"Wir sind keine Thüringer und keine Sachsen"

Von Michael Frantzen |
Der kleinste Landkreis des Freistaats Thüringen - Sonneberg - ist eine prosperierende und stolze Region. Jetzt soll der Landkreis durch eine Gebietsreform die Eigenständigkeit verlieren. Nicht mit uns, sagen viele Sonneberger und drohen sogar damit, nach Bayern zu wechseln.
Tür geht auf, Musik und Unterhaltung im Hintergrund

"Setzen sie sich irgendwo hin. Suchen se sich nen Platz."

Danke.

"Sie werden staunen."

In Sonneberg.

"Das is ganz gut. Es isch da Bratwurscht Blues."

"Wir treffen uns jeden Mittwoch hier, musikalisch. Nachmiddag. Mit Wanderliedern. Auch Sonneberger Liedern."

Singen tun sie gerne hier. Besonders in der "Blockhütte" - der Gaststätte oben auf dem Berg, die man vor lauter Nadelwald ringsherum fast übersehen könnte. Draußen scheint die Sonne, drinnen haben es sich gut dreißig Damen und Herren fortgeschrittenen Alters an rustikalen Bänken und Tischen bequem gemacht. Sie trägt vorzugsweise bunt, er tendenziell gedeckte Farben. So wie Eckhard Resch, seines Zeichens Organisator des Lieder-Nachmittages. Hart, aber herzlich - lautet das Motto des pensionierten Elektrikers. Ist er nicht alleine mit. Schließlich ist der Sonneberger an und für sich:

"Etwas direkt. Etwas vulgär, in einigen Dingen. Aber: Diese Art ist nicht so gemeint. Wenn wir (lacht) diese Ausdrücke nach Norden bringen, da is natürlich schon da Deufl los."

Norden - das ist für den Sonneberger im Allgemeinen und Herrn Resch im Speziellen die Gegend auf der anderen Seite des Thüringer Waldes; hinter den Bergen. Jena, Weimar. Und ganz schlimm: Erfurt, die Landeshauptstadt. Da verstehen sie meist Bahnhof, wenn der Sonneberger nur Fünwe gerade lassen will.

"Ein brudaler Ausdruck: Legg mich am Arsch! Nen ganz brudaler Ausdruck. Wenn da irgendwas is und da sagta, wenn er rein kommt zur Wirtschaft: Legg mich am Arsch! Das nimmt der nich auf als absolute Beleidigung."

Im südöstlichen Zipfel des Thüringer Waldes. Gut 60.000 Menschen leben hier, verteilt auf gut 433 Quadratkilometer. Sonneberg ist damit der kleinste aller 17 Thüringer Landkreise. Dem Selbstbewusstsein tut das keinen Abbruch. Haben ja auch einiges zu bieten: Die wildromantische Natur mit ihren Almen und tiefen Wäldern, die fast ein bisschen schon an die Alpen erinnern; verwinkelte Fachwerkhäuser wie aus dem Bilderbuch. Eckhard Resch lässt sich auf einen Stuhl am Fenster der "Blockhütte" fallen. Alles ganz wunderbar, wenn da nicht die Erfurter wären. Sinniert der Ur-Sonneberger - und greift zu seinem Pils, einem "Franken-Bräu". Verstehen was vom Brauen - die fränkischen Nachbarn. Der Mann mit dem Hang zur rustikalen Wortwahl wischt sich den Schaum vom Mund. Wenn man so will, ist Franken sein Sehnsuchtsort.

"Ich bin dafür, dass wir nach Franken gehen. Ich bin dafür, weil wir eigentlich nach Franken gehören."

Wenn die Landrätin auf die Barrikaden geht
So wie dem Mundart-Barden geht es etlichen Sonnebergern; besonders seit Anfang des Jahres Pläne der Erfurter Landesregierung die Runde machten, wonach im Zuge einer Gebietsreform die 17 Kreise zu acht Großkreisen fusionieren sollen. Aus Geldmangel. Weil es immer weniger Thüringer gibt. Für Sonneberg würde das bedeuten: Es wäre seine Eigenständigkeit los: Zwangsfusion mit Suhl und umliegenden Kreisen wie Hildburghausen! Nicht nur bei Eckhard Resch kamen die Erfurter Planspiele alles andere als gut an: Auch die Sonneberger Landrätin ging auf die Barrikaden.

