch keine Chance gehabt, einen Kandidaten aufzustellen. Da alle Russen mit einem Sieg Medwedews rechnen, wollen viele erst gar nicht zur Wahl gehen, so Bonwetsch.
Lesen Sie im Folgenden Auszüge aus dem Gespräch:
Vladimir Balzer: Eigentlich scheint alles klar zu sein. Der neue russische Präsident wird mit äußerst hoher Wahrscheinlichkeit Dmitri Medwedew heißen, ein enger Vertrauter von Putin. Putin selbst kann laut der russischen Verfassung nicht noch einmal antreten.
Am Sonntag soll in Russland gewählt werden und die Neugier über den Ausgang hält sich bei vielen Beobachtern in Grenzen. Denn die Opposition hat kaum eine faire Chance. Putin und seine Getreuen - so sagen viele - kontrollieren flächendeckend die Medien und die Öffentlichkeit. Opposition wird eingeschüchtert, weggedrängt, oder gleich ganz verboten.
In Moskau bin ich jetzt verbunden mit Bernd Bonwetsch, Chef des deutschen Historischen Instituts, ein vor drei Jahren gegründetes Zentrum für die russische Deutschland- und die deutsche Russlandforschung. Schönen guten Tag, Herr Bonwetsch!
Bernd Bonwetsch: Guten Tag!
Balzer: Hegen Sie eigentlich noch so etwas wie Neugier auf diese Wahl?
Bonwetsch: Neugierig sind alle, aber es dreht sich eigentlich nur noch darum, ob die Leute zur Wahl gehen beziehungsweise, wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird.
Balzer: Gibt es denn genug Gründe, zur Wahl zu gehen?
Bonwetsch: Ach, wenn ich mir die Kandidaten so anschaue, die zur Wahl stehen, ich glaube, ich würde auch Medwedew wählen.
Balzer: Ja, warum?
Bonwetsch: Weil der der einzige seriöse Politiker unter denen ist. Das Verfahren ist das, was uns stört, nicht die Personen, würde ich sagen.
Balzer: Welches Verfahren?
Bonwetsch: Na, dass die Opposition nicht zugelassen wird. Hier soll alles 150prozentig sichergestellt werden, und das ist ein Handicap. Ich habe mit vielen gesprochen, die sagten, nee, sie werden nicht wählen, sie würden auch für Medwedew stimmen, aber sie gehen gar nicht wählen, er wird es ja sowieso. Und das ist ein Problem für die Machthaber hier.
Balzer: Kann man überhaupt von einer Wahl sprechen?
Bonwetsch: Nein, wir sind in die Sowjetzeiten zurückversetzt, wo Abstimmen und Wahlen zwei verschiedene Dinge waren. Sie konnten abstimmen, aber nicht wählen, und das ist im Grunde heute genau das gleiche. Man muss ja sehen: Es wird niemand gezwungen, für Medwedew das Kreuz zu machen. Worum es geht, das ist wirklich eine Mobilisierung für den Urnengang, das wird wie in Sowjetzeiten gehandhabt, die Firmen werden geschlossen zur Wahl geschafft, es wird ein unglaublicher Druck auf die Hierarchie aller möglichen Beamten ausgeübt, die Leute zur Wahl zur bringen. (…)
Balzer: Was sagen die Russen denn selbst zu diesen Vorgängen?
Bonwetsch: Ach, die nehmen das alles nicht so fürchterlich ernst. (…) Die sind irgendwie zufrieden mit der allgemeinen Lage. Der Medwedew ist sicherlich auch einer der möglichen Kandidaten. (…)
Balzer: Von Wahlkampf im klassischen Sinne, nach westlichen Vorstellungen kann man also gar nicht reden? Gibt es Plakate, Werbespots, Auftritte auf der Straße, was findet da statt?
