"Wir sind nicht intelligenter als die Bevölkerung"
Nach Ansicht der stellvertretenden Linken-Vorsitzenden Halina Wawzyniak sind Volksentscheide nicht grundsätzlich anfälliger für Missbrauch als das Gesetzgebungsverfahren im Parlament. Im Bundestag bestehe das gleiche Problem, sagt Wawzyniak.
Jan-Christoph Kitzler: Es ist eine Zeit spektakulärer Volksentscheide, und das Volk, so scheint es, entscheidet mit Macht. Erst haben sich die Bayern Anfang des Monats für ein strenges Rauchverbot ausgesprochen, und am kommenden Sonntag könnte ein Volksentscheid in Hamburg die Schulreform der schwarz-grünen Regierungskoalition dort kippen. Das facht die Diskussion an über den Sinn von Volksentscheidungen.
Die Gegner halten sie für eine Entmündigung der gewählten Volksvertreter, die Fans hoffen auf mehr Salz in der manchmal etwas faden Demokratiesuppe. Darüber spreche ich mit Halina Wawzyniak, der stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linken und stellvertretenden Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Bundestag. Guten Morgen!
Halina Wawzyniak: Guten Morgen!
Kitzler: Sigmar Gabriel, der SPD-Vorsitzende, hat jüngst gesagt, alle vier Jahre sein Kreuzchen machen sei nicht der Gipfelpunkt der Volksherrschaft. Ich nehme an, Sie stimmen dem zu?
Wawzyniak: Ich stimme dem zu, allerdings wundert mich, warum Herr Gabriel erst am Wochenende darauf kommt und nicht schon vor einer Woche, wo das Thema im Bundestag ganz gut platziert war, auf die Idee gekommen ist, das zu fordern.
Kitzler: Ihre Partei macht sich ja stark für mehr Volksentscheide - eignen sich denn für Sie alle Fragen für einen Volksentscheid?
Wawzyniak: Im Prinzip ja, das sagt die Juristin, aber die Juristin sagt auch, im Prinzip ja heißt, es gibt natürlich Ausnahmen, und das haben wir natürlich formuliert in unserem Gesetzentwurf, was die Gliederung des Bundes angeht, was die Grundsätze angeht, die bei der Verfassung niedergelegt sind, also die sogenannte Ewigkeitsgarantie, das kann natürlich kein Gegenstand des Volksgesetzgebungsverfahrens sein. So ist zum Beispiel die Todesstrafe vom Grundgesetz her selbst ausgeschlossen, überhaupt zu thematisieren.
Kitzler: Nehmen wir mal ein anderes Thema, was ja immer für viel Streit sorgt in Städten, den Moscheebau. Können Sie sich vorstellen, Volksentscheide gegen den Bau von Moscheen?
Wawzyniak: Die sind berechtigt natürlich zulässig, aber eine solche Entscheidung könnte rein theoretisch auch ein Kommunalparlament treffen. Und die Frage, ob die Kommunalparlamentarier unbedingt schlauer sind als die Bevölkerung, ebenso, ob die Bundestagsabgeordneten unbedingt schlauer sind als die Bevölkerung, das würde ich doch schon hart in Zweifel ziehen.
Kitzler: Die Union hat ja den Vorstoß für mehr Volksentscheid zurückgewiesen und als Grund angeführt den Schutz der Minderheiten, denn im Volksentscheid gibt es keine Kompromisse, es gibt keinen Interessenausgleich in der Bevölkerung - das Argument hat doch einiges für sich, oder?
Wawzyniak: Das Argument hat aus meiner Sicht gar nichts für sich, weil auch im Rahmen eines Volksentscheides über diese verschiedenen Stufen - das dauert ja ein halbes, drei viertel Jahr - ist es möglich, Mehrheiten und Minderheiten miteinander in Ausgleich zu bringen. Man kann die Initiative auch verändern, nach unserem Gesetzentwurf kann das Parlament es sogar aufgreifen. Und mir soll insbesondere die Union nicht erzählen, dass sie an einem Interessenausgleich interessiert ist.
Kitzler: Aber bleiben wir doch mal beim Beispiel Moscheebau, das würde doch dann die Interessen von religiösen Minderheiten in Deutschland gefährden, wenn es so einen Volksentscheid gäbe?