"Unsere Landrätin is fundamental - ihre Einstellung. Was sie schon bewegt hat hier! Wenn uns Erfurt keine Luft lässt: Was will man machen? Ich unterstütze sie in vollen Zügen, unsere Landrätin."

Die heißt Christine Zitzmann.

"Landrätin des Landkreises seit 1. Juli 2006."

Vorher saß die wie aus einem Ei gepellte 59-Jährige zwölf Jahre lang im Thüringer Landtag - für die CDU.

"Ich kann mit Fug und Recht sagen, dass die Kontakte der Landrätin zu den einzelnen Ministerien, zur Staatskanzlei, zur Frau Ministerpräsidentin, ausgezeichnet funktionieren. Obwohl ich eine rebellische Landrätin bin, ja. Aber: Die wissen ganz genau: Wenn ich komme, hat alles Hand und Fuß. Und wenn ich komm, sag ich die Wahrheit."

Trotz ihrer "ausgezeichneten Kontakte" hat die Frau mit dem gesunden Selbstbewusstsein von der angedachten Fusion ihres Landkreises mit Suhl und Co nur aus der Presse erfahren. Zitzmann schüttelt in ihrem nicht gerade klein bemessenen Büro über den Dächern Sonnebergs, der Stadt, die genauso heißt wie der Landkreis, den Kopf.

"Wenn man nicht aufhört, über uns zu reden ohne uns, muss man sich Alternativen von vorhinein mit auf die Prüfung nehmen. Nämlich: Wir könnten auch den Südthüringer Raum mit anderen Landkreisen aus dem oberfränkischen Raum zusammenlegen. Das hab ich gesagt, dazu steh ich auch."

Sonneberg auf der Abschussliste: Vielen älteren hier dürfte das bekannt vorkommen. Vor 20 Jahren sollte ihr Landkreis schon einmal seine Eigenständigkeit verlieren. Auch damals protestierten sie - mit Erfolg: Sie durften bleiben, was sie waren: Klein und eigenständig.

Jetzt also wieder. Christine Zitzmann reckt in ihrem Landratsamt, dessen bunte Glasmosaike und der Aufzug der "VEB Sächsische Brücken- und Stahlhochbau Dresden" vom DDR-Erbe künden, das Kinn. So nicht!

"Es geht nicht einfach übern grünen Tisch. Wir sind die letzten, die sich gegen Strukturveränderungen stellen. Siehe Übernahme von Landesaufgaben durch die Landkreise. Richtige große Aufgaben: Vier Neue. Der ganze Schwerbehinderten-Bereich ist dazu gekommen. Der ganze Blinden- und Sehbehinderten-Bereich ist dazu gekommen. Das Veterinäramt ist 100 Prozent bei uns. Und: Eine niegel-nagelneue Zusammensetzung des Umweltamtes."

Haben sie alles in Sonneberg gestemmt; im Landratsamt.

Christine Zitzmann (parteilos), Landrätin des Landkreises Sonneberg
Christine Zitzmann (parteilos), Landrätin des Landkreises Sonneberg© picture alliance / dpa Foto: Andreas Hultsch
Reger Austausch zwischen hüben und drüben
"Bei uns im Haus: Wir arbeiten überregional zusammen. Ja! Landkreis Kronach, Landkreis Lichtenfels, Coburg, Landkreis Hildburghausen, Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Das ist mein näheres Umfeld. Super! Ich wusste eins, vom ersten Tag an: Dass ich für meinen Landkreis zusammen arbeiten muss mit den Nachbarn. Und so hab ich zum Beispiel - das mag ganz banal klingen - sofort die Landräte besucht. Wir sitzen hier in der Region alle im gleichen Boot."

Sekundiert Christian Dressel, der Geschäftsführer des Jobcenters im Landkreis Sonneberg.