Bonwetsch: Also wenn überhaupt, dann findet das im Fernsehen statt. Aber der potentielle Nachfolger Putins macht da gar nicht mit. Er macht seinen Wahlkampf als erster stellvertretender Ministerpräsident, das heißt, er reist jeden Tag irgendwo hin. (…) Dann fährt er in irgendeine Fabrik und schaut die Flugzeuge an, die die bauen oder so, und das wird in den Nachrichten gesendet, das gilt gar nicht als Wahlsendung. Aber die anderen treten im Fernsehen auf und die haben ihre bestimmten Zeiten, die kriegen sie zugeteilt im öffentlichen Fernsehen und dann halten die 'ne Rede für sich und dann hat sich das. Das findet praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Balzer: Haben denn die oppositionellen Kräfte noch irgendeine Stimme? Was macht Gari Kasparow zum Beispiel im Moment?
Bonwetsch: Ich weiß nicht, ob er grade wieder festgenommen worden ist… Kasparow ist ja kein offizieller Kandidat, weil die haben sich gar nicht bemüht, dieses Quorum zu erfüllen, das ist ja auch völlig unmöglich. Jeder weiß, dass man hier nicht zwei Millionen echte Stimmen kriegen kann, was man haben muss, wenn man nicht Kandidat einer in der Duma vertretenen Partei ist. Die jetzt Kandidierenden bis auf den Bogdanow sind ja durch ihre Parteien vorgeschlagen.
Balzer: (…) Historiker sagen ja immer wieder, Russland habe keine demokratischen Erfahrungen, auch nie machen können. Generationen von Russen sind in autoritären Strukturen groß geworden. Sind wir vielleicht im Westen zu ungeduldig, gibt es vielleicht eine langfristige Entwicklung zu demokratischen Strukturen?
Bonwetsch: Ich will das nicht garantieren, aber ich halte das durchaus für möglich. (…) Nur eins muss man auch sagen: Diese Gesellschaft hier, die verlangt das nicht von ihrer Regierung, sie würde das akzeptieren, (…) aber sie verlangt es nicht als mündige Staatsbürgerschaft von ihrer Regierung. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass unter Medwedew vielleicht, nachdem sich zeigt, dass nun alles ruhig geht, dass da vielleicht doch etwas Liberalisierung kommt, dass man nicht mehr so eine Angst vor Spontaneität hat. (…) Da wird sich die Staatlichkeit zivilisieren und die Chancen, dass es irgendwann mal besser wird, die würde ich auf keinen Fall ausschließen.
Vladimir Balzer: Eigentlich scheint alles klar zu sein. Der neue russische Präsident wird mit äußerst hoher Wahrscheinlichkeit Dmitri Medwedew heißen, ein enger Vertrauter von Putin. Putin selbst kann laut der russischen Verfassung nicht noch einmal antreten.
Am Sonntag soll in Russland gewählt werden und die Neugier über den Ausgang hält sich bei vielen Beobachtern in Grenzen. Denn die Opposition hat kaum eine faire Chance. Putin und seine Getreuen - so sagen viele - kontrollieren flächendeckend die Medien und die Öffentlichkeit. Opposition wird eingeschüchtert, weggedrängt, oder gleich ganz verboten.
In Moskau bin ich jetzt verbunden mit Bernd Bonwetsch, Chef des deutschen Historischen Instituts, ein vor drei Jahren gegründetes Zentrum für die russische Deutschland- und die deutsche Russlandforschung. Schönen guten Tag, Herr Bonwetsch!
Bernd Bonwetsch: Guten Tag!
Balzer: Hegen Sie eigentlich noch so etwas wie Neugier auf diese Wahl?
Bonwetsch: Neugierig sind alle, aber es dreht sich eigentlich nur noch darum, ob die Leute zur Wahl gehen beziehungsweise, wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird.
Balzer: Gibt es denn genug Gründe, zur Wahl zu gehen?
Bonwetsch: Ach, wenn ich mir die Kandidaten so anschaue, die zur Wahl stehen, ich glaube, ich würde auch Medwedew wählen.
Balzer: Ja, warum?
Bonwetsch: Weil der der einzige seriöse Politiker unter denen ist. Das Verfahren ist das, was uns stört, nicht die Personen, würde ich sagen.
Balzer: Welches Verfahren?
