"Wir sind in einer sehr schwierigen Lage"

Erwin Sellering im Gespräch mit Nana Brink |
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering hat von der Bundeskanzlerin gefordert, die Finanzierung der Werften zur Chefsache zu machen. Es gehe nun um die Frage, ob es in Deutschland noch Schiffbau geben könne, erklärte der SPD-Politiker.
Nana Brink: Kaum eine Werftenbelegschaft in Deutschland hat in den letzten Monaten ein derartiges Wechselbad der Gefühle über sich ergehen lassen müssen wie die Mitarbeiter der Nordic-Werften in Wismar und Warnemünde. Mal waren die Arbeitsplätze von der Pleite bedroht und weg, dann wieder gerettet und dann wieder auch nicht. Zumindest bis zum Sommer können die 2400 Schiffbauer nun weiter beschäftigt werden.

Ich spreche jetzt mit Erwin Sellering, dem SPD-Ministerpräsidenten in Mecklenburg-Vorpommern. Einen schönen guten Morgen, Herr Ministerpräsident.

Erwin Sellering: Schönen guten Morgen.

Brink: Gestern gab es ein Krisentreffen mit dem russischen Investor und Ihnen. Die Transfergesellschaft für die Mitarbeiter der Werften ist bis zum 31. Juli verlängert. Heißt das, dass die Werften gerettet sind?

Sellering: Nein, natürlich nicht. Wir sind in einer sehr schwierigen Lage. Diese Werften hatten ja Sonderprobleme durch den früheren russischen Eigner. Aber alle anderen Werften in der ganzen Welt haben große Probleme, und zwar vor allem bei der Finanzierung. Diese Werften sind wettbewerbsfähig, was Preis und Qualität angeht. Das gilt für alle Werften in Norddeutschland.

Aber es gilt auch für alle Werften in Norddeutschland: Wenn Aufträge kommen, müssen sie finanziert werden. Das ist zurzeit in diesen Krisenzeiten fast unmöglich ohne staatliche Hilfen. Deshalb brauchen wir auch große Unterstützung, nicht nur durch die Landesregierung, die das tut, sondern auch durch die Bundesregierung. Wir sind gestern ein gutes Stück weitergekommen in der Finanzierung, aber noch lange nicht am Ziel.

Brink: Sie sind ein gutes Stück weitergekommen, aber Sie haben ja auch gesagt, die Transfergesellschaft für die Mitarbeiter wird nur bis zum Juli verlängert, wenn der Investor sich dazu äußert, wie die Finanzierung denn passiert, und das hat er ja offensichtlich nicht getan.

Sellering: Bei dem Investor muss man sagen, er hat alles gebracht, was man in diesen Zeiten als Investor bringen kann. Wir haben ja schlechte Erfahrungen mit einem früheren Investor. Mit diesem können wir zufrieden sein. Das geht ja auch zurück auf ein Gespräch zwischen Merkel und Medwedew, die damals versucht haben herauszufinden, mit wem haben wir es da zu tun, können wir uns auf die russische Seite verlassen, dass da wirklich eine gute Zusammenarbeit erfolgt, und da sind alle Signale auf grün gestellt worden. Das ist so.

Aber was wir brauchen ist eine Finanzierung, und dazu brauchen wir, dass der Bund Bedingungen, Finanzierungsbedingungen zur Verfügung stellt, die konkurrenzfähig sind. Italien und Frankreich tun sehr viel für ihre Werften und wenn wir da bei der Finanzierung nicht konkurrenzfähig sind, können wir keine Aufträge bekommen. Das ist das, worum es langfristig geht.

Wir haben gestern in einer großen Runde zusammengesessen, alle Beteiligten haben sich bewegt, haben etwas getan, sind bis an die äußerste Grenze gegangen, sodass ich davon ausgehe, dieser eine Auftrag wird kommen, wird gesichert werden, wird finanziert werden, aber langfristig brauchen wir andere Bedingungen.

Deshalb ist meine Forderung an die Bundesregierung, an die Bundeskanzlerin, das zur Chefsache zu machen. Es geht darum, kann es in Deutschland, in Norddeutschland, noch Schiffbau geben, und das wird nur gehen, wenn in diesen Zeiten der Krise bei der Finanzierung massiv geholfen wird.

Brink: Aber die Bundesregierung hat doch sehr deutlich signalisiert, ihr bekommt keinen Pfennig mehr. Sie haben gefordert, die Kanzlerin, die ja immerhin ihren Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern hat, soll nun die Werftenkrise zur Chefsache machen. Fühlen Sie sich im Stich gelassen?

Sellering: Das, was der Koordinator gemacht hat, was die Bundesregierung auf der Arbeitsebene getan hat, dafür kann ich mich nur bedanken. Innerhalb der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Instrumentarien, die wir zurzeit haben, sind alle bis an die Grenze gegangen.

Brink: Aber sie haben doch kein Geld rausgerückt?