"Wenn’s dem Nachbarn schlecht geht, geht’s uns deswegen nicht besser. Sondern: Es ist einfach so: Standort-Entscheidungen - wenn Unternehmen sich ansiedeln, dann freut’s mich natürlich am allerbesten es wär jetzt im Landkreis Sonneberg. Aber die zweitbeste Lösung ist dann sicherlich Neustadt oder Kronach. Oder Coburg. Weil davon profitieren wir auch; von den Arbeitsplätzen, die da entstehen."

Die Grenze, die früher zwei Systeme und heute zwei Bundesländer trennt - für Christian Dressel hat sich das erledigt; funktioniert der Arbeitsmarkt längst Länderübergreifend. Auf 4,9 Prozent ist die Arbeitslosigkeit in seinem Landkreis gesunken. Das ist Rekord in Thüringen.

"Das Besondere ist: In den ersten Jahren waren die Pendler entscheidend. Dass sozusagen für den oberfränkischen Arbeits- und Wirtschaftsmarkt nen Facharbeiter-Reservoir letztendlich der Sonneberger Raum war. Aber mittlerweile hat Sonneberg die höchste Industriedichte in Thüringen. Das heißt, die Wirtschaftsleistung oder die Arbeitsmarktzahlen werden zu einem großen Teil aus eigener Kraft getragen."
Industrie war immer schon wichtig in Sonneberg und Umgebung. Ihre Glanzzeit erlebte die "Spielzeugstadt" Anfang des 20. Jahrhunderts. Mehr als die Hälfte des weltweiten Spielwarenhandels ging auf das Konto einheimischer Hersteller und vor Ort vertretener internationaler Kaufhäuser wie Woolworth. Das war einmal. Spätestens mit dem Untergang der DDR machten die allermeisten Spielzeughersteller dicht. Nicht konkurrenzfähig. Aber es gibt andere Branchen, die genau das sind. Betont Christian Dressel. Allen voran die traditionsreiche Glasindustrie, heute der größte Arbeitgeber des Landkreises. Mögen die Gänge des Jobcenters auch endlos lang und grau sein: Die Perspektiven sind alles andere als düster hier.

Christian Dressel huscht ein Lächeln über die Lippen. Sonst wäre er selbst ja auch nicht zurückgekehrt. Im oberfränkischen Bamberg hat der Enddreißiger studiert, danach in München gearbeitet. Da waren die Mieten so horrend hoch, dass er im Speckgürtel wohnte - und gefühlt täglich mehr Zeit im Auto verbrachte als zu Hause. Jetzt ist er wieder da angekommen, wo seine Reise begann: In der Heimat. Dressel geht zum Fenster seines kleinen Büros und zeigt nach draußen: Da drüben: Die grünen Hügel: Die eine Hälfte - das ist noch Sonneberg. Und quasi im nahtlosen Übergang: Der Frankenwald. Es herrscht ein reger Austausch zwischen hüben und drüben: Gut 10.000 Sonneberger pendeln täglich nach außerhalb, die Mehrheit nach Oberfranken, in die umgekehrte Richtung sind es 6000 Pendler.

"Die Einpendler haben stark zugenommen. Vor zehn Jahren war’s so, dass aus dem Landkreis Kronach beispielsweise knapp 300 Personen eingependelt sind. Jetzt sind’s schon über 1000. Und genauso verhält es sich mit dem Landkreis Coburg. Aber auch mit dem Landkreis Hildburghausen, der ja ein Thüringer Landkreis ist. Da sind wir sozusagen der Westen. Das zeigt praktisch die Stärke. Und letztendlich wird man zum Schluss kommen, dass Sonneberg bereits fest in den oberfränkischen Wirtschafts- und Arbeitsmarkt integriert ist. Wir haben sehr viele Pendler, die in Bayern oder Franken arbeiten."

Gern gesehene Gäste
Weiß auch sie hier zu berichten:

"Ich bin Doris Motschmann. Im wirklichen Leben ein Mathematik- und Physiklehrer."