Wawzyniak: Richtig, aber eine Gefährdung dieser Minderheiten könnte ja auch passieren, indem ein Kommunalparlament entscheidet, wenn es denn entscheidet ja oder nein. Da ist ja kein Unterschied. Auch ein Kommunalparlament müsste am Ende sagen ja oder nein.
Kitzler: Volksentscheide können missbraucht werden, das hat man auch in Bayern gesehen, nicht am Ergebnis, sondern an der Kampagne, die es da gab. Die Gegner des Rauchverbotes wurden unterstützt von der Zigarettenindustrie. Ist das für Sie ein Problem?
Wawzyniak: Das ist dasselbe Problem, was wir auch im Bundestag haben, denn niemand soll mir erklären, dass nicht Lobbyisten oder andere einflussreiche Gruppen Einfluss auf Politikerinnen und Politiker nehmen. Ich halte das Argument, dass die Bevölkerung mehr beeinflussbar ist als Politikerinnen und Politiker, die im Parlament sitzen, für sehr weit hergeholt.
Und im Übrigen, das Grundgesetz sagt, die Staatsgewalt geht vom Volke aus, insofern ist doch eher die Frage, welche Entscheidungsbefugnisse gibt die Bevölkerung an das Parlament ab und nicht umgedreht, welche Entscheidungsbefugnisse gibt das Parlament an die Bevölkerung ab.
Kitzler: Trotzdem: Sind Sie nicht der Meinung, man sollte Waffengleichheit zumindest versuchen herzustellen und Sicherheitsmechanismen einbauen, um zu verhindern, dass zum Beispiel finanzstarke Interessengruppen solche Volksentscheide für ihre Zwecke missbrauchen?
Wawzyniak: Da gibt es ja Möglichkeiten, ich verweise da mal auf das Land Berlin, das jetzt ein Informationsfreiheitsgesetz verabschiedet hat und auch im Rahmen der Volksgesetzgebung ein Gesetz verabschiedet hat, nachdem zum Beispiel die Initiatoren von Volksbegehren, Volksinitiativen ihre Geldgeber, ihre Sponsoren offenlegen müssen. Das geht weiter als das, was im Bundestag passiert, wo niemand offenlegen muss, mit wem er gerade gesprochen hat, mit welchem Lobbyisten und was ihm gerade versprochen worden ist vom Lobbyisten.
Kitzler: Ich komme noch mal auf Sigmar Gabriel zurück, den Sie ja zitiert hatten, den Sie ja kritisiert hatten am Anfang. Er hat als ein Beispiel gebracht für Volksentscheide das Beispiel Bildungspolitik, Schulpolitik. Da meint er, könnte man mit Volksentscheiden gut die Politik von ihrer Selbstblockade erlösen. Ist das aber nicht gerade ein schlechtes Beispiel? Volksentscheide ermöglichen ja vielleicht regionale lokale Lösungen, während wir in der Bildungspolitik doch eigentlich eher einen großen bundesweiten Wurf brauchen, oder nicht?
Wawzyniak: Das Problem ist ja – und ich weiß nicht, ob das Herr Gabriel tatsächlich gesehen hat –, dass Bildungspolitik im Moment Ländersache ist. Insofern ist es selbstverständlich wichtig, dass man darüber nachdenken muss, ob Bildungs (…) nicht eher bundespolitische Sachen sein sollten, aber das ist derzeit nicht der Fall. Und ob man das mit einer Volksinitiative oder einem Volksbegehren ändert, wage wich zu bezweifeln. Und ansonsten kann ich wirklich nur wiederholen: Guten Morgen, Herr Gabriel!
Kitzler: Eine grundsätzliche Frage am Schluss: Entmündigt sich die Politik nicht mit diesen Volksentscheiden selbst, Sie sind ja schließlich gewählte Vertreter des Volkes?
Wawzyniak: Das sehe ich komplett anders. Es geht wirklich eher um die Frage, ob die Bevölkerung Parlamentariern und Parlamentariern nicht etwas überträgt, als immer den Gestus, den Politikerinnen und Politiker sehr häufig haben, zu sagen, wir sind gewählt, und deswegen müssen wir entscheiden.