Bonwetsch: Na, dass die Opposition nicht zugelassen wird. Hier soll alles 150prozentig sichergestellt werden, und das ist ein Handicap. Ich habe mit vielen gesprochen, die sagten, nee, sie werden nicht wählen, sie würden auch für Medwedew stimmen, aber sie gehen gar nicht wählen, er wird es ja sowieso. Und das ist ein Problem für die Machthaber hier.
Balzer: Kann man überhaupt von einer Wahl sprechen?
Bonwetsch: Nein, wir sind in die Sowjetzeiten zurückversetzt, wo Abstimmen und Wahlen zwei verschiedene Dinge waren. Sie konnten abstimmen, aber nicht wählen, und das ist im Grunde heute genau das gleiche. Man muss ja sehen: Es wird niemand gezwungen, für Medwedew das Kreuz zu machen. Worum es geht, das ist wirklich eine Mobilisierung für den Urnengang, das wird wie in Sowjetzeiten gehandhabt, die Firmen werden geschlossen zur Wahl geschafft, es wird ein unglaublicher Druck auf die Hierarchie aller möglichen Beamten ausgeübt, die Leute zur Wahl zur bringen. (…)
Balzer: Was sagen die Russen denn selbst zu diesen Vorgängen?
Bonwetsch: Ach, die nehmen das alles nicht so fürchterlich ernst. (…) Die sind irgendwie zufrieden mit der allgemeinen Lage. Der Medwedew ist sicherlich auch einer der möglichen Kandidaten. (…)
Balzer: Von Wahlkampf im klassischen Sinne, nach westlichen Vorstellungen kann man also gar nicht reden? Gibt es Plakate, Werbespots, Auftritte auf der Straße, was findet da statt?
Bonwetsch: Also wenn überhaupt, dann findet das im Fernsehen statt. Aber der potentielle Nachfolger Putins macht da gar nicht mit. Er macht seinen Wahlkampf als erster stellvertretender Ministerpräsident, das heißt, er reist jeden Tag irgendwo hin. (…) Dann fährt er in irgendeine Fabrik und schaut die Flugzeuge an, die die bauen oder so, und das wird in den Nachrichten gesendet, das gilt gar nicht als Wahlsendung. Aber die anderen treten im Fernsehen auf und die haben ihre bestimmten Zeiten, die kriegen sie zugeteilt im öffentlichen Fernsehen und dann halten die 'ne Rede für sich und dann hat sich das. Das findet praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Balzer: Haben denn die oppositionellen Kräfte noch irgendeine Stimme? Was macht Gari Kasparow zum Beispiel im Moment?
Bonwetsch: Ich weiß nicht, ob er grade wieder festgenommen worden ist… Kasparow ist ja kein offizieller Kandidat, weil die haben sich gar nicht bemüht, dieses Quorum zu erfüllen, das ist ja auch völlig unmöglich. Jeder weiß, dass man hier nicht zwei Millionen echte Stimmen kriegen kann, was man haben muss, wenn man nicht Kandidat einer in der Duma vertretenen Partei ist. Die jetzt Kandidierenden bis auf den Bogdanow sind ja durch ihre Parteien vorgeschlagen.
Balzer: (…) Historiker sagen ja immer wieder, Russland habe keine demokratischen Erfahrungen, auch nie machen können. Generationen von Russen sind in autoritären Strukturen groß geworden. Sind wir vielleicht im Westen zu ungeduldig, gibt es vielleicht eine langfristige Entwicklung zu demokratischen Strukturen?
Bonwetsch: Ich will das nicht garantieren, aber ich halte das durchaus für möglich. (…) Nur eins muss man auch sagen: Diese Gesellschaft hier, die verlangt das nicht von ihrer Regierung, sie würde das akzeptieren, (…) aber sie verlangt es nicht als mündige Staatsbürgerschaft von ihrer Regierung. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass unter Medwedew vielleicht, nachdem sich zeigt, dass nun alles ruhig geht, dass da vielleicht doch etwas Liberalisierung kommt, dass man nicht mehr so eine Angst vor Spontaneität hat. (…) Da wird sich die Staatlichkeit zivilisieren und die Chancen, dass es irgendwann mal besser wird, die würde ich auf keinen Fall ausschließen.