An der städtischen Regelschule. Wenn sie nicht gerade ihrem Zweit-Job nachgeht. Als Karnevalistin.

"Ich arbeite (lacht) bei den Waschweibern als die Frieda."

Das tut sie nicht alleine.

"Mein Name ist Silvia Otto. Ich arbeite im wirklichen Leben als Sachbearbeiterin, als Bürokauffrau. Ich bin bei den Waschweibern die Hulda - als das nächste Waschweib mit der großen Klappe."

17 Jahre waschen Hulda und Frieda jetzt schon ihre dreckige Wäsche, immer zum Fasching - getreu dem Motto:

"Wir waschen viel, aber sauber wird nix."

Die Waschweiber sind im Fasching gern gesehene Gäste. Sogar in der Landeshauptstadt Erfurt waren sie letztens. An sich ganz nett. Nur: Dass sie aufgefordert wurden, doch bitte schön Hochdeutsch reden - wegen "ihres derben Dialekts": Das fand Frieda nicht ganz so nett.
"Wir sind natürlich Waschweiber, die im Dialekt reden. Wir können jetzt nicht sehr Hochdeutsch reden. Weil das würden unsere Figuren nicht hergeben. Deswegen der Dialekt: Mir plaudern sehr über unere Männe. Und schimwe ganz scho sehr. Denn das Feld is ja nu sehr groß."

Silvia Otto: "Das is hier in der Gegend das Itzgründische. Hier an der Grenze."
Doris Motschmann: "Itzgründisch-Fränkisch."
Otto: "Itzgründisch-Fränkisch."
Motschmann: "Also, bis runter nach Coburg is eigentlich der Dialekt der gleiche. Die Sprache is scho a große Sache, die uns hier vereint."

Auf fränkischer Seite hat Frieda noch niemand gebeten Hochdeutsch zu reden. Man versteht sich. Auch so. Kann man schon mal ins Grübeln kommen.

Motschmann: "Wir lösen uns von Thüringen und gehen nach Franken. Und ich denke, dass das für Erfurt scho a großer Verlust wäre. Man kann’s ja mal spinnen. Warum nicht?! Und es wird ja nu lustigerweise behauptet, dass die Waschweiber das eingerührt hätten. Dass überhaupt die Landrätin und die Bürgermeisterin auf die Idee gekommen sind, dass wir nach Franken gehen. Weil wir eben da unten bestanden haben als Thüringer. Haben dort den Pokal geholt."

Bei der Karnevals-Sendung des Bayrischen Rundfunks, bei:

Motschmann:"Franken sucht den Super-Narr. Eigentlich müsste es ja a Franke sein. Aber: Die Düringer haben’s gepackt. Die Sonneberger!"
Otto: "Genau!"Müssen sich nicht verstecken - die Sonneberger. Findet auch Hulda alias Silvia Otto.

"Früher waren wir ja hier in der Gegend Randgebiet. Jetzt sind wa Mittelpunkt Deutschlands. Das is scho a gewaltiger Sprung. Innerhalb von zwanzig Jahren is diese Industrie... so schnell hat die sich entwickelt und einen Sprung weit gemacht. Wenn ich jetzt ehrlich sein muss: Im tiefsten Bayern sind manche noch nich so weit wie wir. Da muss ich fast scho sagen, sind wir hier fast scho auf der Überholspur."

Ausbremsen lassen sich die Waschweiber nur ungern. Schon gar nicht von denen aus Erfurt. Da sind sie ganz auf einer Linie mit ihrer Landrätin - auch bei der Gebietsreform.

"Die Eigenständigkeit wird scho verloren gehen. Entscheidungen, die unsere Bürgermeisterin oder unsere Landrätin treffen können jetzt noch - die werden sicher eingeschränkt. Man merkt’s ja jetzt schon ein bisschen: Unser Schulamt - das is in Suhl. Das is schon ausgelagert worden. Also, sie sind von der Basis schon a bisschen weiter weg. Und wenn Weiterbildungen sind, dann sind die Weiterbildungen in Meiningen, in Bad Berka, in Eisenach. Das is für uns... es is zwar Süd-Thüringen, aber das sind natürlich Wege, die man zurücklegt."