Nein, ich glaube, wir sind nicht schlauer, wir sind nicht intelligenter als die Bevölkerung, und insofern kommt es eher darauf an, dass die Bevölkerung entscheiden soll, was wir machen sollen und nicht, dass wir großzügig sagen, oh, wir geben euch was ab für Entscheidungen.
Kitzler: Mehr Volksentscheide, das fordert Halina Wawzyniak, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, die auch einen Gesetzentwurf eingebracht hat. Vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag!
Wawzyniak: Bitte, bitte!
Die Gegner halten sie für eine Entmündigung der gewählten Volksvertreter, die Fans hoffen auf mehr Salz in der manchmal etwas faden Demokratiesuppe. Darüber spreche ich mit Halina Wawzyniak, der stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linken und stellvertretenden Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Bundestag. Guten Morgen!
Halina Wawzyniak: Guten Morgen!
Kitzler: Sigmar Gabriel, der SPD-Vorsitzende, hat jüngst gesagt, alle vier Jahre sein Kreuzchen machen sei nicht der Gipfelpunkt der Volksherrschaft. Ich nehme an, Sie stimmen dem zu?
Wawzyniak: Ich stimme dem zu, allerdings wundert mich, warum Herr Gabriel erst am Wochenende darauf kommt und nicht schon vor einer Woche, wo das Thema im Bundestag ganz gut platziert war, auf die Idee gekommen ist, das zu fordern.
Kitzler: Ihre Partei macht sich ja stark für mehr Volksentscheide - eignen sich denn für Sie alle Fragen für einen Volksentscheid?
Wawzyniak: Im Prinzip ja, das sagt die Juristin, aber die Juristin sagt auch, im Prinzip ja heißt, es gibt natürlich Ausnahmen, und das haben wir natürlich formuliert in unserem Gesetzentwurf, was die Gliederung des Bundes angeht, was die Grundsätze angeht, die bei der Verfassung niedergelegt sind, also die sogenannte Ewigkeitsgarantie, das kann natürlich kein Gegenstand des Volksgesetzgebungsverfahrens sein. So ist zum Beispiel die Todesstrafe vom Grundgesetz her selbst ausgeschlossen, überhaupt zu thematisieren.
Kitzler: Nehmen wir mal ein anderes Thema, was ja immer für viel Streit sorgt in Städten, den Moscheebau. Können Sie sich vorstellen, Volksentscheide gegen den Bau von Moscheen?
Wawzyniak: Die sind berechtigt natürlich zulässig, aber eine solche Entscheidung könnte rein theoretisch auch ein Kommunalparlament treffen. Und die Frage, ob die Kommunalparlamentarier unbedingt schlauer sind als die Bevölkerung, ebenso, ob die Bundestagsabgeordneten unbedingt schlauer sind als die Bevölkerung, das würde ich doch schon hart in Zweifel ziehen.
Kitzler: Die Union hat ja den Vorstoß für mehr Volksentscheid zurückgewiesen und als Grund angeführt den Schutz der Minderheiten, denn im Volksentscheid gibt es keine Kompromisse, es gibt keinen Interessenausgleich in der Bevölkerung - das Argument hat doch einiges für sich, oder?
Wawzyniak: Das Argument hat aus meiner Sicht gar nichts für sich, weil auch im Rahmen eines Volksentscheides über diese verschiedenen Stufen - das dauert ja ein halbes, drei viertel Jahr - ist es möglich, Mehrheiten und Minderheiten miteinander in Ausgleich zu bringen. Man kann die Initiative auch verändern, nach unserem Gesetzentwurf kann das Parlament es sogar aufgreifen. Und mir soll insbesondere die Union nicht erzählen, dass sie an einem Interessenausgleich interessiert ist.
Kitzler: Aber bleiben wir doch mal beim Beispiel Moscheebau, das würde doch dann die Interessen von religiösen Minderheiten in Deutschland gefährden, wenn es so einen Volksentscheid gäbe?
Wawzyniak: Richtig, aber eine Gefährdung dieser Minderheiten könnte ja auch passieren, indem ein Kommunalparlament entscheidet, wenn es denn entscheidet ja oder nein. Da ist ja kein Unterschied. Auch ein Kommunalparlament müsste am Ende sagen ja oder nein.
