Ilona Kickbusch leitet das von ihr gegründete globale Gesundheitsprogramm am Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung in Genf. Außerdem ist sie Honorarprofessorin an der Berliner Charité und langjährige Beraterin der WHO für Fragen zur globalen Gesundheitsversorgung.
Gesundheitsexpertin Kickbusch über weltweite Impfstoffverteilung
Der globale Norden müsse bei der Impfstoffverteilung stärker kooperieren, meint Kickbusch. © picture alliance / Eibner-Pressefoto
"Man hat die Entwicklungsländer alleingelassen"
29:39 Minuten
Während die Impfquote der G7-Staaten bei 66 Prozent liegt, warten viele in ärmeren Ländern auf die erste Dosis. Um das Problem zu lösen, brauche es neue Regelungen und viel mehr globale Verantwortung, sagt die Gesundheitsexpertin Ilona Kickbusch.
Für die globale Impfgerechtigkeit sei eine ganze Gruppe von Handlungsträgern verantwortlich, betont Ilona Kickbusch. Die Expertin für globale Gesundheit meint damit bestimmte Hersteller, die ihre Lizenz nicht herausgegeben hätten, und reiche Länder, die den Impfstoff nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt haben. Als klar wurde, wie stark sich die Pandemie in reichen Ländern verbreite, habe sich der Impfnationalismus hier verstärkt. "Man hat die Entwicklungsländer allein gelassen", sagt Kickbusch.
Gleichzeitig fehle es an Transparenz bei großen Impfstoffherstellern. Darum sei unklar, ob auch die Anträge von ärmeren Ländern rechtzeitig berücksichtigt wurden, erklärt Kickbusch. "Plötzlich verhandeln Firmen direkt mit verzweifelten Staatschefs", sagt die Gesundheitsexpertin. Die politische Balance sei bei diesem Geschäft "aus den Fugen geraten". Aus ihrer Sicht sei es auch nicht möglich, das Problem bei der weltweiten Impfstoffverteilung durch Entwicklungsarbeit und Spenden zu lösen.
EU und Deutschland mit ambivalenter Rolle
Die Konferenz, auf der die Welthandelsorganisation bis zum 3. Dezember über die zeitweise Patentfreigabe von mRNA-Vakzinen neu abstimmen sollte, wurde aufgrund der Omikron-Variante vertagt. Über den Antrag von Südafrika und Indien verhandele man seit anderthalb Jahren, sagt Kickbusch, "und die Verhandlungen kommen einfach nicht voran". Eine Aussetzung der Patente wäre ein wichtiger Schritt, um die weltweiten Produktionskapazitäten für mRNA-Vakzine auszuweiten.
Die Konferenz, auf der die Welthandelsorganisation bis zum 3. Dezember über die zeitweise Patentfreigabe von mRNA-Vakzinen neu abstimmen sollte, wurde aufgrund der Omikron-Variante vertagt. Über den Antrag von Südafrika und Indien verhandele man seit anderthalb Jahren, sagt Kickbusch, "und die Verhandlungen kommen einfach nicht voran". Eine Aussetzung der Patente wäre ein wichtiger Schritt, um die weltweiten Produktionskapazitäten für mRNA-Vakzine auszuweiten.
Kritiker fürchten hingegen, dass durch die Freigabe der Patente Innovationen bei Impfstoffen abwürgen würden. Ilona Kickbusch entgegnet: "Es ist genau das gleiche Argument, mit dem man den Zugang zu Aids-Medikamenten sichern wollte." Dass ein breiterer Zugang zu den Medikamenten die Innovationskraft der Hersteller gehemmt hätte, sei ihr nicht bekannt.
Vor allem Deutschland und die EU argumentierten gegen die Patentfreigabe. Gleichzeitig seien sie mit die größten Geber bei der COVAX-Initiative, ergänzt Kickbusch. Das Programm, das mittlerweile zu einem Verteilungsmechanismus für ärmere Länder geworden ist, hat bisher etwa 600 Millionen Impfdosen an Länder mit zu wenigen Impfstoffen geliefert. "Das ist viel weniger als man gehofft hat", sagt Kickbusch. Demgegenüber stünden die 2,9 Milliarden Impfstoffe, die die G7-Staaten im Überschuss hätten.
Neues Regelwerk und mehr Verantwortung großer Industriestaaten
Um die Interessen der Pharma-Hersteller und der großen Wirtschaftsräume mit den globalen Gesundheitsanliegen zusammenzubringen, müsse man "verhandeln, aber auch Druck ausüben", sagt Kickbusch. Dabei würden die Länder des globalen Südens derzeit stärker ihre Stimme erheben, der globale Norden müsse stärker kooperieren.
Um die Interessen der Pharma-Hersteller und der großen Wirtschaftsräume mit den globalen Gesundheitsanliegen zusammenzubringen, müsse man "verhandeln, aber auch Druck ausüben", sagt Kickbusch. Dabei würden die Länder des globalen Südens derzeit stärker ihre Stimme erheben, der globale Norden müsse stärker kooperieren.
Eine Chance dafür biete sich in dem Pandemievertrag, den die WHO in den kommenden Jahren aufsetzen will. Doch der alleine könne die globale Ungleichbehandlung nicht lösen, sagt Kickbusch. Auch die WTO sei hierfür ein wichtiger Akteur. "Wenn wir jetzt nicht ein neues Regelwerk schaffen, dann werden wir alle den Preis bezahlen", betont die Gesundheitsexpertin. Dafür brauche es auch sehr viel mehr globale Verantwortung aus den reichen Ländern.