Wie etliche Sonneberger reagiert Doris Motschmann allergisch darauf, wenn sie das Gefühl hat, unter Wert verkauft zu werden. Sonneberg unter ferner Liefen - das mag die Lehrerin gar nicht. Schließlich hätten sie genügend Pfunde, mit denen sie wuchern könnten. Die Schulen des Landkreises beispielsweise: Vorbildlich! Auch ihre.

"Es sind sehr viele Franken, die in Thüringen lernen. Und dann gibt’s auch Top-Ausbildungsmöglichkeiten. Wir haben halt ein anderes Bildungssystem. Das heißt, wir haben Anschlüsse. Sie können in Bayern, wenn se zum Beispiel ihren qualifizierenden Hauptschulabschluss nich geschafft haben... da gibt’s keine Anschlussmöglichkeit, das noch mal zu machen. Wir geben unseren Schülern die Möglichkeit, das noch mal zu wiederholen."

Zu Gute kommt das auch den Hauptschülern aus Neustadt bei Coburg, der Nachbargemeinde Sonnebergs. Warum auch nicht - meint, Luftlinie keine fünf Kilometer von den Waschweibern entfernt, der Neustädter Oberbürgermeister Frank Rebhan. Grenzenlose Kooperation halt. Auch im Gesundheitsbereich: Die Kliniken vor Ort haben sich zu einem länderübergreifenden Krankenhausverbund zusammengetan. Natürlich hat der fränkische SPD-Mann auch von den Avancen der Sonneberger Landrätin gehört.

"Der erste Gedanke war, dass ich das ne spannende Geschichte finde. Könnt ich mir auch gut vorstellen. Würde auch vieles passen. Allerdings glaube ich nicht dran, solange es die klein-strukturierten Länder gibt; insbesondere bei den neuen Bundesländern. Wenn da mal Vernunft Einzug kommen würde; dass man sich zu leistungsfähigeren Einheiten zusammenschließt - dann könnte sicherlich auch an den Rändern vernünftig justiert werden."

In Sonneberg hören sie das mit den "leistungsfähigen Einheiten" nicht so gerne - schließlich argumentiert die Erfurter Landesregierung ähnlich. Schon gar nicht Thomas Schwämmlein. Wie so viele im Landkreis hat der knorrige Kreis-Heimat-Pfleger Franken fest im Blick.

Waschweiber: Hulda und Frieda
Die "Waschweiber" Silvia Otto und Doris Motschmann© picture alliance / dpa Foto: Bayerischer Rundfunk/Sessner
Schon immer eng miteinander gewesen
"Wenn se hier raus schauen... diese Berge da hinten - das is schon Franken. Zum Greifen nah!"

Die Bindungen zwischen Sonneberg und Franken: Historisch sind sie immer schon eng gewesen. Thomas Schwämmlein kann das in seinem Dienstzimmer hoch über der Stadt sehr anschaulich ausbreiten. Wie die ehemaligen Lieferanten aus dem Coburger Raum nach der Wende in Sonneberg mit alten Lieferbüchern wieder auftauchten; und der fränkische Einschlag des Thüringer Landkreises bei näheren Hinsehen auch heute zum Vorschein kommt. Die Postleitzahl Sonnebergs beispielsweise: 96515. Ist gar nicht Thüringisch, sondern bayrisch. Genauso wie der Aldi. Die Filiale des Discounters gehört zu Aldi Süd - und nicht wie in Thüringen üblich zu Aldi-Nord. Viele Gemeinsamkeiten, doch ob die Sache mit dem Länderwechsel Sinn macht - da ist sich der Heimatpfleger nicht so sicher.

Von wegen: Von einer Randlage zur nächsten. Erfurt mag zwar gefühlt und geografisch weit weg liegen von Sonneberg: München aber noch weiter. Die Landrätin pokere da wohl ein bisschen; bei der Gebietsreform. Mutmaßt Schwämmlein. Keine gute Idee - diese Reform, die maßgeblich von Thüringens umtriebigem Wirtschaftsminister Matthias Machnig vorangetrieben wird, dem Mann, der Thüringen gerne als "Tigerstaat der neuen Bundesländer" verkauft.