Sellering: Nein, die haben im Moment noch kein Geld rausgerückt, und vor allen Dingen muss es darum gehen: Es geht ja nicht um dieses eine Schiff, sondern wir werden ja weitere akquirieren müssen. Um die Werft auszulasten, brauchen wir den Bau vieler Schiffe, und dann muss die Finanzierung viel leichter sein, als das jetzt passiert ist.

Wir können ja nicht jedes Mal für einen Monat zusammensitzen, ständig Krisengespräche führen, jeder muss das Letzte zusammenkratzen, um ein Schiff zu finanzieren, sondern wir brauchen langfristig bessere Bedingungen. Das ist jedem klar, und das kann der Koordinator alleine das nicht entscheiden, sondern das muss dann wirklich Chefsache sein. Es geht wirklich um die industriepolitische Frage, ist in Deutschland noch Schiffbau möglich, und das wird nur dann der Fall sein, wenn wir die Werften über die Krise bringen, und in dieser Krise geht es nicht um gute Arbeit, geht es nicht um die Akquirierung von Aufträgen, sondern es geht darum, die zu finanzieren.

Da muss man auch ganz klar an die Banken appellieren, die sehr zurückhaltend sind im Schiffbau. Bund und Länder haben ja ganz massiv bei den Banken geholfen, und sie haben das eben nicht getan in der Erwartung, dass die dann mehr Gewinne machen, sondern in der Erwartung, dass die Banken ihre Aufgabe erfüllen und der Wirtschaft Kredite zur Verfügung stellen, und das tun sie im Schiffbau jetzt nicht. Auch da muss die Bundeskanzlerin aktiv werden.

Brink: Also haben wir den Schwarzen Peter gefunden, es sind die Banken?

Sellering: Ich will mal ein kleines Signal sagen. Gestern haben wir zusammengesessen, und es war eine sehr gute Runde: alle Beteiligten, die IG Metall, Betriebsräte und so weiter. Aber in der Tat ist es so: Es fehlt an der Finanzierung. Dazu brauchen wir die Banken, und wir brauchen die Bundesregierung. Sonst wird es langfristig nicht weitergehen.

Brink: Das ist ja schön, dass sie sich alle einig waren, aber die Menschen auf den Werften fragen sich ja, was passiert denn über den Sommer hinaus. Was sagen Sie denen?

Sellering: Die werde ich heute besuchen, beide Werften, mit beiden Belegschaften sprechen, und wir haben denen einiges zugemutet, indem wir die Transfergesellschaft zunächst nicht verlängert haben, aber wir brauchen auch einfach diesen Druck auf alle Beteiligten, dass allen klar sein muss, wenn sie jetzt nicht handeln, kommen wir nicht voran. Das hat sich gestern als positiv ausgewirkt. Jetzt haben wir gesagt, wir werden die Transfergesellschaft ein letztes Mal verlängern.

Man kann sie insgesamt ein Jahr lang haben, das ist am 31. 7. der Fall, dann ist Schluss. Das weiß jeder Beteiligte. Wir haben gestern verabredet, auch mit dem Investor, dass jetzt klarer sein wird, möglichst bald klar sein wird, wer von den 2400 Beschäftigten hat noch eine Chance auf der Werft und wer muss sich jetzt dringend umsehen in anderen Bereichen, in Rostock zum Beispiel.

Dabei werden wir auch sehr massiv helfen, dann andere Arbeit zu vermitteln, aber das ist dann auch jetzt das klare Ziel dieser Transfergesellschaft, dass die Menschen wissen, ich muss mich jetzt um Arbeit bemühen. Da werden wir alle Unterstützung geben, aber das ist jetzt auch klar: eine traurige Wahrheit, aber jedenfalls Klarheit.

Brink: Mecklenburg-Vorpommern leidet ja an einem Mangel an Schwerindustrie und Gewerbe. Die Werften sind der letzte größte Standort, 2000 Mitarbeiter, von denen ja nicht alle gehalten werden können. Ist dies nicht auch ein Identitätsverlust?

Sellering: Schiffbau und Mecklenburg-Vorpommern, das gehört unbedingt zusammen. Das ist so wie Automobilbau in anderen Ländern. Unsere Autos sind die Schiffe, und die müssen weiter gebaut werden. Was einen so umtreibt ist einfach, wir sind absolut konkurrenzfähig. Das sind moderne Werften mit hervorragenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Das Hindernis ist im Moment, dass eben die Finanzierung nicht gesichert wird. Bei Schiffen ist das immer kompliziert gewesen, aber im Moment fast unmöglich, und wenn wir da Hilfe bekommen, dann bin ich sicher: Wenn die Werften über die Krise kommen, werden sie weiter ganz vorne mit dabei sein, ohne Staatshilfe wettbewerbsfähig. Aber sie brauchen die Hilfe in der Krise und deshalb der Appell an die Bundesregierung, da noch mehr zu helfen, der Appell an die Banken zu sagen, das ist lebensfähig auf Dauer, helft jetzt.

Brink: Erwin Sellering (SPD), Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern. Wir danken für das Gespräch.

Sellering: Vielen Dank.