Kitzler: Volksentscheide können missbraucht werden, das hat man auch in Bayern gesehen, nicht am Ergebnis, sondern an der Kampagne, die es da gab. Die Gegner des Rauchverbotes wurden unterstützt von der Zigarettenindustrie. Ist das für Sie ein Problem?
Wawzyniak: Das ist dasselbe Problem, was wir auch im Bundestag haben, denn niemand soll mir erklären, dass nicht Lobbyisten oder andere einflussreiche Gruppen Einfluss auf Politikerinnen und Politiker nehmen. Ich halte das Argument, dass die Bevölkerung mehr beeinflussbar ist als Politikerinnen und Politiker, die im Parlament sitzen, für sehr weit hergeholt.
Und im Übrigen, das Grundgesetz sagt, die Staatsgewalt geht vom Volke aus, insofern ist doch eher die Frage, welche Entscheidungsbefugnisse gibt die Bevölkerung an das Parlament ab und nicht umgedreht, welche Entscheidungsbefugnisse gibt das Parlament an die Bevölkerung ab.
Kitzler: Trotzdem: Sind Sie nicht der Meinung, man sollte Waffengleichheit zumindest versuchen herzustellen und Sicherheitsmechanismen einbauen, um zu verhindern, dass zum Beispiel finanzstarke Interessengruppen solche Volksentscheide für ihre Zwecke missbrauchen?
Wawzyniak: Da gibt es ja Möglichkeiten, ich verweise da mal auf das Land Berlin, das jetzt ein Informationsfreiheitsgesetz verabschiedet hat und auch im Rahmen der Volksgesetzgebung ein Gesetz verabschiedet hat, nachdem zum Beispiel die Initiatoren von Volksbegehren, Volksinitiativen ihre Geldgeber, ihre Sponsoren offenlegen müssen. Das geht weiter als das, was im Bundestag passiert, wo niemand offenlegen muss, mit wem er gerade gesprochen hat, mit welchem Lobbyisten und was ihm gerade versprochen worden ist vom Lobbyisten.
Kitzler: Ich komme noch mal auf Sigmar Gabriel zurück, den Sie ja zitiert hatten, den Sie ja kritisiert hatten am Anfang. Er hat als ein Beispiel gebracht für Volksentscheide das Beispiel Bildungspolitik, Schulpolitik. Da meint er, könnte man mit Volksentscheiden gut die Politik von ihrer Selbstblockade erlösen. Ist das aber nicht gerade ein schlechtes Beispiel? Volksentscheide ermöglichen ja vielleicht regionale lokale Lösungen, während wir in der Bildungspolitik doch eigentlich eher einen großen bundesweiten Wurf brauchen, oder nicht?
Wawzyniak: Das Problem ist ja – und ich weiß nicht, ob das Herr Gabriel tatsächlich gesehen hat –, dass Bildungspolitik im Moment Ländersache ist. Insofern ist es selbstverständlich wichtig, dass man darüber nachdenken muss, ob Bildungs (…) nicht eher bundespolitische Sachen sein sollten, aber das ist derzeit nicht der Fall. Und ob man das mit einer Volksinitiative oder einem Volksbegehren ändert, wage wich zu bezweifeln. Und ansonsten kann ich wirklich nur wiederholen: Guten Morgen, Herr Gabriel!
Kitzler: Eine grundsätzliche Frage am Schluss: Entmündigt sich die Politik nicht mit diesen Volksentscheiden selbst, Sie sind ja schließlich gewählte Vertreter des Volkes?
Wawzyniak: Das sehe ich komplett anders. Es geht wirklich eher um die Frage, ob die Bevölkerung Parlamentariern und Parlamentariern nicht etwas überträgt, als immer den Gestus, den Politikerinnen und Politiker sehr häufig haben, zu sagen, wir sind gewählt, und deswegen müssen wir entscheiden.
Nein, ich glaube, wir sind nicht schlauer, wir sind nicht intelligenter als die Bevölkerung, und insofern kommt es eher darauf an, dass die Bevölkerung entscheiden soll, was wir machen sollen und nicht, dass wir großzügig sagen, oh, wir geben euch was ab für Entscheidungen.
Kitzler: Mehr Volksentscheide, das fordert Halina Wawzyniak, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, die auch einen Gesetzentwurf eingebracht hat. Vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag!
Wawzyniak: Bitte, bitte!