"Sie müssen auch eines berücksichtigen: Dass sie nicht so einfach Thüringen mit den anderen neuen Bundesländern vergleichen können. Weil: Der Freistaat Sachsen ist aus dem Flächenstaat Sachsen hervorgegangen. Das ist es aber auch schon seit dem Ausgang des Mittelalters: Nen Flächenstaat. Thüringen ist 1920 ein Flickenteppich gewesen. Das ist also auch Segen und Fluch. Wenn man eine Kreisgebiets- oder andere Reformen in Thüringen macht, ist es auch nicht so einfach durchzuführen wie in den immer schon Flächenstaat gewesenen Staaten Sachen oder Sachsen-Anhalt. Da ist natürlich auch die meines Erachtens die rebellische Haltung auch gegen die Landeshauptstadt manchmal durchaus leichter erklärlich."

Es ist Abend geworden in der Blockhütte. Die ersten Hobbysänger haben das Weite gesucht, eine halbe Stunde noch, dann wird auch Eckhard Resch seine sieben Sachen packen. Und ansonsten das tun, was er immer tut: Klartext reden. An der Gebietsreform lässt Sonnebergs Lokalpatriot Nummer Eins kein gutes Haar. Allein schon die Vorstellung, mit Suhl zu fusionieren! Resch verzieht das Gesicht. Da werden böse Erinnerungen wach; an DDR-Zeiten, als das damals einwohnerstärkere Sonneberg ausgedünnt wurde, damit Suhl Bezirksstadt werden konnte.

"Wir wollen Suhl bestimmt nicht. Wir hatten 33.000 Einwohner in Sonneberg. Nachdem Suhl Bezirksstadt wurde: Alles musste nach Suhl. Das war das rote Suhl, das soll’s auch bleiben. Aber wir wollen da nicht hin. Die haben uns unsere Stadt kaputt gemacht."

Vielleicht wird ja doch noch alles gut. In den letzten Monaten haben sich in der Großen Koalition bei der Gebietsreform Risse aufgetan. Der Juniorpartner SPD setzt zwar weiter darauf, die Zahl der Kreise zu verkleinern. Die CDU aber rudert vorsichtig zurück.

"Gott sei gedankt: Man kümmert sich."

In Erfurt. Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht hat eine Experten-Kommission zur Gebietsreform eingerichtet.

"Ich hab mich zum Beispiel bereit erklärt, in so einer Arbeitsgruppe auch mitzuarbeiten."

Danke, aber Danke nein. Lautete die Antwort aus Erfurt. Christine Zitzmann, die Sonneberger Landrätin, kann es immer noch nicht fassen. Aber vielleicht kommt ja noch der Anruf der Frau Ministerpräsidentin.

"Ich bin jederzeit bereit. Weil: Ich hab die besten Ideen."

Und wenn das nicht fruchtet, könnten sie eventuell doch noch rüber machen - die streitbare Landrätin und ihre Sonneberger. Nach Franken. Auch wenn die rechtliche Hürden für solch einen Grenzüberschritt hoch sind: Laut Artikel 29 des Grundgesetzes muss nicht nur Volkes Stimme gehört werden in den betroffenen Gebieten - per Volksentscheid. Auch die zuständigen Landtage und der Bundestag müssten das Ganze noch absegnen. Schwierig. Aber machbar. Für Christine Zitzmann. Ihrem Ruf als Rebellin ist sie treu geblieben: Anfang April trat sie aus der Thüringer CDU aus.

"Mehr kann ich eigentlich dazu nicht sagen."

Die Waschweiber schon:

"Wir sind wunderbare Menschen."

Im Landkreis Sonneberg.

"Wir nehmen jeden gern auf. Und es gibt immer lecker Essen."

Bratwurst zum Beispiel.

"Ja! Das sieht man uns auch nen bisschen an. Dir nich so sehr, aber mir."
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